14. - 26. Aug. 2013, Niue und Beveridge Reef

Niue ist formal einer der kleinsten unabhängigen Staaten der Welt. Ca. 1.500 Einwohner wohnen auf der Insel, die sich geologisch stark von sämtlichen anderen Inseln im Südpazifik unterscheidet. Niue ist ein gehobenes Korallenatoll, d.h. dass die gesamte Inselfläche von Kleinstlebewesen, den Korallen, geschaffen wurde. Der Korallenstock wurde bei zwei Erdbeben in zwei Stufen aus dem Meer gehoben. Niue verfügt daher rundherum über eine stark zerklüftete Steilküste, die mit zahllosen Höhlen und Canyons gespickt ist. In den Höhlen wachsen Stalagtiten und Stalagmiten und an manchen Stellen donnert die See mit Karacho übers Riff in die den Höhlen vorgelagerten Pools. Insbesondere die Westküste bietet zahlreiche spektakuläre An-und Ausblicke. Das Wasser um Niue herum ist extrem tief und extrem klar, da die Insel über keinen Fluss verfügt, dessen Einschwemmungen das Wasser trüben könnte. Regen, der auf Niue fällt, versickert sofort im porösen Gestein. Zum Glück gibt es eine natürliche Zisterne, die als Trinkwasser-Reservoir für die Niueaner dient. Ansonsten wird hier, wie auch sonst fast überall im Pazifik, an den Hausdächern ablaufendes Regenwasser aufgefangen. Auch wenn Niue formal politisch unabhängig ist, hängt die Insel doch gänzlich am Tropf von Neuseeland. Neuseeland finanziert dreiviertel des Staatshaushaltes und jeder Niueaner hat freies Aufenthaltsrecht in Neuseeland. Von diesem Recht machen immer mehr Niueaner Gebrauch und überlassen ihren Wunderland-Felsen den Touristen.

Beveridge Reef - Oase für eine Rast mitten im Meer

Bevor wir Niue anlaufen, legen wir jedoch noch einen Stopp in Beveridge Reef ein, 200 km südöstlich von Niue. Beveridge Reef gehört mit zum Staatsgebiet von Niue. Ob das die Fische dort wohl interessiert? Menschen gibt es nämlich keine in Beveridge Reef, mal abgesehen von den paar Seglern, die hier ankern, wenn die Wetterbedingungen es zulassen. Beveridge Reef ist ein ringförmiges Korallenatoll mit ca. 5 km Durchmesser, dessen Insel in der Mitte der Lagune schon vor langer Zeit untergegangen ist. Im Inneren des Atolls beträgt die Wassertiefe 2 bis 14 Meter, vor dem Korallenriff fällt der Meeresboden auf mehrere tausend Meter Tiefe ab. Das Riff ist bei Hochwasser stets überspült, bei Niedrigwasser gucken stellenweise ein paar Korallenköpfe aus dem Wasser. Erkennbar ist das Riff meist nur an den Wellen, die sich auf den Korallen brechen. Ein unwirklicher Ort! Eine Oase mitten im Ozean. Ein gut gefülltes Aquarium, wie wir beim Schnorcheln feststellen. Ein breiter und tiefer Pass macht die Einfahrt in die Lagune möglich.

 

Auf sämtlichen Seekarten ist das Riff dummerweise an der falschen Stelle eingetragen, was manchem Schiff schon zum Verhängnis wurde. Welcher Kapitän rechnet schon damit, dass mitten im Meer auf einmal ein unsichtbares Hindernis seinen Kurs behindert? Das Wrack eines neuseeländischen Fischerbootes liegt heute weithin sichtbar auf dem Ost-Riff, das ist die beste Warnung vor der Gefahr. Mittlerweile haben aber genügend Segler das Beveridge Reef besucht und die GPS-Position des Passes weitergegeben. Wir haben im Internet auch ein paar Wegpunkte für die Ansteuerung von Beveridge Reef gefunden, stellen aber fest, dass uns diese ebenfalls aufs Riff geführt hätten, wären wir ihnen blind gefolgt. Wie schnell kann ein kleiner Zahlendreher fatale Folgen haben. Jedenfalls erkennen wir das Riff am frühen Morgen mit bloßem Auge, können daran in gehörigem Abstand entlang segeln und finden den Pass schließlich dort, wo er angegeben ist. Auch die Kurslinie für die Ansteuerung des Passes erweist sich als korrekt.

