29. Feb. - 7. März 2012: Cartagena

Ursprünglich stand es außer Frage, dass wir nach Kolumbien fahren. Der Name der Stadt Cartagena ist uns zwar aus den Stationsmeldungen der TO-Yachten und manchem Reisebericht vertraut, aber Kolumbien ist ja wohl ein von Drogenmafia-Bossen regiertes Land, die überall in dunklen Ecken ihren fiesen Machenschaften nachgehen – da fährt man nicht hin und wir schon gleich zweimal nicht. Denken wir ... und dann, aufgrund von Informationen, die wir aktuell auf den Ankerplätzen kurz vor Cartagena bekommen, fahren wir doch hin.

 

Am Beginn der Fahrt von Aruba nach Cartagena treffen die Wellen Pagena unangenehm von der Seite, so dass wir ganz schön durchgeschüttelt und ab und zu im Cockpit von einer Welle geduscht werden. Später kommen Wind und Welle von achtern, das ist besser. Nur mit einem kleinen Fetzen Genua machen wir gute Fahrt. Wir kontrollieren Kurs und Geschwindigkeit extrem häufig und sind besonders wachsam, aber eigentlich haben wir wenig zu tun. Pagena ist gut getrimmt, die Windfahnensteuerung kommt bestens mit den Segelbedingungen zurecht und hält uns schön auf Kurs. Durch das halbe Steckschott im Niedergang kommen nur wenige kleine Spritzer Wasser ins Schiff. Die meiste Zeit können wir im trockenen Bauch von Pagena verbringen und nähern uns stetig unserem Ziel. Letztlich erweist sich die Segelstrecke als gar nicht so furchterregend, wie uns erzählt worden war. Da auf Raumschotkurs der Fahrtwind den wahren Wind ja reduziert, haben wir nur mäßige bis frische Brise im Tuch. Glücklicherweise bekommen wir auch aus den kolumbianischen Flüssen keine Hindernisse vor den Bug gespült und alles ist besser, als wir es erwartet haben.

 

Samstagmorgen taucht Cartagenas beeindruckende Hochhauskulisse im Morgengrauen aus dem Dunst vor uns auf. Wow, dagegen sieht Frankfurts Skyline aus wie ein Dorf. Doch bevor wir uns der modernen Halbinsel Bocagrande nähern, müssen wir den nur dreißig Meter breiten Durchlass in einer unsichtbaren unterseeischen Mauer finden. Mit dieser Mauer versuchten die Spanier einst die Stadt vor Angriffen von See aus zu schützen. Der Durchbruch in der Mauer wurde erst vor einigen Jahren gemacht, um kleinen Schiffen wie uns die direkte Ansteuerung Cartagenas durch die Bocagrande zu ermöglichen. Die Großschifffahrt muss aber weiterhin den Umweg durch die Boca Chica nehmen, die wesentlich schmaler und daher besser kontrollierbar ist. Der Durchbruch in der Mauer ist mit zwei Tonnen gekennzeichnet, so dass die unterseeische Mauer eher ein psychologisches als ein physisches Hindernis darstellt.

 

Von See kommend erblicken wir zunächst die auf einer der Stadt vorgelagerten Landzunge errichtete riesige Hotelzone Bocagrande. Bocagrandes Hochhäuser sind beeindruckend. Alles sieht neu und tipptopp gepflegt aus. Das Ufer wird von Palmen gesäumt und am Ende der Landzunge entdecken wir einen hübschen Beachclub. Gut, ins Wasser gehen würden wir hier nicht, es ist eine rechte Dreckbrühe die Pagena hier durchpflügen muss. Die Ansteuerung des Stadtviertels Manga, wo der Club Nautico liegt, vor dem wir ankern wollen ist gut betonnt. Welche der Steganlagen der Club Nautico ist, ist absolut nicht ersichtlich. Wir können uns durchfragen, finden einen guten Ankerplatz und stehen morgens um 10 Uhr im Club Nautico.

 

Genaugenommen müssten wir schreiben, in dem was vom Club Nautico übriggeblieben ist. Denn eigentlich sollte die Marina renoviert und ausgebaut werden, aber aus irgendwelchen Gründen gab's einen Baustopp und jetzt stehen nur noch eine Baracke, die als Büro dient und drei einfache Duschkabinen. Egal, uns reicht das. Wir sind schon glücklich darüber, endlich mal wieder ausgiebig duschen zu können. Dass es nur kaltes Wasser gibt, stört in diesen Gefilden auch nicht, wir wünschen uns nichts anderes. Hier im Club Nautico treffen wir auch unseren argentinischen Segelfreund Esteban wieder und lernen endlich seine Frau Maria kennen. Wir haben uns viel zu erzählen und verbringen einen super netten Abend auf der "Porto Seguro", dem Boot unserer Freunde.

 

Nicht nur der Club Nautico befindet sich im Umbau. Auch in Cartagena selbst wird an allen möglichen Stellen investiert, renoviert und verschönert. 1959 wurde das komplett ummauerte alte Stadtzentrum mit Festungsring und den Stadtteilen Centro mit der Kathedrale und zahllosen Palästen im andalusischen Stil, San Diego, dem Viertel der Händler und der zahlenmäßig kleinen Bourgeoisie sowie Getsemaní, dem Viertel der kleinen Leute und Handwerker, zum nationalen Kulturerbe erklärt und ist seit 1984 UNESCO-Weltkulturerbe. Von Manga aus kommend betritt man die Altstadt durch die hübsche Pforte des Uhrentürmchens. Gleich dahinter öffnet sich der "Platz der Kutschen" und eine farbenfrohe Häuserkulisse. Das belebte Ambiente erinnert ein klein wenig an die Atmosphäre, die man erlebt, wenn man München durch das Marientor betritt.

