22. Mai - 20. Juni 2013, Tuamotus

Der Tuamotu-Archipel ist die Inselgruppe mit der weltweit größten Ausdehnung. Die 77 flachen Atolle erstrecken sich über 15 Längen- und 10 Breitengrade von Mataiva im Norden bis Temoe im äußersten Südosten über mehr als 2000 Kilometer und verteilen sich über mehr als 2 Millionen km², eine Fläche größer als Westeuropa. Die Landfläche aller Inseln zusammen beträgt dagegen nur etwa die Größe des Stadtgebietes von Berlin. Alle Tuamotu-Inseln sind Korallen-Atolle.

 

Ein Atoll besteht aus einem ringförmigen Korallenriff und einer Lagune im Inneren des Riffs. Wo heute Lagune ist, war in grauer Vorzeit einmal eine Vulkaninsel, um die herum ein Korallenriff wuchs. Im Lauf der Jahrtausende versanken die Vulkaninseln wieder im Meer. Geblieben sind die Korallen, die im selben Tempo, in dem die Insel im Meer versank, an den Vulkanhängen empor wuchsen. Wo sich kein Motu – eine kleine Insel – auf dem Korallenstock gebildet hat, wird das Riff häufig von Wellen von außen her überspült. Das Riff, eine unpassierbare Unterwasserschranke, ist daher vom Schiff aus oft erst zu sehen, wenn das Boot ihm schon gefährlich nahe gekommen ist. Bei wenig Wind kann man die Wellen hören, wenn sie sich auf dem Riff brechen, aber wenn der Wind in den Segeln heult, geht das Rauschen meist unter. Deshalb liefen früher, als noch mit Sextanten navigiert wurde und die Seeleute nicht immer genau bestimmen konnten, wo sich ihr Schiff befand, viele Schiffe in den Tuamotus auf Riffe und sanken. Die Tuamotus galten daher lange Zeit als gefährliches Segelrevier. Heute ist die Navigation zwischen den Atollen dank GPS und elektronischen Seekarten recht einfach geworden. Radar ist ebenfalls eine große Hilfe, denn zumindest die hohen Palmen auf den Motus erzeugen ein gutes Radarsignal. Dennoch gibt es beim Navigieren nach wie vor Gefahrenquellen, die wohl bedacht werden wollen.

 

Manche Atolle sind rundum geschlossen, andere haben Pässe, durch die man in die Lagune hineinfahren kann. Der Pazifik ist ein Tidengewässer und in vielen Pässen entsteht zwischen Hoch- und Tiefwasser kräftige Strömung, da der Pass wie eine Düse für die ein- und ausfließende Wassermasse wirkt. Um in die Lagune rein oder wieder raus zu kommen, muss man den richtigen Zeitpunkt für die Passage des Passes finden. Löst man die Knobelaufgabe, wann Stillwasser herrscht, richtig, muss man weder gegen auslaufende Strömung ankämpfen noch läuft man bei starker mitlaufender Strömung Gefahr, die Kontrolle übers Ruder zu verlieren. Außerdem gibt es bei Stillwasser keine Kreuzseen, die sich bilden, wenn schnell durch den Pass strömendes Wasser auf Schwell und Windseen aus anderen Richtungen trifft. In ungünstigen Fällen können Yachten durch solche Seen kentern. Ist man erfolgreich durch den Pass in die Lagune gelangt, muss man Korallenblöcken ausweichen und seinen Ankerplatz geschickt wählen.

 

Die Belohnung für die nicht unerhebliche Mühe ist superklares, türkisgrün schimmerndes Wasser, in dem man herrlich baden und umgeben von Heerscharen bunter Rifffische stundenlang über Hartkorallen Schnorcheln kann. Auch zum Kiten und Windsurfen sind die Lagunen bestens geeignet. Wem es gelingt, alleine vor einem kleinen Motu zu ankern, verspürt eine anderswo kaum zu findende Freiheit. Im milden Klima der Tuamotus träumen fast alle Segler davon, mal ein paar Tage im Adams- und Eva-Kostüm zu verbringen, selbst geschlagene Kokosnüsse zu trinken und, kurz bevor die Sonne rot leuchtend im Meer versinkt, den Abend mit einem romantischen Lagerfeuer am Strand ausklingen zu lassen. Der Nachthimmel über den Tuamotus ist spektakulär! Die Milchstraße spannt sich klar sichtbar wie ein Regenbogen über das gesamte Firmament, umgeben von unzählbar vielen Sternen, die in unterschiedlichen Lichtschattierungen leuchten.

 

Die dunkle Seite der Tuamotus begann im Jahr 1966 mit der Gründung des "Centre d'Expérimentation du Pacifique" auf dem Atoll Muroroa im Südosten der Tuamotus. Dreißig Jahre lang, bis zu seinem Ende im Jahr 1996, rief das nukleare Atombomben-Testprogramm der Franzosen lokale und internationale Proteststürme hervor. Bis 1974 wurden 41 atmosphärische Atombomben gezündet, darunter 5 große Wasserstoff-Bomben. Schon 1963 hatten die USA, Großbritannien und Russland sich verpflichtet, keine atmosphärischen Atomtests mehr durchzuführen, Frankreich mochte den Vertrag nicht unterzeichnen. In der Folge kam es zu erheblichen Störungen der politischen Beziehungen Frankreichs zu Neuseeland und einiger anderer Staaten sowie zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Greenpeace und dem französischem Militär. Das Wrack der Rainbow Warrior ist heute eine Attraktion für Taucher vor der Küste Neuseelands.

 

Am 10. September 1966 reiste Präsident de Gaulle nach Muroroa, um einem atmosphärischen Atombombentest beizuwohnen. Aufgrund schlechter Wetterbedingungen wurde der Test um einen Tag verschoben und auch am folgenden Tag waren die Bedingungen schlecht, da der Wind in Richtung bewohnter Inseln im Westen blies. De Gaulle beschwerte sich, dass er ein vielbeschäftigter Mann sei, der nicht ewig warten könne. Der Test wurde durchgeführt und radioaktiver Fallout verteilte sich über den Cook Inseln, Niue, Tonga, Samoa, Fiji und Tuvalu. Tahiti selbst war die am stärksten betroffene Insel, aber die französischen Behörden haben dies niemals zugegeben.

 

Als 1974 auf unterirdische Atomtests umgestellt wurde, entstand ein neues Dilemma. Muroroa war aufgrund seiner abgelegenen Lage für die Atomtests ausgesucht worden. Der schmale Basaltsockel eines Atolls, bedeckt von einem Deckel aus porösem Korallengestein ist offensichtlich schlecht für unterirdische Atomtests geeignet. Doch das französische Militär hatte erhebliche Summen in Muroroa investiert, daher wurden auch die folgenden Tests auf dem Atoll durchgeführt. Zunächst wurden Schächte in das 60 km lange Korallenriff gebohrt, bis dieses wie ein Schweizer Käse durchlöchert war. 1981 wurden die Tests dann in die Lagune verlegt, um näher an den Basaltkern der Insel heranzukommen. Insgesamt wurden 108 unterirdische Bomben auf Muroroa gezündet, danach ging es auf dem Nachbar-Atoll Fangataufa weiter. Insgesamt zündete Frankreich in den Tuamotus 181 Atombomben. Der letzte Test wurde am 27. Januar 1996 durchgeführt.

 

Neuseeländische Wissenschaftlern zufolge ist es möglich, dass sich in Muroroa radioaktives Grundwasser mit einer Halbwertszeit von mehreren tausend Jahren ca. 100 Meter pro Jahr durch Risse herausarbeitet, welche die Sprengungen dem Atoll zugefügt haben. In ca. 25 Jahren wäre dann mit einer Katastrophe unübersehbaren Ausmaßes zu rechnen. Frankreich zufolge führte das Atomforschungszentrum sozialen und wirtschaftlichen Wandel für die Region herbei und gab Tahiti und den Nachbarinseln Anschluss ans Zeitalter der Modernität und der Konsumgesellschaft. Die Nachwirkungen der Atomtests sind bis heute in Natur und Gesellschaft zu spüren und haben Französisch Polynesien aus unserer Sicht nicht viel Wünschenswertes gebracht. Fotogenes Paradies und unsichtbare Hölle liegen in den Tuamotus Tür an Tür.