 

Gleich hinter dem Pass ankert ein Katamaran, aber uns zieht es zu einem helltürkis leuchtenden Fleck in der Südost-Ecke der Lagune, die nach einem wesentlich gemütlicheren Ankerplatz riecht. Die Ahnung trügt nicht, wir finden dort eine riesige Sandfläche vor dem Riff, die mit Wassertiefen zwischen 2 und 6 m einen hervorragenden Ankerplatz darstellt. Ruckzuck liegt der Haken auf Grund und hält bombig. Um uns herum dieselbe unglaubliche Wasserfarbe, deren Anblick in unseren Gehirnen schon in Bora-Bora zur Ausschüttung von Glückshormonen führte.

 

Schnell holen wir unsre Schnorchelausrüstung aus der Backskiste und machen das Dingi klar. Wir wollen sehen, was sich hier alles am Riff tummelt. Doch wo sollen wir hinfahren? Vor uns liegt ein kilometerlanges Riff, wir könnten überall ins Wasser springen. Wir beschließen entgegen der Windrichtung zu fahren, damit wir zu Pagena zurück getrieben würden, falls der Außenborder versagen würde, bzw. damit wir in diesem Fall mit dem Wind im Rücken zurück paddeln könnten. Wir sind das einzige Schiff weit und breit – der Katamaran ist mittlerweile weitergefahren. Wenn uns hier etwas zustößt sind wir ganz alleine auf uns angewiesen. Also darf uns nichts passieren und wir brauchen für alle unwahrscheinlichen Vorfälle einen Plan B.

Zufälligerweise führen uns die Sicherheitsüberlegungen an einen tollen Schnorchelspot. Wir finden nämlich die Teile eines weiteren Wracks, das mittlerweile auseinander gebrochen und gänzlich untergegangen ist. Fische lieben Wracks, das ist auch hier der Fall. Zwei kleine Haie bewohnen zwei größere Wrackteile, der eine von ihnen teilt sich seine Höhle sogar mit einem großen Rochen. Die Haie kommen neugierig angeschwommen als wir Neulinge in ihrem Revier auftauchen, der Rochen verlässt sein Versteck nicht. Nur sein Schwanz, dessen Spitze nach draußen hängt und den er ab und zu bewegt, verrät ihn. An der Riffkante zur Sandfläche hin tummeln sich viele bunte tropische Rifffische, einige davon sind uns bisher noch nirgendwo anders begegnet. Wie immer haben wir die wasserdichte Kamera dabei und versuchen so viel wie möglich zu fotografieren. Doch heute spielt die Kamera nicht mit, sie löst einfach nicht aus. So ein Mist, ausgerechnet hier! In gewohnter Manier lassen wir uns mit dem Dingi an den Korallen entlang treiben und bestaunen wieder einmal die wundersame Unterwasserwelt. An was für einem außergewöhnlichen Platz wir uns doch befinden!

 

Auch der nächste Schnorchelgang am folgenden Morgen wird grandios. Der Wind hat sich gelegt und so suchen wir uns einen neuen Platz zum Erkunden aus. Auch heute beäugt uns wieder ein kleiner Grau-Hai, die heutige Attraktion sind aber die große Anzahl und die Vielfalt der Rifffische. Das Riff hat viele tiefe Einschnitte und vor allem in diesen tummeln sich die Fische in großer Zahl. Am Nachmittag bekommen wir Nachbarn, die beiden mexikanischen Yachten, deren nette Crews wir schon in den Tuamotus auf Toau kennen gelernt haben. Über die freuen wir uns, auch wenn wir es ein wenig bedauern, dass wir schon wieder einen besonderen Ort nur für eine einzige Nacht für uns alleine hatten. Dennoch ist es auch beruhigend zu wissen, dass wir jetzt wieder im Falle eines Falles Unterstützung von anderen Seglern bekommen könnten. Sobald sie Anker geworfen haben, erzählen wir ihnen von unseren Schnorchelerlebnissen und laden sie auf ein Bier ein. Es folgt die Gegeneinladung zu Popcorn und Tequila auf Don Leon, wo wir zu siebt doch erheblich bequemer sitzen als auf Pagena.

