11. - 30. August 2012, Alaska

Schneebedeckte Berge, Gletscher und Eisberge statt Palmenstrand und Kokosnüsse

Als sich nach der letzten Eiszeit in Alaska die Gletscher zurückbilden wird eine einzigartige Landschaft geboren. Das Eis gibt hunderte von Inseln frei und das grüne Wasser des Pazifiks dringt tief in die Buchten am Fuße der Berge und die Fjorde zwischen den Inseln ein. Linear gemessen erstreckt sich Südost-Alaska nur über 250 Meilen, aber es umfasst sagenhafte 11.000 Meilen Küstenlinie. Durch vorgelagerte Inseln gut geschützt und durch den Japan-Strom temperiert, formt das weitläufige Labyrinth aus Kanälen, Buchten und bewaldeten Inseln eine der ausgefallensten Küsten der Welt. Im 18. Jahrhundert rückt das von Indianern bewohnte Alaska ins Interesse westlicher Kolonialstaaten. Russische Pelzhändler und Goldsucher aus aller Welt lassen sich nieder. Von 1804 bis 1867 ist Alaska von Russland besetzt. 1867 kaufen die wirtschaftlich aufstrebenden USA den Russen Alaska für 7,2 Mill. Dollar ab. Pelzhandel und Goldfunde bringen 1913 schon 81 Mill. Gewinn ein. 1959 wird Alaska als 49. Staat in die Gemeinschaft der Vereinigten Staaten Amerikas aufgenommen.

Hawaii - Alaska, ein ungemütlicher Törn

Fast 5.000 km Luftlinie trennen Hawaii, den südlichsten, von Alaska, dem nördlichsten Bundesstaat der USA. Die zu segelnde Strecke ist sogar noch etwas länger, denn mitten im Nordpazifik liegt in der Regel ein ausgedehntes Hochdruckgebiet, in dessen Mitte es windstill ist. Wenn man mit einem Quäntchen Glück im richtigen Moment die Westflanke des Hochs erwischt, schieben einen die dort herrschenden südwestlichen Winde flott hoch nach Norden und an der Nordflanke entlang kann man, wenn man weit genug hoch gen Norden gesegelt ist, wieder mit passenden Winden nach Osten rauschen. So die Theorie.

 

Diesen Sommer spielt das Hoch im Nordpazifik ein anderes Spiel. Es vereinigt sich mit einem anderen Hochdruckgebiet, das östlich von Japan liegt und erstreckt sich fast über den gesamten nördlichen Pazifik. Weit und breit gibt es keine Kante an der man entlang segeln könnte. Sobald wir nach drei Segeltagen die Passastwindzone verlassen haben, die uns gleich zu Beginn des Törns ziemlich raues Hochseesegeln beschert hat, gibt es danach im gesamten Nordpazifik kaum irgendeinen beständigen Wind. Die Windvorhersagen ändern sich alle Nase lang, es ist unmöglich danach einen strategisch sinnvollen Kurs festzulegen. Wir haben für diesen Törn zwar mehr Diesel denn je an Bord, dennoch nimmt der Kraftstoff rapide ab, denn den Motor läuft manchmal tagelang. Wir sind gezwungen, uns eine Reserve zu setzen, die wir unter keinen Umständen vor der Ansteuerung unseres Zielhafens, Sitka, anbrechen. Abends hören wir meist die Funkrunde der amerikanischen Einhandsegler, die von Hawaii aus nach San Francisco zurück segeln. Auch sie sind von der ungewöhnlichen Wettersituation betroffen und es tröstet zu hören, dass fast alle gleichzeitig ihr Diesel-Reserve-Limit erreichen und sie wie wir, bei schwachen Winden nur langsam vorankommen oder gar mal einen Tag lang bei Flaute vor sich hin treiben. Irgendwann werden wir alle ankommen, dieses Jahr dauert es eben ein bisschen länger. Wir haben bergeweise leckeres Essen und Getränke an Bord, also was soll's.

