12. Jan. - 21. März 2013: Mexico

Mexiko ist fünfeinhalb Mal so groß wie Deutschland, ein Staat, in dem 115 Millionen Menschen in 31 Provinzen leben, ein vielseitiges Land. Von der Wüste bis zum tropischen Regenwald bedecken alle Vegetationsformen seine Erde, in denen für Fauna und Flora zahlreiche einzigartige Lebensräume entstanden sind.

 

Mexiko ist die Wiege der Hochkulturen der Maya, der Tolteken und der Azteken, deren Kenntnisse und Fertigkeiten uns bis heute manches Rätsel aufgeben. Im 16. Jh. wurde das Land von den Spaniern erobert, seit dem 19. Jh.ist Mexiko unabhängig. Der Einfluss des reichen Nachbarn im Norden des Landes ist heute manchem Mexikaner ein Dorn im Auge. Viele Jahre lang wanderten mexikanische Arbeiter als Saisonarbeiter in die USA aus, vor allem in den südlichen Teilen des Landes ist die Bevölkerung nach wie vor sehr arm. Immer wieder erschüttern Nachrichten über die Brutalität mexikanischer Drogenbarone die Außenwelt.

 

Mexiko ist aber auch ein Land, in dem Aufbruch-Stimmung herrscht. "Nach BRIC kommt MIST" titelte die FAZ im August 2012. "MIST" steht für die Schwellenländer Mexiko, Indonesien, Südkorea und Türkei, die Investorenherzen derzeit höher schlagen lassen. Viele ausgewanderte Mexikaner kehren in ihr aufstrebendes Heimatland zurück, begleitet von US-Amerikanern, welche die Lebensqualität und erschwingliche Lebenshaltungskosten ins Nachbarland locken. Nachdem die Wirtschaftskrise 2008 Mexiko arg gebeutelt hatte, geht es seit 2010 wieder kräftig aufwärts. Gut ausgebildete, junge, weltgewandte Mexikaner nehmen die Herausforderung an, ihr Land in den kommenden Jahren zu modernisieren, die Infrastruktur auszubauen, mit dem Filz aufzuräumen und die Nation in nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu führen. „Si, se puede" – Ja, wir können es – ist ein vielgebrauchter Slogan und das ist gut so, denn es gibt viel zu tun in Mexiko.

 

Auch wenn wir nur entlang der Pazifikküste an Mexikos Außenseite entlang kratzen, und lediglich Stippvisiten in vier Provinzen einlegen, finden wir es spannend, kleine Teile dieses vibrierenden Landes zu entdecken.

Ensenada - Tor zur Baja California

Baja California ist die etwa 1800 km lange Halbinsel, die im Nordwesten Mexikos in den Pazifik ragt. Seit kurzem erst müssen Schiffe, die aus Norden kommend einreisen, zwangsläufig in Ensenada Einklarieren. Wir wollen das ohnehin, da man hier alle Behörden und Zahlungsempfänger in einem einzigen Gebäude untergebracht hat. Während die Formalitäten in anderen Städten schnell einen halben Tag oder mehr verschlingen, ist in Ensenada in einer guten Stunde alles erledigt. Erst recht, wenn man den Hauptteil der Arbeit den Mitarbeitern der Marina überlässt. Die Cruiseport Village Marina war uns von einer befreundeten Yacht empfohlen worden und wir können die Empfehlung uneingeschränkt weitergeben. Zwar haben wir Samstag morgens, als wir gut anderthalb Stunden vor dem Marina-Büro warten, bis sich mal jemand von der Administration blicken lässt, das Gefühl, dass wir zweifelsohne wieder in Lateinamerika sind - aber im Nachhinein gesehen hat uns das bisschen Warten nicht geschadet, im Gegenteil.

 

Ein Großteil der Segler, deren Boote zurzeit in der Marina liegen, lungert mit uns zusammen vor dem Büro rum. Die Tage zuvor durfte niemand Ensenada verlassen, der Hafenkapitän hatte wegen rauen Seebedingungen den Hafen geschlossen. Alle brauchen Ein- oder Ausreisepapiere und so lernen wir mehrere Crews kennen, denen wir in den kommenden Wochen immer wieder begegnen. Ruckzuck fühlen wir uns alle als alte Bekannte, die sich gegenseitig zum Essen einladen, gemeinsam ausgehen, sich bei Reparaturen an den Schiffen helfen sowie Tipps austauschen, was man wo unternehmen sollte, wo der Bus fährt etc. pp.

 

Über Ensenada weht eine gigantisch große seidig glänzende Mexiko-Flagge, die Stadt selbst sieht jedoch ziemlich runtergekommen aus. Was Häuser sind, würden wir eher als Schuppen bezeichnen, in manchen Geschäften sind die spärlichen Auslagen in mit Plastikfolie vor dem Staub der Straße geschützt und auf den Gehwegen klafft allenthalben ein tiefes Loch, man muss aufpassen, wo man hintritt. Unsere Sorge, ob wir uns hier sicher bewegen können, wird uns von Vanessa, der Büroleiterin der Marina sowie einer Seglerin, die schon vor vielen Jahren zusammen mit ihrem Mann in Ensenada hängen geblieben ist, genommen: In Ensenada braucht Ihr Euch keine Sorgen zu machen, hier passiert nichts. Als wir uns am Geldautomaten Pesos holen, beobachten wir dennoch genau, wer sich in unserer Nähe bewegt.

 

Mexikanische Hilfsbereitschaft lernen wir gleich am ersten Tag kennen, als wir Probleme haben, unseren neuen Internet-Surfstick zum Laufen zu bekommen. Kurz vor Geschäftsschluss tauchen wir wieder in dem Laden auf, wo wir das kleine Gerät gekauft haben. Leider ist jetzt kein englisch-sprechender Verkäufer mehr da. Kurzentschlossen nehmen sich Freunde der Geschäftsbesitzerin, die eigentlich nur auf ihre Freundin warten, unseres Problems an und ziehen alle Register, bis das Ding funktioniert. Sie holen sogar ihre eigenen Computer, um der Problemursache auf die Spur zu kommen. Als wir uns für die unkonventionelle Hilfe bedanken, meint das sympathische Pärchen nur, es wäre doch normal uns und ihrer Freundin zu helfen. Zum Abschied geben sie uns ihre email-Adresse, falls wir nochmal Hilfe brauchen. Wow!! Wieder einmal stellen wir uns die Frage, ob ein Ausländer in Deutschland dieselbe Hilfsbereitschaft erleben würde?

 

Zwar sind wir jetzt in Lateinamerika, aber auch hier ist es im Winter verflixt kalt. In der Nacht sinken die Temperaturen auf 0°C, so hatten wir uns Mexiko nicht vorgestellt! Die momentanen Temperaturen sind ungewöhnlich, die Leute aus Ensenada frieren auch. Wir wollen schnell weiter in den Süden, endlich wieder barfuß laufen. Die warmen Sonnenstrahlen tagsüber verschaffen uns einen kurzwährenden Vorgeschmack und treiben uns weiter.

Bahia Tortugas – Aufgewühlte Stimmung

Ziel für unseren ersten Stopp ist Bahia Tortugas, für amerikanische Segler Turtle Bay, eine in allen Wetterlagen gut geschützte, große Ankerbucht, etwa 280 Seemeilen von Ensenada entfernt. Während der drei Tage und zwei Nächte dauernden Überfahrt ändern sich Windstärke und –richtung ständig. Eigentlich sollte der Nordost-Passat am Vormittag leicht sein, am Nachmittag auffrischen und in der Nacht abflauen – aber das reale Wetter straft das Papier aller Revierführer Lügen.

 

In der ersten Nacht bläst ab1 h morgens Starkwind, um 9.30 h schläft er fast gänzlich ein, so dass wir den ganzen Tag über motoren müssen. Ab 21 Uhr können wir wieder mit 5 Beaufort in den Tüchern segeln, morgens um 8 h ist es erneut windstill. Um halb zehn setzt der Wind wieder ein und erreicht kurz darauf wieder Starkwindstärke. Mit gerefftem Groß und gereffter Genua reitet Pagena die Wellen runter, bei uns ist alles in Ordnung. Um 12 h hören wir über Funk eine Yacht namens Always & Forever um Hilfe rufen. Sie hat Probleme mit dem Großsegel und der Motor springt nicht an. Die Crew hat Angst aufs Meer hinausgetrieben zu werden. Wir sichten die Yacht ganz in unserer Nähe und überlegen, ob wir ihr helfen können, aber bei so viel Wind und entsprechender See können wir nicht viel tun. Wir melden uns über Funk, um das Paar wissen zu lassen, dass wir ein Auge auf sie haben. Eine Weile lang reffen wir die Segel mehr als nötig, um möglichst nahe bei dem manövrierbehinderten Schiff zu bleiben, aber als wir merken, dass auch wir dadurch Gefahr laufen, nach Einbruch der Dunkelheit am Ankerplatz anzukommen, reffen wir wieder aus. Die Yacht hat ihre gröbsten Problem mittlerweile behoben und teilt allen alarmierten Seglern mit, dass sie es ohne Hilfe schaffen wird nach Turtle Bay zu kommen. Auch die mexikanische Navy verfolgt mittlerweile, ob das Schiff sicher sein Ziel erreicht.

 

Am übernächsten Tag treffen wir die Crew dieser und anderer Yachten in der strohgedeckten Palapas-Bar am Strand. Statt einer Bar finden wir hier ein Camp vor, denn ein junges Segler-Pärchen hat sein gesamtes Hab und Gut vom Schiff in der Hütte und auf der davor liegenden Terrasse verteilt und ist dabei, alles zu verkaufen. Während wir in San Diego den Durchzug eines Sturms abgewartet hatten, waren die beiden mit ihrer 30-Fuß-Nuss-Schale auf See und wurden manövrierunfähig, als der Großsegelbaum brach. Einen Motor hatte das Schiff nicht, sie trieben sechs Tage lang auf See, bis sie es schafften nach Turtle Bay zu kommen. Dort zogen sie in ein billiges Hotelzimmer, da die erst 23jährige Beth an Bord Angstzustände hatte. In einer der folgenden Nächte wurde in das Schiff eingebrochen. Danach beschlossen Beth und ihr Freund Dreamer die Segelreise auf der Stelle zu beenden.