 

Auch am dritten Tag bläst nur ein Hauch Wind über Beveridge Reef, also bleiben wir einen weiteren Tag und nutzen ihn für die Erkundung des gut sichtbaren Wracks. Es ist ein Fischerboot aus Stahl mit einer neuseeländischen Kennnummer. Etwas weiter südlich finden wir eine lange Ankerkette, die von der Lagune aus aufs Riff führt oder andersherum. Hat das Fischerboot in der Lagune geankert und ist auf Legerwall geraten – oder ist es von außen aufs Riff gelaufen und hat versucht, sich durch Ausbringen des Ankers in die Lagune hinein zu ziehen? Aus der Lage der Wrackteile lässt sich keine eindeutige Geschichte ablesen. Das Schnorcheln um dieses Wrack herum ist weniger ergiebig als am Tag zuvor. Vielleicht halten vom Schiff ausgehende Gifte die Fische fern? Den obligaten Hai bekommen wir auch hier zu sehen, wieder einen Grauhai. Den Grauhaien trauen wir nicht, das Dingi ist nie weit von uns entfernt. In der Nacht zieht Wind auf und unangenehmer Schwell schlägt über die Riffkante, der uns unruhig schlafen lässt. Zeit uns auf den Weg nach Niue zu machen.

Niue - einsames Wunderland

Niue war für einige unserer Segelfreunde, die vor uns den Pazifik bereist haben, einer der Favoriten, daher sind wir sehr gespannt und wollen die Insel auch sehen. Als wir ankommen, ist genau noch eine einzige Mooring-Boje frei, aber mehr brauchen wir zum Glück ja nicht. Vor Niue kann man nicht ankern, der Meeresboden ist zu tief, wir hatten also Glück mit der letzten Boje. Einige der anderen Schiffe an den anderen Bojen kennen wir und so bekommen wir schnell erzählt, wie Niue funktioniert. Vor allem müssen wir uns natürlich beim Zoll, der Einwanderungs- und der Gesundheitsbehörde anmelden. Das Formular vom Gesundheitsamt ist putzig. Wir müssen ankreuzen, dass wir gesund sind, dass wir uns wohlfühlen, und dass wir geimpft sind. Wogegen wir geimpft sein sollen bleibt nebulös. Als Beispiele für Impfungen stehen Gelbfieber und Cholera auf dem Formular. Als wir der Beamtin sagen, dass wir gegen Tetanus, Wundstarrkrampf und solche Sachen geimpft sind, dürfen wir unser Kreuzchen im Kästchen "ja" machen. Auf diese Art und Weise will das Gesundheitsamt die Lokalbevölkerung vor eingeschleppten Krankheiten schützen. Bei wöchentlich zwei Flügen von und nach Neuseeland und rege genutztem freiem Aufenthaltsrecht der Niueaner in Neuseeland mutet dieser Versuch archaisch an. Aber es ist ein Posten für eine wichtige Mitarbeiterin geschaffen, geht mir durch den Kopf. Ist ja auch was. Gegen Cholera gibt es übrigens gar keine Impfung.

 

Unsere Freunde von Spruce raten uns, dass wir gleich als erstes versuchen sollen einen Mietwagen zu bekommen. Niue hat keinen öffentlichen Personenverkehr und man braucht einen fahrbaren Untersatz, um die 264 Quadratkilometer große Insel erkunden zu können. Für Andi und Sue gab es kein Auto, sie haben daher Motorräder gemietet. Heute, Dienstag ist ein Flieger aus Neuseeland angekommen, der nächste kommt Freitag. Wenn wir Glück haben, holt heute vielleicht jemand seinen vorbestellten Wagen nicht ab. Die Rechnung geht auf. Die Dame vom Tourismusbüro tätigt einen einzigen Anruf und schon haben wir einen Mietwagen, den wir Freitag morgen wieder abgeben müssen.

 

Mit diesem Erfolg in der Tasche ziehen wir ins Backpackers, das auch den Niue Yachtclub beherbergt, um uns dort als Nutzer einer Boje anzumelden. Hurricane Heta hat 2004 u.a. das Gebäude des Yachtclubs zerstört, aber eigentlich ist er im Backpackers gut aufgehoben. Heute besitzt der Club nur noch die 15 Mooring-Bojen vor dem Ort Alofi. Der Niue Yachtclub ist eine ebenso ungewöhnliche wie nützliche Institution. Keines seiner Gründungsmitglieder besitzt ein Schiff, aber die Mitglieder und Commodore Keith kümmern sich mit Herz und Verstand um die Bedürfnisse der Besucheryachten. Die Moorings sind alle hurrikansicher, gut gewartet und der Club vermittelt zwischen den Behörden und den Seglern, sollte es irgendwo klemmen. Für 20 NZ-Dollar kann man lebenslanges Mitglied im Yachtclub werden. Der Club hat viele Freunde, er hat genau so viele Mitglieder wie Niue Einwohner hat, wenn nicht sogar mehr.

