18. März - 7. April 2012: Panama

Von den San Blas Inseln segeln wir in zwei Tagesetappen nach Colon, Panama. Vor der Einfahrt nach Colon haben wir ein wenig Bammel, schließlich müssen durch die beiden Einfahrten zwischen den großen Wellenbrechern vor Colons Hafen alle Dickschiffe durch, die durch den Panamakanal wollen. Hinter den Wellenbrechern gelangen wir dann erst mal auf den weiträumigen "Parkplatz" für die ganzen Kolosse. Als kleines Segelboot kommt man sich zwischen all den Riesen recht unbedeutend vor, und genau so sehen die Kapitäne der Großschifffahrt und die Kanalverwaltung das auch: Die kleinen Yachten, welche von einem Großschiff aus wirklich kaum zu sehen sind, und welche der Kanalverwaltung kaum Geld bringen, sind nichts weiter als potentielle Störfaktoren in den auf die Giganten der Meere abgestimmten Abläufen des Panamakanals. Als Yachtie ist man aus gutem Grund bestrebt, hier niemandem in die Quere zu kommen.

 

Es gibt nur ein Gebiet, wo Yachten kostenlos ankern dürfen, die sogenannten "Flats" in der Nähe des Containerhafens, ein Platz mit wenig Charme. Früher gab's in der Nähe der Flats den Panama Yacht Club, der bei Fahrtenseglern sehr beliebt war. Er lag auf dem Gelände des Containerhafens. Als der Containerhafen mehr Platz brauchte wurde der Yachtclub anderen Seglern zufolge kurzerhand im wahrsten Sinne des Wortes "platt" gemacht: Auf das Gebäude fiel ein Container drauf, so ein Pech aber auch... Die Besitzer der Boote, die im Panama Yacht Club lagen, bekamen nur ein oder zwei Wochen Zeit um ihre Schiffe abzuholen, dann wurde der Yachtclub vollends ausgelöscht. Hier wird nicht lange rumgefackelt, der Stärkere schafft einfach unumkehrbare Fakten.

 

Einzig verbliebener Zufluchtsort und eine wahre Oase ist Shelter Bay Marina auf der anderen Seite der Bucht, etwa eine halbe Stunde von den Flats entfernt in einem Nationalpark gelegen. Dort gibt es alle Annehmlichkeiten, die Segler sich noch einmal wünschen, bevor sie sich für lange Monate im Pazifik auf eine Reise zwischen kaum bewohnten Inseln begeben, eine Reise auf man mit fast allen Bedürfnissen auf sich alleine gestellt sein wird. Crews, die aus dem Pazifik nach Shelter Bay kommen, genießen die Annehmlichkeiten nach langer Abstinenz ebenfalls, bevor sie im Atlantik weiter segeln, und auch für Crews, die an den Küsten Lateinamerikas bleiben, ist Shelter Bay für längere Zeit der letzte Ort, an dem sich alle Probleme in überschaubarer Zeit lösen lassen. Fast alle Crews in Shelter Bay Marina arbeiten emsig ihr Pensum ab.

 

Wer durch den Panama Kanal will, muss insgesamt drei Mal nach Colon, um Behördengänge zu machen, braucht viele alte Autoreifen als zusätzliche Fender, extra lange Festmacher-Leinen und – wenn man als Zwei-Mann-Crew segelt – drei zusätzliche Crewmitglieder als sogenannte "Line-Handler". Mit der Beschaffung dieser Dinge und der notwendigen Genehmigungen kann man einen Agenten beauftragen, was die meisten Crews der Bequemlichkeit halber tun. Doch zum einen kosten der Agent und die Line-Handler natürlich Geld und zum anderen sind nicht alle Agenten vertrauenswürdig. Esteban und Maria hatten uns beim Treffen in Cartagena erzählt, dass sie für ihre Passage problemlos alles ohne Agenten erledigen konnten und dass es nicht nur billiger sondern auch viel angenehmer ist, andere Segler als Line-Handler mitzunehmen, so dass man insgesamt mehrere hundert Dollar sparen kann. Wir haben sehr detaillierte Informationen, was genau in welcher Reihenfolge zu tun ist und trauen uns das auch zu.