 

Lisa und Patrick von der Always & Forever haben mittlerweile Meinungsverschiedenheiten mit den Pangafahrern aus Turtle Bay. Sie hatten spät abends ziemlich weit draußen in der Bucht Anker geworfen, fern von allen möglichen Hindernissen, aber auch fern vom Dorf und den anderen Yachten. Am nächsten Morgen kamen ein paar Männer im Panga zu ihnen rausgefahren und boten an, ihnen Diesel aufs Schiff zu liefern. Sie könnten sie auch ein wenig näher zum Ort und schleppen. Patrick und Lisa dachten, das sei Teil des Services, der mit dem Dieselverkauf zusammenhing. Da sie wenig Spanisch sprechen, fragten sie nicht nach. Sie waren freundlich und bedachten die Männer mit Geschenken. Die Geschenke wurden gerne genommen und Always & Forever wurde wenige Dutzend Meter geschleppt. Dann wurden 800 Pesos, ca. 50 Euro für den Service verlangt. Das fand Patrick entschieden zu viel und versucht sie auf 500 Pesos runter zu handeln, vergebens. Dafür wurde Always & Forever in der Nacht vor unserem Kennenlernen von betrunken grölenden Männern umkreist.

 

Lisa, Patrick, Beth und Dreamer wollen aus Turtle Bay weg so schnell es geht. Die Drei-Männer-Crew von "Arc en Ciel" ist ebenfalls misstrauisch, was die Bewohner von Bahia Tortugas angeht. Obwohl in all unseren Segelführern ausschließlich gut über den kleinen Ort und seine Bewohner gesprochen wird und auch Andrew von Maiatla kurz zuvor gemailt hatte, dass es ihm hier wieder einmal gut gefallen habe, gelingt es uns nicht, uns von der negativen Stimmung der anderen Segler zu befreien. Wir können den Charme des Ortes in keiner der Staubstraßen, in keiner der armseligen Hütten und in keinem Auge entdecken. Auch wir halten es für wahrscheinlich, dass hier ein paar dreiste und gerissene Kerle manchen Segler abzocken.

 

Wir begegnen am Strand Miguel, der auf gut Freund macht und erzählt, er habe heute Geburtstag. Er wünscht sich Hühnchen oder Corned Beef und fragt ob wir ihm so was geben könnten. Spontan verspreche ihm eine Dose Hühnchen aus unserer Backskiste. Kurz darauf kommt er zum Boot gepaddelt um sein Geschenk abzuholen. Auf dem Kopf trägt er die rote Baseball-Cap von Lisa. Als Miguel die Dose in Händen hält will er wissen, ob wir nicht noch mehr für ihn hätten, z.B. Schokolade oder Bier. In dem Moment wird mir klar, dass er heute sicherlich nicht Geburtstag hat und ärgere mich, dass ich auf seine Masche reingefallen bin.

 

Im letzten Moment lernen wir am Strand dann aber doch noch einen richtig netten jungen Mann namens Angel kennen. Angel spricht sehr gut Englisch und versucht Beth und Dreamer zusammen mit seinen Freunden nach Kräften zu helfen. Er wird dafür sorgen, dass sie von Turtle Bay aus zum Highway gebracht werden, von wo aus sie den Bus nehmen können. Angel berichtet von den Herrschaftsansprüchen einiger weniger Männer im Dorf und dass diese nicht zurückschrecken, Gewalt anzuwenden. Laut Dreamer trägt er selbst ein paar Narben, die diese ihm zugefügt haben, da er für ein konkurrierendes Unternehmen arbeitete, dass ebenfalls Treibstoff an Segler verkaufte. Angel scheint in Bahia Tortugas kein besonders schönes Dasein zu führen, aber keine bessere Alternative zu haben. Er kommt zurecht, freut sich ein paar gute Freunde zu besitzen und versucht trotz aller Widrigkeiten ein anständiges Leben zu führen. Uns zeigt Angel, dass man nie vorschnell ein ganzes Dorf über einen Kamm scheren darf.

Bahia Magdalena - schon mal Grauwale gekrault?

Schon während unseres gesamten Törns die amerikanische Westküste entlang beschäftigen wir uns mit der jährlichen Wanderung der Grauwale. Während des Sommers waren sie wie wir im kühlen hohen Norden, während des Winters ziehen die Tiere in die warmen Gewässer Mexikos. Entlang der Pazifikküste der Halbinsel Baja California gibt es drei große Buchten, wohin die Grauwale kommen um ihre Jungen zur Welt zu bringen und um sich zu paaren. Zwei dieser Buchten sind für Segelboote gesperrt, ausgerechnet die, die bekannt dafür sind, dass die Grauwale dort "freundlich" sind, sich den Menschen nähern und sich streicheln lassen. Über die dritte Bucht, die einzige, die wir anlaufen dürfen, ist zwar bekannt, dass man dort viele Grauwale beobachten kann, aber nicht, ob es dort auch zu Mensch-Walbegegnungen in Armeslänge kommt. Schon auf der viertägigen Fahrt von Bahia Tortugas nach Bahia Magdalena sehen wir zahllose Wale, meist den Blas, den Rücken oder eine Schwanzfluke. Einmal beobachten wir auch ein ungewöhnliches Rumwälzen mehrerer Wale im Wasser und schießen ein Foto von einem gigantisch großen rosa Ding, das wie ein kurzer Finger gen Himmel zeigt. Die Wale müssen sich hier paaren, schlussfolgern wir erfreut.

 

Bahia Magdalena, unter Seglern kurz Mag Bay, ist riesengroß, ca. 12 mal 20 Seemeilen. Auf dem Ankerplatz vor dem kleinen Örtchen Puerto Magdalena erfahren wir von anderen Seglern, dass es ein Muss ist, einen Spaziergang durch die Dünenlandschaft zu machen, die Mag Bay im Nordwesten von der Nachbarbucht Bahia Santa Maria trennt und dass die Leute in Puerto Magdalena, überwiegend Fischer, sehr freundlich sind. In der Tat herrscht eine ganz Atmosphäre als in Turtle Bay. Die Leute lächeln und grüßen freundlich zurück, als wir das aus nur ca. 3 Straßen bestehende Dorf erkunden. Ich schreibe ca., da manchmal schwer zu sagen ist, ob wir nun auf einer Straße laufen, oder nicht. Zu den meisten Häusern führt ein Staubweg und entlang des Strandes gibt es eine Sandpiste, auf denen die Fischer mit laut röhrenden, ziemlich abgewrackten Autos fahren. Einen Port Captain, bei dem wir uns melden müssen, gibt es auch, aber der ist zurzeit nicht anwesend. Am Ortsende finden wir eine kleine Tienda, die ein paar Konserven, Zahnpasta, Spülmittel sowie etwas Obst und Gemüse verkauft, und am Strand ein Restaurant und einen Kiosk mit Terrasse, der Süßigkeiten und Getränke anbietet. Leckeren Heilbutt kaufen wir beim Restaurant-Besitzer, der natürlich auch Fischer ist. Sein Restaurant besuchen wir ein paar Abende darauf, als auch die Crews von Always & Forever und Odysee in Mag Bay eingetroffen sind. Von Arc en Ciel werden wir zum Essen eingeladen, nachdem Richard über Funk von einer Unmenge Fisch erzählte, die er bei den Fischern gekauft hätte.

 

Um die Dünen-Wanderung machen zu können, verlegen wir Pagena ans Ende der Bahia Magdalina, wo gerade die Zelte für ein Eco-Camp aufgeschlagen werden. Der Camp-Chef hat furchtbare Kopfschmerzen und fragt, ob wir ihm sagen können welches der Medikamente aus seiner Medikamentenbox ihm helfen kann. Klar können wir das. Mit ihm und zwei der Panga-Fahrer, die in Kürze die ersten Gäste zur Walbeobachtung fahren werden, unterhalten wir uns prächtig in einem wilden Mix aus Spanisch und Englisch. Die Wale seien weiter im Süden, bei Punta Redondo oder Punta Entrada, erzählen sie uns. Wir erkundigen uns, ob wir mit unserem Dingi zu den Grauwalen fahren können. „Ja klar könnt Ihr das", bestätigen Alex und Alfredo unsere Hoffnung unisono. "Meint Ihr echt, ist unser Gummiboot nicht zu klein, ist das nicht zu gefährlich", wollen wir wissen. "Nein, nein, die Wale sind freundlich, keine Sorge, die werfen Euch nicht um".

 

Am nächsten Morgen machen wir uns früh auf den Weg nach Punta Entrada. Gleich hinter der Landspitze gibt es einen kleinen Ankerplatz, dort wollen wir Pagena lassen, wenn wir mit dem Dingi losziehen. Während eines ausgiebigen Frühstücks beobachten wir, ob der Anker hält und sehen um uns herum bestimmt zehn Wale blasen. Zwei Pangas scheinen mit Waltouristen unterwegs zu sein, sie halten sich nahe der Mündung der Bucht auf. Wir versuchen unser Glück etwas weiter in der Bucht drin und tuckern zu einer Stelle, wo wir mehrere Grauwale nah beieinander sehen. Als wir uns einem von ihnen bis auf ca. 50 Meter genähert haben, schaltet Joachim den Außenborder auf Leerlauf. Wir haben gelesen, dass die Wale das surrende Geräusch, das ein kleiner Motor unter Wasser verursacht, dafür nutzen, ein Boot zu orten. Wir haben auch gelesen, dass man mit den Händen im Wasser herumwedeln soll und dass die Grauwale es mögen, wenn sie Stimmen hören, vor allem hohe Stimmen. Also rufen wir sie, erzählen ihnen, wie gerne wir sie sehen, fotografieren, filmen und kraulen möchten.