 

Als erstes fällt uns ein Desigual-Laden ins Auge, wie er mittlerweile wohl in jeder Metropole dieser Welt zu finden ist. Gegenüber befindet sich eine Wechselstube. In den kleinen Straßen reiht sich Geschäft an Geschäft. Modeboutiquen, Geschenkläden, Schmuckgeschäfte. Vor allem Smaragde werden in Cartagena verkauft. Zwischen all den Geschäften befinden sich Hotels, Restaurants sowie ein paar Museen und natürlich Kirchen. Das Hotelangebot reicht von Nobelhotels in prachtvollen Residenzen bis hin zu preisgünstigen Hostels. Auch auf den Gehwegen und Plätzen werden allerhand Waren feilgeboten: Panamahüte für die Herren, große Stroh- und Schlapphüte für die Damen, kolumbianisches Kunsthandwerk, kühle Getränke, Gemüse und Früchte, warme Mittagsgerichte. Bauchladenverkäufer verkaufen einzelne Zigaretten und andere Kleinwaren.

 

Die Straßen sind belebt, aber keineswegs hektisch. Es fahren zwar Autos in der Altstadt, aber es sind fast ausschließlich die kleinen gelben Taxen, die übrigens alle mit Gas statt Benzin fahren. Es gibt aber auch ein paar Straßen, die für den Verkehr gesperrt sind. Die meisten Leute gehen zu Fuß, manche fahren Fahrrad. Eine Menge Handwagen werden durch die Straßen und über die Plätze geschoben. Ab dem Spätnachmittag kommen Pferdekutschen hinzu. Wir sehen in Cartagena viele Menschen in Uniform: Schüler, Studenten, Marineoffiziere.

 

Fast alle Hochschulen und Berufsfachschulen, an denen wir vorbei kommen bilden medizinische Berufe aus. Auf einem unserer Spaziergänge durch die Altstadt kommen wir einem komplett verglasten Ausbildungszentrum für Zahnärzte vorbei, in dem bestimmt fünfzig Behandlungsstühle von der Straße aus einsehbar sind. Nebenan die Arbeitsplätze für Zahntechniker zu sehen, daneben die Behandlungsliegen für Masseure und Physiotherapeuten. Stolz tragen die Studenten die dunkelblauen, lindgrünen und rosafarbenen Uniformen ihrer Fakultäten.

 

Cartagena Centro ist farbenfroh und grün. Es gibt viele lauschige, schattige Plätze, auf denen sich die Bewohner Cartagenas mittags, nachmittags oder abends treffen, um der sengenden Sonne zu entgehen. Mit Esteban gehen wir an einem der Abende, die wir in der Stadt verbringen in ein Restaurant namens "Pizza en el Parque", Pizza im Park. Das winzige Restaurant hat nur ganz wenige Sitzplätze im Inneren, macht die Not aber zur Tugend, in dem sie ihre Pizzen auch draußen auf der Straße servieren. Die Gäste sitzen einfach auf der Stützmauer des Parks und bekommen die Pizza auf Barhockern serviert, welche die Bedienungen ständig von einem Kunden zum nächsten schleppen.

 

Der Straßenclown, der in dieser Straße arbeitet, ist ein toller Pantomime. Mal hält er ein passierendes Auto an um es anschließend scheinbar Hand über Hand vorwärts zu ziehen, mal pirscht er sich unauffällig von hinten an Leute in der Straße heran und imitiert haargenau ihre Gesten und ihre Mimik, dann wieder mimt er einen bösen Autounfall. Uns bringt er kräftig zum Lachen. Ihm geben wir viel lieber ein paar Dollars als der Fruchtverkäuferin, die uns nachmittags als Gegenleistung für ein Foto einen Fruchtteller für ganze zehn Dollar verkaufen will. Nur zum Vergleich: für sechs bis sieben Dollar gibt's mittags in einfachen kolumbianischen Restaurants ein komplettes Mittagessen.

 

Wir finden die Kolumbianer sympathisch. Die meisten Leute haben offene freundliche Gesichter und wirken sehr natürlich. Sie sind höflich und hilfsbereit und selbst die Straßenverkäufer sind nicht aufdringlich. Dass es in Cartagena auch Armut gibt wird uns während unseres viertägigen Aufenthalts nur zweimal bewusst. Einmal, als wir uns von Salsamusik und einer Menschenansammlung am sonnigen Sonntagnachmittag ins Einfach-Leute-Viertel Getsemani ziehen lassen und einmal, als ein kleiner Junge uns spätabends mehrfach bittet, ihm ein paar handfertigte Armbändchen abzukaufen. Was macht ein Kind alleine spätabends auf der Straße? Esteban bestätigt unsere Vermutung, dass der Junge Geld verdienen muss. Er tut uns leid, denn selbst wenn er zur Schule ginge, könnte er morgens dem Unterricht wohl kaum folgen, denn er muss hundemüde sein.

 

Überhaupt müssen wir festhalten, dass wir mit dem Besuch Cartagenas nicht das wahre Kolumbien kennenlernen sondern lediglich die reichste Stadt Kolumbiens, die jährlich von mehreren hunderttausend Touristen besucht wird, in der es eine "Touristenpolizei" gibt, die die Besucher bestens bewacht, und in der viele reiche Kolumbianer noble Häuser oder Appartements besitzen. Auf dem Land sind die meisten Leute nach wie vor sehr arm und das Leben dort ist hart, wie uns Esteban und Maria bestätigen.

 

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