 

Doch dann fängt unser Motor an zu mucken. Immer öfter geht kurzzeitig die Drehzahl runter, da stimmt was nicht. Wir vermuten verstopfte Filter und wechseln sämtliche Filter. Danach ist es schlimmer als vorher, jetzt geht die Drehzahl manchmal bis auf Leerlaufzahl runter. Das unregelmäßige Motorengeräusch zerrt an unseren Nerven. Wir vermuten, dass Luft im Kraftstoffsystem ist, haben aber keine Idee, wo die herkommen soll nachdem Joachim den Motor sauber entlüftet, alle Verbindungen und alle Leitungen überprüft hat. Aber irgendwo muss ein Fehler zu finden sein. Michael, einer der Amerikaner, der uns in Hawaii zu dieser Fahrt überredet hat, der selbst auch mit seiner Frau nach Sitka segelt, steht Joachim bei der Fehlersuche tatkräftig zur Seite. Ellenlange Emails gehen hin und her, in denen das Problem analysiert, Ursachen diskutiert und Lösungen gesucht werden. Pagena verwandelt sich von vorne bis hinten in eine Baustelle, denn die Leitung laufen vom Tank im Vorschiff zum Motor im hinteren Teil des Schiffes. Alle Bodenbretter kommen raus und die hintere Koje wird fast leer geräumt, um an tief im Schiffsbauch verstaute Ersatz- und Arbeitsschläuche dran zu kommen. Alle vorhandenen Pumpen kommen zum Einsatz, Dieselkanister sind immer in Reichweite sowie eine Pütz mit Orangenterpen-Reiniger, dem perfekten Hilfsmittel um Dieselgestank schnell wieder loszuwerden, wenn mal wieder ein unvermeidlicher Spritzer danebengegangen ist.

 

Eine gute Seite hat die unerquickliche Aktion aber auch: Bei der Arbeit wird es uns stets warm und das ist gut so, denn wir sind raus aus dem tropischen Sommer. Selbst tagsüber bleibt es oft kalt, im Schiff haben wir oft nicht mehr als um die 15° C. Zudem zieht eine feuchte Nebelkälte ein, die nach Monaten in den Tropen schwer zu ertragen ist. Es dauert oft Stunden, bis unsere Füße wieder warm werden und ich beginne mir zum ersten Mal in meinem Leben eine Wärmflasche fürs Bett zu wünschen. In Sitka gibt es die bestimmt, wir müssen nur dort ankommen. Noch nie haben wir uns das Ende einer Blauwasserpassage so sehr herbei gewünscht, wie momentan.

 

Nach drei Tagen Fehlersuche können alle üblen Ursachen ausgeschlossen werden. Joachim und Michael sind sicher, dass alle eventuell benötigten Ersatzteile in Sitka zu bekommen sind und wir wissen, dass wir den Hafen auch ohne volle Motorkraft gefahrlos ansteuern können. Mittlerweile haben wir auch wieder Wind und segeln wieder erfreuliche Etmale von 130 Seemeilen am Tag. Am Tag vor der Ankunft im Sitka Sound erleben wir sogar die grandiosesten Segelbedingungen die wir je hatten. Bei 12 bis 15 Knoten Halbwind, sonnig blauem Himmel und spiegelglatter See können wir den Gennacker als Vorsegel zum Groß dazu setzen und fliegen mit dieser Segelkombination ein paar Stunden lang mit 7,5 Knoten wie auf Schienen übers Wasser. Genial, so könnte es bleiben! Am 8. August tauchen aus dicht mit grauen Wolken bedecktem Himmel in der Ferne schneebedeckte Berge mit bis ans Wasser bewaldeten Hängen auf, davor liegen unzählige Felsen und Inselchen, die mit Moos, Flechten und Nadelbäumen bewachsen sind. Endlich, bald haben wir es geschafft, gleich sind wir in Sitka, Alaska. Wer hätte das gedacht!