 

Nach kurzer Zeit wird unser Traum wahr: Zwei Wale nähern sich unserem Dingi, einer der beiden kommt ganz dicht an uns heran geschwommen. Wir können es kaum fassen! Beim ersten Anlauf ist der Arm zu kurz, der Wal schwimmt zwar ganz dicht ans Dingi ran und taucht drunter durch, aber nicht so, dass wir ihn berühren könnten. Auf der anderen Seite angekommen nimmt er einen neuen Anlauf. Vorsichtig wendet er - die Schwanzfluke wird dazu in einem Halbkreis durchs Wasser geführt - und kommt erneut auf uns zu. Ein zweiter Wal ist die ganze Zeit in seiner Nähe und zwei weitere gesellen sich dazu. Wir wissen nie, welcher der vier ausgewachsenen Grauwale um uns herum gerade bei uns ist, es ist immer nur einer, aber es ist uns auch egal. Wir bekommen einen Kopf entgegengestreckt, den wir streicheln können, der Wal dreht sich auf den Rücken und streckt uns seine Bauchflossen entgegen. Daran mag er nicht berührt werden, die Flosse wird sofort zurückgezogen, wenn wir sie anfassen oder der Wal damit ans Dingi stößt. Ganz langsam taucht er unter uns durch und dreht sich langsam wieder auf den Bauch. Das geht eine kleine Ewigkeit so weiter. Zwischendurch bekommen wir einen gewaltigen Blasenstrudel direkt vor dem Dingi präsentiert oder etwas Blas ins Gesicht gespritzt. Zwischendurch schaut der Wal uns an, so als ob er wissen wolle, ob uns sein Schauspiel gefällt. Und ob es das tut!

 

Wir sind ganz aus dem Häuschen, fotografieren über und unter Wasser und Joachim versucht, dieses unglaubliche Spiel, in dessen Mitte wir uns befinden, auch in bewegten Bildern festzuhalten. Zu keinem Moment fühlen wir uns unsicher. Die Wale scheinen an der Begegnung genauso viel Spaß zu haben wie wir und sie bewegen sich so vorsichtig, dass wir vermuten, dass sie ein Bewusstsein für Größe, Stärke und Schwäche haben. Ein ausgewachsener Grauwal ist 12 bis 15 Meter lang und wiegt ca. 2 Tonnen, während unser Dingi nur 2,70 m lang ist und mit uns und dem Außenborder zusammen etwa 250 kg wiegt. Schließlich haben die vier Wale genug mit uns gespielt und ziehen von dannen. Auch wir haben mehr als genug erlebt und machen uns auf den Rückweg zu Pagena. In der letzten halben Stunde hat die Strömung uns ganz schön weit vom Ankerplatz entfernt.

 

Nach ein paar Minuten kreuzen zwei weitere Wale unseren Weg. Wieder gehen wir in Leerlauf, wedeln mit den Händen und rufen die grauen Riesen. Und wieder kommen sie zum Dingi. Diesmal bekommen wir sofort einen Kopf zum Streicheln entgegengestreckt. Bald wird einer der beiden Wale immer zutraulicher. Als er anfängt das Dingi sanft mit seinem Kopf anzuheben, beschleichen uns doch Zweifel, ob der Riese wirklich weiß, wie schnell er uns und unsere Ausrüstung ins Wasser befördern kann. Zwar sind alle losen Gegenstände festgebunden, aber der Pentax-Kamera und dem Außenborder würde ein Bad im Salzwasser nicht bekommen und wir sind auch nicht scharf darauf. Wir beschließen daher, dass wir jetzt wirklich genug Grauwale gestreichelt haben und zurück zu Pagena fahren. Als gerade mal kein Wal in unmittelbarer Nähe ist, legt Joachim schnell den Gang ein und wir setzen unseren Rückweg mit etwa 3 Knoten Fahrt fort.

 

Die Wale folgen uns, entdecke ich kurz darauf erstaunt. Als ich die Kamera gerade wieder schussbereit habe und festhalten will, dass zwei Viecher uns wirklich im Kielwasser nachkommen, sagt Joachim: "Zu spät, der Graue ist schon wieder unter uns" und legt abermals den Leerlauf ein, um das Tier nicht aus Versehen zu verletzen. Wieder wird uns ein Kopf entgegen gestreckt, wieder sollen wir seine feste glatte Haut mit unseren Händen ein wenig reiben und tätscheln. Und wieder findet der Wal das so schön, dass er seinen Kopf unters Dingi steckt und leicht anhebt, diesmal aber eine Spur entschlossener als vorher – so kommt es uns jedenfalls vor. "Nee mein Freund, lass man gut sein" sagen wir ihm und geben ihm einen sanften Klaps" - bei so viel Körperkontakt wird uns doch mulmig. Hoffentlich lässt uns der Graue überhaupt noch zu Pagena fahren, momentan müssen wir irgendwie um ihn herum kommen. Als er mal eine Stück weit vom Propeller des Motors entfernt ist, legt Joachim den Gang schnell wieder ein und diesmal gibt er Vollgas. Der Wal könnte zwar wahrscheinlich immer noch problemlos mit unserer Geschwindigkeit mithalten, aber er und sein Kumpel wählen jetzt einen anderen Weg als wir.

 

Als wir wieder wohlbehalten in Pagenas Cockpit sitzen, sind wir minutenlang sprachlos. "Kneif mich, damit ich merke, dass ich nicht träume" – "Mein Kopf ist so voll, ich kann noch gar nichts sagen" und ähnliches stammeln wir. "Mann, was haben wir für ein Glück, das erleben zu dürfen – Wahnsinn!" "Komm, lass uns Fotos gucken, ob wir irgendetwas davon erwischt haben, wir haben mal eben über 200 Bilder gemacht." Beim Betrachten der Fotos und des Videos lassen wir die vergangene Stunde – oder waren es anderthalb? – wieder und wieder vor unserem geistigen Auge Revue passieren. Langsam setzt sich die Erkenntnis in unseren Köpfen, dass wir diesmal kein Buch gelesen und keinen Film gesehen, sondern in der realen Welt eine gehörige Weile des Tages inmitten von Grauwalen verbracht haben. Von den Zehen- bis zu den Haarspitzen sind wir glücklich. Beschwingt fahren wir zurück zum Ecocamp, um uns bei den Pangafahrern zu bedanken, ohne die wir uns das niemals getraut hätten. Als wir unsere Tüten abliefern wissen sie gar nicht recht, warum wir uns bedanken wollen, aber dieses Mal kommen die Geschenke von ganzem Herzen.

Los Cabos –Yin und Yang

Von Bahia Magdalena aus segeln wir in einem Rutsch runter nach Cabo San Lucas. Cabo, wie es von Touristen meist genannt wird, ist fest in der Hand amerikanischer Pauschaltouristen und unglaublich teuer, hören wir immer wieder. Unsere Ahnung, dass Cabo San Lucas keiner der Orte ist, an dem wir Zeit verbringen möchten, bestätigt sich, als wir abends in der großen Bucht unweit der Hotelzone ankern. Zwar sind die Ankermöglichkeiten besser als angenommen, von den Mooring-Bojen, die angeblich alle guten Plätze belegen, ist keine Spur zu sehen und per Funk bestätigt der Hafenmeister, dass wir uns einen Platz ausgesucht haben, an dem wir bleiben können. Aber als wir von mehreren Disco-Schiffen umkreist werden, auf denen ein paar Touristen zu Popsongs aus den 70er und 80ern albern auf dem Deck rumhüpfen oder sich an Cocktailgläsern festhaltend, bewegungslos durch die Bucht schippern lassen, wissen wir schnell, dass wir hier keine zweite Nacht verbringen werden.

 

25 Meilen weiter liegt das Anti-Cabo San Lucas, ein kleines Städtchen namens San José del Cabo, das ruhig, kultiviert und weniger teuer sein soll. Letzteres stellt sich – zumindest was die Marina angeht, als Unwahrheit heraus. Noch nie hat jemand 85 USD pro Nacht für einen Liegeplatz für Pagena verlangt. Interessanterweise wird hier tatsächlich in US$ abgerechnet. 2 Dollar pro Fuß plus Steuern, die müssen verrückt sein. Zumal die Marina noch gar nicht fertig gebaut ist, Duschen und Toiletten gibt nur in einem primitiven Holzcontainer. Ankern ist hier leider keine Alternative, es gibt weit und breit keinen geschützten Ankerplatz. Nach etwas Hin und Her gibt man uns schließlich einen etwas günstigeren Liegeplatz am anderen Ende des Marinabeckens. Dort gibt es keinen Strom, der Steg hat kein Gatter und man läuft 10 Minuten zu Fuß zum Dusch-Container. Das ist zwar immer noch eine Frechheit, aber der saure Apfel, in den wir beißen müssen. Die Südküste der Baja California ist ein hervorragendes Revier für Sportfischer. Diese und eine stattliche Anzahl riesiger Motoryachten sind die zahlungskräftige Klientel der Marina, denen es nicht auf ein paar Dollar ankommt. Das Management rechnet in anderen Dimensionen als wir (und die meisten anderen Segler). Und es investiert wohl lieber in Kunst als in profane Dinge wie Duschen. Um die Marina herum zählen wir 50 beidseitig hinterleuchtete Tafeln, auf denen Grafiken, Fotos und Texte von und über die Künstlerin Leonora Carrington abgebildet sind, nebst 13 großformatigen ihrer Bronzeplastiken. Ihre mystisch düsteren Figuren gefallen uns nicht, daher hält sich unsere Begeisterung über diese Investition im Museumsformat in Grenzen.

 

Der nächste Ankerplatz an Baja Californias Südküste, Los Frailes, liegt nordöstlich von San José del Cabo. Bei vorherrschendem Wind aus Nordost ist er oft schlecht erreichbar, stellen wir am folgenden Nachmittag fest. Im Hafen weht Westwind, der zwar von keiner Wettervorhersage angekündigt ist, aber eindeutig da ist und gut ist für einen Törn nach Los Frailes. Kurzentschlossen entscheiden wir, alle Besichtigungspläne für San José del Cabo fallen zu lassen und uns auf den Weg zu machen. Die ersten Stunden läuft es richtig gut, wir segeln mit Rückenwind und entfernen uns Meile um Meile von der bösen Budgetfalle. Nach ein paar Stunden dreht der Wind jedoch, jetzt bekommen wir ihn direkt auf die Nase. Auch die Wellen werden immer höher. Unter Motor geht unsere Geschwindigkeit über Grund auf unter zwei Knoten runter und Pagenas Rigg zittert jedes Mal übel, wenn sie in ein neues Wellental kracht. Wir probieren es mit Gegenankreuzen unter Segeln und mit Motorunterstützung, aber das bringt uns auch nicht schneller voran. Wir rechnen aus, dass wir uns mindestens bis Mitternacht Meile um Meile hart erkämpfen müssten, und dann wahrscheinlich ein paar Tagelang in Los Frailes festliegen würden, da weiterhin nördliche Winde vorhergesagt sind, mit denen es unmöglich ist, im Inneren in der Sea of Cortez bis hoch nach La Paz zu kommen. Dort müssten wir aber in spätestens vier Tagen eintreffen, damit Joachim den Flug bekäme, den er anlässlich eines Todesfalls in der Familie tags zuvor gebucht hat. Wie wir es auch drehen und wenden, es gibt keine andere Lösung als nach San José del Cabo zurückzukehren.