(Weiterführende Informationen zu diesem Thema bietet z.B. die Webseite www.obsarm.org)

 

Die Auswahl, welche der vielen Atolle wir ansteuern wollen und in welcher Reihenfolge, hat uns tagelang, wenn nicht sogar über eine Woche beschäftigt. Wo gibt es gute Ankerplätze, wo gibt es Dinge zu sehen, die uns interessieren, welche Pässe sind gut zu befahren, für welche Atolle haben wir sowohl gute Beschreibungen im Revierführer als auch Seekarten? Die Atolle, wo Berichten zufolge besonders viele Yachten hinfahren, wollen wir tendenziell auf die unteren Ränge unserer Präferenzliste verbannen. Wir wünschen uns auf den Tuamotus Abgeschiedenheit vom Segelrummel. Das alles herauszufinden und einen brauchbaren Plan daraus zu machen braucht Zeit, zumal es uns anfangs noch schwer fällt, uns die Namen und die Lage der vielen Atolle einzuprägen. Immer und immer wieder holen wir Übersichtskarten heraus, suchen minutenlang mit dem Finger darauf herum und kritzeln schließlich alles Wissenswerte in die Übersichten hinein. Am Ende haben wir vier bis fünf Atolle identifiziert, die es auf unsere Shortlist geschafft haben und wir wissen, in welcher Reihenfolge wir sie am Besten ansteuern.

Tahanea – ein Atoll erteilt uns viele Lektionen

Wir beginnen mit Tahanea, einem unbewohnten Atoll, das aufgrund seines Fischreichtums und seiner - zumindest im Otoa Pass - einmaligen Korallenlandschaft, als besonders schönes Atoll gilt. Der Teavatapu Pass nach Tahanea hinein ist breit und tief, so dass er bei halbwegs guten Wetterbedingungen einfach zu befahren ist. Uns bringt Tahanea in kurzer Zeit alles Wichtige bei, was man über Navigation in Atollen wissen sollte.

 

Die Ankunftszeit am Morgen nach fünf Tagen Überfahrt von Ua Pou aus passt prima, wir laufen beim morgendlichen Tiefwasser zu Stillwasserzeit problemlos in die Lagune ein. Prima, demnach nutzen wir also verlässliche Quellen für unsere Tideninformationen, denken wir uns zufrieden. Seekarte und Revierführer sind drei Ankerplätze in Tahanea zu entnehmen. Als wir den östlichsten der drei besichtigen, den vor dem verlassenen Dorf Otoa, gefällt er uns gar nicht. Er liegt voll im Wind und die Wellen haben meilenweit Gelegenheit sich aufzubauen. Der mittlere ist auch nicht prickelnd, hat aber wenigstens etwas ruhigeres Wasser. Als Tagesankerplatz wird er taugen, nachts hier Schlafen ist undenkbar. Aber es ist ja noch früh am Tag und wir wollen unbedingt im Otoa Pass schnorcheln, der gleich nebenan liegt, bevor wir an den westlichsten Ankerplatz umziehen. Beim Einlaufen in die Lagune haben wir dort schon ein paar Masten gesichtet. Als wir das Dingi in die Nähe der Korallen am Rande des kleinen, nicht schiffbaren Otoa Passes lenken und zum ersten Mal den Anker unseres Dingis auf einen kleinen Sandflecken werfen, gehen wir davon aus, dass noch mehrere Stunden lang einlaufendes Wasser herrscht.

Kaum stecken unsere Nasen unter Wasser trauen wir unseren Augen kaum. Vor uns ergießt sich ein riesiger geschlossener Korallenteppich durch den gesamten Pass. So etwas haben wir noch nie gesehen, es ist wunderschön. Fasziniert erforschen wir die Unterwasserlandschaft und ihre vielen bunten Bewohner. Ohne darüber nachzudenken, queren wir den linken Arm des durch eine Insel zweigeteilten Passes und untersuchen eine ehemalige Fischfalle. Dann merken wir, dass die Strömung, anders als vermutet, schon wieder auswärts setzt und beschließen, uns auf den Rückweg zum Dingi zu machen. Der Graben, den wir vor etwa einer halben Stunde noch bequem durchqueren konnten, ist innerhalb kurzer Zeit zu einem Hindernis geworden. Joachim kommt ganz gut voran, doch meine Kräfte bringen mich pro Flossenschlag nur wenige Zentimeter in die gewünschte Richtung, egal wie sehr ich mich anstrenge. Quasi minütlich nimmt die Strömung zu und meine Kraft ab, leichte Panik macht sich in mir breit. Ich rufe mir in Erinnerung, dass man, um aus Strömung heraus zu kommen, stets quer zur Wasserrichtung schwimmen muss. Genau das versuche ich, aber mit nur geringem Erfolg. Bis zum Dingi werde ich es so nicht schaffen, ich brauche eine andere Lösung. Das Erreichen der von wenig Wasser bedeckten Korallen auf der anderen Seite des Passes wird mein Ziel, das ist machbar. Dort angekommen klammere ich mich mit beiden Händen an die erstbeste Koralle, die ich gut greifen kann. Vermutlich bin ich etwas blass um die Nase und gleiche einem Leintuch im Wind, wie ich da längsgestreckt in der Strömung hänge. Joachim hat die Situation richtig erkannt und schwimmt alleine so schnell er kann zum Dingi, und holt mich damit schließlich ab. Als er mir ins Gummiboot hinein hilft fällt uns beiden ein Stein vom Herzen. Tuamotu Lektion Nr. 1: Hochwasser im Atoll ist nicht erst sechs Stunden nach Niedrigwasser sondern mancherorts erheblich früher.

 

Die nächste Lektion bekommen wir kurz darauf, als wir Pagena an den Ankerplatz westlich des Hauptpasses verlegen. Gemächlich tuckern wir am Rande des Motus entlang auf den etwa 600 Meter breiten Pass zu. Der Kurs ist so gesetzt, dass wir ihn schön an seinem inneren Ende in der Lagune queren, eine Untiefe steuerbords passieren und dann in den hinter einer kleinen Huk liegenden Ankerplatz einbiegen. An Deck sieht alles prima aus. Doch ein Blick auf die elektronische Seekarte, auf der Pagenas Weg als rote Linie mitgeplottet wird, macht sichtbar, dass wir die Strömung, die jetzt auch im Hauptpass kräftigt setzt, unterschätzen. Auch wenn der Bug genau dahin zeigt, wohin wir fahren wollen, trägt die Strömung uns Meter für Meter aus der Lagune heraus in den Pass hinein. Wir müssen letztlich ganze 40 Grad vorhalten und Vollgas geben, um gerade so um die Untiefe vor dem Ankerplatz herum zu kommen. Lektion Nr. 2: Strom im Pass zu queren bedarf ebenso viel Bedacht wie das Ein- oder Auslaufen. Als der Anker auf ca. fünf Meter Wassertiefe in glasklares türkisblaues Wasser fällt, sind wir verdammt froh alle Abenteuer des heutigen Tages heil überstanden zu haben.

 

Lektion Nr. 3 erteilen uns die Segelnachbarn, denen wir am folgenden Tag von unseren ungewollten Abenteuern berichten: Am sichersten ist man, wenn man das Dingi am Körper festbindet und es beim Schnorcheln somit immer in unmittelbarer Nähe hat. Wenn wir das getan hätten, hätten wir im Otoa Pass jederzeit wieder ins Dingi klettern können und Lektion 1 wäre uns erspart geblieben.

Lektion Nr. 4 lernen wir, als wir Pagena nach zwei Nächten am Ankerplatz neben dem Teavatapu Pass ans Südostende des Atolls verlegen. Es ist Starkwind aus SSE vorhergesagt, der unseren aktuellen Liegeplatz auf Legerwall bringen kann, daher suchen wir nach einer besseren Alternative. Wir finden sie am Südost-Ende des Atolls, wo ein ziemlich großes, dicht mit Palmen bewachsenes Motu guten Schutz bieten wird. Tahanea ist auf unserer Seekarte nicht kartographiert, aber wir wissen von mehreren Seglern, dass man die Lagune grundsätzlich durchqueren kann. Also ist jetzt zum ersten Mal Augapfel-Navigation gefragt. Ich begebe mich auf Position am Bug und halte konzentriert Ausschau nach hellen Flecken im ansonsten dunklen Wasser im Inneren der Lagune. Schnell zeigt Pagenas Echolot 30 Meter Wassertiefe an. Wir können uns nicht vorstellen, dass hier im Inneren der Lagune aus so großer Tiefe noch Korallen emporwachsen, aber das ist eine irrige Annahme. Bei sonnigem Wetter und kaum bewölktem Himmel habe ich gute Sicht und erkenne problemlos auf ca. 1 Meile Abstand Veränderungen der Wasserfarbe. Wann immer ich einen Korallenkopf sichte, mache ich Joachim darauf aufmerksam, auch wenn die meisten weit genug weg von unserer Kurslinie liegen. Er zeichnet alle erkannten Korallenköpfe in die elektronische Seekarte ein, wer weiß, ob wir beim Rückweg auch gute Sicht haben werden. Am Ziel angekommen sind mehr als 15 Korallenköpfe kartographiert, und das ist sicher nur ein Bruchteil aller im Atoll befindlichen Korallen. Lektion Nr. 4: - Korallenköpfe wachsen potentiell überall und man muss in jeder Lagune entsprechend vorsichtig navigieren.