Ankunft in Alaska

In Sitka auf Baranof Island werden wir freundlich empfangen. Alle Leute erzählen uns sofort, dass der Sommer ungewöhnlich verregnet ist und wünschen uns, dass wir nicht allzu sehr unter schlechtem Wetter leiden müssen. Irgendjemand erwähnt, dass Regen in Alaska auch "liquid sunshine" genannt wird. Ich denke mir, dass wir für die anstrengend und nervenzerrende Passage sicher mit ein paar besonders schönen Tagen in Alaska belohnt werden. Unser größter Wunsch momentan ist Wasser von oben, allerdings in Form einer langen heißen Dusche. Seit Wochen haben wir uns zum Waschen Wasser auf dem Herd heiß gemacht und es uns im winzigen "Badezimmer" aus einem Plastik-Krug über den Kopf geleert. Mal wieder richtig duschen zu können ist famos. Eigentlich wollen wir uns ja was gönnen und essen gehen, aber wir sind zu müde um noch ein Restaurant zu suchen.

 

Tags drauf stürzen wir uns gleich morgens in die Arbeit: Joachim besorgt die Ersatzteile und beginnt mit dem Einbau, ich trage eine riesige Tasche Wäsche in den Waschsalon. Am Nachmittag gönnen wir uns aber Sightseeing, denn eine Bootsnachbarin hat erzählt, dass heute Highland Games stattfinden. Männer und Frauen, die mit Schottenröcken bekleidet schwere Steine und Baumstämme durch die Gegend werfen, das ist sicher lustig, die wollen wir sehen. Dass es regnet scheint in Sitka keinen zu stören, das Fest ist gut besucht. Mit Regenjacke und Gummistiefeln ist man gut gerüstet. Den Musikern, die unter einem Zeltdach Livemusik spielen, widmet niemand Aufmerksamkeit, dafür ist die Schlange vor dem Stand von Baranof Island Brewing Co. beeindruckend lang. Die brauen sogar Hefeweizen das Joachim für gut befindet. Nur Weizengläser kennen sie hier nicht und das Bier wird ohne Schaum serviert, aber darüber können wir, so weit von Deutschland weg, gelinde hinwegsehen.

 

Am Sonntag überredet uns Michael, der tags zuvor auch in Sitka eingetroffen ist, sicherheitshalber auch noch den Dieseltank von innen zu reinigen. Da wir die nächsten Wochen tagtäglich auf einen funktionierenden Motor angewiesen sind und endlich fertig werden wollen, wollen wir auch diese potentielle Problemquelle ein für alle Mal ausschließen, in dem wir die Tankreinigung auch noch hinter uns bringen. Michael ist die meiste Zeit mit an Bord und hilft. Zudem schenkt er uns noch ein Vakuummeter, das er übrig hat. Abends werden wir fertig mit der Arbeit und der Motor macht den Eindruck, wieder einwandfrei zu laufen. Uff! Die Wettervorhersage sagt für übermorgen Sonnenschein an, also legen wir den Starttermin für unsere erste Strecke auf der Inside-Passage auf Dienstag. Montags versuche ich die ersehnte Wärmflasche zu kaufen. Das junge Mädel im Hardware Store überlegt und sagt: "Ja, von so etwas habe ich schon mal gehört. Das ist so ein ganz altmodisches Ding, oder? Nein, so etwas haben wir nicht. Eine elektrische Heizdecke kann ich ihnen anbieten." In einem anderen Laden habe ich zuvor dicke Neopren-Gummistiefel, Fäustlinge und Snowboard-Socken erworben. Damit fühle ich mich, auch ohne Wärmflasche, für die kommenden Wochen gut gerüstet.

Anspruchsvoller Auftakt der "Inside Passage"

Wir beginnen unsere Tour gleich mit einer kitzeligen Fahrt durch die "Sergius Narrows", in denen es bis zu 8 Knoten Strömung geben kann. Eigentlich kann es für ein Segelboot nicht schwer sein da durch zu fahren, denn auch kleine Kreuzfahrtschiffe fahren auf dieser Route. Dennoch, auf der Seekarte sieht die Peril Strait ziemlich schmal und die Engstelle, um die herum lauter Felsen liegen, wirklich eng aus und wir sind etwas aufgeregt, ob wir unsere Geschwindigkeit richtig berechnen um genau bei Stillwasser oder kurz davor an den Sergius Narrows anzukommen. Zuvor müssen wir 20 Meilen die Olga- und die Neva-Strait hoch, in denen uns Ebbstrom zur Hilfe kommen oder Flutstrom unsere Fahrt über Grund bremsen kann. Als in Deutschland ausgebildete Segler haben wir viel über Gezeiten-Navigation gelernt, schließlich ist die Nordsee ebenfalls ein Segelrevier mit großen Tidenunterschieden und starken Strömungen, aber praktische Erfahrung damit haben wir bislang wenig.

