Und jetzt?

Urlaub in der Bretagne: Füße im Wasser, Köpfe an Land
(September 2016)

Die regelmäßigen Leser dieser Webseite haben es wahrscheinlich schon aufgegeben zu erfahren, wie es mit uns nach Abschluss der gut dreijährigen Reise weiter gegangen ist. Kurzum: Die Zeit war turbulent, in jeder Hinsicht. Es wäre nicht möglich gewesen ein klares Bild zu posten, so oft hat es sich verändert. Daher haben wir es vorgezogen still zu tun was zu tun war und erst jetzt das Update zu präsentieren. Joachim und ich arbeiten beide wieder ganz normal, ich als strategische Beraterin in einer Agentur für Verpackungsdesign und Joachim als Projektmanager für eine Innenausbaufirma. PAGENA haben wir verkauft.

Oft wurden wir gefragt, ob uns das wieder hier sein denn nicht schwer falle. Nein – ganz und gar nicht – wir wollten das ja so. Wir hatten eine großartige Zeit, voller wunderbarer Erlebnisse, in denen wir immer noch oft schwelgen. Aber es ist beim Reisen wie mit Allem: Wenn das Besondere zur Normalität wird, verliert es seinen Reiz.

Und auch hier in Deutschland sowie im europäischen Ausland gibt es so unglaublich viel Reizvolles, das wir nun – nachdem wir es einige Jahre lang entbehrt haben – wieder in vollen Zügen genießen. Nicht zuletzt ist die größte Wieder-Errungenschaft der direkte Kontakt zu Freunden und Familie.

 

Denn was sich während der Reise und in der Zeit danach für uns als eine wichtige Erkenntnis herausschält, ist die Bedeutsamkeit von „Gemeinschaft“. In unserer sehr auf Durchsetzung des Individuums in einem konkurrierenden Umfeld getrimmten Zeit, wird unserem Gefühl zufolge die Wertschätzung von „Gemeinschaft“ immer geringer und das empfinden wir – besonders jetzt nach der Reise - als bedenklich.

Wer sich als Blauwassersegler zusammen mit einer kleinen Gruppe von Gleichgesinnten in nicht alltägliche Situationen begibt, erfährt z.B. in Funkrunden, an den Ankerplätzen oder in Häfen großen Zusammenhalt und Unterstützung. Obwohl man die anderen nicht oder kaum kennt, ist niemand allein, (außer er will es von sich aus unbedingt sein). Wer diese unbedingte Hilfsbereitschaft erlebt hat, wird sie nie mehr vergessen Klar gilt das nicht nur für Segler, sondern wird genauso von Bergwanderern, Kletterern, und allen möglichen Vereinen gelebt. Aber leiden nicht auch die meisten Vereine unter Nachwuchssorgen? Über die Zukunft des kleinen Vereins „Coplare e.V.“ wird die Mitgliederversammlung  übrigens diesen Herbst entscheiden, aber das liegt nicht an Nachwuchssorgen. Die Hauptaufgabe der Mitglieder, die Kontrolle der dem Verein entgegengebrachten Zuwendungen, hat sich einfach schon vor geraumer Zeit erübrigt.

 

Ein ausgeprägter Sinn für Gemeinschaft war aber auch das, was uns im Kontakt mit Menschen anderer Kulturkreise immer wieder beeindruckt hat. In manchen Teilen der Welt gibt es Völker, die ihr Wertesystem ganz auf das Wohl der Gemeinschaft ausrichtet haben. Die Wertschätzung des Einzelnen bemisst oder bemaß sich daran, was er/sie zum Wohl der Gemeinschaft beisteuert. Zum Beispiel in Polynesien und Melanesien (soweit wir diese Gebiete mit unserer Reiseroute berührt haben), war das die Tradition. Auch die nordamerikanischen Küstenindianer waren stets am Gemeinwohl ihres Volkes, heute und in der Zukunft, interessiert, so lange bis weiße US-Amerikaner alles daran setzten, die indianische Kultur auszurotten und die Lebensgrundlage der Indianer ihren eigenen Bedürfnissen anzupassen. Doch auch in Polynesien und Melanesien wird es selbst ohne externen Zwang in heutigen Zeiten schwer, die alten Werte aufrecht zu erhalten. Man kann zum Beispiel sein Solarpanel nicht einfach an jemanden abgeben, weil derjenige es sich wünscht und es auch brauchen könnte. Kleine private Luxusgüter, die heute selbst auf den abgelegensten Inseln angekommen sind - seien es Mobiltelefone, coole Klamotten, DVD-Player oder Solarlampen - mag man dort genauso wenig teilen wie bei uns. Entsprechend groß ist an manchen Orten das Interesse geworden, sich um die Segler „zu kümmern“, die i.d.R. Geld mitbringen oder Geschenke verteilen.