 

Regelmäßig werden im Backpackers Potlucks veranstaltet, es gibt ein großes Büchertauschregal und Wifi. Die Segler schätzen die entspannte Atmosphäre. Um 17h, wenn in Niue die Bürgersteige hochgeklappt werden, genehmigen sich viele hier noch einen kühlen Drink. Auch die Einheimischen nutzen das Backpackers als Treffpunkt. Wir erkundigen uns hier, welche der vielen Höhlen und Kluften, die Hauptattraktionen Niues, wir denn besuchen sollen. Es ist schwer, Ira, der Chefin eine Empfehlung zu entlocken. Alle seien schön und sehenswert und jeder Ort habe seinen eigenen Charakter. Claudia und Richard vom Katamaran Mytstic Rhythms finden eindeutig die Westseite der Insel am spannendsten und ihnen zufolge kann man in zwei Tagen alle Sehenswürdigkeiten abklappern. Sue und Andi fanden, dass man schon eine Woche unterwegs sein sollte.

Der Togo Chasm, zu Deutsch die Togo-Kluft, auf der anderen Inselseite taucht in allen Niue-Führern und allen persönlichen Empfehlungen auf, mit dem wollen wir beginnen. Joachim muss zum ersten Mal im Leben links fahren. Gut dass auf Niue wenig Verkehr herrscht, es ist schon eine kleine Herausforderung. Und eine prima Vorübung für Neuseeland. Von der Küstenstraße, die rings um die Insel führt, biegen wir in eine der beiden Straßen ab, die quer über die Insel führen. Die Dame aus dem Tourismusbüro findet diese Straße besonders hübsch, weil sie "overhanging trees" hat, überhängende Bäume. Ja, wir finden die Straße auch nett, weil die Bäume Schatten spenden, es ist brütend heiß auf Niue, selbst morgens um kurz vor neun Uhr schon. Mehr können wir den "overhanging trees" nicht abgewinnen. Jede Straße durch einen Laubwald hat vergleichbare Bäume. Die Dörfer, auf der Westseite der Insel, durch welche die Fahrt uns führt, sind überwiegend verlassen. Gefühlt stehen zwei von drei Häusern leer. Das schafft eine merkwürdige Atmosphäre, so als ob die Insel hier den Atem anhält. Was machen die Leute, die neben all diesen leeren Häusern wohnen? Wie fühlt man sich, wenn man in einem halben Geisterdorf wohnt?

 

Zur Togo-Kluft führt von der Straße aus ein etwa halbstündiger Fußmarsch erst durch den Wald, dann durch ein bizarres Feld scharfzackiger Korallenfelsen und schließlich über eine riesige gezimmerte Leiter runter auf den Grund der rundum geschlossenen Kluft. Der Boden ist mit Sand bedeckt, es wachsen Palmen darin und am Ende ruht ein grüner, von Bäumen gesäumter Tümpel. Dieser Ort ist wie eine winzige Oase in der Wüste. Am Fuß der Leiter kann man gebückt durch ein paar kleine Höhlen hindurchgehen und kommt in eine zum Meer hin offene Höhle, vor der ein großes Wasserbecken liegt. Über eine natürliche Wand hinweg rauscht die Brandung mit Karacho weißschäumend ins Becken bis kurz unter unsere Füße. Unmittelbar neben der friedlichen Oase von eben durchdringt der tosende Donner des Meeres diesen wild-spektakulären Ort. Gedanken an Himmel und Hölle liegen einander in der Togo-Kluft nicht fern.