 

Also sitzen wir meist morgens um 8 Uhr im kostenlosen Shuttlebus, der von Shelter Bay Marina nach Colon rein fährt, um Schritt für Schritt alles Notwendige in die Hand zu nehmen. Colon hat den Ruf eine gefährliche Stadt zu sein, in der man als Tourist besser nicht auf der Straße läuft. Der Shuttlebus aus Shelter Bay setzt die Kunden aber genau da ab, wo man üblicherweise hin muss und sammelt die Schäfchen zweieinhalb Stunden später vor einem großen Supermarkt wieder ein, wo alle wie die Weltmeister einkaufen.

 

Am schwierigsten erscheint uns anfangs, die drei Line-Handler zu finden. Zwar hängen in der Marina einige Annoncen an der Pinnwand, aber solange der Termin unserer Passage unklar ist, macht es wenig Sinn die Suche zu starten. Doch dann lösen sich alle Fragen quasi wie von selbst. Gleich auf unserem ersten Behördengang lernen wir ein paar junge schwedische Segler kennen, denen genau dasselbe "Wir-für-Euch-und-Ihr-für-uns-Line-Handler-Modell" vorschwebt, die Reifen-Fender finden sich in der Marina auf dem Müll und ein "Hilfs-Agent", den wir als Taxifahrer kennenlernen, kann uns und den Schweden günstig die langen Festmacherleinen vermieten. Jetzt brauchen wir nur noch einen zusätzlichen Mann als dritten Line-Handler und auch den könnte der "Hilfs-Agent" nötigenfalls vermitteln.

 

Also wenden wir unsere Aufmerksamkeit verstärkt den Verproviantierungsfragen zu und versuchen herauszufinden, was aus dem Warenangebot des Supermarktes gut schmeckt, lange hält und gut zu stauen ist. Nicht jeder Testkauf ist ein Treffer. Überhaupt schmeckt vieles nicht so gut, wie wir es von zuhause gewohnt sind. Nachmittags kümmern wir uns ums Schiff. Sämtliche Kontroll- und Wartungsarbeiten werden nochmal akribisch durchgeführt, wir waschen bergeweise Wäsche, bestellen Ersatz für Verschleißteile nach Panama City und nähen ein "Regenwasser-Auffang-und-Sonnenschutz-Segel" für unser Vorschiff.

 

Da es in Shelter Bay Marina auch gute Internet-Verbindungen gibt, verbringen wir auch viel Zeit am Rechner. Wir schreiben emails, skypen mit Familie und Freunden, laden uns sämtliche Software-Updates für die Rechner und Informationen, die uns im Zusammenhang mit COPLARE interessieren, aus dem Internet runter, kümmern uns um unsere Konten, pflegen unsere Webseite und halten die erste COPLARE e.V. Jahreshauptversammlung als Online-Konferenz ab. Der auf den San Blas gesammelte Plastikmüll muss auch noch zerkleinert und versandfertig gemacht werden (siehe extra Bericht). Von früh bis spät sind wir beschäftigt, trotz der Affenhitze. Meist gehen wir erst abends in die herrlichen Duschen der Marina, wenn man anschließend nicht mehr ins Schwitzen kommt.

 

Richtig schön ist in Shelter Bay der Zusammenhalt, der unter den Segler-Crews entsteht. Ruck zuck kennen wir eine ganze Menge Leute aus aller Herren Länder. Die Kontaktbereitschaft hier ist ausgesprochen groß und wir bekommen viel Besuch auf Pagena. Zum ersten Mal lernen wir hier auch richtig viele Amerikaner kennen. Vielleicht, weil wir den wöchentlich von den Amerikanern organisierten "Potluck" eine prima Sache finden und einfach mal hingehen? Zum Buffet dieser Party steuert jede Crew etwas bei und bringt die eigenen Getränke mit. Leider müssen wir zugeben, mit unserem Nudelsalat nicht gerade am oberen Ende der Delikatessen mitspielen, die an diesem Abend von verschiedenen Crews zum "Potluck" beigesteuert werden. Wow, was schmeckt es uns an diesem Abend gut!