 

Hinter dem Motu finden wir in vier Meter Wassertiefe einen erstklassigen Ankerplatz auf Sand in glasklarem türkisfarbenem Wasser. Schön hier, und wir sind mutterseelenallein. Endlich, das hatten wir seit Ewigkeiten nicht mehr. Rechts vom Motu ist eine interessante Wasserlandschaft. Sie sieht aus wie eine kleine Lagune in der Lagune, die sich zwischen Außenriff, zwei Motus und einer Sandbank gebildet hat. Die werden wir gleich mal mit dem Dingi erkunden. Da es hier keinen Pass gibt, strömt das über das Außenriff schwappende Wasser ausschließlich ins Atoll hinein. Wir beschließen (nach kurzem Spaziergang an Land des Motus) uns schnorchelnd wieder ins Atoll hineintragen zu lassen. Kurz darauf sichten wir Haie!

 

Es ist ganz schön aufregend, als die ersten Raubfische wie aus dem Nichts auftauchen und uns vorsichtig mit großem Abstand beäugen. Es sind Schwarzspitzen-Riffhaie, die als harmlos gelten. Die Tiere sind knapp 2 Meter lang und der oberste Teil der Rückenflosse ist schwarz statt grau, daher der Name. Erhaben schwimmen sie an der unförmigen Silhouette vorbei, die Joachim und ich am Dingi hängend abgeben. Würde von uns eine Gefahr für sie ausgehen? Sehr vorsichtig kommen uns zwei Haie im Verlauf von Minuten immer ein kleines Stück näher. Sobald einer von uns einen kräftigen Flossenschlag tut, entfernen sie sich schleunigst. Wow, wir schnorcheln tatsächlich mit Haien!

Das Erlebnis wiederholte sich am Folgetag, als wir über einer sehr flach gelegenen Korallenlandschaft direkt vor dem Strand des Motus schnorcheln. Hier gibt es keine Strömung, daher liegt das Dingi wieder einige Meter entfernt von uns vor Anker und wir schnorcheln ohne Anhang. Heute inspizieren uns gleich fünf Haie, und diesmal schwimmen sie im Kreise um uns herum. Sie zeigen keinerlei Anzeichen von Nervosität oder Angriffslust (dann würden sie schlängeln), sie schauen einfach nach, was für Lebewesen in ihr Revier eingetaucht sind. Dennoch ist uns etwas mulmig zumute, denn in einschlägigen Ratgebern heißt es, dass man einem Hai in der Nähe stets in die Augen blicken soll. Bei fünfen, die Kreise um einen herum schwimmen geht das aber nicht, mindestens einer oder zwei sind stets hinter dem Rücken. Einerseits sind wir dankbar für das unvergleichliche Erlebnis, Haie so nah und in ihrer natürlichen Umgebung zu sehen und schießen fasziniert Foto um Foto von den eleganten, schnellen Schwimmern. Andererseits sind wir aber auch nicht unfroh, als die Haie abziehen, nachdem sie uns als unbedenklich und uninteressant eingestuft haben. Abends lassen wir den unvergesslichen Tag mit einem kleinen Lagerfeuer am Strand ausklingen. Wir schlagen zwar keine Kokosnuss und wir haben auch nichts an Bord, was sich grillen ließe – angeln in den Tuamotus trauen wir uns nicht, denn viele Fische haben Ciguatera, eine Algenvergiftung, die beim Menschen schwere Nervenstörungen auslösen kann – aber schön ist so ein Feuerchen trotzdem. Der heutige Tag war ein Bilderbuchtag in den Tuamotus!

 

Als wir vom heutigen Schnorchelgang zurückkehren lernen wir Lektion Nr. 5, und die heißt "The spot Syndrome". Gemeint ist damit das Phänomen, dass ein an einer beliebigen Stelle ankerndes Boot unweigerlich andere Schiffe anzieht. Nur 24 Stunden hatten wir das schöne Motu für uns allein, dann bekommen wir schon wieder Nachbarn. Der erste Nachbar ankert zwar hinter demselben Motu wie wir, aber am anderen Ende in gehöriger Entfernung. Ich finde das noch akzeptabel, doch Joachim betrachtet es als Zumutung. "Warum müssen die ausgerechnet hier ankern? Gleich nebenan gibt es doch noch ein Motu, und dahinten noch eins, und da drüben noch eine ganze Reihe." Aber es ist schon absehbar, warum auch die Crew des Katamarans sich dieses Motu ausgesucht hat. Es liegt einfach am günstigsten für den vorhergesagten Wind. Als dann aber zwei weitere Segelschiffe einlaufen und sich zwischen Pagena und den Katamaran legen, ist es für uns beide vorbei mit der Idylle. Wir sind offensichtlich zum falschen Zeitpunkt hier, die ganze letzte Woche hatte eine andere Yacht diesen Ankerplatz für sich alleine. Anstatt uns aber über die anderen Segler zu ärgern, beschließen wir uns darüber zu freuen, dass wir dieses herrliche Plätzchen wenigstens einen Tag lang für uns alleine hatten. Warum sollten nur wir das erleben dürfen, die anderen Segler haben dasselbe Recht auf das Motu wie wir. Selber wollen wir auch nicht mehr an eines der anderen Motus verlegen, wir hatten unseren Spaß ja schon.

 

Am nächsten Morgen gehen wir also zufrieden ankerauf und fahren nochmal zum Otoa Pass. Mittlerweile fühlen wir uns sicher mit unserem Dingi im Schlepptau, so dass wir den Pass nochmal in Ruhe beschnorcheln wollen. Wieder sind wir entzückt von der einmaligen Unterwasserlandschaft, die wir hier vorfinden und ruck-zuck ist mehr als eine Stunde im Wasser vergangen. Als es uns kühl wird und wir an den Wellen merken, dass wieder kräftige Strömung setzt hüpfen wir ins Dingi zurück – genaugenommen robbe ich mich eher bäuchlings hinein als dass man es als "hüpfen" bezeichnen könnte. Diesmal haben wir alles richtig gemacht!

 

Lektion Nr. 6 gibt uns Tahanea, als wir am nächsten Tag ein letztes Mal zum Otoa Pass zurückkehren. Heute wollen wir versuchen Videos zu drehen, damit wir anderen die Einmaligkeit dieser Landschaft besser zeigen können. Wir ankern an fast demselben Ort wie die beiden Male zuvor, die Wassertiefe beträgt 15 Meter. Als wir nach dem Schnorcheln wieder an Bord sind und ankerauf gehen wollen, bläst der Wind mal wieder kräftig und ca. 1 Meter hohe Wellen lassen Pagenas Rumpf im Wasser tanzen. In dem Moment, als die Ankerkette senkrecht steht und der Haken eigentlich ausbrechen sollte, ruckt Pagena allerdings furchtbar in die straffe Kette ein, als ihr Bug von einer Welle angehoben wird. Die massive Aluplatte, auf der die Ankerwinsch befestigt ist, biegt sich ein wenig nach oben. Um Himmels willen, das ist nicht gut, warum kommt der Anker bei so starkem Zug nach oben nicht endlich frei? "Verdammt, wir hängen an einem Korallenkopf fest", ruft Joachim nach hinten und lässt wieder Kette raus. "Und was nun?", fragen wir uns. Wir probieren den Anker frei zu fahren, indem Joachim mir von vorne Zeichen gibt, in welche Richtung ich den Bug manövrieren soll, doch ohne Erfolg. Shit, shit, shit, wir hängen fest. Es ist schon nach 16 Uhr, und noch vor 18 Uhr wird es stockdunkel sein. Nur zwei Meilen entfernt ankert ein Charterschiff, die haben Tauchflaschen an Bord, erinnern wir uns. Leider fällt uns der Name des Schiffes nicht mehr ein. Wir versuchen dennoch es auf Kanal 16 zu rufen, bekommen aber keine Antwort. Um 16h30 ist klar, dass wir unser Problem alleine lösen müssen, wenn wir nicht die Nacht hier verbringen wollen. Joachim springt nochmal ins Wasser und schnorchelt soweit es geht zum Anker runter. 15 Meter sind zu tief um unten noch genug Luft für körperlich anstrengendes Ziehen zu haben. Doch immerhin kann er erkennen, wie die Kette verhakt ist. Wir müssen einen Zickzackkurs fahren, um sie frei zu bekommen. Der folgende Versuch klappt endlich, um 16h45 notieren wir im Logbuch, dass wir den Ankerplatz nördlich von Tahaneas Otoa Pass verlassen. Ziemlich genau am selben Ort, wie schon vor einer Woche, fällt uns erneut ein Stein vom Herzen. Lektion Nr. 6a ist, dass Ankern auf 15 Meter Wassertiefe an Orten, wo es Korallenköpfe gibt, heikel werden kann. Nicht immer werden wir dieses Risiko vermeiden können, dennoch werden wir künftig stets nachsehen, ob es ein Stück weiter nicht doch einen besseren Spot zum Ankern gibt. Lektion 6b ist: Ach wie froh sind wir mal wieder ein stabiles Schiff aus Aluminium zu besitzen, eines aus GFK hätte beim Versuch den Anker auszubrechen vermutlich einen Schaden davongetragen, Pagena ist heil geblieben. Aber dass sie ein tolles Schiff für solche Reviere ist, wussten wir ja schon beim Kauf!