 

Über einen netten kleinen Skulpturenpark, in dem der einzige sesshafte Inselkünstler Marc Cross zusammen mit Schülern und Gleichgesinnten verschiedene Skulpturen aus Schrott und Abfall gebaut hat, fahren wir weiter zum nächsten Aussichtspunkt namens Ulupaka. In der Ulupaka Kalkstein-Höhle wachsen laut Broschüre bizarre Tropfstein-Formationen. Wir finden diese ganz hübsch, hätten aber keine 70 Dollar pro Nase ausgeben wollen, um hierher eine geführte Tour zu machen, was die Broschüre vorschlägt. Die Tropfsteinhöhlen, die ich auf der Schwäbischen Alb und in Südfrankreich gesehen habe, sind viel viel imposanter als diese hier. Aber für den, der Europa nicht kennt, ist diese Höhle hier wohl schon beeindruckend.

 

Eine lange massive Holzleiter führt runter zum Wasser. Da gerade Niedrigwasser herrscht, liegt eine große Rifffläche frei, von der aus wir uns die Küste Niues in Ruhe von unten anschauen können. Deutlich sind die beiden Terrassen der Insel zu erkennen, die eine auf 28 m, die andere auf 69 m Höhe. Joachim erklimmt einen kleinen Felsen nahe der Riffkante und wird prompt von einer überkommenden Welle geduscht, ich kann mir ein kurzes schadenfrohes Lachen nicht verkneifen. Macht aber nichts, es ist ja warm und Handtücher haben wir eh dabei. Wege auf dem Riff heißen in Niue "Seatracks". Wir könnten hier noch ein gutes Stück weiter auf dem Seatrack spazieren gehen, müssten dabei aber stets die Tide im Auge behalten, damit uns der Rückweg nicht vom Wasser abgeschnitten würde. Da wir das Auto nur für zwei Tage haben und es noch soviel mehr zu sehen gibt, schenken wir uns den Seatrack jedoch und fahren weiter an die Nordspitze der Insel.

Weiter geht's über Uluvehi Landing zur Vaihakea Höhle. Der Abstieg zur Unterwasser-Höhle, die voller Fische und Korallen sein soll, führt fast senkrecht in die Tiefe, mir ist das zu heikel. Joachim, der ein viel besserer Kletterer als ich ist, klettert ein Stück weit runter, gerade so weit, dass er das der Höhle vorgelagerte Becken gut überschauen kann. Die Fotos, die er mitbringt, sind sensationell. Wer hier absteigen möchte, sollte zumindest ein stabiles Seil dabei haben. Seile hätten wir ja genug an Bord, aber die haben wir natürlich nicht mit. Wohl aber die Schnorchelausrüstung, und die brauchen wir am nächsten Halt, der Matapa-Kluft.

 

Diese war ein traditioneller Badeort der alten Könige Niues. Es ist ein von hohen Klippen gesäumtes, langes, schmales Wasserbecken, in dem Süß- auf Salzwasser trifft. An der Grenzfläche wird das Wasser glasig. Das oben liegende, leichtere Süßwasser ist eiskalt, wenn man ins Salzwasser abtaucht wird's deutlich wärmer. Eine erstaunliche Entdeckung. Die Fische in der Matapa-Kluft kennen überhaupt keine Scheu, sie kommen im wahrsten Sinne des Wortes bis vor die Nasenspitze angeschwommen. Und wir haben keine Unterwasser-Kamera mehr... Wobei wir ohnehin nicht zum Zeitpunkt optimaler Lichtverhältnisse in Matapa sind. Da die Schlucht so eng ist, ist das Licht nur dann schön, wenn die Sonne mittags direkt von oben einfällt. Dafür kommen wir vom Licht her gesehen genau zum richtigen Zeitpunkt an den benachbarten Talava Arches an, neben Togo- und Matapa-Kluft die dritte überall genannte Sensation Niues. Es ist eine großzügige Formation aus großen Höhlen mit Tropfsteinen in verschiedenen Farbschattierungen und Torbögen. Der größte, aufs Riff hinausragende Torbogen bietet zum Sonnenuntergang tolle Aussicht aufs Meer. Talava Arches finden auch wir sehr beeindruckend und bezaubernd. Und dann müssen wir uns auch schon sputen, damit wir a) rechtzeitig bevor es Dunkel wird, wieder am Auto sind und b) noch vor Geschäftsschluss den Supermarkt erreichen, wo ein dickes Stück Rindfleisch auf uns wartet.