 

Als wir wieder vor San José del Cabo eintreffen ist es schon dunkel. Gut dass wir den Hafen schon einmal bei Tag angelaufen haben und die Tracks vom Ein- und Auslaufen noch auf dem Computer haben, die Hafeneinfahrt ist von See her nicht zu erkennen. Erst in letzter Minute tauchen zwei mickrige Lichter auf, die die Einfahrt markieren und direkt davor ankern mehrere Fischerboote. Wenn wir nicht genau wüssten, wo wir durchfahren können, würden wir diesen Hafen bei Nacht nicht anlaufen. In der Zwischenzeit sind unsere Freunde von der Always & Forever und Odysee auch dort eingetroffen, nehmen wir erfreut zur Kenntnis. Außerdem lernen wir tags drauf Jim und Mary vom Trimaran Hokulele kennen, und etwas später kommen noch Micky und Kathryn vom Kat Acrux dazu. Die folgenden Tage unternehmen wir viel zusammen mit den anderen Seglern und fühlen uns wohl in San José del Cabo. Da wir jetzt mit dem Management über einen Liegeplatz für einen längeren Zeitraum verhandelt haben, ist auch der Preis halbwegs akzeptabel geworden.

 

Die Altstadt ist für hiesige Verhältnisse wirklich alt, sie stammt aus dem 18. Jh. und ist sehr gepflegt. Was ein Unterschied zu Ensenada. Große Hotels gibt es nur am Strand, von denen man im Städtchen selbst nichts mitbekommt. Die schönsten Straßenzüge der Stadt beherbergen den Kunstbezirk, wo sich viele Galerien, Juweliere sowie Kunsthandwerker niedergelassen haben. Einige haben richtig gute Sachen, die Mexikaner haben ein Gefühl für Formen, Farben und Strukturen. Natürlich gibt's auch viele Läden, die den üblichen Mexiko-Souvenir-Tand anbieten. Als wir eine französische Bäckerei entdecken, die superleckeres, knuspriges Baguette verkauft, und in der Markthalle leckeren Käse erstehen, sind wir restlos zufrieden.

 

Weil Sonntag das Finale des amerikanischen Superbowls ausgetragen wird, in dem die Baltimore Ravens gegen die 49ers aus San Francisco spielen und die meisten unserer neuen Freunde Fans der 49er sind, zieht die Korona in eine Sportsbar, um das Spiel mitzuerleben, einschließlich Joachim, der das Erlebnis so schildert: "Wir fahren am frühen Nachmittag zur Sportsbar, in der das Spiel auf etwa einem Dutzend Flachbildschirme übertagen wird. Zum Glück sind wir früh dran und können uns gute Plätze sichern, es wird bis zum Spielbeginn proppevoll. Ich bin vermutlich, mal abgesehen von dem Model, das dort herumstöckelt und mit dem man sich für die Webseite der Sportsbar fotografieren lassen kann, der einzige Mensch weit und breit, der von American Football überhaupt keine Ahnung hat. Unsere neuen Freunde weisen mich jedoch recht schnell in die Geheimnisse des Sports ein und je mehr ich verstehe, desto spannender wird es. Während des Spiels werden immer wieder Wetten abgeschlossen, z.B. darauf, welche Mannschaft nach welchem Drittel in Führung liegt. Wenn man wie ich keine Ahnung hat, lässt man besser die Finger davon (wenn man Ahnung hat vermutlich auch). Nach gut drei Stunden sind die meisten Leute in der Bar ziemlich betrunken und das Spiel zu Ende. Die 49ers haben gekämpft wie die Löwen aber letztendlich leider verloren."

 

In der Woche, die Joachim in Deutschland verbringt, schreibe ich eine Menge emails und mache Recherchen, die mir schon lange am Herzen lagen. In aller Ruhe erkunde ich San José del Cabo und die Umgebung der Marina. Auf dem noch nicht fertiggestellten Golfplatz wiederholt sich der in der Marina gewonnene Eindruck: Auch hier zieren schon jetzt ca. 15 großformatige Bronze- und Stahlplastiken das Grün, aber es fehlen die Gebäude, die normalerweise zu einem Golfplatz gehören. Verstehe einer die Logik, die dies geschaffen hat.

Auch San José del Cabo ist eine Stadt, die quasi keine Kriminalität kennt. Shirley, die das Marina Office leitet, sagt dazu: „Los Cabos liegt am Ende der Welt. Wer hier etwas anstellt, kann sich nicht aus dem Staub machen, deshalb passiert hier nichts." Außerdem geht es den Leuten hier finanziell gesehen sehr gut. Bis vor ca. 20 Jahren gab es auf der Halbinsel nur ein paar kleine Fischerdörfer. Erst als die Hotels gebaut wurden und die Touristen kamen, entstanden Arbeitsplätze. Mexikaner aus allen Gegenden zogen nach Bahia California Sur, um hier zu Geld zu verdienen. Dadurch, dass die meisten Leute hier noch ziemlich neu sind, sind die meisten von ihnen offen und freundlich. Auch wenn wir anfangs sehr über die hohen Preise gejammert haben, gefällt es uns mittlerweile gut in San José del Cabo und wir erkennen die Vorteile, die es mit sich bringt, wenn die Leute gut verdienen.

Los Frailes – Natur pur

Los Frailes können wir ein paar Tage später doch noch einen Besuch abstatten, als es kurzzeitig windstill wird. Alle unsere Freunde nutzen die Gelegenheit um Richtung Norden aufzubrechen. Da wir ohnehin längere Zeit mal die Maschine und den Wassermacher laufen lassen müssen, wozu wir raus aus dem Hafen müssen, können wir sie gut für eine Nacht begleiten. Hinter der felsigen Landspitze von Los Frailes befindet sich das einzige Hartkorallenriff Mexikos. Ein Investorenprojekt, das hier ein großes, luxuriöses Ferienresort mit Golfplatz und Marina anlegen wollte, wurde beachtlicher weise von der mexikanischen Regierung gestoppt. Nachdem Umweltschützer vehement darauf hingewiesen hatten, dass Chemikalien, die man für Golfplätze einsetzt und andere Schadstoffe, die durch das Bauprojekt höchst wahrscheinlich ins Wasser gelangten wären, das wertvolle Riff zerstören könnten, gab die Regierung dem Umweltschutz Vorrang. Eine mutige Entscheidung! Bis heute gibt es in Los Frailes keine Siedlung und am Strand verwaist eine Reihe Stroh-Sonnenschirme. Der nahe am Riff gelegene Ankerplatz Cabo Pulmo, direkt hinter der Landspitze von Los Frailes wurde zum Naturschutzgebiet erklärt und geschlossen. Micky fährt mit dem Dingi zum Schnorcheln hin, das ist nach wie vor erlaubt, und berichtet, er habe Buckelwale singen gehört. Immer wieder sehen wir Buckelwale aus dem Wasser springen, großartig!

 

Zusammen mit Micky und Kathryn erklimmen wir die großen Granitbrocken der Landspitze, uns vorsichtig an stacheligen Kakteen und an dornigem Gestrüpp vorbei ziehend, um schließlich von oben die tolle Aussicht zu genießen. Hinter dem Strand taucht eine grüne Lagune auf, die sicherlich ein Paradies für Vögel ist. Zwischendurch fragen wir uns, wie wir von dem unwegsamen Felshaufen mit all seinen pikanten Hindernissen eigentlich wieder runter kommen. Rauf geht ja, aber runter? Als wir fast auf dem Gipfel stehen, entdecken wir südlich unserer Route einen schmalen Pfad, der mit Steinmännchen markiert ist. Na also, es gibt ja doch den "Chickenway" zurück zum Strand. Schneller als erwartet sind wir ohne Kratzer wieder unten. Zum Schnorcheln ist uns das Wasser um Los Frailes herum noch zu kalt, und da wir in absehbarer Zeit die tropischen Riffs südpazifischer Atolle erreichen werden, finden wir das nicht allzu bedauernswert.

Mazatlan – Kulturhauptstadt der Westküste

Mazatlan ist für die meisten Boote, die von der Spitze der Baja California aus rüber ans Festland fahren, der erste Anlaufpunkt. Irgendwo haben wir gelesen, dass Mazatlan eine gute Kulturszene hat und dass die Altstadt hübsch und sehenswert ist. Vor dem Club Nautico kann man ankern, genau danach steht uns jetzt der Sinn. In letzter Zeit gab es zwar Dingi-Diebstähle und seit einigen Jahren laufen die Kreuzfahrtschiffe Mazatlan nicht mehr an, wegen angeblicher Sicherheitsprobleme, aber von anderen Seglern hören wir nur Gutes über die Stadt. Mazatlan muss man gesehen haben, ist der Tenor. Und die Bande, die die Dingis geklaut hat, soll auch schon gefasst sein.

 

Als wir im alten Hafenbecken Anker geworfen haben und uns über Funk beim Hafenkapitän anmelden, überrascht uns dieser mit der Ansage, dass er nicht für unsere Sicherheit garantieren könne, er empfehle uns in eine Marina zu gehen. Schon wieder Marina, schon wieder Geld ausgeben, wir sind nicht gerade begeistert von der Idee. Zumal die einzigen Yachthäfen der Stadt gut 10 Meilen nördlich vom alten Hafen liegen, recht weit weg vom Stadtzentrum. Während des Frühstücks beratschlagen wir. Da wir es schon nicht nach La Paz hoch und in die Sea of Cortez geschafft haben, wollen wir uns nun nicht auch noch Mazatlan entgehen lassen. Wir wollen den Besuch aber auch nicht mit dem Verlust des Dingis o.ä. bezahlen. Ich habe die Telefonnummern von drei Marinas und rufe die kleinste an. Der Preis der mir telefonisch mitgeteilt wird, ist viel besser als angenommen. Umgerechnet 0,50 Euro pro Fuß, Strom und Wasser inbegriffen, das geht ja. Unsere Laune hebt sich deutlich. Für diesen Preis gehen wir das Risiko in der Anchorage nicht ein. Mal sehen, welchen Pferdefuß die Marina hat.