 

Viele Tipps und Ratschläge bekommen wir, als wir beschließen auch unsere Rettungsinsel einer Inspektion zu unterziehen, da sie an ihrem Standort oft von Seewasser umspült wird, was uns suboptimal erscheint. Die Rettungsinsel-Inspektion nimmt weit größeres Ausmaß an als wir ursprünglich denken. Denn wir scheitern schon am Aufmachen des Reißverschlusses der Aufbewahrungstasche. Egal wie lange wir ihn auch spülen und mit Seifenlauge behandeln, egal mit welchen Hilfsmitteln wir daran herumziehen, der Zipper rührt sich keinen Millimeter. Wir sind überzeugt, dass der Reißverschluss schwer korrodiert sein muss und das bestärkt unseren Wunsch, nachzuschauen, ob die Rettungsinsel in der Tasche noch intakt ist. Wir wären auch bereit, sie vorzeitig professionell warten zu lassen und dafür die am Agenten gesparten Dollars auszugeben, aber laut Auskunft des Marina-Leiters gibt es weder in Colon noch in Panama-City eine Firma, die diesen Service für uns durchführen würde. Also beschließen wir den Reißverschluss gewaltsam zu öffnen, um Sicherheit zu bekommen. Erst wenn wir wissen was Sache ist, können wir entscheiden, wie wir die Insel in Zukunft verpacken und verstauen wollen. Was wir herausfinden ist, dass der Reißverschluss vom Hersteller zugeklebt wurde - wohl damit niemand die Tasche öffnen und manipulieren kann – dass die Insel selbst im Inneren der Tasche in bestem ordnungsgemäßen Zustand ist, dass es weder in Colon noch in Panama einen Hartschalenkoffer für die Insel zu kaufen gibt und dass uns jetzt nichts anderes übrig bleibt, als in die alte Tasche einen neuen Reißverschluss einnähen zu lassen. Gut dass Iris und Micheal, eine deutsch-amerikanisches Paar, mit dem wir uns gut verstehen, gerade einen Segelmacher bestellt haben. Den schicken sie uns rüber, wenn er bei ihnen an Bord fertig ist. Fazit: Was für eine Aktion..., aber jetzt sind wir beruhigter was die Vorstellung unserer Rettung in einem Seenotfall angeht.

 

Eine Woche vor unserer eigenen Kanalpassage fahren wir mit Moana, dem Schiff der beiden jungen Schweden, schon mal als Line-Handler durch den Panamakanal und lernen so das Prozedere im Kanal und die Strömungsverhältnisse in den Schleusen kennen. Fredrik und Emil sind somit die ersten unserer neuen Freunde, die Shelter Bay Marina verlassen und durch den Kanal nach Panama City rüber fahren. In den folgenden Tagen fahren auch alle anderen Freunde und Bekannte ab. Am Sonntag, den 1. April nachmittags sind endlich auch wir dran.

 

Als dritter Line-Handler haben wir John an Bord, einen Segler aus Kalifornien, der den Kanal schon neun Mal passiert hat und der sein Boot gerade in der Marina repariert. Er kommt irgendwann vorbei und fragt, ob wir ihn als Line-handler mit nach Panama City nehmen, da er dort ein Ersatzteil abzuholen hat. Sehr gerne nehmen wir sein Hilfsbereitschaft an. Damit ist auch das letzte Problem gelöst. Mit John haben wir einen wahren Schatz als Crewmitglied an Bord, wie sich später erweisen wird.

 

Ins Schwitzen geraten wir kurz vor der Abfahrt noch zwei Mal: Zum einen, als Francisco, unser taxifahrender Hilfsagent die Festmacher-Leinen nicht zum verabredeten Zeitpunkt bringt und zum anderen, als die Kanalbehörde ACP, "Autoridad de Canal de Panama", uns vier Stunden vor der eigentlich geplanten Abfahrt mitteilt, dass wir zwei Stunden eher in den Flats sein sollen, als sie uns tags zuvor mitgeteilt hatten. Francisco hat glücklicherweise ein schlechtes Gewissen und sorgt dafür, dass wir die Leinen von einem anderen Schiff bekommen, das erst ein paar Tage nach uns durch den Kanal geht und was die frühere Abfahrtszeit angeht, beeilen wir uns so sehr es geht, treffen aber eine halbe Stunde später als von der ACP gewünscht in den Flats ein.