Wir hatten es am morgen tiefgefroren gekauft und darum gebeten, dass das Fleisch für uns im Kühlschrank aufbewahrt wird, so dass wir es am Abend aufgetaut zum Grillen mitnehmen können. Am Wegesrand pflücke ich noch schnell ein paar "polynesian mushrooms", die hübschen kleinen blauen Blüten, die nach Champignons schmecken, mit denen ich dem Fleisch ein wenig Zusatzaroma geben will. Im Supermarkt bringe ich die arme Verkäuferin fast zum Wahnsinn. Sie weiß, dass ich das Fleisch abholen möchte, sie begrüßt mich schon mit den Worten "Bist Du Susanne?". Nur findet sie das Päckchen nicht. Immer wieder geht sie zur Gefriertruhe mit den Fischgerichten, angeblich wäre das Fleisch dorthin geräumt worden. Immer wieder erkläre ich ihr, dass die Kolleginnen morgens in eine ganz andere Richtung gezeigt haben, wo sie es hintun wollten, und dass es keinen Sinn machen würde, es von einer Gefriertruhe in die nächste zu packen, obwohl es doch auftauen sollte. Schließlich kommt eine dritte Kollegin auf die Idee, mal im Kühlschrank wo das Obst liegt, nachzusehen. Und siehe da, auf dem Boden liegt unsere Tüte. Es wird also doch "Fleisch auf Feuer" geben – guuuut!

 

Sue und Andi von Spruce waren ganze zwei Wochen auf Niue und Sue hatte in der Galerie von Marc Cross ihre Arbeiten ausgestellt. Sie ist Kunsterzieherin und macht tolle Holzschnitte, auch während der Reise. Das Plakat zu ihrer Ausstellung liest sich total schön. "Der Passat hat diese Künstlerin auf unsere Insel geblasen. Die Ausstellung wird dauern, bis der Wind sie wieder fortträgt." Zum Abschluss für ihren besonders erlebnisreichen Aufenthalt auf Niue haben Sue und Andi Ira gebeten, einen Potluck zu veranstalten. Alle Segler sind eingeladen, die Gäste des Backpackers sowie Freunde von Ira, u.a. der Künstler und der Commodore des Yachtclubs. Jeder soll etwas zum Grillen mitbringen und eine Beilage beisteuern. Da wir den ganzen Tag im Auto unterwegs waren, keine ganz einfache Aufgabe für uns. Doch wir hatten am Morgen schnell eine am Abend zuvor hergestellte Fischpaté bei Sue vorbeigebracht, damit sie an Bord von Spruce weiter gekühlt wird und ein Glas italienische Pilz-Antipasti aus dem Laden für europäische Delikatessen in San José del Cabo aus den Tiefen der Backskiste spendiert. Was von allen Potluck-Teilnehmern zusammen aufgefahren wird, ist ein Wahnsinns-Buffet. Wir können uns kaum entscheiden, welche Leckerei wir zuerst probieren mögen. Nicht zuletzt Ira vom Backpackers hat mehrere leckere Hauptgerichte, Schokoladenkuchen und Eis zum Nachtisch spendiert. Es wird ein toller Abend, im Laufe dessen wir noch ein paar Segler kennen lernen, denen wir zwar schon über den Weg gelaufen sind, allerdings ohne uns näher zu unterhalten.

Der nächste Ausflugstag wird weniger schön. Es fängt damit an, dass ich morgens von der Kaimauer abrutsche, mit Sack und Pack ins Wasser falle und mir dabei übel die Füße aufreiße. Ich wollte barfuss vom Dingi aus auf die Kaimauer klettern und heute morgen ist der Wasserstand dafür zu niedrig bzw. das Wasser unter mir ist zu bewegt. Das Dingi ist unter dem zweiten Fuß weggerutscht als ich mit dem ersten noch nicht sicher stand. Die Sachen im Rucksack sind erstaunlich trocken geblieben, aber mein linker Fuß blutet stark, die Wunde klafft und muss versorgt werden, stellen wir fest, als wir das Dingi gerade mit dem Kran auf die Kaimauer gehievt haben. Alofi hat nämlich die Besonderheit, dass es keinen Platz gibt, an dem Dingis und Fischer-Boote geschützt in Landnähe liegen könnten. Alle Boote müssen daher mit einem Kran aus dem Wasser gehoben und an Land gestellt werden. Wir jedoch lassen unser Gummiboot gleich wieder zu Wasser, fahren auf Pagena zurück und verarzten meine Füße. Damit ist Schnorcheln und ins Wasser gehen für mich für die nächste Zeit gestorben. Das Risiko, dass ich mir dabei eine langwierige Infektion zuziehe, ist groß. Leider können wir Marc, einem jungen amerikanischen Segler, den wir eingeladen haben, mit uns auf Inseltour zu gehen, den Anblick des ganzen Dramas nicht ersparen. Mit etwa einer Stunde Verspaetung brechen wir gegen 10h30 zu Dritt endlich auf.