 

Wir kalkulieren ein bisschen übervorsichtig und kommen ca. eine halbe Stunde zu früh an den Narrows an, durch die uns noch abfließendes Wasser mit fast zwei Knoten Geschwindigkeit entgegen strömt. Vor der Engstelle stoßen wir auf eine ganze Reihe Wasserwirbel, die unseren Kurs mal in die eine, mal in die andere Richtung ablenken. Ein merkwürdiges Gefühl, aber der elektrische Pinnenpilot, der Pagena steuert, kommt gut damit zurecht. Zehn Minuten später sind wir auf der anderen Seite der Narrows und fragen uns "War's das schon?". Ja, das war's – eigentlich gar kein Problem. In der Peril Strait hinter den Sergius Narrows kommen uns drei Buckelwale entgegen. Ihr Blas und ihre mächtigen Fluken beeindrucken uns sehr. Wow, das geht ja gut los in Alaska! Abends ankern wir als einziges Schiff in einer geräumigen Bucht, die sich uns auftut, nachdem wir einen Felsen hinter der Einfahrt umrundet haben. Eine Bucht ganz für uns alleine, das ist ein Novum.

 

Am nächsten Tag sammeln wir Erfahrung mit einem weiteren uns bislang unbekannten Wetterphänomen: Nebel. Während wir frühstücken lichtet sich der in der Bucht hängende Bodennebel, aber draußen in die Peril Strait ziehen immer wieder dichte Nebelschwaden ein, die die umgebenden Berge und alle anderen durch die Wasserstraße fahrenden Boote gänzlich verschlucken. Jetzt sind wir froh AIS plus Radar an Bord zu haben, denn damit erkennen wir alle potentiellen Hindernisse frühzeitig und können unseren Kurs entsprechend anpassen um niemanden in die Quere zu kommen. Ist schon ein komisches Gefühl wenn in ca. einer halben Seemeile Abstand eine Schnellfähre mit 20 bis 25 Knoten an uns vorbei prescht, ohne dass wir mehr von ihr als ein kleines Dreieck mit einem langen Geschwindigkeitspfeil vor sich auf dem Bord-PC und einen sich fortbewegenden dicken Knubbel auf dem Radar sehen. Am Nachmittag löst sich der Nebel auf. Bei schönstem Wetter entdecken wir die Weite der Chatham Strait und erreichen das Etappenziel "Baranof Warm Springs".

Baranof Warm Springs

Neben einem beeindruckenden Wasserfall wohnen schätzungsweise 20-30 Leute, die ihr Heim nur per Schiff oder per Wasserflugzeug verlassen können. Es gibt einen öffentlichen Anlegesteg, die paar Wohnhäuser sind durch Holzstege miteinander verbunden, ein Holzsteg führt in den Wald hinein. Wenn man dort wo im Geländer ein Durchlass ist, zum Fluss runter abbiegt, kommt man zu einem natürlichen Heißwasserpool. Das müssen wir natürlich ausprobieren. Am Ende des Tages baden wir tatsächlich mitten im Wald am Rand eines tosenden Wasserfalls. Das Wasser kommt so heiß aus der Erde, dass man sich kaum rein setzen kann. Unmittelbar daneben spült der Wasserfall eiskaltes Wasser in ein weiteres kleines Felsbecken. Sehr heißes und sehr kaltes Wasser direkt nebeneinander, das gab's in unserer Vorstellung bislang nur in Badezimmern! Nach zwanzig Minuten im Pool ist uns so warm, dass die kühle Luft auf dem Rückweg plötzlich angenehm ist. Unsere Haut ist rosig rot und alle am Steg erkennen sofort, wo wir herkommen. Am nächsten Morgen gönnen wir uns vor der Abfahrt noch ein Bad, diesmal im öffentlichen Badehaus. Kurz hinter dem Bootsanleger steht nämlich eine Holzhütte mit drei Kabinen, in denen drei riesige Badewannen stehen, die permanent mit warmem Wasser aus der Bergquelle gefüllt werden. In der Badewanne liegend schauen wir durch ein offenes Fenster direkt auf den Wasserfall und die schneebedeckten Berge dahinter. Das hat Charme!

