12. April - 17. Mai 2013, Marquesas

Die Marquesas sind die östlichste Inselgruppe Französisch Polynesiens, dem Übersee-Departement Frankreichs mitten im Südpazifik. Verwaltungstechnisch sind die 35 Inseln und 83 Atolle in fünf Gruppen gegliedert: Die Marquesas, die Tuamotus, die Gesellschafts-, die Gambier- und die Austral-Inseln. Auf unserem Weg durch die Südsee besuchen wir die drei erstgenannten Archipele in der genannten Reihenfolge von Nord-Ost nach Süd-West. Die Marquesas stellen nach wie vor einen abgelegenen Außenposten dar, sie erhalten weder von den Bewohnern anderer Inseln noch von Urlaubern viel Besuch. Die berühmtesten Besucher der Marquesas waren wohl der amerikanische Schriftsteller Herman Melville und der französische Maler Paul Gaugin, der 1901 von Tahiti aus nach Hiva Oa übersiedelte. Die nach starkem Bevölkerungsrückgang im 19. + 20. Jh. verbliebenen 8.700 Einwohner verteilen sich auf sechs Inseln, vier weitere sind unbewohnt. Weil sie recht wenig Einfluss von außen erhalten, ist auf den Marquesas noch viel von der ursprünglichen Kultur erhalten. Es sind bergige Inseln, denen regelmäßige Regenfälle und gute Erde üppiges Wachstum bescheren. Früchte, Fisch, Meeresfrüchte und Wasser stehen seit Jahrhunderten in quasi unbegrenzter Menge zur Verfügung und erlaubten den Insulanern bis vor ca. 10-15 Jahren ein relativ unbeschwertes Leben, in dem man sich Schnitzerei, Musik und Tanz widmen konnte. Seit dem Einzug moderner Güter, wie Autos, Kühlschränke, Handys und Fernseher, die das Leben zwar erleichtern und willkommene Abwechslung bringen, aber Geld kosten und Folgekosten verursachen, ist das Leben auf den Marquesas komplizierter geworden.

Ankunft in Fatu Hiva, östlichste der Marquesas Inseln

Mit den allerletzten Strahlen des Abendlichts erreichen wir nach 26 Tagen Überfahrt von Mexiko aus die Bucht des Dorfes Hanavave auf der Insel Fatu Hiva. Die spektakulären Fotos dieser Bucht, die wir aus Büchern und aus den begeisterten Berichten vieler Segler kennen, sind einer der Gründe, warum wir in die Südsee segeln wollten. Als der Anker auf Grund ist, ist die Nacht schon rabenschwarz. Nur da die Marquesas, als einzige Inselgruppe Französisch Polynesiens, nicht von Korallenriffs gesäumt werden - ein kalter Meeresstrom verhindert das Wachstum von Korallen an den meisten Stellen - können wir Fatu Hiva auch bei wenig Licht gefahrlos anlaufen. Wir sind gespannt, welcher Anblick uns am nächsten Morgen empfangen wird und feiern unsere Ankunft mit einer Flasche Wein, die wir gemütlich im Cockpit sitzend schlürfen. Ist das schön nach 26 Tagen und Nächten mal wieder ganz entspannt dasitzen zu können und die Aussicht zu haben neun Stunden am Stück zu schlafen! Außer Pagena liegen drei andere Segelboote in der Bucht, plus die Aranui 3, das Versorgungsschiff der Marquesas, das mittlerweile neben allerlei Gütern aus Tahiti bis zu 200 Touristen für ein paar Stunden Aufenthalt auf die Inseln bringt.