 

Heute ist der Himmel stark bedeckt, so dass kein schönes Licht herrscht. Da Marc noch nichts von der Insel gesehen hat und bei diesem Wetter der Sprung zum Schnorcheln in die Riff-Pools nur mäßig reizend ist, fahren wir als erstes noch mal zu den Talava Arches. Gestern Abend war es in den Höhlen zum Fotografieren doch schon zu dunkel und wir wünschen uns bessere Bilder von diesem Ort. Ich kann mit meinen bandagierten Füßen in Jogging-Schuhen zwar laufen, weiß aber nicht, ob mir die halbe Stunde auf holperigem Weg nicht doch zuviel wird. Ich bin daher froh, dass Joachim in Marc einen anderen Begleiter hat. Ich habe die Autoschlüssel und kann mich bei Bedarf dahin zurückziehen. Etwas langsamer als die Männer komme ich aber schließlich auch am Ziel an. Marc und Joachim klettern noch weiter in die obere Höhle hinein, als wir es gestern getan haben. Ich suche mir derweil ein Plätzchen mit schöner Aussicht und futtere mit furchtbar süßer Joghurtglasur überzogene Rosinen. Auf dem Rückweg fängt mein Knöchel an heftig zu schmerzen. Entweder habe ich mir den auch noch überdehnt oder es kommt von der Schonhaltung. Jedenfalls kann ich ab da nur noch sehr langsam humpeln. Die Unternehmungslust von Joachim und Marc wird dadurch nicht gerade gesteigert. Zusammen gehen sie noch mal in Matapa Chasm schnorcheln, während ich mich an den Walbeobachtungsplatz nahe des Parkplatzes setze. Heute wäre die Uhrzeit für die Matapa-Kluft eigentlich perfekt, leider versteckt sich die Sonne heute allerdings hinter dicken Wolken. Am Walbeobachtungsplatz gibt es auch nichts zu sehen. Ganz weit weg ist ab und zu der Blas eines einzigen Wales zu sehen, der von einem älteren neuseeländischen Paar, das mit Ferngläsern bewaffnet ist, begeistert wahrgenommen wird. Ich finde den Wal viel zu weit weg, als dass er mich interessieren würde. Wer so viele Wale aus der Nähe gesehen hat wie wir... Es ist verrückt, aber ich stelle fest, dass das viele Reisen und die vielen Super-Erlebnisse, die wir bereits hatten, mich abstumpfen.

Nächster Halt sind die Limu-Pools, die auf den Fotos der Erklärungstafel, die am Weganfang zu jeder Sehenswürdigkeit aufgestellt sind, ganz toll aussehen. Am Rande bemerkt: Kaum irgendwo haben wir je so viele Hinweisschilder gesehen wir auf Niue. Jeder noch so kleine Laden mit noch so sporadischen Öffnungszeiten hat ein eigenes Wegweiser-Schild, jede Sehenswürdigkeit sowieso. Das macht die Insel für Besucher extrem übersichtlich, hat aber sicherlich auch viel Geld gekostet. Jedenfalls präsentieren sich uns die Limu Pools nicht im schönen Sonnenlicht wie auf den Werbefotos, sondern bei grauem Himmel. Joachim geht trotzdem noch mal Schnorcheln, vor allem, weil es hier eine Unterwasserhöhle geben soll. Er ist erstaunlich lange unterwegs und kommt mit dem Bericht zurück, dass es hier vor Fischen nur so wimmelt. Marc entdeckt währenddessen von Land aus eine schwarz-weiß geringelte Seeschlange und zeigt sie mir. Die Seeschlangen sind eine weitere Attraktion Niues, ich freue mich, dass ich sie mal in Natura gesehen habe.

