Auszüge aus dem Bildband „Begegnung mit dem Horizont - Galapagos, von Brigitte Fugger, Wolfgang Bittmann und Hubert Stadler, erschienen im Bertelsmann Club

Von Piraten, Wissenschaftlern und Touristen

Man schreibt das Jahr 1535. Die Spanier haben sich in der Neuen Welt festgesetzt, das Inakreich ist erobert und die Ausbeutung seiner Schätze in vollem Gange. In dieser Zeit – so die Chronik – macht sich der Bischof von Panama, Tomás de Berlanga, zu einer Seereise nach Peru auf, um Streitigkeiten zwischen den Konquistadoren zu schlichten. Auf seinem Weg dorthin kommt er vom Kurs ab, gerät in unbekannte Meeresströmungen und landet nach langer Irrfahrt schließlich an Küsten ihm vollkommen fremder Inselnm. Dort fühlt er sich geradezu in die Urzeit zurückversetzt, bestaunt gigantische Schildkröten und drahcenähnliche Echsen, die in einer lebensfeindlichen Steinlandschaft leben, und hat Mühe, überhautp etwas Trinkwasser für die baldige Rückfahrt zu sammeln.

 

Die Entdeckung der Galapagos-Inseln änderte zunächst kaum etwas an ihrer Abgeschiedenheit. Berlangas Berichte wirkten Auf die von den Reichtümern der Neuen Welt verwöhnten Spanier wenig verlockend; außerdem machten häufige Nebelbänke und unklare Strömungsverhältnisse die Navigation in den Gewässern des Archipels zum Risiko. Inseln "verschwanden" plötzlich aus der Sicht, oder eine Wolkenbank erschien wie einer Insel aus dem Nichts. In spanischen seefahrerkreisen nannte man Galapagos deshalb die "Islas Encantadas", die verwunschenen Inseln, die ohne feste Position auf dem Meer schwimmen, und nur wenige Unerschrockene ließen sich auf die lange Reise zu ihnen ein.

 

Anders hielten es die Piraten und Freibeuter, die damals den Ostpazifik unsicher machten. Inen kam der Aberglaube gerade recht, bot sich doch damit ein sicheres Versteck, von dem aus sie ihre Raubzüge auf reich beladene spanische Galeonen oder auf die Küstenstädte durchführen konnten. Zudem war ihre Fleischversorgung durch die auf den Inseln lebenden Riesenschildkröten gesichert. Über zwei Jahrhunderte (von 1590 bis 1790) diente Galapagos als Stützpunkt vorwiegend englischer Piraten. Ihre Hauptverstecke lagen auf den Inseln Santiago und Floreana. Hier fand man auch ihre Gebrauchsgegenstände: Werkzeuge, Waffen, Tongefäße, und stieß auf Bänke und Höhlen, die sie in das Lavagestein geschlagen hatten. Auf Santiago erinnert noch heute die Bahia Bucanero, die Piratenbucht, an vergangene Zeiten. Zur Ehrenrettung der Piraten muss aber erwähnt werden, dass es unter ihnen auch gebildete, weltoffene Leute mit Forscher- und Mitteilungsdrang gab (z.B. William Dampier, Ambrose Cowley oder Lionel Wafer), denen man die ersten genaueren Seekarten, Naturbeobachtungen sowie die Benennung der Inseln mit englischen Namen verdankt.

 

Den Piraten folgten die Walfänger. IN den Gewässern des Ostpazifiks gab es damals noch unzählige Pottwale, denen jahrzehntelang Walfangflotten verschiedener Nationen nachjagten. Sie alle benutzten die Galapagos-Inseln als Versorgungsstation, füllten dort die Laderäume ihrer Schiffe mit Riesenschildkröten und schlachteten nebenbei die Galapagos-Seebären zu Zehntausenden. Wirft man einen Blick in die alten Logbücher, so wundert man sich bei der Anzahl der dort vermerkten erbeuteten Tiere überhaupt noch einige überleben konnten. Aus jener Zeit stammt auch eine bis heute überlebende Kuriosität der Postbeförderung – das Postfaß von Floreana.

 

Mit dem Jahr 1832 begann ein neues Zeitalter für Galapagos. Das kurz zuvor unabhängig gewordene Ecuador annektierte die Inseln, nannte sie "Archipelago de Ecuador" und gab einige zur Besiedlung frei. Die erste Siedlung wurde auf Floreana errichtet, 1869 folgte San Cristobal, 1897 Isabela und um 1920 Santa Cruz.