 

Wie dem auch sei, so richtig ins Detail gehen wollen wir an dieser Stelle gar nicht: Nehmt einfach als Fazit mit, dass die Reise Joachim und mich gelehrt hat, mehr Acht auf unsere Gemeinschaften zu geben und deren Wertschätzung zu erhöhen.

 

Vielleicht lächelt jetzt der eine oder andere und denkt: „Und dafür haben die beiden 50.000 km auf dem Meer zubringen müssen?“

Die abenteuerliche Entdeckungsreise ist beendet - und geht trotzdem weiter!

Vor mittlereweile sechs Jahren, im Sommer 2011, haben wir im Hafen Wiesbaden-Schierstein die Leinen losgemacht, sind zweieinhalb Jahre später mit unserer SY PAGENA auf Neuseelands Nordinsel angekommen und seit Herbst 2014 wieder zuhause. Die Segelroute folgte größtenteils dem Passatwindgürtel (auch „Barfußroute“ genannt), im 2. Reisejahr bauten wir allerdings eine ausgedehnte Schleife durch den Nord-Pazifik ein, eine eher selten gesegelte Strecke, die uns durch das Gebiet des größten bekannten Müllstrudels (den „North Pacific Gyre“) hindurchführte. Stets mit an Bord war das Projekt COPLARE – Coastal Plastics Recycling e.V., mit dem wir Ideen für Kunststoff-Recycling in Entwicklungsländer bringen wollten. Wir hatten gehofft, dass es möglich ist, aus einem ökologischen Problem an exotisch anmutenden Orten der Welt eine unerwartete Einkommensquelle für die Menschen vor Ort zu machen und Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten.

 

Ob uns das gelungen ist oder nicht ist schwer zu sagen. Sicher ist: Wir haben Spuren hinterlassen, an vielen Orten der Welt zur Aufklärung beigetragen, nützliche Informationen und Kontakte vermittelt, Anregungen und Denkanstöße gegeben. Unsere beiden Webseiten werden mittlerweile jeden Monat mehrere tausend Male besucht. Doch vieles kam anders, als wir es zuhause erwartet hatten. An den meisten Orten haben wir vor allem beobachtet, Fragen gestellt und recherchiert und dieses Wissen dokumentiert und publiziert. Daraufhin erhielten wir Emails aus aller Welt von Leuten, die auf der Suche nach Lösungsmöglichkeiten für den Umgang mit Plastikmüll diese Webseite fanden.

Während der Reise haben wir fast täglich dazu gelernt, z.B. über Kontexte in verschiedenen geographischen und klimatischen Regionen sowie über kultur-historische Einflüsse, die man kennen sollte, wenn man beginnt über Abfallmanagement und Recycling in fremden Ländern nachzudenken. Vieles davon haben wir mit unseren Lesern in "COPLAREs Beobachtungen" und den "Bemerkenswert!"-Artikeln geteilt, jedoch nicht alles.

 

Z.B. dass Veränderungsprozesse Zeit brauchen, meist sehr viel Zeit. Das gilt für andere Kulturkreise noch mehr als für Deutschland. Nichts von dem, was wir angestoßen haben, scheint nach knapp drei Jahren schon greifbare Ergebnisse produziert zu haben. Wir hatten sehr gehofft verkünden zu können, dass die kapverdische Insel Sal ihre PET-Flaschen jetzt nach Portugal verkauft, wo sie in einem der größten PET-Recycling-Betriebe Europas wieder aufbereitet und in den Stoffkreislauf zurückgeführt werden. Den Kontakt dafür konnten wir mit Hilfe von Plastics Europe herstellen, Hoteliers sowie Vertreter der kommunalen Abfallentsorgung hatten sich unsere Präsentationen mit Interesse angehört und der Recycler bat um Warenproben. Doch noch scheint nichts passiert zu sein, zumindest haben wir nicht davon erfahren. „In Afrika dauert alles ewig, fünf Jahre sind hier nichts“ hatte uns eine Kennerin der Kapverden gesagt, als sie von unserem Vorhaben hörte. Und ja, die Vertreter des kommunalen Abfallentsorgungsbetriebs hatten erwähnt, dass sie sich mit den anderen kapverdischen Inseln abstimmen wollten und momentan noch mit der Analyse der Abfallströme beschäftigt seien. Macht ja auch Sinn! Und seien wir mal ehrlich: Auch in Deutschland und Europa brauchen Neuerungen meist viele Jahre Vorbereitung, bevor sie umsetzungsreif sind. Meist erweist es sich als kontraproduktiv, wenn im Vorfeld nicht alle Einwände gehört, nicht alle Anregungen geprüft und nicht alle Betroffenen vom Vorhaben überzeugt werden.