Fredrick Sound und Tracy Arm

Fredrick Sound, der von der Chatham Strait abzweigt, ist für seine Wale bekannt. Wir hoffen, dort Buckelwale bei der Jagd auf Heringe beobachten zu können und verbringen daher anderthalb Tage im Fredrick Sound. Einen Wal bekommen wir zu sehen, allerdings "nur" einen, der an uns vorbei zieht und seinen Rücken und die Fluke zeigt. Zudem ist es grau und kalt, wir fühlen uns ein wenig verloren im Fredrick Sound. Dann fahren wir ein Stück die Stephens Passage hoch um in "Tracy Arm" Eisberge und am Ende des Wasserarms einen noch bis ans Wasser reichenden Gletscher zu sehen. Mehrere Leute haben uns erzählt, dass Tracy Arm noch schöner sei als die berühmte Glacier Bay.In der kleinen Ankerbucht am Eingang zu Tracy Arm sind wir mit Michael und Susan von der "Mouton Noir" verabredet, die seit Sitka Kath aus Montana als Gast mit an Bord haben. Der Ankerplatz ist ruhig und die Wettervorhersage ist brillant. Tags darauf lassen wir Pagena für den Ausflug zum Gletscher unbesorgt in der Ankerbucht liegen und fahren auf der "Mouton Noir" mit. Je weiter wir nach Norden vorankommen, umso dichter und umso größer werden die Eisberge. Kath sitzt den ganzen Tag vorne am Bug und gibt an den Steuerleuten Anweisungen, welcher Weg durch das Labyrinth am besten aussieht. Die Teamarbeit klappt gut, ohne anzustoßen erreichen wir gegen 11 Uhr morgens das Eisfeld, das unmittelbar vor dem Gletscher liegt. Ganz unerschrockene Skipper lenken ihre Boote auch noch in das Eisfeld hinein, aber Michael mag das nicht tun und auch wir würden es an seiner Stelle nicht wagen. Wir sind so nahe am Gletscher dran, dass wir ihn gut sehen können, das reicht. Plötzlich ertönt ein Krachen, dann stürzt ein hoher Eisturm, der am linken Rand des Gletschers stand, innerhalb von Sekunden ins Wasser. Wow, der Gletscher hat vor unseren Augen gekalbt! So ein Ereignis kann hohe Wellen auslösen oder Eisberge kippen lassen und das kann für ein kleines Boot gefährlich sein, wenn es nicht genügend Abstand hat. Aber diese Effekte bleiben aus, "Mouton Noir" kann in aller Ruhe noch zwei Runden vor dem Gletscher drehen, bevor wir uns wieder auf die 20 Meilen lange Rückreise begeben.

 

Tags darauf erleben wir einen weiteren herrlich sonnigen Tag. Unser Weg von Tracy Arm nach Portage Bay, einer Ankerbucht, führt wieder durch den Fredrick Sound. Heute ist uns das Glück hold. Von weitem sichten wir den Blas einer großen Gruppe Wale und ändern unseren Kurs, um uns den Tieren vorsichtig zu nähern. Es ist ein Gruppe Orcas, die genau auf uns zu schwimmt. Plötzlich ist Pagena von Orcas umringt, wir wissen gar nicht wo wir zuerst hinschauen sollen. Überall um uns herum tauchen die mächtigen schwarz-weißen Leiber für kurze Momente aus dem Wasser heraus, überall um uns herum sehen wir die beeindruckend hohen steilen Rückenflossen der Orcas aus dem Wasser tauchen. Was für ein majestätischer Anblick. Als die Orcas ein paar Minuten später außer Sichtweite sind, erspähen wir mehrere Meilen entfernt in Ufernähe nochmal auffällige Wasserfontänen. Wir nehmen Kurs auf diese Stelle und beobachten derweil mit Fernglas und Teleobjektiv, wer die Fontänen verursacht. Es sind Buckelwale, die offensichtlich jagen und dabei weit aus dem Wasser heraus springen. Bis wir die halbe Strecke zurückgelegt haben, die uns von den Buckelwalen trennt, sind sie schon satt und hören auf zu jagen. Später begegnen uns zwei träge dahin schwimmende Wale. Die waren es bestimmt, die sich vorher die Bäuche vollgeschlagen haben. Auch wenn wir uns natürlich gewünscht hätten, noch näher am Geschehen dran zu sein und die weit geöffneten Mäuler aus der Nähe sehen zu können, sind wir dennoch dankbar, das Naturschauspiel wenigstens aus der Ferne beobachtet zu haben.