 

Die erste Kolonisation erfolgte nahezu zeitgleich mit dem Besuch des Forschers und Welterisenden Charles Darwin im Jahre 1835, der auf Galapagos das Zeitalter der Wissenschaft einläutete. Darwin blieb ganze fünf Wochen, in denen er vier Inseln besuchte. Er gewann in dieser kurzen Zeit aber trotzdem Erkenntnisse, die später das naturwissenschaftliche Denken revolutionieren sollten. In seinem 1859 erschienen Buch "Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl" widerlegte er das kirchliche Postulat der Unveränderlichkeit der Schöpfung und brachte damit ein seit Jahrhunderten fest verwurzeltes Weltbild zum Einsturz.

 

Expeditionen aus den verschiedensten Ländern besuchten nach Darwin dieses "Laboratorium der Natur" – nicht immer zu dessen Vorteil. Denn Wissenschaftler und Museen waren oft nur daran interessiert, Ausstellungsstücke einer einmaligen Fauna zu besitzen – je seltener, desto begehrter. So sammelte alleine eine von der California Academy of Science ausgerüstete Expedition Anfang des Jahrhunderts 73 Albatrosse, über 6000 Bälge von Landvögeln und 250 Riesenschildkröten aller Unterarten! Schon damals seltene Galapgos-Tiere gerieten damit an den Rand des Aussterbens.

 

Die Menschen auf den Inseln versuchten indessen immer wieder, natürliche Ressourcen auszubeuten: 1870 war es das "dyer's moss", eine schwarze Flechte, die man sammelte, um daraus Farbstoff zu gewinnen; um 1900 baute man Vulkan Sierra Negra auf Isabela Schwefel ab und transportierte ihn per Eselsrücken zur Küste. 1924 bis 1930 und nochmal 1960 bis 1968 gewann man Salz aus einem Krater bei Puerto Egas auf Santiago, und 1926 hatten Norweger die Idee, auf Floreana eine Fischfabrik aufzubauen. Alle diese Versuche schlugen jedoch fehl. Galapagos wehrte sich mit Hitze und Trockenheit, der Einsamkeit und den langen Transportwegen. So blieben Fischfang und etwas Landwirtschaft der Haupterwerbszweig der Inselbewohner. Die in den frühen Tagen der Besiedelung noch betriebene Ölgewinnung durch Auskochen von Riesenschildkröten lohnte wegen der geringen Bestandszahlen schon bald nicht mehr.

 

Die Einwanderung hielt sich auch im frühen 20. Jahrhundert noch in Grenzen. Abgesehen von ecuadoriansichen Sträflingen, die man zeitweise in Lagern hier einquartierte, wählten nur wenige Menschen Galapagos als ihre neue Heimat. Die meisten von ihnen kamen aus Europa, dem sie aus politischen, wirtschaftlichen oder persönlichen Gründen den Rücken kehrten, und ließen sich, häufig mit romantischen Vorstellungen vom Inseldasein, auf Santa Cruz bzw. Floerana nieder. Einige wohnen dort bereits in der vierten Generation. <Anmerkung: Die bei Fahrtenseglern berühmt gewordene Familie Wittmer aus Köln>. In der Zwischenzeit wurde die Inselgruppe ein weiteres Mal umbenannt: 1892 verlieh man ihr offiziell den Namen "Archipelago de Colon" (zu Ehren des vierhundertsten Jahrestages der Ankuft von Christopher Kolumbus), und alle Inseln erhielten zu ihren entlischen und teilweise alten spanischen nun zusätzlich neue spanische Namen – was nicht selten für Verwirrung sorgt.

 

1941 bis 1948 bekam auch Galapagos die Kriegswirren zu spüren, allerdings nur am Rande. Die USA bauten die Insel Baltra zum Luftwaffenstützpunkt aus, um der befürchteten japanischen Expansion im Pazifik einen Riegel vorzuschieben. Amerikanische Dollars gaben kurzfristig den Ton an, und viele Einwohner von Galapagos fanden vorübergehend Arbeit, bis 1948 der Stützpunkt wieder aufgegeben wurde.

 

Als Investition in die Zukunft erwies sich erst die Erklärung des Inseln zum Nationalpark im Jahr 1959. Obwohl dies die Bewohner in ihrer Beweglichkeit zunächst stark einschränkte, ist mittlerweile der Nutzen unbestritten. Der 1969 einsetzende geregelte Tourismus brachte Vollbeschäftigung und Devisen, die wiederum in den Ausbau der Schiffe investiert wurden. Schipperten die ersten Touristen noch auf umgebauten Fischerkähnen durch den Archipel, so kann man heute aus einer Flotte von etwa 50 Schiffen zwischen den verschiedensten Typen, Größen und Komforts wählen.