Kauehi – Eintauchen ins Leben auf einem Atoll

Das nächste Atoll, das wir anlaufen, heißt Kauehi, es ist ein bewohntes Atoll. Fische und Korallen haben wir vorerst genug gesehen, jetzt interessiert uns die Antwort auf die Frage, wovon und wie die Menschen auf diesen kargen Atollen eigentlich leben. In all unseren Revierführern ist der Ankerplatz vor Tearavero, dem Dorf Kauehis beschrieben, da wollen wir hin. Ein einziges Schiff ankert vor dem Dorf und so wie es aussieht auch nicht erst seit gestern. Wird schon so ein Kauz sein, der hier gestrandet ist, denken wir uns.

 

Beim ersten Spaziergang durchs Dorf wird uns verhaltenes Interesse entgegen gebracht. Ein paar ältere Männer lassen uns wissen, wo der Dorfladen ist und dass wir vor dem Schulhaus stehen. Wir berichten ihnen, dass wir Grapefruits von den Marquesas dabei haben, von denen wir welche abgeben können und dass wir gerne Fisch kaufen oder tauschen würden. Wir erhalten keine konkrete Antwort darauf, doch wir sind uns sicher, dass sich Kunde davon in Tearavero schnell verbreiten wird.

 

Der Dorfladen hat sensationelle Öffnungszeiten: Laut großem Schild an der Wand hat er von 6 bis 19 Uhr geöffnet, nur mittags ist er mal anderthalb Stunden lang geschlossen. Allerdings ergibt ein Rundgang durch die Regale, dass es kaum etwas zu kaufen gibt. Rotwein ist noch da, zu umgerechnet 13 Euro die Flasche, trockene Sao Kekse, eine Art Brotersatz, sowie ein paar kümmerliche Konserven. Baguette gibt es morgen wieder, wenn das Flugzeug entladen ist. Wir hätten Lust auf ein Eis, aber das ist auch ausverkauft und wird wohl nicht per Flieger angeliefert. Ich nehme mir einen Beutel Bananen-Saft mit Noni-Extrakt aus dem Kühlschrank mit großer Glastür. Die Noni-Frucht soll unglaublich gesund sein, aber leider nicht besonders gut schmecken. Leider hilft auch die Banane dem Drink nicht, es wird bei diesem einzigen Versuch bleiben.

 

Wir schlendern weiter die betonierte Dorfstraße hinauf Richtung Strand. Kauehi ist ein hübsches Dorf. Die meisten Gebäude sehen sehr ordentlich aus, die Gärten drum herum ebenfalls. Hinter einigen Fenstern entdecken wir Wohnzimmer-Möbel, die schwer an Gelsenkirchener Barock erinnern. Auf der Dorfstraße fahren die Kinder Fahrrad, die Jugendlichen Motorroller und die Erwachsenen tuckern mit abenteuerlich schrottigen Autos und leichten Lkws umher. Alle Leute grüßen freundlich. In einem Garten direkt am Strand entdecken wir ein großes Schwein, dass an einer langen Leine angebunden ist. Hunde, die ihm zu nahe kommen verjagt es behände und im Sand kann es sich eine Kuhle graben. Das Schwein hat unserer Meinung nach ein recht schönes Leben. Ob Schweinefleisch hier wohl Kokosaroma bekommt? Kokosnüsse dürften die Hauptnahrung des Tiers sein. Als die Straße am Ende des Motus einen Knick macht, verlassen wir sie und laufen am malerischen Strand weiter. Vor uns liegt äußerst fotogen eine Perlenfarm in leuchtend türkisblauem Wasser, von Land aus führt ein langer Holzsteg zu dem auf Pfählen stehenden Häuschen. Noch ein paar Meter weiter, dann haben wir eine noch bessere Perspektive darauf. Plötzlich tauchen bellende Hunde auf, quasi genau in dem Moment in dem wir merken, dass wir uns hier vermutlich auf Privatgrund bewegen. Wir bleiben stehen und sehen uns vorsichtig um. Da hinten steht ein Haus und es scheint jemand da zu sein. Vorsichtig gehen wir weiter, abwartend, was die Hunde machen. Von der Terrasse ertönt ein Ruf, der den Hunden sagt, dass sie Ruhe geben sollen.

 

"Entschuldige bitte, dass wir einfach so über das Grundstück laufen" rufen wir einem jungen Kerl zu. Er kommt zu uns stellt sich als Narii vor. "Kein Problem, wo wollt Ihr denn hin." - "Och, wir gehen einfach so spazieren, schauen uns das Motu an." – "Viel zu sehen gibt es hier nicht. Dahinten ist der Flughafen, aber bis dahin ist es weit und zwischendurch gibt es nichts außer Kokospalmen." – "O.k. Danke. Wir fanden das Gebäude da vorne spannend, das da im Wasser." – "Ach das, das ist die Perlenfarm meiner Schwester. Aber die ist zurzeit in Tahiti, ich hüte ihr Haus. Soll ich Euch zur Nachbarin rüber bringen, die wohnt ganz in der Nähe am Strand? Sie hat auch Hunde, ich glaube es ist besser, wenn ich Euch dahin bringe." – "Prima Angebot, Danke!" Narii läuft voran, wir folgen ihm, die vier Hunde auf den Fersen. Ein kleiner Wasserlauf bildet die Grundstücksgrenze. Narii scheucht die Hunde zurück, denn hinter dem Graben ist das Revier der Hunde der Nachbarin. Grinsend erzählt er, dass auch er Angst vor ihnen hat. Na prima, dann sind wir ja zu dritt. Aber er ruft schon von weitem die Nachbarin beim Namen und kündigt unser Kommen an. Taputas Hunde nehmen uns erst zur Kenntnis, als wir schon bei ihrer Hütte angekommen sind.

Taputa, steht mit mehligen Händen vor einem großen ölgefüllten Topf, in dem sie eine Art Brötchen ausbäckt. "Ich mache tahitianisches Brot, wollt Ihr probieren?", werden wir sofort gefragt. Etwas schüchtern lehnen wir erst mal ab, wir können doch nicht einfach so reinplatzen und ihr etwas wegessen, es ist offensichtlich, dass die Frau ziemlich arm ist. Aber die Antwort wird nicht akzeptiert, wir bekommen jeder ein noch warmes Brötchen auf einem glänzenden Pflanzenblatt in die Hand gedrückt. In Polynesien gilt es als äußerst unhöflich, ein Geschenk abzulehnen, fällt uns wieder ein. Das Teil schmeckt lecker, leicht süßlich mit einem Hauch Kokosnuss, beide Noten angenehm dezent. Taputa freut sich offensichtlich über die Abwechslung, die der Besuch ihr bringt. Ruckzuck hat sie auch noch drei Trinkkokosnüsse für uns herbei geschafft und lässt sie Narii aufmachen. Ich liebe den Geschmack des Wassers, der das Fleisch in der Kokusnuss befeuchtet, Joachim findet ihn grauselig. Tapfer trinkt er trotzdem, denn er will nicht nochmal unhöflich erscheinen. Taputa erzählt, dass sie mit ihrem Mann, einem Professor, viele Jahre in Frankreich gelebt habe, dass sie Teile Europas kenne. Dass sie nach dem Tod ihres Mannes aber an ihren Heimatort, dieses Atoll auf den Tuamotus zurückgekehrt sei und das einfache Leben hier genieße. Das wichtigste hier seien Kokosnüsse, daraus könne man fast alles herstellen, was man brauche. Taputas Hütte ist sehr einfach, doch ihre lebendigen Augen verkünden, dass sie hier ein glückliches Leben führt. Wir fragen nach, ob wir ihr denn irgendwas als Gegengeschenk bringen können, ob sie Grapefruits möge. Auf den Tuamotus wächst fast nichts außer Kokosnüsse, Zitrusfrüchte von den Marquesas sind hier sehr begehrt, hat man uns zuvor erzählt. "Grapefruits? Aber ich habe doch meine Kokosnüsse."