 

Als wir die Augen am nächsten Morgen öffnen ist der Himmel grau und stark bewölkt, die Farben der Umgebung sind trüb. Die Aranui 3 ist weg, dafür ist die Taporo da, ein reines Frachtschiff. Ein kleines offenes Alu-Motorboot nach dem anderen kommt ums Eck in die Hanavave-Bucht geschossen und fährt zügig in den kleinen Hafen. Das müssen die Leute aus Omoa sein, dem ein paar Meilen weiter südlich gelegenen Hauptort Fatu Hivas. Wir denken uns, dass bestimmt Markt oder so etwas ist und wollen deshalb schnell an Land, um zu erleben, wohin all die Leute strömen. Dave und Booker von der Tortuguita, die uns bei der Ankunft geholfen hatten, ohne Zeitverlust einen guten Ankerplatz zu finden, sind auch dabei. Nachdem wir die halbe Überfahrt von Mexico aus schon per Email in Kontakt mit ihnen standen, lernen wir sie jetzt endlich beim ersten Landgang persönlich kennen.

An der Pier und im Dorf sind erstaunlich wenig Menschen zu sehen, von Markt weit und breit keine Spur. Der Hafen besteht aus einem kleinen Wellenbrecher, hinter dem es eine betonierte Kaimauer gibt. Entlang des Wellenbrechers und des Piers schaukeln die Aluboote der Fischer und ein paar Gummiboote der Segler im Schwell. Am Strand neben dem Hafen stehen Kokospalmen und Grapefruitbäume, daneben liegen ein Volleyball- und ein Fußballfeld. Von der Slip-Rampe des Hafens aus, über welche Boote, die an Land stehen, zu Wasser gelassen werden, führt eine kleine betonierte Straße ins Dorf. In der Ortsmitte gibt einen einzigen kleinen Krämerladen, in dem nichts los ist. Im halbdunklen quadratischen Raum stehen an zwei Wänden Regale, dazwischen ein Kühlschrank mit Getränken sowie zwei Kühltruhen, in denen tiefgefrorenes Fleisch und Gemüse lagert. In den Regalen stehen nur wenige Waren, ein paar Konserven, Nudeln und Reis, etwas Waschmittel, Seife, Zahncreme und Wäscheklammern. Baguette und Eier kann man in Hanavave nicht kaufen, dazu muss man nach Omoa. Wahrscheinlich hat hier jeder genug Hühner – überall im Ort rennen welche rum - und gefrühstückt wird etwas anderes als Marmeladen-, Schinken- oder Käsebrot.

 

Hinter dem Schulhaus liegt die Kirche, beide Gebäude sind von weitläufigen Gärten umgeben, in denen Hibiskus und andere Zierpflanzen blühen. Eine junge rundliche Frau, die den Kirchgarten pflegt, grüßt und kommt mit langsamem Schritt auf uns zu. Sie stellt sich als Marie-Iris vor und fragt, ob wir Tikis sehen möchten. Tikis sind seltsam geformte Steinfiguren mit riesigen Augen, die die alten Polynesier aus Stein schnitzten und an rituellen Stätten aufstellten. Natürlich wollen wir gerne Tikis sehen, die geschaffen wurden, lange bevor irgendwelche Grafiker Aliens ein ähnliches Aussehen verpassten. Marie-Iris bittet ihre fünfjährige Ziehtochter Nathalie, uns die Tikis zu zeigen. Als wir nach ca. 150 Metern vor einem Wohnhaus stehen wird uns klar, dass Marie-Iris nicht historische Tikis aus Stein meinte, sondern aus Holz geschnitzte kleine Figuren, die ein beliebtes Souvenir aus Französisch Polynesien sind. Ihr Mann Tahaki ist Schnitzer. Außer Tikis in verschiedenen Größen fertigt er Schmuckschatullen und Obstkörbe an. Er arbeitet mit wunderschön gemustertem Rosenholz und edlem dunklen Ebenholz.