 

Ein großer Teil der Gelder aus dem Tourismusgeschäft floss den Inseln direkt zu. Nicht nur der Naturschutz profitierte davon, es entstanden auch Schulen, Rundfunk, medizinische Versorgungsstationen und damit eine gewisse Infrastruktur. Insgesamt liegt heute der Lebensstandard auf Galapgos viel höher als auf dem Festland Ecuadors. Verständlich ist daher, dass von den Inseln ein Sog ausgeht, der verstärkte Einwanderung zur Folge hat und die Bevölkerung mittlerweile auf fast 15.000 ansteigen ließ. Galapagos ist nicht mehr "das Ende der Welt" (wie es William Beebe 1923 formulierte), im Gegenteil, es geht den Weg vieler ehemaliger Inselparadiese: hin zu Massentourismus und Kommerz – wenn nicht rechtzeitig gegengesteuert wird."

Überleben durch Anpassung

Im Laufe der Erdgeschichte kam es in der Abgeschiedenheit von Inseln immer wieder zur Entwicklung ausgefallener Tier- und Pflanzenarten – so auch auf Galapagos. Eklatanter Mangel an Süßwasser, ein oft nur spärliches Nahrungsangebot und der scharfe Wettbewerb um diese Ressourcen auf engstem Raum verlangten nach zahlreichen Sonderanpassungen der Überlebenswilligen.

 

Am weitesten gingen dabei vielleicht die Meerechsen, die sich – weltweit einzigartig unter den Reptilien – Meeresalgen als Nahrungsquelle erschlossen. Die dafür notwenigen Anpassungen sind extremer, als es zunächst klingen mag. Zum einen enthalten Meeresalgen viel Salz, das man wieder loswerden muss – in diesem Fall mit Hilfe speziell entwickelter Drüsen in den Nasengängen- , zum anderen ist die Körpertemperatur der Meerechsen wie bei allen Reptilien von der Umgebung abhängig, und das Meer um Galapagos ist kalt. Um sich also unter Wasser längere Zeit beweglich zu halten, muss man in der Lage sein, der Abkühlung, etwa durch die Verlangsamung des Herzschlags beim Tauchen entgegenzuwirken. Daneben braucht man noch starke Klauen zum Festhalten in der Brandung, flache Raspelzähne und einen plattgedrückten Schwimmschwanz – insgesamt also eine ganze Palette weitreichender, auch körperlicher Umformungen.

 

Andere Arten der Anpassung beschränken sich auf reine Verhaltensänderungen, so bei den Spitzschnabel-Grundfinken auf der abgelegenen Insel Wolf im Norden von Galapagos. Um hier ohne Süßwasser überleben zu können, griffen sie zu einer besonders radikalen Methode: Sie Picken in die weiche Haut um die Wurzeln der Schwanz- oder Flügelfedern der auf Wolf brütenden Masken- und Rotfußtölpel und lecken das austretende Blut auf. Bekannter als diese „Vampirfinken" von Wolf sind die ungewöhnlichen, weniger blutrünstigen Verhaltensweisen zweier anderer Vertreter dieser Gruppe. Spechtfink wie Mangrovenfink haben es nämlich gelernt, Werkzeuge zu gebrauchen – eine ausgesprochene Seltenheit im Vogelreich. Sie stochern mit Hilfe von Kakteenstacheln oder Zweigen Insektenlarven aus Baumritzen und treten damit quasi an die Stelle der Spechte, die Galapagos zu keiner Zeit besiedelt haben.

 

Nicht zu vergessen ist noch ein weiteres Anpassungsphänomen, das nicht aus der Not, sondern aus der glücklichen Lage heraus entwickelt wurde, keine Feinde zu haben: die Flugunfähigkeit des hier beheimateten Stummelkormorans. Der Name sagt es bereits: Seine stark zurückgebildeten Flügel tragen ihn nicht mehr – und müssen es auch nicht, denn die wenigen Feinde an Land, die Galapagos-Bussarde, stellen kaum eine Bedrohung dar. Viel günstiger war es für den Flugunfähigen Kormoran die eingesparte Flugenergie in Gewicht umzusetzen und damit sein Tauchvermögen erheblich zu verbessern. Trocknen muss er seine Flügel aber immer noch, denn sein Gefieder ist, wie bei allen Kormoranen, nicht wasserfest.

 

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