 

Marina Fonatur (früher Marina Singlar) ist durchweg prima. Sie ist staatlich geführt und besitzt nur einen Steg mit wenigen Liegeplätzen, dafür aber Waschmaschinen, schöne Duschen und sogar einen kleinen Pool. Zur Marina gehört eine gut ausgestattete Werft sowie eine Tankstelle. Diesel brauchen wir ohnehin und gerne legen wir an einem unbekannten Ort erst mal an der Tankstelle an, um von dort aus in aller Ruhe rauszufinden, wo genau unser endgültiger Liegeplatz ist und wie wir den ansteuern. Der einzige Makel von Marina Fonatur liegt in einem Stein, der unmarkiert mitten im Fahrwasser kurz vor der Tankstelle lauert. Ein lauter Rummmms läßt unsere Ohren erschauern, als wir Bekanntschaft mit dem Hindernis machen. Pagenas Schwert klappt hoch und schon ist der Spuk vorüber. Wie schön es doch ist eine Ovni und kein Kielboot zu haben...!

 

Bei der jungen Dame im Office erkundigen wir uns über die Sicherheitslage in der Stadt und ob wir abends unbesorgt ausgehen können. „Kein Problem" sagt uns auch sie. Im Office lernen wir Theresa und Erin kennen, die schon seit vier Wochen in Mazatlan sind und uns mit Tipps eindecken. Ein Bus hält unweit der Marina und bringt uns für ca. 90 Cent in die Stadt. Vom Bus aus entdecken wir die Markthalle, immer ein lohneswertes Ziel. Neben Gemüseständen, einer Reihe von Metzgern, die ihre Auslagen zu Joachims Entsetzen offen präsentieren, und dick mit Eis gefüllten Fischtheken gibt es allerlei Läden mit Touri-Ramsch sowie TacoStände, wo man günstig und gut essen kann. Ich will endlich mal Ceviche essen, eines der Nationalgerichte Mexikos, zumindest entlang der Küste. Ceviche ist eine Art erfrischender Salat, die mit Fisch oder Shrimps und Gemüse zubereitet und meist auf einem kleinen Taco serviert wird. Joachim hat Angst vor "Turista", der berühmt berüchtigten Durchfall-Erkrankung, und verzichtet lieber. Da die Kunden des Ceviche-Stands Schlange stehen und die wenigen Stühle stets besetzt sind, vertraue ich auf die Reinlichkeit des Personals.

 

Einen guten Taco-Stand erkennt man daran, dass die Person, die Geld anfasst, nicht mit dem Essen hantiert oder wenn doch, dann das Geld nur durch eine Plastiktüte hindurch anfasst, die sie sich über die Hand stülpt. Dünne Plastiktütchen werden auch über die Plastikteller gestülpt, auf denen das Essen serviert wird. Die Wegwerftüten sind auf Straßenständen und in Markthallen, wo es keine Möglichkeit gibt Geschirr ordentlich zu spülen, der Garant für Hygiene. Verglichen mit Wegwerfgeschirr aus Plastik oder Pappe, ist die Umweltbilanz der dünnen Tüten wahrscheinlich sogar besser.

 

Das Shrimp-Ceviche ist köstlich. Ich sitze neben einer blonden blauäugigen alten Dame, deren Vorfahren aus Frankreich stammen. Sie ist allerdings durch und durch stolze Mexikanerin. Als ich ihr anhand einiger Beispiele erzähle, dass es uns vorkommt, als hätte Mexiko mehr mit Europa gemein als die USA und dass wir uns hier sehr wohl fühlen, leuchten ihre Augen. "Ihr Deutschen, Ihr seid ein Volk mit Bildung und Kultur", meint sie, "ich liebe Deutschland". Auf ihren Rat hin bestelle ich auch noch ein Fisch-Ceviche und bekomme etwas von ihrer Avocado ab, mit der sie das Gericht verfeinert.

 

Was uns an Mexiko gefällt ist die Natürlichkeit der Menschen und ihre Lebensweise. Wir finden wieder naturbelassene Lebensmittel, ohne Geschmacks- und sonstige Zusatzstoffe sowie praktische Lebensmittel wie H-Milch, auf die wir auf langen Passagen und an abgelegenen Ankerplätzen angewiesen sind.. Es ist wieder normal, dass nicht alles Essbare auf Teufel komm raus gekühlt wird. Auf gepflegte Kleidung wird Wert gelegt und auf der Straße oder beim Einsteigen ins Collectivo, den Minibus, grüßt man seine Mitmenschen, selbst wenn man sie nicht kennt - genau wie bei uns daheim. Was anders ist als in Deutschland, erinnert an Frankreich und Spanien. Und nicht zuletzt: Wir sind zurück in der metrischen Welt, tanken wieder Liter, messen die Temperatur in Celsius und Entfernungen in km. Was für eine Wohltat!

 

Zur allgemeinen Erheiterung folgender Einschub aus „Charlies Charts Mexiko", unserem US-amerikanischen Revierführer: „Metric System – it's easy once you get used to it. Think of a liter as a quart when shopping or buying fuel. One quart equals 0.95 liters; one gallon equals 3.785liters. Liters are divided into milliliters with one ounce equal to 29.5 ml. Therefore a bottle of beer which is 325 ml is equal to 11 ounces. Weight is measured in kilograms. Think of a kilo as 2 pounds. The kilo is divided into grams. At the deli for example, 100 grams of cheese is a bit under a quarter of a pound. Length is measured in meters, which is 1.09 yards or 3.28 feet. There are 100 centimeters in a meter, thus 1 cm equals 0.4 inches, 1 inch equals 2.5 cm and 1 mile equals 1.6 km". - Und weil's gerade so schön ist, gleich weiter zum Thema "Restaurants" - On a restaurant menu "antojitos" are what we think of as "Mexican Food". It means tacos, enchiladas, tostadas etc. The food will be rather different from what we are used to. Enchiladas, for example, come with many types of sauces, none of them quite like the typical enchilada sauce of California."... Noch Fragen??

 

Nach dem Besuch der Markthalle streifen wir durch die Altstadt. Vor dem Kirchplatz treffen sich alte Männer auf einen Schwatz, oder sie lassen sich die Schuhe polieren. Wir besichtigen das berühmte Theater der Stadt, das Teatro Angel Peralta aus dem Baujahr 1860 und kommen um die Ecke rum, auf der Plaza Machado mit José ins Gespräch, der versucht, Kunden in sein Restaurant zu locken. Wir machen kein Hehl daraus, dass unser Budget es nicht erlaubt im Restaurant zu essen und trinken, wo wir doch noch einen vollen Kühlschrank auf dem Schiff haben und schon in der Markthalle waren. Wir erzählen José von unserer Reise und haben eine richtig nette Unterhaltung. Er lädt uns ein, das ungewöhnliche Interieur des Restaurants zu besichtigen und Fotos zu machen. Der hintere Teil des Lokals hat kein Dach mehr, durch die Deckenbalken hindurch ist ein riesiger Baum zu sehen. Pflanzen lösen die Grenze von Drinnen und Draußen auf. Die Wände sind mit Graffiti in Pastellfarben bemalt, im Eingangsbereich stehen ein paar Antiquitäten. Das Lokal macht einen sympathischen Eindruck. José empfiehlt uns am Abend zurück zu kommen, wenn es ein Jazz-Konzert gibt. Da würde es richtig voll werden, wir müssten vor 19 h da sein, wenn wir einen Sitzplatz bekommen wollten. Au ja, Lust auf ein gutes Jazz-Konzert haben wir, so etwas werden wir in der Südsee nicht finden.

 

Der letzte Collectivo raus zum Hafen fährt um 21h40, das passt doch ganz gut. Als wir abends wieder auf der Plaza Machado ankommen bleiben wir erst mal vor einem Übungsraum hängen, in dem ein etwa zwanzigköpfiges Orchester probt. Star des Orchesters ist ein etwa 10jähriger Junge am Schlagzeug, der spielt, als sei er mit Schlagstöcken in den Händen und Rhythmus im Blut zur Welt gekommen. Wir können kaum glauben, was wir sehen. Der Junge wird eine glänzende Musiker-Karriere machen, da sind wir uns sicher. Schade, dass wir seinen Namen nicht kennen.

 

Das Jazz-Konzert im Bohemia ist ebenfalls grandios. Die Band und das Publikum kennen sich, zwischendurch wird eine Jam-Session mit Musikern aus dem Publikum eingelegt. Wir kommen mit einigen Tisch-Nachbarn ins Gespräch. Das Paar, das hinter uns sitzt, sind zufälligerweise auch Segler. In welcher Marina ihr Schiff denn liegt, wollen wir wissen. "In gar keiner, wir ankern im alten Hafen". "Echt, da soll es doch so unsicher sein" fragen wir, "wir waren auch da, aber der Hafenkapitän hat uns wieder weggeschickt". "Ach der Hafenkapitän, der erzählt das immer, aber es stimmt nicht. Wir sind seit über zwei Wochen da und alles ist prima. Im Club Nautico können wir problemlos das Dingi lassen, und in die Stadt können wir laufen." Die beiden müssen sich nicht mitten während des Konzerts sputen, um den letzten Bus nicht zu verpassen...

Isla Isabella – ein Vogelparadies

Ein Besuch der kleinen Insel Isabella wurde uns von einer Seglerin aus San Francisco fest ans Herz gelegt. Auf Isabella nisten um diese Jahreszeit Unmengen von Fregattvögeln sowie Blaufuß- und Braune Tölpel. Die Blaufuß-Tölpel haben wir schon vor fast einem Jahr auf Galapagos ins Herz geschlossen und freuen uns auf ein Wiedersehen. Doch erst einmal müssen wir Isabella finden. Die Position der Insel ist in allen offiziellen Seekarten falsch eingetragen. Zum Glück gibt es Revierführer, die unabhängig von den offiziellen Seekarten korrekte GPS-Positionen publizieren. Wir finden Isabella dort, wo wir die Insel erwarten, knapp 2 Meilen weiter südlich als in den Karten eingetragen.