 

Als Narii uns schließlich zur Straße bringt, über die wir ins Dorf zurück laufen können, erwähnt er am Rande, dass Taputa ganz gerne mal einen tränke und gefragt habe, ob wir Alkohol hätten. Es sei aber nicht nötig, dass wir ihr Alkohol gäben, er habe geantwortet, er wisse nicht, ob wir welchen hätten. "Was macht Ihr denn heute Abend, wollt Ihr zu mir zum Essen kommen?", fragt er plötzlich. Joachim und ich schauen uns an. "Ja, warum nicht? Gerne! Was sollen wir denn mitbringen?" - "Nichts, kommt einfach gegen 18 Uhr vorbei, dann ist es gerade noch nicht ganz dunkel."

 

Um kurz nach 17 Uhr machen wir uns auf den Weg. Wir wollen im Laden noch etwas Bier kaufen, falls Narii lieber ein Bier als Grapefruitsaft aus unserer Vorratskiste trinkt. Pampelmusen und Zitronen haben wir auch dabei. Auf der Dorfstraße, an der Kreuzung, wo es links zum Lädchen geht, werden wir von einer Frau gestoppt. "Der Laden hat zu, falls Ihr da hin wollt, die sind in der Kirche", lässt sie uns wissen. Ach ja richtig, es ist gerade Abendmesse. Warten, bis die rum ist wollen wir nicht, dann ist es schon dunkel und wir finden Nariis Haus nicht wieder. "Schau mal, das Haus hier sieht doch aus wie ein kleines Restaurant, wir fragen einfach hier nach Bier." Leider hat uns der große Tisch auf der weitläufigen Veranda und die riesige Kühltruhe getäuscht, es ist doch ein Privathaus, Bier gibt's hier keins zu kaufen. Also müssen es die Sachen als Gastgeschenke tun, die wir im Rucksack haben. Narii fängt uns auf der Dorfstraße mit einem rappeligen Pickup-Truck ab.

 

"Ich hab Euch schon am Hafen unten gesucht. Ich wollte Euch abholen, damit Ihr nicht laufen müsst." Die Beifahrertür ist mit einer Schnur am Rahmen festgebunden, die muss er erst mal umständlich losknoten, damit wir einsteigen können. Anschließend muss Joachim sie während der Fahrt festhalten, damit sie nicht vollends abfällt. "Ihr seid meine ersten ausländischen Gäste" verrät uns Narii stolz, als wir angekommen sind. Das Haus seiner Schwester ist großzügig. Auf einer großen überdachten Terrasse steht ein großer Esstisch, daneben befindet sich ein riesiger Küchenraum – halbleer und mit ziemlich verlotterter Einrichtung – dahinter das Wohnzimmer, in dem Narii sich gerade eine DVD ansieht. Was wir denn essen wollen, werden wir gefragt. "Was immer Du hast und kochen magst, wir essen alles" antworten wir. Narii will aber unbedingt wissen, was man bei uns isst, er geht davon aus, dass man Europäern nicht alles vorsetzen kann. Dass wir nichts haben wollen, was er speziell für uns aussucht, sondern ein ganz gewöhnliches polynesisches Essen von den Tuamotus kennenlernen wollen, ist ihm schwer beizubringen. Er zieht eine Menge Zeug aus der Kühltruhe und bietet es uns an. Seine Schwester schickt ihm seit Monaten Care-Pakete aus Tahiti und er ist froh, wenn von den vielen Packungen mal was gegessen wird. Schließlich haut er tiefgefrorenes Putenhackfleisch in die Pfanne, einen riesigen Topf voll Reis hat er schon gekocht. Und von Taputa hat er sich einen gegrillten Fisch geholt, der mit Blättern zugedeckt, in einer Schale lauwarm gehalten wird. Dazu kommen Sojasauce, Ketchup und Senf auf den Tisch. Außerdem taut er einen Leib richtiges Brot mit Walnüssen auf, das in Joachim Sehnsucht nach Tahiti weckt. Während Narii in der Küche werkelt, werden wir ins Wohnzimmer gesetzt und sollen uns dort weiter den (himmelschreiend schlechten) Film ansehen. Im Wohnzimmer stehen mehrere bequeme Sofas und Sessel, die Wände sind mit Muschelketten und Fotos der Familie dekoriert. Narii kommt immer mal wieder aus der Küche geflitzt und setzt sich zu uns, um sich mit uns zu unterhalten.

 

Sich schließlich zu dritt an den Esstisch zu setzen geht gerade so, es lassen sich genau drei Stühle auftreiben. Aus unbekanntem Grund gibt es einen eklatanten Glasmangel im Haushalt, es ist nur ein einziges Trinkglas und ein Kaffeebecher da. Die beiden Gefäße bekommen natürlich wir, Narii trinkt aber – wohl eher aus Versehen – auch immer mal wieder daraus. Unsere Limonen waren ihm hochwillkommen, er hat aus drei Früchten gleich einen großen Pot Limonade gemacht. Eine der drei Grapefruits essen wir zum Nachtisch, auf die ist er so versessen, dass er es kaum abwarten kann, ins saftig-bittersüße Fruchtfleisch zu beißen. Die Polynesier löffeln Grapefruits nicht wie wir, sondern zerteilen die Frucht in Viertel und reißen entweder mit den Fingern oder mit den Zähnen die Fruchtstücke aus der Schale.

 

Narii erzählt von seinem eigentlichen Leben in Tahiti, seiner verflossenen Liebe zu einer Japanerin und von der heutzutage eingestellten Perlenzucht seiner Schwester. Ihm zufolge produzieren die Perlaustern seit einigen Jahren keine guten schwarze Perlen mehr wie zuvor. Seine Schwester sei damit ziemlich reich geworden, habe die Perlenfarm aber mittlerweile aufgegeben. Diese Version, die uns sofort an Umweltgifte denken lässt, haben wir noch nirgends sonst gehört oder gelesen. Allgemein wird berichtet, dass auf den Tuamotus vor einiger Zeit ein solcher Perlenzucht-Boom eingesetzt hat, dass Qualität und Verkaufspreise gleichermaßen in den Keller gingen. Wir erzählen Narii, dass wir uns morgen die Perlenfarm des Bürgermeisters ansehen werden, der auch der Besitzer des Dorfladens ist. Er ist zufällig Nariis Onkel, erfahren wir anschließend, und seinem Neffen zufolge ein Gauner. Als uns die Bäuche fast platzen, obwohl das Essen mit keiner Raffinesse aufwarten konnte, drängt uns Narii noch Müsliriegel auf, die wir mitnehmen sollen. Wir hätten auch bei Schokoriegeln oder Joghurt ja sagen können – Nariis Gastfreundschaft ist einfach unglaublich. Wir werden die Tage nochmal vorbei kommen und ihm einen Sechserpack Gläser und noch mehr Früchte bringen, aber damit wollen wir ihn überraschen. Er fährt uns zum Anlegesteg zurück, wo das Dingi auf uns wartet. Nur ein Scheinwerfer des Pick-ups geht und Narii erzählt, dass er manchmal ganz ohne Licht durch Tearavero fährt. "Ach deshalb ist die Kiste so verbeult" scherzt Joachim, ungewiss, ob der Witz als solcher bei Narii ankommt. Als wir uns am Steg verabschieden, lungert dort der Mann, an dessen Haus wir auf dem Hinweg nach Bier gefragt hatten, herum. Vermutlich wollte er sehen, zu wem wir gegangen sind. Narii muss sich jetzt noch ein wenig mit ihm unterhalten, alles andere wäre unhöflich.