 

Während der Kanalpassage sind insgesamt sechs Leute an Bord von Pagena, da wir in den Flats von der ACP einen sogenannten "Adviser" an Bord geschickt bekommen, der Pagena die ganze Zeit über als Lotse begleitet. Rein zufällig ist es derselbe nette und kompetente Adviser, der auch Moana durch die Gatun-Schleusen begleitet hatte. Als er eine Woche später fast dieselbe Crew auf Pagena vorfindet, freut er sich über uns ebenso sehr, wie wir uns über ihn. Seit einiger Zeit schleust die ACP kleine Yachten nur noch nachts und versucht, sie in einem Rutsch in circa zehn Stunden durch den rund fünfzig Kilometer langen Kanal mit seinen sechs Schleusenkammern rüber in den Pazifik zu bringen. Damit entfällt die bei vielen Seglern beliebte Übernachtung im Gatun See, einem riesigen künstlich aufgestauten Gewässer, das den Rio Chagres mit den Gatun Schleusen verbindet.

 

Aber es kommt anders: Wie schon Moana eine Woche zuvor, muss – oder darf - Pagena, entgegen der Regel, die Nacht von Sonntag auf Montag an einem Ankerplatz im Gatun See verbringen. Leider ist das Wetter wieder sehr trüb, so dass See und Umgebung vermutlich auch dieses Mal wenig hübsch anzusehen sein werden. Umso reizvoller dagegen ist, vor allem für die beiden Schweden, die schon eine Woche lang auf die schönen Duschen der Marina verzichten, die Aussicht auf ein schnelles Bad im Frischwasser. Dass es im gesamten Panamakanal Krokodile gibt, stört sie herzlich wenig.

 

Das Schiff, mit dem wir „bergauf" mit durch die drei Gatun-Schleusen genommen werden, ist ein amerikanischer Zerstörer. Nach der letzten Schleuse, Gatun hat drei Kammern hintereinander, kann das Kriegsschiff viel schneller weiterfahren als wir, so dass es unmöglich ist, gleichzeitig mit ihm an der nächsten anzukommen. Heute kommt kein anderes Schiff mehr, das uns mit in die Schleusenkammer nehmen kann und nur für ein paar Yachten macht die ACP die Schleusen nicht voll, das wäre Wasserverschwendung. Darum müssen wir warten und verbringen einen fröhlichen Abend und eine kurze Nacht zu fünft an Bord, nachdem der Adviser abgeholt wurde.

 

Am nächsten Morgen schickt uns die ACP leider einen neuen Adviser, der uns jedoch ebenfalls kein Unbekannter ist. "Astro", wie er sich vorstellt, war tags zuvor auf einem kleinen Motorboot eingesetzt gewesen, das ebenfalls mit dem Zerstörer durch die Gatun-Schleusen genommen wurde. Das Motorboot war dadurch aufgefallen, dass es ständig irgendwo im Fahrwasser im Weg war und man den Eindruck hatte, dass ein schlechter Kapitän und ein schlechter Adviser das Schiff führten. Nun kriegen wir ihn, toll... Noch dazu kommt er nicht allein, sondern bringt einen Praktikanten mit. Jetzt sind wir also zu siebt an Bord unseres kleinen Schiffes – Rekord für Pagena - und ich habe alle Hände voll damit zu tun, die Corona den ganzen Tag lang mit Essen und kühlen Getränken zu versorgen. Da Pagena nicht für so große Crews ausgestattet ist, muss der Inhalt des Kühlschranks ständig umgestapelt werden und es ist fast immer was zu spülen da. Joachim steht die ganze Zeit am Steuer, ich bin die meiste Zeit des Tages unter Deck beschäftigt. Unsere Reise durch den Kanal zieht sich nämlich den ganzen Montag lang hin.