 

Als wir beim Ankerplatz im Süden Isabellas ankommen, sind wir die einzigen Besucher, erst am nächsten Vormittag bekommen wir Gesellschaft. Die Segelyacht Indigo aus Portland, Oregon ankert ziemlich dicht, aber eigentlich doch weit genug von Pagena entfernt. Mac erkundigt sich per Funk, ob wir ein Problem in ihrem Ankerplatz sehen. "Nein, nein, für uns ist alles prima". Das sind feine Leute, die wissen, was sich gehört, schlussfolgern wir. Wie oft schon haben wir uns über andere Segler geärgert, die nicht zugeben konnten, dass ihr Manöver ihr Schiff an keiner guten Stelle hat enden lassen. Die Einladung auf einen Drink auf der Indigo nehmen wir gerne an. Mac und Cathrine sind wie vermutet nette, kultivierte Leute, ein Arzt und eine Künstlerin. Wir verabreden uns für den nächsten Morgen, um gemeinsam die Insel zu erkunden.

 

Die Dingis können wir vor dem Fischercamp am Strand lassen. Schon vom Strand aus sind die ersten Fregattvogel-Männchen zu sehen, die auf niedrigen Bäumen thronend ihren roten Balg prall aufgeblasen haben, um die Vogel-Damenwelt zu beeindrucken. Auch bei mir wirkt der Zauber, ich will sofort ein Foto davon machen. Je näher wir den Bäumen neben dem Fischercamp kommen, umso mehr rote Blasebälge leuchten uns entgegen. Wir können uns aussuchen, ob wir einen balzenden Vogel von vorne oder von der Seite fotografieren möchten, und ob er einfach nur da sitzen oder die Flügel Aufmerksamkeit heischend ausbreiten soll. Hammer!

 

Auch nistenden Blaufuß-Tölpeln kommen wir sehr nah. Die Füße leuchten hier noch kräftiger als auf den Galapagos-Inseln. Das auf dem Boden in Sand gescharrte Nest wird stets von beiden Elternteilen bewacht, die sich beim Brüten abwechseln. Die Jungtiere sehen wir allen Stadien, von noch ganz nackt bis zum runden Knäuel aus weißem Gefiederflaum. Süß! Viele der Vögel haben ihr Nest auf dem gekennzeichneten Weg für Fußgänger gebaut. Wenn sie finden, dass wir ihnen zu nahe kommen, werden wir mit lautem Gezeter beschimpft. Die größeren Boobies mit den tieferen Stimmen sind die Weibchen, erfahren wir etwas später von einem Professor der Universität von Mexiko Stadt, der seit 35 Jahren die Sozialbeziehungen der Blaufuß-Tölpel erforscht. Blaufuß-Tölpel haben nämlich oft zwei oder drei Junge und das Stärkere tötet nicht das Schwächere, wie es andere Tölpel-Arten tun. Jedes Jahr campiert der Professor fünf Monate lang mit einigen Studenten an der Ostküste Isabellas und sammelt neue Daten. Was für ein cooler Job!

 

Als wir anderntags den Kopf aus dem Niedergang stecken und einen Blick über die Bucht schweifen lassen, entdecken wir eine neue Yacht neben uns, die uns bekannt vorkommt. "Schau mal, das ist ja Maiatla" freuen wir uns. Seit sich unsere Wege in San Francisco getrennt haben, schicken wir uns von Zeit zu Zeit emails, um uns gegenseitig über den derzeitigen Aufenthaltsort zu informieren. Wir hatten Maiatla zuletzt von Mazatlan aus geschrieben, nicht wissend, dass Andrew und seine Crew dort zur selben Zeit in einer benachbarten Marina waren. Als Andrew an Deck auftaucht gibt es ein großes Hallo. Später am Tag kommt er rüber zu uns und wir lernen seine Frau, seinen Bruder und seine Schwägerin kennen.

San Blas – kleine Vampire und große Krokodile

San Blas stand ursprünglich auf der Liste der Orte, die wir nicht besuchen wollten. Zu oft hatte ich in Latitude 38, der Zeitschrift der Segler der amerikanischen Westküste schlechte Nachrichten über San Blas gelesen. Aber damals wussten wir noch nicht, dass San Blas ein Städtchen ist, das erstens eine spektakuläre Dschungeltour ins Hinterland bietet, dass zweitens eine günstige und gute Marina Fonatur hat und dass drittens den Ruf genießt, ein Stück wahres, unverfälschtes Mexiko zu sein, wie es nur noch in wenigen Küstenorten der Provinzen Sinaloa und Nayarit existiert. Mac und Cathrine kamen gerade aus San Blas und waren ganz begeistert. Also doch auf nach San Blas.

 

Dass wir genau das richtige Schiff für die Ansteuerung haben, wird uns erst klar, als Pagena vor dem Wellenbrecher steht, der die Einfahrt in den Fluss schützt, in dem sich der Fischereihafen und die Marina befinden. Mac hatte uns eine Tidentafel zusammen mit zwei Luftaufnahmen von San Blas aus Google Earth in die Hand gedrückt und Joachim gezeigt, wo besonders kritische Untiefen liegen. Als wir die Unterlagen im Laufe des Tages genauer studieren stellen wir fest, dass wir Vollmond haben und damit absolutes Niedrigwasser herrscht, genau zu unserer Ankunftszeit. Als wir Marina Fonatur anfunken um uns zu erkundigen, ob ein Liegeplatz für uns frei ist, bekommen wir mitgeteilt "Ja, Ihr könnt kommen, aber es sind nur 4 Fuß Wassertiefe." "FOUR FEET! " wiederholt die Dame, die eigentlich nur Spanisch spricht, mehrfach energisch in Englisch.

 

Argwöhnisch beäugen wir die Sandbank, auf die Mac uns aufmerksam gemacht hat. Wir haben Stillwasser und über der Sandbank ist kein gefährlicher Seegang zu sehen. "Wir fahren da jetzt rein, hinter dem Wellenbrecher ist das Wasser ruhiger, dann sehen wir weiter." An der niedrigsten Stelle misst unser Lot 2,60 m Wassertiefe, das geht ja. Hinter der Sandbank hat der Fluss wieder fünf bis sechs Meter. Wo kommen die vier Fuß nur, fragen wir uns, während wir den Flussarm bei Gegenwind hochfahren. Als wir unser Schwert durch den Schlamm ziehen, genau dort, wo der kleine Nebenarm abzweigt, in dem sich die Marina befindet, wissen wir es. Hier. Aber macht nichts, wir sind schon drin." Am Steg nimmt Erin unsere Leinen an, der Segler aus Kalifornien, den wir in Mazatlan kennengelernt hatten.

 

Nachdem wir eingecheckt haben bleibt uns genügend Zeit für eine kleine Erkundungstour des Ortes. Das öffentliche Leben in San Blas konzentriert sich in zwei Parallelstraßen, die den hübschen, baumbestandenen Platz gegenüber der Kirche säumen, die Calle Juárez und die Calle Sinaloa. Wie überall in Mexiko und wie auch schon Cartagena des Indias in Kolumbien, befinden sich auf solchen Plätzen immer viele Blumenbeete, schattenspendende Bäume, eine Menge Parkbänke und in der Mitte ein schmiedeeiserner Pavillon. Auffällig in San Blas sind die beiden direkt neben einander stehenden Kirchen, eine kleine, ganz alte, dem Verfall ausgesetzte und daneben eine neuere, modernere. Die Straßen im gesamten Ort sind holperige Pflasterstraßen aus großen runden Kieseln. Die Stoßdämpfer eines jeden Fahrzeugs, das darauf fährt, werden arg beansprucht. Viele Leute sind mit dem Fahrrad unterwegs.

 

Ein beliebtes Auto ist der in Mexico sehr lange gebaute VW Käfer, von dem viele Exemplare an den Straßenrändern geparkt sind. Häufig sind die Karosserien modifiziert. Schon toll, was man aus dem Käfer alles machen kann, in einem Land, in dem es keinen TÜV gibt, wo die Kreativität der Schrauber nicht in enge Bahnen gelenkt wird. Joachim bemerkt, dass an unglaublich vielen Häusern, renoviert, gemauert oder die Fassade gestrichen wird. San Blas putzt sich raus für die Semana Santa, die Osterwoche, des Höhepunkts der Hauptsaison des Tourismus. Vor allem bei Mexikanern ist San Blas als Urlaubsort beliebt, finden wir später heraus. Wir fragen uns, wo die vielen Urlauber denn unterkommen, denn wir sehen nur wenige Hotels und Pensionen. Restaurants gibt es einige und auch kleine Lädchen sowie eine Markthalle. Einen richtigen Supermarkt jedoch hat San Blas nicht. Dafür, dass von Dezember bis April Hauptsaison ist, sind verdammt wenige Besucher auf den Straßen zu sehen. Wir wollten das ja so, deshalb sind wir ja hier - aber wir fragen uns dennoch, wovon die Leute hier leben. Von Fischerei, klar – San Blas ist für seine geräucherten Fische bekannt und neben Fisch gibt's Krabben, Muscheln und Austern – sowie von etwas Industrie rund um den Fischereihafen, von Handwerk und von Kleingewerbe ist unser Eindruck. Aber reicht das aus um über die Runden zu kommen? Die zur Marina Fonatur gehörende Werft ist fast leer, nur wenige Schiffe stehen hier auf dem Trockenen, der moderne Kran hat nichts zu tun, die Werkstätten auch wenig und die Mietlokale stehen leer. Ein Jammer! Ist dass das Stückchen ursprüngliches Mexiko, dessen wegen wir hergekommen sind? Die Leute in den Straßen sind jedenfalls freundlich und interessieren sich nicht für uns. Nirgendwo werden wir angesprochen und gebeten in ein Restaurant oder Geschäft zu kommen. Wir fühlen uns in solchen Orten wohler als dort, wo mit dem Tourismus ein aggressiverer Verkaufsstil einsetzt.