 

Kurz darauf fängt es an richtig zu regnen. Der Hio Sea Track interessiert folglich keinen von uns, aber die Männer laufen noch ein paar Meter zur Palaha-Höhle runter, in der es noch mal tolle Formationen von Stalagtiten und Stalagmiten zu sehen gibt. Obwohl es noch früh am Nachmittag ist, haben wir danach alle drei jetzt schon genug vom heutigen Ausflug. Marc ist es ohnehin recht, noch mal aufs Schiff zurück zu können, denn er ist um fünf Uhr zum Rugby Training mit dem Alofi Team verabredet. Joachim und ich fahren noch weiter in den Süden der Insel zum Matavai Resort, dem einzigen schicken Hotel der Insel, auf dessen Terrasse man sehr schön sitzen soll und in dessen Pool auch Gäste schwimmen dürfen. Das Interessanteste am Matavai Resort ist in unseren Augen, dass dort in der Saison – also eigentlich jetzt – häufig Wale direkt vor dem Hotel im Meer herumtollen. Im Regen kann man aber nicht auf der Terrasse sitzen und vermutlich springen heute auch keine Wale. Die in Richtung Alofi gelegene Arche, wo es angeblich das beste Eis der Insel geben soll, hat nachmittags geschlossen. Irgendwie ist heute nicht unser Tag. Zum Abschluss des Tages fahren wir beim Rugby-Feld vorbei und schauen Marc und den anderen beim Training zu, vielleicht lernen wir dabei ja ein klein wenig über Rugby. Die Selbstverständlichkeit, mit der die Spieler den Gast in ihre Mannschaft aufnehmen und wie sie ihn ins Spiel einbinden, ist schön anzusehen.

Tags drauf, Freitag sind wir wieder wie üblich Fußgänger. Wir klarieren aus, können aber noch nicht lossegeln, da kein Wind weht. Daher verbringen wir das Wochenende auch noch in Niue und haben Zeit unsere Fotos zu sortieren, Berichte und emails zu schreiben und allen möglichen Kram zu erledigen. Ira und das Rugby-Team bekommen ein paar Prints aus unserem Fotodrucker, was Ira sichtlich rührt. Das Internet auf Niue ist extrem langsam und instabil, alleine die Emails in meinem Posteingang zu öffnen und zu lesen verschlingt fast einen ganzen Tag. Ira zuckt dazu nur mit den Schultern und sagt, dass man nie weiß, ob heute ein Tag ist, an dem das Internet geht oder ob ein Tag ist, an dem es nicht geht. Um auf Niue zu leben, braucht man viel Gelassenheit. Am Sonntag geht in Niue fast gar nichts. Am Sonntag gehen fast alle Niueander zwei Mal in die Kirche, einmal morgens und noch mal abends. Alle möglichen Unternehmungen sind Sonntags verboten, viele Plätze dürfen nicht besucht werden. Auch das Backpackers hat Sonntags zu. Uns ist es egal, wir können einen Tag an Bord auch mal gut gebrauchen. Montag morgen kommt der Wind zurück, dann setzen wir Kurs auf Samoa.

 

In Joachim und mir lässt Niue ein lethargisches Gefühl zurück, wir sind nicht so richtig warm mit der Insel geworden. Als wir uns fragen, was uns denn gefehlt hat, fallen uns spontan Menschen ein. In Niue gibt es keine Menschen auf der Straße und wir haben nur ganz wenige Kinder gesehen. Irgendwie fehlt es Niue in unseren Augen an Lebendigkeit. Aber vielleicht lag es auch nur am Wetter, an meinem kleinen Unfall und an der Tatsache, dass wir wenige Einheimische kennen gelernt haben und dass wir zu wenig Fragen über die Insel gestellt haben. Sue, Andi und Marc, die sich Leute mit gemeinsamen Interessen gesucht haben, fanden Niue ganz toll, ebenso wie unsere Freunde, die uns hierher geschickt haben. Für Taucher muss Niue ein Paradies sein, und ab und zu schwimmen die Wale direkt durchs Bojenfeld durch. Sue hat uns nach dem Potluck auf einen hingewiesen, aber da war es ja dunkel. Wir denken uns: Man kann eben nicht nur Highlights erleben, vermutlich waren wir selbst nicht in der Stimmung dazu als wir Niue besucht haben. Und umso gespannter sind wir jetzt auf Samoa, das drei Tagesschläge entfernt liegt.

 

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