 

Das größte Übel aber ist, dass wir kurz vor der letzten Schleuse plötzlich kein Gas mehr geben können und deshalb vorübergehend fast manövrierunfähig sind. Und das ausgerechnet vor den Miraflores-Schleusen, in denen das Wasser fast zwei Knoten Strömung hat. Zum Glück ist Pagena bereits seit der letzten Schleuse wieder mit Onyx vertäut, einer großen deutschen Segelyacht, mit der zusammen wir schon seit gestern stets "im Päckchen" geschleust werden. Eigentlich kann Hans, der Skipper der Onyx, beide Boote mit seinem Motor fortbewegen und aufstoppen. Da Joachim ruck-zuck die Fehlerursache findet, kann er mit Johns Hilfe auch die volle Manövrierfähigkeit Pagenas schnell wieder herstellen. Der Gaszug ist gebrochen. Direkt am Motor kann man die Motordrehzahl auch regulieren und John bietet sich an, diesen Part zu übernehmen. Doch Joachim findet bald eine noch elegantere Lösung: eine vom Motor aus ins Cockpit verlaufende Leine erweist sich als erstaunlich gut funktionierendes Provisorium, mit dem wir es problemlos schaffen, durch die Schleuse durch und zum Ankerplatz zu kommen, ohne dass John die ganze Zeit vor dem laut röhrenden Motor sitzen muss.

 

Durch die auf Moana gewonnenen Erfahrungen stellen die Panamakanal-Schleusen kein großes Rätsel mehr dar und wir wissen, wie wir im Falle von kleinen Pannen, die immer mal passieren, reagieren müssen. Astro erweist sich als vollkommen nutzlos an Bord, aber auch das ist nicht weiter schlimm, da ein besserer Adviser auf Onyx ohnehin alle Anweisungen für die koordinierte Steuerung beider Boote gibt. Wir sind froh, als Astro samt Praktikant am Ende des Kanals endlich das Schiff verlässt. Auch dass wir vor Panama City spät abends im Dunklen Anker werfen müssen stört uns kaum, da wir die Ankerbucht ja schon in der Woche zuvor bei Dunkelheit kennengelernt haben und mit Fredrik, Emil und John drei weitere Leute an Bord haben, die sich hier gut auskennen. Es ist schon elf Uhr abends, bis wir mit unserer Crew endlich mit einer Flasche Champagner auf die Ankunft im Pazifik anstoßen können.

 

Es ist geschafft, wir sind mit Pagena im Pazifik angekommen, dem größten aller Ozeane, einem riesengroßen Teich, der fast den halben Globus umspannt! Wir können die Dimensionen, mit denen wir es ab hier zu tun bekommen, noch kaum fassen. Zudem sind wir jetzt in einem Tidengewässer, daran müssen wir uns erst gewöhnen. Am Ankerplatz "Las Brisas" ist die Wassertiefe glücklicherweise stets ausreichend. Ob Hoch- oder Niedrigwasser ist, merken wir nur daran, dass die Treppenstufen die in Wasser gehen bei Niedrigwasser ganz schön weit vom Wasserpegel weg sind.

 

Eigentlich dachten wir ja, dass wir in Panama City nur kurz für ein oder zwei Nächte stoppen um die vor Wochen bestellten Ersatzteile abzuholen, letzte kleine Besorgungen zu machen und ein paar Crews aus Shelter Bay Marina ein letztes Mal zu treffen. Durch den Kabelbruch sind allerdings weitere Teile auf die Besorgungsliste hinzugekommen, deren Beschaffung uns nun Sorge bereitet. Zudem steht Ostern vor der Tür. Alle Panamesen fahren über Ostern raus zur Familie aufs Land, viele Geschäfte schließen schon Donnerstagmittag. Wenn wir nicht bis nach Ostern in Panama bleiben wollen, dürfen wir keine Zeit verlieren. Ausklarieren müssen wir hier auch noch, ebenso Diesel und Wasser tanken. Durch den Kanal hindurch haben wir doch einige unserer ohnehin schmalen Vorräte verbraucht.

 

Was vor uns liegt, sieht nicht gerade wie ein Spaziergang aus, ist aber wahrscheinlich dennoch gut zu bewältigen, wenn wir nicht rumtrödeln. John der Gute hat uns in weiser Voraussicht die Lage sämtlicher Schiffsausrüster in den Stadtplan von Panama City gepinselt und uns Tipps gegeben, wo wir anfangen sollen, nach dem Ersatzkabel zu suchen. Gleich im ersten Laden werden wir fündig – Joachim ist bass erstaunt. Die haben einen ganzen Stapel dieser Kabel vorrätig, sieht ganz nach einem häufig vorkommenden Schaden aus. Den Schalthebel selbst will er bei dieser Gelegenheit gleich mitersetzen. Leider erweist der sich aber als wesentlich größeres Problem, da wir angeblich ein europäisches Modell haben, dass hier nicht Standard ist.