Petersburg und Wrangell

Unser nächstes Ziel ist Petersburg, ein Städtchen mit 3.000 Einwohnern, in dem sich alles um Fischfang dreht. 2010 hat Petersburg nahezu 50 Millionen Pfund Fisch an Land gezogen. Da viele Einwohner norwegische Wurzeln haben, gibt sich Petersburg den Beinamen "Little Norway". Den in den Reiseführern gelobten Charme des Städtchens können wir beim besten Willen nicht entdecken. Wir finden, dass der Ort größtenteils ganz schön ungepflegt ist und auf dem besten Wege ist zu verkommen. Ein paar bunte Blumenampeln können diesen Eindruck nicht übertünchen. Fürs Fotoalbum gibt es zwar zwei hübsche Motive und Petersburg hat einen hervorragenden Supermarkt, aber unter "Little Norway" haben wir uns mehr vorgestellt. Dennoch bleiben wir drei Nächte in Petersburg, denn vor uns liegen die "Wrangell Narrows", in denen uns erst in drei Tagen der Strom bei Tageslichtnach Süden schiebt. Und Petersburg hat eine gemütliche Bücherei, in der es freien Internetzugang gibt, so dass wir alle seit Wochen angestauten Aufgaben, bei denen wir aufs Internet angewiesen sind, mal wieder in aller Ruhe abarbeiten können. Nach zwei weiteren gemeinsam verbrachten Abenden verabschieden wir uns in Petersburg von der Crew der "Mouton Noir". In circa acht Wochen werden wir Michael und Susan hoffentlich in San Francisco wiedersehen.

 

Das Städtchen Wrangell, unser nächster Halt, ist um einiges gepflegter als Petersburg. Samstag nachmittags ist hier aber der Hund begraben, die Straßen sind menschenleer. Wir fragen uns, was die Leute hier wohl machen. Überall steht zu lesen, dass man in Südalaska so viel unternehmen kann. Ja, man kann Lachs fischen, Heilbutt fisch, Heringe fischen, Krabben fangen, Beeren sammeln, Joggen, Radfahren oder Wandern gehen, Vögel beobachten, Fotos machen, Bücher lesen, Gedichte schreiben, Videos gucken... Bei schönem Wetter würden wir ja gerne mal wandern gehen, aber wie schon in Petersburg ist es auch in Wrangell grau und regnerisch. Also bleiben wir nur eine Nacht, wir haben ohnehin etwas Zeitdruck im Nacken um in der sturmfreien Saison wieder weit genug nach Süden zu kommen.