 

Je weiter wir uns von Europa entfernten, umso klarer wurde, dass es an vielen Plätzen der Welt geradezu absurd ist von Recycling zu sprechen. Sei es, weil die potentiellen Stoffströme unzureichend sind, weil Distanzen viel zu groß sind, weil die Verantwortlichkeit für Müll ungeklärt ist oder weil Grundvoraussetzungen wie elektrischer Strom und einfachste Technologien fehlen, mit denen sich vor Ort brauchbare Dinge aus dem Müll herstellen ließen. Mit jeder weiteren zurückgelegten Meile wurde uns klarer, dass bevor Recycling stattfinden kann, erst einmal viele Basis-Voraussetzungen geschaffen werden müssen. Z.B. Verständnis dafür, was Abfall überhaupt ist und unter welchen Umständen Müll schädlich für Mensch und Umwelt ist. Das größte Problem ist im Allgemeinen jedoch, dass „Müllentsorgung“ fast überall auf der Weltbedeutet, dass der Abfall ganz einfach auf die nächste Deponie wandert. Aus den Augen, aus dem Sinn! Was für Deutschland richtig ist, nämlich dass so viel Plastikmüll wie möglich vor der Verbrennung gerettet und dem Recycling zugeführt werden sollte, ist an den meisten Stellen der Welt eine Utopie. Wenn es darum geht zu deponieren oder zu verbrennen, sind sich alle Umweltschutz-Organisationen einig: Verbrennung ist der bessere Weg – sofern Abgase gefiltert werden und die Verbrennungsenergie zur Stromerzeugung genutzt wird (Stichwort „Energy Recovery“, „energetische Verwertung“). Wenn sich mit der Abwärme aus der Verbrennung auch noch was anfangen lässt – umso besser.

 

In uns wuchs der Wunsch zu helfen den Abfall auch ohne Recycling runter von offenen Deponien, raus aus dem Wind, weg von den Küsten zu bekommen. Wir begannen zu recherchieren wie Müll an Orten beseitigt wird, die über keine riesigen und teuren Müllheizkraftwerke verfügen und sich diese auch vermutlich nie werden leisten können. Wir stießen auf kleine Müllverbrennungs-Anlagen, die z.B. auf Kreuzfahrtschiffen verbaut sind und welche, die das U.S. Militär in seinen Camps nutzt. Mit großem Interesse nahmen wir die Technologie einer holländischen Firma wahr, die Abwärme aller Art dazu verwendet um z.B. Salzwasser zu entsalzen. In kleinen, nicht sonderlich kostspieligen und wartungsarmen Geräten. Damit ließe sich z.B. die Abwärme von Müllverbrennung für die Gewinnung von Trinkwasser nutzen. Für Standorte wie die Kapverden und viele andere Orte, die wir kennengelernt haben, ein geniales Konzept. Weiterhin verfolgten wir Berichte über die Rückgewinnung von Öl aus Kunststoff. Dafür wird seit über zwei Jahrzehnten an zwei Verfahren geforscht, Pyrolyse und Gasifizierung. Daraus könnten ebenfalls Technologien entstehen, die bislang meist wertloses Meeresplastik in ein wertvolles Gut umwandeln.

 

Über diese Dinge haben wir nicht berichtet, denn es war ja ein Exkurs vom eigentlichen Vorhaben Kunststoff-Recycling zu fördern. Auch hatten wir nicht die Möglichkeit unsere Recherchen weit genug zu bringen, um sie als reif für die Öffentlichkeit zu betrachten. Alle Verfahren bergen ungeklärte Fragen, sind bislang unwirtschaftlich oder ökologisch nicht uneingeschränkt empfehlenswert. Vieles ist im Entstehen, aber noch nicht spruchreif.

 

Ausblick:

 

Auch wenn unsere Reise beendet ist, geht die Entdeckungsreise bezüglich intelligentem Recycling und Abfallmanagement für uns weiter. Die bereits verfassten Berichte haben sicher noch einige Jahre Gültigkeit, bevor man sie als veraltet ansehen muss. Gerne ergänzen wir sie um neue Erkenntnisse, die wir ab jetzt in der Heimat gewinnen. Gerne lenken wir auch das Interesse, welches dieser Webseite geschenkt wird, auf neue Initiativen, die wir beachtlich finden. Z.B. aktuell die Videos von Roman Lehner und seiner Expedition Plastik im Indischen Ozean. Von daher bleibt bis auf weiteres alles wie es ist. Vermutlich werden wir auch über unsere „Wiedereingliederung“ ins normale Leben berichten, unsere Leser wissen lassen, was uns heute in Deutschland auffällt und was aus uns wird. Neue Berichte werden wie gewohnt in der News Spalte angekündigt. Wir freuen uns auf Deinen / Ihren nächsten Besuch!

 

Gerne teilen wir auch die während der Reise gewonnenen Erkenntnisse mit allen Institutionen, Firmen und Initiativen, die sinnvolle Verwendung dafür haben. Was COPLAREs In- und Output auszeichnet ist der Blick fürs Ganze - Grenzen, Kontinente und Fachgebiete übergreifend.