 

Der Schlag trifft uns am nächsten Abend als wir eine email finden in der steht, dass wir unsere bestellten Ersatzteile nicht abholen können, weil nichts davon in der Zentrale in den USA bestellt wurde. Wir werden beschuldigt unsere Kreditkartendetails nicht vollständig genug mitgeteilt zu haben, was nachweislich falsch ist. Aber ob wir Recht haben oder nicht, vor Ostern ist nichts mehr zu machen, der Zug ist abgefahren. Also wird unsere Besorgungs-Liste schlagartig um einige weitere Artikel erweitert, deren Beschaffung uns wahrlich Kopfzerbrechen bereitet. Uns bleibt nichts anderes übrig als die verbleibenden beiden Tage von früh bis spät durch die Stadt zu flitzen und alle möglichen Adressen abzuklappern. Bald sind wir Profis im Taxifahren in Panama City und wissen, welche Fahrpreise angemessen sind und merken, wenn wieder mal ein Taxifahrer versucht uns Touristenpreise unterzujubeln. Meist offeriert erst der dritte oder vierte gefragte Taxifahrer einen fairen Preis.

 

Den Gipfel willkürlicher Preisfestsetzung in Panama City erleben wir jedoch bei der Einwanderungs-Behörde, die uns einen Ausreisestempel in die Pässe geben muss, damit wir das Land ordnungsgemäß verlassen. Für die Einreise mussten wir bereits um die vierzig Dollar bezahlen, das ist normal. Doch noch nirgends haben wir aber erlebt, dass für die Ausreise mehr als ein paar Dollar Verwaltungsgebühr anfallen. Die Beamtin in Panama City verlangt jedoch stolze hundert Dollar für die Ausreise – pro Person wohlgemerkt – und hält uns ein Papier unter die Nase, in dem eine Tabelle zu besagen scheint, dass das ein offiziell festgeschriebener Tarif ist. Joachim und ich sind von anderen Seglern schon vorgewarnt und sind uns einig, dass wir diese Gebühr nicht bezahlen werden. Lieber versuchen wir alternativ auf den Las Perlas Inseln auszuklarieren oder lassen diese Prozedur nötigenfalls ganz fallen. Noch nie haben die Ausreisestempel des zuvor besuchten Landes irgendjemanden interessiert. Und so chaotisch, wie hier alle Ämter arbeiten, würde bestimmt nichts passieren, wenn wir den Stempel nicht hätten. Aber erst einmal müssen wir an Ort und Stelle auf die Forderung reagieren. Wir sagen der Beamtin einfach, dass es vollkommen unmöglich sei, von Touristen so viel Geld dafür zu verlangen, dass sie das Land ordnungsgemäß verlassen und dass wir keine zweihundert Dollar haben. Daraufhin schickt sie uns ins Nachbarbüro zu ihrer Chefin. Die blickt kurz in unsere Pässe und entscheidet: O.k., zehn Dollar pro Person. That's it: ein paar Sekunden Widerstand – einhundert achtzig Dollar weniger auf der Rechnung. Willkommen in Lateinamerika...

 

Der Stadt Panama City können wir nichts abgewinnen. Alle Stadtviertel durch die wir auf unseren Einkaufstouren durchkommen sind herunter gekommen und wirken elend. Vom Panamakanal, mit dem am Tag angeblich eine Million Dollar Gewinn erwirtschaftet wird, scheint hier nichts anzukommen, ebenso wenig von den vielen Frachtschiffen, die unter panamesischer Flagge fahren. Allerdings muss man auch bedenken, dass der Kanal vor kurzem erst, nach Ablauf von neunundneunzig Jahren Betrieb durch die Amerikaner, von den Vereinigten Staaten an Panama übergeben wurde. Nach Casco Viejo, dem Altstadtviertel Panama Cities, das ganz hübsch sein und an Cartagena erinnern soll, kommen wir nicht, ebenso wenig wie in den Stadtteil, in dem die ganzen Hochhäuser stehen, die die Skyline Panama Cities ausmachen. Vielleicht macht die Stadt dort einen besseren Eindruck. Dennoch bezweifeln wir mittlerweile stark, dass Janosch (der die Kindergeschichte "Ach wie schön ist Panama" geschrieben hat) je hier war.