 

Die Sachen sind schön, aber es widerstrebt uns, am Ankunftstag schon Souvenirs zu kaufen, zumal wir ja kein polynesisches Geld haben. Das ist auch für Tahaki ein einsehbarer Grund, warum wir nicht kaufen können, selbst wenn wir wollten. Er meint, dass wir am Montag auf dem Postamt Geld holen können. Herauszufinden, wo die Post ist, wird also unser nächstes Ziel. Wir biegen in die einzige Straße ab, die rechts von der vom Hafen kommenden Straße abzweigt und in einem Bogen auf diese zurückführt. Hanavave hat etwa vier Straßen. Mitten durch den Ort hindurch läuft ein kleiner Fluss, entlang dessen die meisten Häuser stehen. Ruckzuck haben wir ein paar Kinder als Begleiter, die fragen, ob wir Früchte haben möchten und die unser Schiff besichtigen wollen. Zwei Männer bieten ebenfalls Früchte im Tausch gegen eine Flasche Wein an, aber als wir ihnen sagen, dass wir schon mit den Kindern verhandeln, lachen sie und sagen das sei in Ordnung, dann sollten erst mal die Kinder ihren Handel betreiben.

Schnell ist klar, wer der Anführer der Kinderbande ist. Er ist ca. 10 Jahre alt und einen Kopf größer als die anderen Jungs. Er weiß, dass nicht alle Kinder mit aufs Schiff können und fragt, ob es zwei, drei oder vier sein können. Wie viele es sind ist ihm letztlich egal, Hauptsache er ist dabei und er bestimmt, wer noch mitdarf. Joseph, so sein christlicher Name – fast alle Polynesier haben einen polynesischen und einen christlichen Taufnamen - beschließt, dass sie nur zu zweit zu uns kommen werden. Kaum an Bord kennen sie keine Scheu und entern sofort das Schiffsinnere. Alles was herumliegt wird in die Hand genommen. Der E-Book-Reader wird für einen Gameboy gehalten und Joseph will wissen, ob er darauf etwas spielen kann. Das Fernglas, die Kamera, nichts ist vor den flinken Fingern sicher. Schnell bugsiere ich sie mit zwei Bechern in der Hand wieder ins Cockpit zurück und reiche zwei Dosen Cola und Kekse hinterher. Joachim kramt nach den Angelhaken, die wir ihnen im Tausch gegen Früchte versprochen haben. Kaum sind die Haken und zwei schöne Gummiköder in ihren Händen wollen sie Angelschnur und Seilstücke. Mit so gierigen Kindern an Bord fühlen wir uns nicht wohl und Joachim fährt sie zurück an Land. Wir sind gespannt, was aus unserer Fruchtlieferung wird. In wenigen Minuten sind sie mit der mitgegebenen Tüte zurück, in der sich sechs riesige Pampelmusen und eine Zitrone befinden. Joachim ist sauer, er findet das sei zu wenig als Gegenleistung für die Geschenke. Da werden wir morgen doch mit den Erwachsenen sprechen und besser verhandeln müssen.

Am Spätnachmittag, als wir bei Dave und Booker auf der Tortuguita eingeladen sind, zeigt sich die trichterförmige Bucht erstmals in ihrer vollen Schönheit. Die warmen Sonnenstrahlen des Abendlichts lassen das volle Dickicht um uns herum in allen erdenklichen Grüntönen aufleuchten und akzentuieren die herausragenden kegelförmigen Felsen mit dramatischen Lichteffekten. Es ist schwer, die richtigen Worte zu finden, um diesen Anblick zu beschreiben. Es stimmt, dies ist eine der schönsten Buchten, die wir je gesehen haben. Mittlerweile sind ein paar neue Boote eingetroffen, jetzt liegen acht Schiffe in Hanavave.

 

Tags darauf ist Sonntag. Wir stehen um 6 Uhr früh auf, damit wir um 8 Uhr herausgeputzt und mit einem Frühstück im Magen am Sonntags-Gottesdienst teilnehmen können. Natürlich verstehen wir kein Wort der Predigt, wir nehmen teil, um die melodische polynesische Musik zu hören und um nach dem Gottesdienst vielleicht ins Gespräch mit ein paar Einheimischen zu kommen. Der Gesang der Gemeinde, begleitet von einer Ukulele, ist wirklich beeindruckend. Die meisten Menschen singen mit voller Stimme aus vollem Herzen. Außer Joachim und mir ist noch die dreiköpfige Crew einer amerikanischen Segelyacht erschienen. In einer der Predigten werden die ausländischen Segler auf Französisch willkommen geheißen, das ist eine nette Geste.