Anan Bay, Meyers Chuck und Ketchikan

Drei der folgenden vier Stopps entpuppen sich unvermutet als Highlights der Alaska Tour: In der Anan Bay gibt es eine Bären-Beobachtungsstation. Für die Bären unsichtbar in Holzhütten versteckt kann man sie dort beim Lachsfischen beobachten. Aus nächster Nähe können wir zusehen, wie sich ein alter erfahrener Schwarzbär alle fünfzehn bis zwanzig Minuten einen frischen Lachs angelt sowie einen jüngeren Schwarzbären beobachten, der offensichtlich noch nicht weiß wie's geht und sich mit tot vorbeitreibenden Lachsen zufrieden gibt. Wie er im Wasser sitzt und den toten Fisch im Arm liegen hat, sieht dieser Bär ganz schön tollpatschig aus. Ein paar Grizzlies sind auch in der Nähe, allerdings weiter oben am Wasserlauf, wo wir sie nur für einen kurzen Moment zu sehen bekommen. Dort oben wimmelt es nur so von Lachsen, es ist unvorstellbar, wie viele Fische sich gleichzeitig in dem flachen Gewässer aufhalten. Es sind hunderte, wenn nicht gar tausende, Leib an Leib. Wahnsinn! Wieder einmal haben wir das Glück, für diesen Erlebnistag schönstes Sonnenwetter zu haben. An Land ist es auch gleich erheblich wärmer als auf dem Wasser und der kurze Spaziergang durch den Wald zur Beobachtungsstation hoch tut gut.

 

Die Nacht verbringen wir in Frosty Bay, wo es ausnahmsweise mal gar nicht frostig ist. Am Spätnachmittag und am kommenden Morgen beim Frühstück sitzen wir in T-Shirt bzw. in leichtem Pulli im Cockpit und genießen die Wärme der Sonnenstrahlen auf der Haut. In Alaska, wo wir meist auf diesen Genuss verzichten müssen, wird uns so richtig bewusst welch großen Einfluss die Sonne auf unser Wohlbefinden hat und umso mehr freuen wir uns darauf, gegen Ende des Jahres wieder in subtropischen Gebieten zu sein. Aber bis dahin sind es noch ein paar Wochen, in denen wir uns täglich in mehrere Lagen Kleidung hüllen und literweise heißen Tee trinken, um die Kälte in erträglichem Maß zu halten. Bekanntermaßen sind wir beide ja ziemliche Frostbeulen. Glücklicherweise haben wir eine gute Heizung an Bord, mit der wir abends das Schiff einmal durchheizen. Dennoch schlägt sich überall die Luftfeuchtigkeit nieder. In Frosty Bay tragen wir so viel wie im Cockpit Platz hat raus in die Sonne und reißen alle Luken zum Durchlüften weit auf, damit alles mal wieder trocken werden kann.

 

Von Frosty Bay aus in den Ernest Sound hält das schöne Wetter selbst am nächsten Morgen noch an und stellenweise haben wir sogar etwas Wind und können Motor-Segeln, also mit dem Segel den Motor etwas unterstützen. Kurz bevor wir die breite Clarence Strait erreichen überlegen wir, ob wir unser Tagesziel nicht einige Meilen weiter in den Süden schieben. Kaum in der Clarence Strait drin fängt es plötzlich aus heiterem Himmel heraus heftig an zu blasen. Ruckzuck verwandelt sich die eben noch fast topfebene Wasserfläche in eine bewegte See und Pagena fühlt sich mal wieder wie ein Segelboot an, sprich unter Deck müssen alle möglichen Gegenstände gesichert werden, die plötzlich durch die Gegend fliegen. Der für den Abend angekündigte Südwind hat sechs Stunden früher als vorhergesagt eingesetzt. Zum Kreuzen können wir ihn noch nutzen, aber wir werden die Clarence Strait nicht mehr weit runter kommen. Meyers Chuck liegt genau richtig, um uns dort in der geschützten Bucht zu verkriechen. Wir müssen nur das Nadelöhr, das in die Bucht hineinführt, punktgenau treffen. Zum Glück lassen Wind und Seegang unter Land nach, so dass auch die schwer kalkulierbare Abdrift schwächer wird und wir gut Kurs auf die Einfahrt zu halten können.