Warum die Perlenzucht auf Kauehi nicht mehr funktioniert, können wir nicht mit Sicherheit herausfinden. Dass es auf jede Frage eine Vielzahl von Antworten gibt, einige, die die Wahrheit enthalten und andere, die die Wahrheit verschleiern, scheint typisch für Französisch Polynesien zu sein. Nariis Onkel tischt uns anderntags jedenfalls ein paar dicke Lügen auf. Dass auch seine Perlenfarm stillgelegt ist, hatte er im Vorfeld des Besuchs mit keinem Wort erwähnt. Da er für die Tour Geld nimmt, kamen wir gar nicht auf die Idee, dass wir verlassene und fast gänzlich leer geräumte Gebäude sehen würden, die er "Im Paradies" nennt. Zwar erklärt er uns vor Ort bereitwillig, wie die schwarzen Perlen gezüchtet werden und ermuntert uns, Fragen zu stellen, aber ohne Anschauungsmaterial ist die Veranstaltung dennoch mau. Das einzige was wir zu sehen bekommen sind Plastikkugeln in verschiedenen Größen, die den Austern eingesetzt werden, damit sie sie mit Perlmutt überziehen. Je größer umso teurer, und nur in Austern in einem bestimmten Entwicklungsstadium können die ganz großen Kugeln eingesetzt werden. "Im Inneren der Zuchtperlen befindet sich also gar kein Sandkorn sondern eine Plastikkugel?" – "Ja, und man kann den Austern auch andere Formen einpflanzen. Halbperlen z.B., oder andere Figuren, die anschließend als Schmuckobjekte eingesetzt werden. Diese Info zerstört in uns in Nullkommanichts den Mythos von Perlen, der bis dato in unserer Vorstellung existierte.

 

Auf die Frage, warum hier zurzeit denn niemand arbeitet, erzählt uns Herr Tiaihau, dass er seine chinesischen Arbeiter in einen zweimonatigen Heimaturlaub geschickt habe. Die Perlenfarm will er während ihrer Abwesenheit renovieren, doch davon ist nichts zu sehen. Der Ort sieht so aus, als ob dort seit geraumer Zeit schon alles eingestellt worden wäre. Schade, dass er uns nicht die Wahrheit erzählen mag. Herr Tiaihau ist der einflussreichste Mann Kauehis. Ihm gehört außer der Perlenfarm der Dorfladen, der Baustoffhandel, der Kiosk am Flughafen und die Tankstelle des Dorfes ist er auch (Diesel kauft man bei ihm fass- oder kanisterweise). Außerdem wurde er zum Bürgermeister gewählt. Wenn ein solch mächtiger Mann uns lieber offensichtliche Lügen auftischt als wahre Auskünfte zu geben, was wird er wohl den Gemeindemitgliedern gegenüber tun?

 

Zu dieser Frage erhalten wir auch von Sabine, unserer Bootsnachbarin, einen interessanten Hinweis. Mittlerweile haben wir festgestellt, dass kein verschrobener Kauz das andere Segelschiff bewohnt, sondern eine äußerst nette dreiköpfige Familie aus Frankreich. Sabine ist die Grundschullehrerin, ihr Mann ist Tauchlehrer und sie haben einen Sohn, der in Teravero zur Schule geht. Die Familie lebt schon seit vier Jahren in den Tuamotus, sie haben also recht guten Einblick in die gesellschaftlichen Verhältnisse ohne selbst voll Teil dieser zu sein. Sabine jedenfalls erzählt, dass es die Umgangsformen hier verbieten, Kritik offen auszusprechen. Dadurch sei es unmöglich, Verbesserungen zu erreichen und als impulsive Französin müsse sie immer sehr an sich halten, um nicht in Ungnade zu fallen. Nachdem sie einmal eine Diskussion mit ihrem Schuldirektor gewagt habe, strafe dieser sie damit, dass er nicht mehr mit ihr spräche. Sie zählt daher schon die Tage bis ihr Vertrag beendet ist, obwohl sie die Gegend, viele Familien und vor allem die Kinder mag. Plötzlich erhellen sich einige unserer Beobachtungen. Keine Kritik zu üben heißt aber nicht, dass alle sich nur nette Dinge sagen. Über Unzulänglichkeiten wird schon gelästert, aber nur hinten rum, bei den anderen, den Unbetroffenen. Hmmh, wir werden nachdenklich: Eine Gesellschaft, die direkte Kritik unterbindet und – muss die nicht unterentwickelt bleiben?

 

Sabine beklagt auch, dass sich Eltern in den Tuamotus so wenig um ihre Kinder kümmern. Kinder sind einfach da, aber man gibt sich nicht sonderlich viel mit ihnen ab, wenn sie mal aus dem Gröbsten raus sind. Im ihrem Schiff hängen sehr viele von Kindern gemalte Bilder. Die wenigsten davon sind von ihrem eigenen Sohn, die meisten sind von den Schulkindern aus Tearavero, die sich gewünscht haben, dass Sabine diese Bilder bei sich zuhause aufhängt. Ein Mädchen hat ihr erzählt, dass ihr Vater, als sie ihm eines ihrer Bilder geschenkt habe, das Bild genommen und zerrissen habe. Selbst Vereine, wie der Naturschutzverein (er heißt anders, aber ich habe vergessen wie), sind nicht bereit, in die Schule zu kommen und den Kindern etwas über die Fauna und Flora der Inselwelt beizubringen. Niemand ist dafür zuständig und niemand nimmt Sabines Einladung an. Das Vereinsheim, schön mit vielen brandneuen Solarpanels versehen, steht stets verlassen und unbenutzt da. Wir staunen nicht schlecht, als wir das alles hören.

Ein Ereignis im Dorf, das Jung und Alt anzieht, erleben wir am folgenden Tag, einem Sonntag: Das Versorgungsschiff aus Tahiti kommt. Stundenlang werden Boxen aus dem Schiffsbauch auf eine Verladeplattform gehoben und damit an Land gebracht. Das ganze Dorf ist am Anleger versammelt, es gibt Sandwiches, Kuchen und gekühlte Trinkkokosnüsse zu kaufen. Wir mischen uns unter die Wartenden und sehen gespannt dem Treiben zu. Auch ich kann etwas Obst und Gemüse bestellen, es gibt Äpfel, Gurken, Kohl und Karotten, die mit der letzten Fuhre an Land gebracht werden. Nach und nach werden Möbel, Elektrogeräte, Getränke und Lebensmittel aller Art an die Besteller verteilt. Jetzt verstehen wir, warum es im Dorfladen kaum was zu kaufen gibt. "Es ist da zu teuer, wir bestellen alle lieber in Tahiti" erfahren wir von Laure und Marcel, einem jungen Ehepaar, mit dem wir vor zwei Tagen schon mal kurz geredet hatten. Jetzt setzen sie sich zu uns, das finden wir nett. Englisch sprechen sie kaum, aber das gewohnte Übersetzungsprozedere klappt auch mit ihnen gut. Marcel macht Kopra und geht fischen, viel mehr kann man hier nicht machen, sagen sie. Die beiden haben ein Kleinkind und ein Baby. Laure findet ihr Leben in Kauehi furchtbar langweilig. Schüchtern stellt sie einige Fragen, aber unsere Leben liegen Welten auseinander, da ist es schon schwierig, die richtigen Fragen zu finden. Laure möchte uns an einem der folgenden Tage zum Essen einladen und wie immer nehmen wir gerne an. Was können wir den beiden mitbringen, um etwas gegen die Langeweile zu tun? Der Blick fällt auf unsere kleine Spielesammlung: Mensch ärgere Dich nicht, Halma, Backgammon und so was – die nehmen wir mit. Der Abend wird ein Hit. Wir sind fünf Erwachsene, Laures Bruder ist auch noch da und hilft beim Babysitten. Nach dem Essen spielen wir Mensch-Ärgere-Dich-nicht und lachen uns kaputt: "Nein, das kann nicht sein, Du hast nicht schon wieder eine Sechs gewürfelt, oder? – Au, Mann, ich fliege schon wieder raus, das gibt's doch nicht!" Alle Barrieren, die es zwischen uns geben mag, sind durch das Spiel weggewischt, es ist toll, die Freude zu sehen, die jeder von uns an dem einfachen Spiel hat. Natürlich bleibt die Spielesammlung bei den Beiden und ich verspreche ihnen, ihnen französische Spielanleitungen für die anderen Spiele aus dem Internet zu ziehen und sie ihnen per Post zu schicken. Denn einen Computer haben die beiden nicht, dafür reicht das Geld noch nicht. Einen Laptop hätten sie aber schon sehr gerne, lässt uns Laure beiläufig wissen. Sie würde so gerne Facebook haben, erwähnt sie. "Was Facebook, wofür das denn?" will ich wissen. – "Einfach so, und um Probleme zu besprechen", antwortet Laure. – "Probleme auf Facebook besprechen?" wundere ich mich. – "Ja genau" insistiert Laure. Ein wenig später dämmert mir, was ihre Beweggründe sind: In Kauehi leben etwa 200 Leute, die fast alle zu einer der drei Familien der Insel gehören. Jeder weiß hier (fast) alles über jeden. Wenn jemandem mal was auf der Seele liegt, das er oder sie im Vertrauen mit jemandem besprechen möchte, wer könnte das sein? Groß ist die Auswahl an Vertrauenspersonen sicher nicht und je nachdem worum es geht, ist schon vorstellbar, dass niemand, der ebenfalls auf Kauehi lebt, als Geheimnisträger geeignet ist. Dass Laure sich Freunde außerhalb ihres Atolls wünscht, können wir uns verdammt gut vorstellen. Wir finden auch, dass Laure einen Laptop braucht, auch wenn wir leider keinen abzugeben haben.