 

Am nächsten Morgen laufen wir ans andere Ortsende, um zum Tovara-Fluss zu kommen, auf dem die Dschungeltour angeboten wird. Erin und Theresa sind leider noch beschäftigt, so dass wir nur zu zweit losziehen. Die Mindest-Miete für ein Panga umfasst den Transport von vier Personen, aber weit und breit ist kein anderes Paar zu sehen, mit dem wir uns die Kosten teilen könnten. Einer der beiden Führer, José Ortiz, der uns in der Nähe der Anlegestelle angesprochen hatte, spricht sehr gut Englisch und macht einen netten und kompetenten Eindruck. Nach reiflicher Überlegung beschließen wir, uns die Tour zu zweit zu gönnen. Auch wenn wir ja meist auf dem Wasser unterwegs sind, ist diese Flusstour etwas Ungewöhnliches. Erstmals in Mexiko verlassen wir die Küste und dringen ein Haarbreit ins Landesinnere vor. Die hohen grünen Berge der Provinz Nayarit geben ein attraktives Landschaftsbild ab. José fährt uns fast eine Stunde lang durch das Mangroven-gesäumte Brackwasser des Flusses und zeigt uns die darin lebenden Krokodile und eine Menge Vögel. Anfangs ist der Fluss noch weit und offen, dann jedoch schließt sich das Blätterdach über dem Panga und der Fluss windet sich inmitten eines grünen Blättertunnels in Haarnadelkurven durch die Landschaft. Wir begegnen ein paar Holzbooten, mit denen Fischer Mangrovenholz holen. Das stark salzhaltige Holz verleiht dem Räucherfisch ein besonderes Aroma. Dann erreichen wir den Süßwasserteil des Flusses. Die Mangroven verschwinden, die Landschaft weitet sich, Schilfgras taucht auf. Schließlich rasten wir bei einer Süßwasserquelle. José ist ein kundiger Führer. Schade dass wir versäumt haben, ihn zu fragen, wie es sein kann, dass im Tovara-Fluss Krokodile sowohl im Salz- als auch im Süßwasser zu sehen sind. Sind das Süßwasser-Krokodile, die einen gewissen Salzgehalt tolerieren können oder Salzwasser-Krokodile, die auch im Süßwasser zurecht kommen?

 

Davon, dass San Blas vor einigen Jahrhunderten kein verschlafenes Fischerstädtchen sondern ein bedeutender Seehafen war, zeugt noch das Fort, das die Spanier hier hinterlassen haben. San Blas ist einen Besuch wert, finden wir. Das einzig Unschöne an San Blas sind die winzigen Mücken, die Jejenes, die heftig juckende Stiche verursachen. Obwohl Joachim auf Isla Isabella die Nähmaschine rausgeholt und Mückengitter für Pagenas Luken genäht hatte, und wir die erste Nacht triumphierend ohne eine einzige Jejene im Boot überstanden haben, haben in der zweiten Nacht einige der Plagegeister einen Weg ins Schiff gefunden und uns schadenfroh zerstochen. Kaum ein Besucher entgeht dieser Plage, daher wird San Blas wohl auch weiterhin ein Ort bleiben, der seinen ursprünglichen Charakter bewahrt.

 

Als wir um die Mittagszeit rum die Marina verlassen und den Flussarm wieder runter tuckern, diesmal bei Hochwasser, ruft und winkt uns plötzlich jemand von einer Mole am Fischereihafen aus zu. "Das ist ja Andrews Bruder" stellen wir erstaunt fest, "was machen die denn schon hier, die wollten doch noch auf Isabella bleiben." In der Flussströmung ist es nicht schwer, das Boot zu wenden und Pagena auf der Stelle stehen zu lassen, so dass wir uns kurz unterhalten können. Maiatla liegt seit gestern in der Mantachen Bay auf der anderen Seite von San Blas vor Anker. Wenn wir unser Funkgerät angehabt hätten, hätten wir vielleicht mitbekommen, dass Andrew versucht hat uns Bescheid zu sagen. Schade, die Tovara-Tour hätten wir gut zu sechst unternehmen können. So verabreden wir uns jetzt eben für den nächsten Ort, Chacala.

Puerto de Chacala – eine Bilderbuch-Bucht

Die bilderbuchhübsche Bucht von Chacala gilt als eine der schönsten der Pazifikküste Mexikos. Rechts und links eingefasst von halbhohen Klippen laufen rauschende Wellen auf den golden leuchtenden Sandstrand, hinter dem sich hohe Palmen im Wind wiegen. Im Hintergrund erheben sich sanfte grüne Hügel, im Vordergrund bieten großzügige strohgedeckte Terrassen den Besuchern am Strand Schatten und ein kühles Bier, Café americano oder eine Kokosnuss. An den Hängen stehen großzügige gepflegte Häuser, wie wir sie bislang noch nirgendwo in Mexiko gesehen haben. Hier wohnt Geld, das ist offensichtlich. Später bekommen wir mit, dass auf der nördlichen Klippe ein exklusives Wohn-Resort steht, in dem reiche und einflussreiche Mexikaner und Amerikaner ihr Zweitdomizil haben. Unterhalb davon befindet sich der kleine Fischereihafen, in dem ca. zwanzig offene Pangas liegen. Darüber liegt das Büro des Hafenmeisters, der uns in einer prächtigen weißen Uniform empfängt und nur ein paar Daten von uns braucht.

 

Auch Chacalas Straßen sind mit Kieselsteinen gepflastert und außer den hübschen Pensionen in den sonnengelb, weinrot oder grasgrün getünchten Häusern und den Palapas-Restaurants am Strand gibt es nicht viel in Chacala. Ein Gemischtwarenhändler, eine Ferreteria, ein Fischgeschäft, zwei Souvenirläden, ein Campingplatz. Chacala ist schnell besichtigt und für den Spaziergang von einem Strandende zum anderen braucht man auch kaum länger als 20 Minuten, wenn überhaupt. Die Brandungswellen sind gut für Surfer, am Strand werden Hunde ausgeführt. Hier ist einer der perfekte Ort, um sich mit einem guten Buch in der Hand zu entspannen und die Seele baumeln zu lassen. Das Wasser lädt förmlich zum Schwimmen ein, jedenfalls nachdem das Luxus-Wohnresort seine Probleme mit der Sickergrube behoben hat und die Abwässer nicht mehr in die Bucht leitet (was ein ungewöhnliches Vorkommnis ist).

 

Bei unserem ersten Erkundungsrundgang entdecken wir ein Haus auf dem Mauna Kea Cafe steht. Neugierig nähern wir uns mit der Frage, was der Vulkan aus Hawaii, auf dessen Gipfel wir gestanden haben, in Chacala zu suchen hat und lernen Susana, die Besitzerin kennen. Als sie hört, dass wir Deutsche sind, erzählt sie uns von Regine aus Heidelberg, die zurzeit in Chacala lebt. „Morgenabend gibt es einen Potluck bei Carla auf der Dachterrasse, da müsst Ihr unbedingt hinkommen und Regine kennenlernen, sie würde sich so freuen mal wieder Deutsch zu sprechen" überredet uns Susana zum Bleiben. Während des Potlucks lernen wir einige der Bewohner Chacalas kennen, vorwiegend amerikanische und kanadische Rentner. Erstaunlich viele haben früher ein Segelboot besessen und haben damit den Pazifik bereist. Sie interessieren sich angeregt für unsere Reise und erzählen von den eigenen Erlebnissen.

Als das Gespräch auf COPLARE kommt, sind Regine, Jill und Susana ganz Ohr. Dass Chacala sehr sauber ist und überall im Ort Gittertonnen aufgestellt sind, in den Plastikflaschen gesammelt werden, ist uns schon aufgefallen. „Montag kommt eine Expertin in die Grundschule und bringt den Kindern etwas über Recycling bei", wird uns berichtet. „Ihr solltet José Enrique kennenlernen, der das organisiert hat. Wir verabreden uns für den folgenden Tag mit Regine und gehen zu José Enrique, einem Architekten aus Mexiko City, der am Strand-Ende ein in den Bäumen verstecktes exquisites Hotel mit Spa betreibt. Er tut viel für die Umwelterziehung in Chacala. Unter anderem hat er erreicht, dass Chacalas Strand als einer der schönsten und saubersten Mexikos ausgezeichnet wurde. Ziemlich bald sind wir uns einig, dass auch wir einen Vortrag für die Kinder halten sollten. Dazu müssen wir bis Dienstag in Chacala bleiben, aber das tun wir gerne. Über den Vortrag und die Umwelterziehung, die Schüler an vielen Schulen Mexikos erhalten, berichten wir in einem Extra-Artikel in der COPLARE Rubrik „Bemerkenswert". Jedenfalls erfüllt sich hier einmal wieder unser Wunsch, durch COPLARE in Kontakt mit der Lokalbevölkerung zu kommen.

 

Zwischenzeitlich sind auch unsere Freunde auf Maiatla sowie Erin und Theresa in Chacala eingetroffen. Die Eindrücke, die sie aus Chacala mitnehmen sind bei weitem nicht so intensiv wie die unsrigen. Wir bekommen durch unsere neuen Bekannten mehr Einblick in den Ort und erfahren viel mehr interessante Geschichten als die meisten anderen Segler. Regine z.B. nimmt uns mit zu „Surfers Pizza" und erzählt uns die Geschichte der beiden Jungs, die dieses kleine Restaurant betreiben. Beide sind begeisterte Surfer, daher der naheliegende Name des Restaurants, das mit alten Surfboards dekoriert ist und auf dessen Bildschirm im Inneren ständig Surf-Videos gezeigt werden. Bernardo und sein älterer Bruder, heute 16 und 18 Jahre alt, wurden vor einigen Jahren von ihren Eltern verlassen. Seit sie ca. 12 und 14 Jahre alt sind verdienen sie Geld, um sich und ihre vier Geschwister über Wasser zu halten. Erst arbeiteten sie als Kellner, wobei Bernardo gutes Englisch lernte. Dann machten sie eine Hamburgerbude auf und schließlich mieteten sie von einer Verwandten einen günstig in der Ortsmitte liegenden Schuppen und richteten diesen mit eigenen Mitteln als simples Restaurant ein. In einem Holzofen backen sie superleckere Pizzen. Die beiden Jungs sind durch und durch sympathisch und Unterstützens wert. Wir hoffen, dass noch viele Segler bei ihnen einkehren und empfehlen sie den hinter uns reisenden Freunden, die bald nach Chacala kommen werden.