 

Pünktlich bis Gründonnerstagabend schaffen wir es tatsächlich, alle Dinge, die uns wichtig für die Weiterreise erscheinen, aufzutreiben und hoffen ab jetzt auf etwas Entspannung. Doch Panama City ist noch nicht fertig mit uns. Seit gestern Abend wabert ein dicker Ölteppich durch die Ankerbucht, der überall wo man ihn nicht brauchen kann, schwarz-klebrig haften bleibt: An den Rümpfen der ankernden Schiffe, an den Böden der im Waser befindlichen Dingis und – was am ekeligsten ist – im kompletten kleinen Plastikfloß, mit dem man sich vom schwimmenden Dingi-Dock mittels einer Endlosleine rüber an Land ziehen muss. Das kippelige Boot in dem stets eine Pfütze Wasser steht ist ohnehin schon eine äußerst seltsam anmutende Notkonstruktion für ein Dingi-Dock, dem eine bewegliche Gangway als Landverbindung fehlt, und die Endlosleine, die stets etwas im Wasser hängt, ist leider vollständig mit dem fiesen Öl bedeckt. Das in Kauf nehmen zu müssen ist anscheinend der Preis für einen ansonsten kostenlosen Ankerplatz. Wobei – der Cruising Permit für die Gewässer Panamas war der mit Abstand teuerste Cruising Permit, den wir bislang auf der Reise erstanden haben. Wir fragen uns, wohin das ganze Geld nur geht. Als der Ölteppich am nächsten Morgen schließlich noch vom Inhalt ganzer Mülltüten garniert wird, wollen wir nur noch eins: So schnell wie möglich weg aus Panama City.

 

Wir beschließen Iris und Michael nach Taboga zu folgen. Die Insel in nur sieben Seemeilen Entfernung ist schnell erreicht und sie soll hübsch sein. Wir finden Michaels Kat in der nördlichen Ankerbucht und legten uns bei 6,50 Meter Wassertiefe daneben. Uns ist zwar klar, dass es im Pazifik starken Tidenhub gibt, aber dass es hier über fünf Meter sind, überrascht uns doch ein wenig. Als wir Anker werfen sieht man gerade noch eine Sandbank im Wasser, die Taboga mit einem kleinen vorgelagerten Inselchen verbindet. Im Laufe der nächsten sechs Stunden wird aus der von Wasser überspülten Sandbank ein recht großer Strand, und Pagena liegt wirklich knapp davor. Als das Wasser fällt verschwinden die meisten anderen Boote aus der Bucht, wir hingegen ziehen einfach das Schwert hoch. Dafür lieben wir unsere Ovni!

 

Auch in Taboga haben wir noch viel zu erledigen, vor allem damit, das in Shelter Bay gekaufte Gemüse und das in Panama City gekaufte Fleisch haltbar zu machen. Für einiges ist es schon zu spät, denn durch die länger als angekündigt dauernde Kanalpassage und die drei Tage Rennerei nach Ersatzteilen sind wir jetzt eine halbe Woche später dran als ursprünglich geplant. Auch finden wir erst jetzt Zeit, uns mit unserem nächsten Reiseziel, den Galapagos Inseln, näher zu beschäftigen.

 

Dass Galapagos nochmal ein teurer Stopp wird, wissen wir. Aber erst jetzt, als wir uns intensiv einlesen, wird uns klar, wie teuer! Wir überlegen ernsthaft, ob wir Galapagos fallen lassen und direkt auf die Marquesas weiterfahren. Das wären von Panama aus viertausend Seemeilen, also vermutlich fünf bis sechs Wochen am Stück auf dem Wasser. Auch nicht gerade verlockend. Wir überlegen hin und her, diskutieren alle Möglichkeiten, den Aufenthalt so günstig wie möglich zu machen und entscheiden schließlich, in den sauren Apfel zu beißen und uns den Besuch der einmaligen Galapagos-Inseln trotz allem zu gönnen. Als die Entscheidung gefallen ist, hält uns nichts mehr. Bei Hochwasser ziehen wir am nächsten Mittag den Anker und fahren los Richtung Äquator...

 

Zur Bildergalerie