 

Falls jemand von den Lesern einen hat – mit französischer Tastatur – sagt Bescheid, wir haben wie schon erwähnt die Postadresse – Laure würde Augen machen...! Laures kleine Schwester hatte Glück. Denn sie hatte Gary, Sabines Mann, gebeten, ihr einen Laptop aus Frankreich mitzubringen, wo die Dinger erheblich weniger kosten als in Tahiti. Zufälligerweise hatte Gary just zu dem Zeitpunkt gerade einen Laptop übrig, den er ihr geschenkt hat. Allerdings gibt es irgendwelche Softwareprobleme, mit denen sich Laures Schwester jetzt rumschlagen muss und die auf Kauehi kaum zu lösen sind. Ein tatsächlich nutzbares Geschenk zu machen ist leider nicht immer einfach. Die Spielesammlung jedenfalls ist zweifelsohne nutzbar und die französischen Spielanleitungen sind mittlerweile zugeschickt. Schade, dass Laure mir nicht antworten kann, wie auch...

 

"Möchtest Du nicht auch mal ein Jahr lang auf einer einsamen Insel leben?" - "Um Himmelswillen, bloß nicht, ich würde schon nach kürzester Zeit verrückt werden. Und hier will sogar ich Internet-Anschluss", antwortet Joachim auf die fiktive Frage. Für einen kurzen Besuch ist es hier toll, das türkisblaue Wasser, die Palmen, freundliche Menschen – alles was die Herzen vieler Urlauber höher schlagen lässt. Aber hat sich schon mal jemand überlegt, dass die Leute, die hier leben, tierische Langeweile haben könnten? Jemand wie ich fängt dann sofort an Pläne zu machen, was man hier zum Laufen bringen könnte. Warum gibt es keine Surf-, Kite- und Tauchschule, Malkurse, polynesische Massagen, Flechtkurse etc. pp. Es gibt einen Flughafen, also ist Problem Nr. 1 schon gelöst, Touristen könnte man hier her bringen. Hmmmh, aber dann müssten ein paar Leute schon sehr gut Englisch sprechen und das tut hier niemand. So finden wir denn eine Reihe von Dingen, die sich ändern müssten, damit die Langeweile aus Kauehi verschwände und die Leute was anderes als Kopra zu machen, als Berufsaussicht hätten. Aber wenn man nirgends sagen darf, dass manche Leute sich mitten im Paradies tierisch langweilen und gerne mehr Abwechslung hätten...

Apataki Carenage – Geht doch!

Von Kauehi aus segeln wir 70 Seemeilen weiter nach Norden, ins Atoll Apataki. Apataki hat im Gegensatz zu Tahanea und Kauehi nur wenige Motus, aus Süden kommend ist das Riff nur an wenigen Stellen zu erkennen. Einziges Anzeichen sind die sich auf dem Riff brechenden Wellen. Zum Glueck gibt es GPS und elektronische Seekarten für die Navigation, mit deren Hilfe sich der Haniuru-Pass einfach ansteuern lässt. In Apataki gibt es – man glaubt es kaum – auf einem kleinen abgelegenen Motu eine Mini-Schiffswerft! Da wollen wir hin, Pagenas Unterwasserschiff muss dringend mal von Grund auf gereinigt und mit neuem Antifouling versehen werden.

 

"Maintenance in Paradise" ist ein unter Fahrtenseglern geflügeltes Wort dafür, dass man häufig sein Boot an den schönsten Stellen der Welt Instand hält oder repariert. Die Aussicht, die ungeliebte Arbeit wenigstens an einem schönen Ort zu verrichten zu können, lockt uns. Wenn schon, denn schon! Per email haben wir vorab unser Kommen für irgendwann im Juni angekündigt und jetzt sind wir da. Sabine und Gary haben ihr Schiff hier ebenfalls schon aus dem Wasser nehmen lassen, genauso wie viele andere Segler vor uns, von denen einige geradezu begeisterte Berichte ins Internet gestellt haben. Als wir die Lagune durchqueren um zum Motu der Carenage zu kommen, überholt uns Alfred, der Besitzer, mit seinem Motorboot. Er war im Hauptort vorne neben dem Pass Erledigungen machen. Einige Stunden später sitzen wir im Schatten zusammen und besprechen unsere Wünsche. Abends grillen wir gemeinsam mit Alfred und einem finnischen Ehepaar, Eeva und Tapio, die das Boot seit Bestehen der Carenage jedes Jahr für ein paar Wochen hier parkt. Wir bringen Fisch mit, denn Marcel und Laure hatten uns mehr Fisch geschenkt, als wir alleine essen konnten. Der leckere Einhornfisch hätte auch gar nicht auf unseren Grill an Bord gepasst. Eeva steuert vorzügliches selbstgebackenes Brot und einmalige selbstgemachte Fischpasteten bei, Alfred kocht einen Riesentopf Lammfleisch und frittiert Pommes. Es wird ein ungeplantes Festessen.

 

Als wir uns nach der Entstehung der Carenage erkundigen, erzählt Alfred Folgendes: Er habe das große Glück, dass seine Mutter ein Einzelkind sei und er nur eine Schwester habe. Diesem Umstand habe er es zu verdanken, dass das ganze Land, welches die Familie besaß, an seine Mutter vererbt wurde und dass er nun der alleinige Besitzer dieses Motus sei. Nur deshalb sei er in der Lage, in den Aufbau der Carenage auf Tamaro zu investieren. Das sei eine große Ausnahme in polynesischen Besitzverhältnissen. Die meisten Motus gehörten vielen Familienmitgliedern gemeinsam und sobald ein einzelner anfange, etwas aus dem Motu zu machen, würden zahlreiche Hände aufgehalten, die beteiligt werden wollten. Daher würde niemand je ein neues Geschäft eröffnen, Investitionen tätigen und Risiken in Kauf nehmen. Er dagegen könne sicher sein, dass er alles, was er unternehme, zum Wohl seiner eigenen Familie tue. Mit seinem Sohn Tony und seiner Frau Pauline zusammen baut er den Laden auf und Tony hat damit eine interessante Arbeit und guten Verdienst. Interessant, oder? Und was sicher auch noch eine wichtige Rolle spielt: Alfreds Frau Pauline ist in Neuseeland zur Schule gegangen und spricht hervorragendes Englisch. Alfred und Tony kommen zwar zur Not auch in Englisch zurecht, sind aber Gott froh, wenn sie Französisch sprechen können. Zu dritt können die drei aber fast jeden Kundenwunsch erfüllen und sie tun das mit großer Professionalität. Die Familie scheint asiatische Wurzeln zu haben. Ob auch das eine Rolle spielt?

 

Aber auch an dieser Erfolgsgeschichte findet sich ein Haken. Tony, ein gutaussehender junger Mann von 24 Jahren ist derzeit beabsichtigt Single. Seine letzte Freundin, eine Französin, fand das Leben auf einem abgelegenen Motu unerträglich. Vorerst will Tony sich auf den Aufbau der Carenage konzentrieren, dann ein Haus in Tahiti bauen und erst wenn es fertig ist wieder an Familiengründung denken. Es wird sicher nicht einfach für Tony sein, eine Frau zu finden, mit der sich versteht und die beide Leben, das in Tahiti und das in Apataki mit ihm teilen mag. Apropos Haus in Tahiti: Alle Leute in den Tuamotus scheinen auch auf Tahiti Besitz zu haben. Mehrere Häuser zu besitzen und mal hier, mal da zu wohnen, ist wohl normal.