 

Jill, eine pensionierte amerikanische Lehrerin, die in jeder Hinsicht begeistert von unserer Reise und unserem Projekt ist, bietet uns an, uns nach "San Pancho" zu fahren, wo es das Gemeindezentrum "Entre Amigos" gibt, wo ebenfalls Recycling in jeder Form propagiert wird. San Pancho heißt eigentlich San Francisco, aber für jeden Rufnamen gibt es im Mexikanischen einen Spitznamen. Wie im Süden Deutschlands aus dem Josef ein Sepp wird, wird hier ein Francisco zum Pancho, auch wenn es sich um einen Ort handelt. Die Arbeit, die die amerikanische Gründerin von Entre Amigos zusammen mit Mitarbeitern aus aller Herren Länder für die Gemeinde leistet, beeindruckt uns mächtig. Während in Chacala fast nur Pensionäre leben, treffen wir hier junge Leute voller Tatendrang, die wir gerne näher kennenlernen würden. San Pancho ist auch als Ferienort etwas attraktiver als Chacala finden wir. Zwar ist der Strand weniger gut geschützt und vielleicht nicht ganz so gut zum Schwimmen, aber weht einfach ein anderer Geist. Toll, dass Jill uns hierher gebracht hat, es ist immerhin eine fast einstündige Fahrt.

Banderas Bay - Seglerdorf La Cruz de Huanacaxtle

Schließlich erreichen wir die weitläufige Banderas Bay, die ein Zentrum des Segelsports an der mexikanischen Westküste ist. Sie wird von hohen Bergen umrahmt, die Winde erzeugen, die der Bucht fast immer gute Segelbedingungen bescheren. Am Ende von Banderas Bay liegt Puerto Vallarta, kurz PV (sprich Piwi), von diesem Ort haben wir auf unserer gesamten Reise immer wieder gehört. PV ist ähnlich wie Cabo San Lucas ein beliebtes Urlaubsziel nordamerikanischer Touristen. Noch in San José del Cabo haben wir vor, nach PV zu fahren. Mary von der Hokulele ist es, die uns sagt: "PV ist nichts für Euch, da wird es Euch nicht gefallen. Cruiser wie ihr treffen sich in La Cruz, am Nordufer von Banderas Bay. Dort kann man auch gut ankern."

 

Als wir die Landspitze Punta de Mita umrundet haben und auf La Cruz de Huanacaxtle zusteuern, sehen wir ein Ankerfeld, das lange nicht mehr gesehene Ausmaße hat. 30 bis 40 Segelschiffe liegen hier. Wir drehen mehrere Runden durchs Ankerfeld um ein Plätzchen zu finden, das uns zusagt und an dem wir niemandem in die Quere geraten können. Kaum ist unser Anker endlich gefallen, kommt eine drahtige Frau in einem roten Plastikkanu angepaddelt und erklärt uns, dass es kein guter Ankerplatz ist. Eines der Nachbarboote hat den Anker statt an einer Kette an einem sehr langen Seil, das in kräftigen Böen, die es hier häufig gibt, öfter mal straff kommt. Die kleine Yacht braucht unglaublich viel Raum zum Schwojen und geht manchmal auf Wanderschaft, es habe schon mehrere kleine Kollisionen mit ihr gegeben. "Alu vor Plastik" denken wir uns im ersten Moment, aber das ist Quatsch. Natürlich wollen wir keine Kollision haben, selbst wenn Pagena vermutlich ohne Schaden bleiben würde. Die Bucht ist groß, es wird noch einen anderen Platz für uns geben. Schließlich ankern wir nah an der Hafeneinfahrt, sozusagen in der ersten Reihe. Der Platz ist definitiv noch besser als der andere, wenn vielleicht auch etwas rolliger.

 

Bei unserem ersten Rundgang durch die Straßen von La Cruz fragen wir uns, warum es die Segler hier so schön finden. Der Ort wirkt am frühen Abend verschlafen und langweilig, außer ein paar Restaurants und zwei Mini-Supermärkten gibt es nichts zu entdecken. Die Marina, in der wir das Dingi lassen können, ist halb leer. Maiatla hat einen der vielen freien Liegeplätze gemietet, da sie Crewwechsel haben. Wir stecken unsere Pesos lieber in einen Restaurant-Besuch, da es in La Cruz ein deutsches Lokal gibt, dem ein guter Ruf für seine Schnitzel vorauseilt. Am besten mundet Joachim jedoch das dunkle Hefeweizen vom Münchner Hofbräuhaus, das hier endlich mal wieder im richtigen Glas und so wie es sich gehört, mit einer Schaumkrone serviert wird. Das Getränk kostet zwar so viel wie andernorts ein Hauptgericht, aber die Verlockung ist einfach unwiderstehlich! Wie sehr man doch an lokalen Genüssen hängt, egal wie kosmopolitisch man sich ansonsten fühlt...

 

Die folgenden Tage klappern wir die großen Supermärkte ab, die an der Schnellstraße zwischen La Cruz und PV liegen. Man kann bequem per Bus hinfahren und die Wirtin vom Black Forest hat uns verraten, wo man gut und günstig einkaufen kann. Wir füllen Pagenas Bauch Tag für Tag mit neuen Leckereien, da wir ca. vier Wochen auf See sein werden, dann auf Inseln ankommen, wo es nicht viel zu kaufen gibt und überhaupt in Französisch Polynesien alles so teuer sein soll. Außerdem wird das Schiff noch mal auf Herz und Nieren durchgeprüft und siehe da, die Genau braucht eine Segelreparatur. Der Motor bekommt eine Wartung, die Welle wird gefettet, die Rettungsinsel auf Unversehrtheit geprüft. Konzentriert überlegen wir, was wir noch alles besorgen sollten, um im nächsten halben Jahr für alle Fälle gut gerüstet zu sein. Aber wir sind jetzt schon so lange unterwegs, wir haben eigentlich alles Notwendige an Bord, komme was wolle.

 

Nach getaner Arbeit kommt unser Sozialleben in La Cruz in Fahrt und ein klein wenig Zeit für Besichtigungen bleibt auch. Mary hat Recht, PV können wir tatsächlich nichts abgewinnen. Das angebliche Altstadt-Viertel, das auch als "Romantic Zone" bezeichnet wird, kommt bei weitem nicht an Mazatlan heran. Die im Reiseführer zitierten Pflasterstraßen sind nicht anders als die Pflasterstraßen andernorts. Kein Gebäude sieht so aus, als wäre es älter als 50 Jahre und keines hat sticht mit etwas Charme hervor. Vielleicht ist es abends anders, wenn die Restaurants ihre Tische auf die Straße stellen und prächtig gekleidete Bands von Tisch zu Tisch ziehen und für die Gäste musizieren, vielleicht kommt dann ein wenig Stimmung auf. Vielleicht ist es aber auch nur geschicktes Marketing, das Leuten nicht als deftiges Schönreden der Tatsachen auffällt, deren Mexiko-Bild aus dem Speisesaal und der Poolanlage des Hotels sowie PVs Malécon mit all den Geschäften besteht, die anbieten, was Touristen weltweit kaufen.

 

Wir sind froh, als wieder in unserem kleinen La Cruz sind, wo es all das nicht gibt und wo es überaus entspannt zugeht. Zu unserer freudigen Überraschung haben wir entdeckt, dass es in La Cruz zwei Lokale gibt, in denen ab und zu abends eine Salsa Live-Band spielt und getanzt wird. Die ganze Zeit in Mexiko haben wir schon danach Ausschau gehalten, aber nie ein Lokal gefunden, das für uns in erreichbarer Nähe gewesen wäre. In eines der beiden Lokale ist außerdem eine Huichol-Kunst-Galerie angeschlossen.

 

Die Huichol sind ein Indianerstamm, der in den Bergen Nayarits und Jaliscos noch immer nach traditioneller Weise lebt. Tribut an die Moderne ist, daß sie ihre Kunst jetzt an Touristen verkaufen. Die Bilder der Huichol sind äußerst farbenfroh und mit ungewöhnlicher Technik hergestellt. Auf den Träger, eine Holzplatte o.ä. wird ein höllisch klebendes Gemisch aus Bienenwachs und Harz aufgetragen auf das dann entweder mit einer Nadel winzig kleine farbige Perlen Stück für Stück nebeneinander geklebt oder mit bunten Wollfäden kunstvoll Motive aufgelegt werden. Die Schaffung des Werkes ist kein kreativer sondern ein spiritueller Akt. Der Künstler raucht eine Droge, die ihn in eine überirdische Welt eintreten lässt, und die Vision, die er dabei hat, hält er anschließend in seinem Bild fest. Da die Arbeitstechnik sehr aufwändig ist, wird an einem Bild oder einer Figur oft ein halbes oder gar ein ganzes Jahr gearbeitet. Jedenfalls sind wir erstaunt, in einer abgelegenen Ecke von La Cruz, wo garantiert niemand zufällig vorbeischlendert, auffällig gute Huichol-Kunst zu sehen.

 

Außer Maiatla sind jetzt auch unsere Freunde von der Always & Forever in La Cruz eingetroffen und auch Erin trabt uns über den Weg. Unsere Ankernachbarn, Marie, die uns geholfen hatte einen besseren Platz zu finden und ihr Mann Mike entpuppen sich als Seelenverwandte. Sie würden sicher zu guten Freunden, wenn wir mehr Zeit für Gespräche hätten. Marie und Mike haben ihr Schiff ganz auf Solarstrom umgestellt, einschließlich des Elektromotors und machen sich über Energiefragen ebenso viele Gedanken wie wir. Mike hat lange für die Ölindustrie gearbeitet, er weiß worum es geht. Ganz untypisch für Nordamerikaner senken die beiden ihren Energieverbrauch auf das absolut notwendige Minimum herab und setzen Maßstäbe. Wer mehr über ihr Konzept erfahren will: Unter www.svdejala.blogspot.com hat Mike einiges veröffentlicht.

 

Wir nehmen mehrere Anläufe um uns von La Cruz und unseren alten und neuen Freunden zu verabschieden. Mexiko war ein tolles Land und die Mexikaner sind ein durch und durch sympathisches Volk! Gerne wären wir hier noch länger geblieben, doch die Zeit drängt uns weiter. Vor uns steht eine neue Reise-Etappe, für die wir uns neue Freunde suchen müssen: Die schier unendliche Inselwelt der Südsee, dem schönsten Segelrevier der Welt.

 

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