 

Sobald wir die beiden Tonnen, die die Einfahrt begrenzen, passiert haben, tut sich eine malerische kleine Bucht auf, in der sich wieder eine dieser winzigen Siedlungen ohne Straße befindet. Die Häuser hier sind recht groß und es scheinen einige Künstler in Meyers Chuck zu wohnen, denn es gibt eine kleine Galerie – der einzige Laden im Ort, geöffnet natürlich nur nach telefonischer Vereinbarung. Ein Ehepaar kommt runter an den Steg, um uns zu begrüßen und um zu fragen, ob wir das sind, die vorher draußen in der Chatham Strait gesegelt sind. Sie empfehlen uns, die Trails um Meyers Chuck herum zu erkunden und uns nicht daran zu stören, dass die Wege fast durch die Gärten einiger Häuser führen, das sei hier so. Die mit Holzschnitzeln angelegten Wege sind eine schöne Abwechslung. Einer führt an mehreren im Wald installierten Kunstobjekten vorbei zu einem Kiesstrand, der andere rüber zu einer weiteren Bucht. Meyers Chuck ist hübsch und am allerbesten sind die Himbeeren, die es hier zuhauf gibt. Die Büsche haben keine Stacheln und wir essen Beeren satt direkt vom Busch. Herrlich!

 

Abends grillen wir endlich mal einen Fisch. Am öffentlichen Anlegesteg haben wir einen Fischer kennengelernt, der aus Thorne Bay, gegenüber von Meyers Chuck auf der anderen Seite der Chatham Strait gelegen, stammt. Auch er sucht in Meyers Chuck Schutz vor dem Starkwind. Ich frage ihn, ob er denn einen guten Fang gehabt habe.- Ja, er habe viel Heilbutt gefangen. - Ob er davon denn was verkaufen würde? - Verkaufen? Nein! Ob ich denn Fisch haben wolle? – Ja, gerne. - Ich verkaufe keinen Fisch, aber Du kannst welchen bekommen. Ich bringe Euch nachher ein schönes Filet. - Wir bekommen schließlich sogar zwei große Heilbutt-Filets geschenkt, die wir grillen. Lecker, was für ein Fest! Obwohl es in Alaska Fisch im Überfluss gibt, wird er vor Ort unglaublich teuer verkauft, das Pfund kostet meist um die 20 USD. Verkauft wird der Fisch überwiegend frisch in kleine Dosen eingedost. Klar, so können ihn die Touristen am besten mitnehmen, und von den Einheimischen kauft wahrscheinlich kaum jemand Fisch, jeder wird mindestens einen Fischer in der Familie oder als Freund haben. Bei uns gibt's daher viel seltener Fisch zu essen als wir dachten.

 

Von Meyers Chuck aus fahren wir ohne weiteren Stopp nach Ketchikan, der zweitgrößten Stadt Alaskas. Ketchikan wird von allen Kreuzfahrtschiffen angefahren, die die Inside-Passage befahren. Es gibt Docks für vier große Kreuzfahrer gleichzeitig, jeden Tag können alleine per Schiff etwa 10.000 Touristen in die Stadt gebracht werden. In Ketchikan gibt es die meisten stehenden Totempfähle der Welt zu besichtigen. Wer genügend betucht ist bucht Ausflüge per Schnellboot oder per Wasserflugzeug. Es ist erstaunlich zu beobachten, wie viele Wasserflugzeuge in Ketchikan in die Luft gehen. Wir sehen uns die Totempfähle in der Indianer-Siedlung Saxman an sowie die Creek Street, das ehemalige Rotlichtviertel, das heute zahlreiche Galerien und Souvenirläden in kleinen Holzhäusern beherbergt, zu denen einen Holzsteg entlang des Flussufers führt. Mit Abstand am beeindruckendsten finden wir jedoch die Lachswanderung, die sich ein paar Meter den Fluss rauf bestens beobachten lässt. Stellenweise kocht das Wasser vor lauter Lachsen auf dem Weg zu ihrem Laichplatz. Und als wir entdecken, welche Stromschnellen diese Lachse flussaufwärts bereits passiert haben, sind wir sprachlos. Die kräftigen Fische können aus schäumendem Wildwasser heraus mehrere Meter weit und hoch springen. Oft werden sie wieder zurück gespült und müssen noch einen Anlauf nehmen. Nicht alle überleben die kraftzehrende Wanderung.

 

An unseren Kräften zehrt die Kälte und das ständige Motorgebrumm in unseren Ohren. So schön die Inside-Passage auch ist, es ist halt doch kein Segelrevier.

 

zur Fotogalerie