 

Am nächsten Tag bugsieren wir Pagena vor der Rampe der Carenage auf einen Hubwagen, mit welchem Alfred, Tony und Nini, der Gehilfe, sie aus dem Wasser ziehen. Das klappt prima, der Hubwagen ist mit allerlei Hydraulik ausgestattet und technisch gut gemacht. Für Katamarane gibt es einen anderen Aufsatz. Wir fragen uns, wie sie selbst den großen Trimaran an Land bekommen haben, auch dafür haben sie offensichtlich eine Lösung gefunden. Dreieinhalb Tage lang arbeiten wir hart an unserem Schiff, dann sieht das Unterwasserschiff wieder aus wie neu. Wenn es einem von uns mittags zu heiß wird, kann man sich mit einem schnellen Bad in der Lagune abkühlen – das bietet einem so keine andere Werft. Einmal bringt uns Alfred sogar abends ein tolles Stück Thunfisch vorbei, er war wohl zwischendurch Angeln. Die Atmosphäre in der Carenage ist freundschaftlich, die Wege sind kurz, die Zuständigkeiten klar. Auch wir können Apataki Carenage wärmstens empfehlen. Nur wer Alu schweißen muss, ist hier falsch aufgehoben, das geht wohl nicht.

 

Auf Apataki entdecken wir schließlich die interessante Frage, wie die Bewohner der Tuamotus früher eigentlich zu Trinkwasser kamen. Heute wird vor allem Regenwasser aufgefangen. Jedes Blechdach ist mit einer Regenauffangrinne ausgestattet, das Wasser wird in große schwarze Kunststofftanks geleitet, die neben fast jedem Gebäude zu sehen sind. An manchen Orten gibt es auch Betonflächen, die zum Wasserauffangen genutzt werden. Aber wie haben die Leute früher Wasser gesammelt, als die Dächer noch aus Palmwedeln geflochten wurden und es weder Beton, noch Blech, noch Plastik gab? Tamaro, das Motu mit der Carenage, hat eine Besonderheit, es besitzt eine unterirdische Trinkwasserblase, die Regenwasser enthält. Alfred ist der Meinung, dass dieser Wasservorrat auf seinem Motu nie versiegen wird. Aber das ist nicht auf allen Motus der Fall. Wie früher Wasser gesammelt wurde, erfahren wir erst später auf Tahiti, aber ich gebe es an dieser Stelle schon weiter, da wir schon beim Thema sind: Die Leute hoben Gruben aus, die sie mit dicht geflochtenen Matten aus Pandanus oder Palmwedeln auslegten. Sie schafften es damit eine wasserundurchlässige Sperrschicht herzustellen. Auf die Matten wurde poröses Korallengestein gelegt, das als Filter für das Wasser diente. Auf die Korallenschicht kam wieder eine Lage Matten, diesmal allerdings wasserdurchlässig. Nach diesem System wurden mehrere Lagen übereinander geschichtet, so dass am Boden der Grube reinstes Trinkwasser zu finden war. Natürlich mussten die Matten alle paar Jahre lang ersetzt werden und das System war ziemlich arbeitsintensiv. Aber es ist schon faszinierend für uns zu entdecken, dass hier auch heute noch viel mehr aus Naturmaterialien hergestellt wird als bei uns. Ein hübsches Beispiel sind z.B. wundervolle Lampenschirme aus Muscheln und Perlmutt sowie lange Muschelketten, wie wir sie z.B. in Kauehis Kirche fanden.

Toau, Anse Amyot – eine geologische Seltenheit

Seit Wochen versuchen wir uns mit Freunden zu verabreden, die von Galapagos aus nach Französisch Polynesien gesegelt sind. Schließlich gelingt es uns, uns für ein Treffen in der Anse Amyot zu verabreden. Die Anse Amyot ist uns aus dem (lesenswerten) Buch „Meer als ein Traum" von Michael Wnuk und Nathalie Müller seit Jahren ein Begriff. Eine der eindrücklichsten Schilderungen ihrer Reise stammt aus genau dieser Bucht, die eigentlich ein sogenannter "falscher Pass" ist. Das Außenriff hat im Norden Toaus eine tiefe Ausbuchtung, die einer Handvoll Schiffen guten Schutz bietet, ohne allerdings Zugang in die Lagune hinein zu geben. Nur die Bewohner der Anse Amyot kennen das Riff so gut, dass sie einen Weg durch das Korallenlabyrinth finden, auf dem sie mit ihrem flachen Fischerboot übers Riff hinweg in die Lagune rein fahren können. Für die Segler hat die Anse Amyot den großen Vorteil, dass man den Ankerplatz unabhängig vom Tidenstand erreicht, ihn also zu jeder Tageszeit anlaufen kann. Gaston und Valentine, das Paar das ganzjährig in der Anse Amyot lebt, haben Bojen für die Segler ausgelegt, damit sich niemands Ankerkette unnötig in den Korallenköpfen verfängt. Regelmäßig, also immer, wenn genügend neue Schiffe eingetroffen sind, bietet Valentine ein mehrgängiges polynesisches Essen an, das einen guten Ruf besitzt. In der Tat kocht Valentine mit mehr Raffinesse, als die meisten Polynesierinnen und weiß, wie man in einem angenehmen Ambiente serviert. Sogar Messer gibt es bei ihr – eine Seltenheit in Französisch Polynesien. In einem hübsch hergerichteten Restaurant-Raum am Wasser serviert sie an farbenfroh eingedeckten Tischen mit Fisch belegte und mit Creme fraiche und Käse backene Foccacia, Poisson cru, gebackenen Fisch sowie Lobster satt, dazu gibt es Reis. Als Nachtisch bäckt sie himmlischen Kokoskuchen, den eine Mokkacreme überzieht. Wasser ist inbegriffen, Bier kann man kaufen oder man bringt sich selbst was zu trinken mit. Der Preis für die Schlemmerei kann sich allerdings auch sehen lassen, Joachim mag sich das nicht gönnen. Außerdem mag er Valentine nicht sonderlich, die uns beim gemeinsamen Spaziergang am Nachmittag ziemlich viel verwirrtes Zeug über ihren Glauben erzählt hat. Ihr zufolge ist Gott für alles verantwortlich, wir Menschen haben nichts weiter zu tun, als an Gott zu glauben und dafür zu sorgen, dass unser Name noch dieses Jahr in "das Buch" geschrieben zu bekommen. Nächstes Jahr wird es dafür zu spät sein, versucht sie immer wieder uns einzuschärfen. Unsere Sichtweise, dass wir Menschen eine gehörige Portion Verantwortung für unser Leben und unseren Umgang mit dem Planeten haben, mag Valentine nicht teilen. Der Graben zwischen ihr und Joachim ist daher unüberwindbar.

 

Ich sehe das etwas lockerer und erlebe einen schönen Abend zusammen mit den Crews von vier anderen Schiffen, darunter zwei mexikanische Yachten. Joachim gönnt sich einen Abend alleine an Bord. Das tut ihm zur Abwechslung auch mal gut, genauso wie mir ein paar Stunden zuvor der Mädelsnachmittag mit Iris gut tat, einer fast gleichaltrigen Seglerin aus Hamburg (na ja, ein paar Jahre jünger als ich ist sie zugegebenermaßen schon :-). Es ist schön und bequem mal wieder stundenlang auf Deutsch ratschen zu können.

 

Leider zeigt sich das Wetter in der Anse Amyot nur an unserem ersten Tag von seiner besten Seite, so dass wir nur einmal eine schöne Schnorcheltour machen können. Die Korallen des Riffs formen zusammen mit Sanddünen unter Wasser eine Landschaft, wie wir sie andernorts noch nicht gesehen haben, der Fischreichtum ist auch hier groß. Die nächsten Tage fegt kräftiger Wind durch die Bucht so dass das Wasser aufgewühlt ist und man keine gute Sicht hat. Unserer Ansicht nach haben wir in den letzten vier Wochen alle Aspekte, die die Tuamotus zu bieten haben, eindrücklich erlebt, so dass uns das Wetter nicht weiter stört. Schnorchelspots wird es noch viele auf unserer Reise geben. Daher beschließen wir am 19. Juni, kein weiteres Tuamotu Atoll mehr zu besuchen, sondern zu den Gesellschaftsinseln rüber zu segeln. Nach Tahiti sind es von der Anse Amyot aus nur etwa 225 Seemeilen, die schaffen wir bequem mit zwei Nachtfahrten.

 

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