 

Nach dem Gottesdienst kommt tatsächlich jemand auf mich zu und bietet an, ein polynesisches Essen für die Segler zu veranstalten, gegen Bezahlung. Die Amerikanerin ist sofort Feuer und Flamme und Joachim und ich sind auch nicht abgeneigt. Wir versprechen, uns unter den anderen Booten umzuhören, wer noch teilnehmen möchte. Dann kommt Marie-Iris wieder auf uns zu geschlendert. Ich frage sie, ob wir bei ihr vielleicht ein paar Früchte bekommen könnten. Viel hätte sie nicht, was wir denn wollten? Beim Stichwort Limonen nickt sie, davon hat sie genug. Ein Sturzregen hat die Wiese um die Kirche herum nach dem Gottesdienst kräftig unter Wasser gesetzt. Ich ziehe meine Ballerinas aus und laufe ab da barfuss. Ich hätte ruhig die üblichen Flip-Flops zum Kirchgang anziehen können. Auch wenn die Leute alle sehr ordentlich gekleidet sind - die meisten Frauen sind ganz in Weiß gekleidet - tragen viele Flip-Flops, das ist hier kein Fauxpas. Marie-Iris will sich zuhause kurz umziehen, bevor sie mit uns in ihren Garten auf der anderen Seite des Dorfes geht. Während wir die Dorfstraße hoch schlendern frage ich sie, ob wir irgendwo einen Fisch kaufen können, da wir schon lange keinen mehr an die Angel bekommen haben. Beim Haus angekommen wäscht ihr Mann zufällig gerade einen stattlichen Bonito im Hof. Kurz darauf fragt Marie-Iris, ob wir vielleicht mit ihr und ihrer Familie zu Mittag essen möchten, da wir doch Fisch essen möchten. Wir freuen uns riesig über die Einladung und nehmen sie gerne an.

Der Limonenbaum in ihrem Obstgarten ist riesig und wir dürfen so viele Früchte pflücken wie wir wollen. "Die fallen sowieso nur nutzlos vom Baum, wenn ihr sie nicht nehmt", sagt sie. Doch wollen wir die Gastfreundschaft nicht über Gebühr ausnutzen und nur so viel nehmen, wie wir auch verbrauchen können. Ein paar Früchte mehr nehmen wir gerne, um sie an andere Segler weiterzugeben. Bananen bekommen wir auch von Marie-Iris, ebenfalls mehr, als wir essen können bevor sie überreif werden. Als Geschenk überreichen wir ihr eines unserer Multitools, in der Hoffnung, dass ihr Haushalt so etwas gebrauchen kann. Außerdem erkundige ich mich vorsichtig, was sie denn sonst noch so brauchen. Marie-Iris und Tahaki machen einen relativ begüterten Eindruck. Tahaki besitzt eine gut mit elektrischen Werkzeugen ausgestattete Werkstatt, sie haben ein Auto, ein Boot und im Haus stapeln sich bergeweise Klamotten in einem großen Regal. Tahaki sagte uns beim ersten Gespräch schon, dass er seine Schnitzereien eigentlich nur gegen Geld verkaufen möchte. Tauschen würde er nur im Ausnahmefall, falls wir etwas wirklich Gutes anzubieten hätten. Von den Dingen, die Marie-Iris sich wünscht, können wir ihr kaum etwas bieten. Parfum hätte sie gerne, oder Lippenstift oder etwas Weißes für die Kirche, z.B. Schmuck. Als wir die Limonen und Bananen vor dem Mittagessen zum Schiff bringen wollen, bekommen wir von ihr unerwartet noch zwei Mangos und ein paar unbekannte Früchte in die Hand gedrückt.

 

Als wir wie verabredet eine Stunde später wieder zum Mittagessen erscheinen, haben wir eingepackt, was ihren Wünschen am nächsten kommt: Den einzigen ungebrauchten Lippenstift, den ich an Bord habe, weißen Nagellack samt Entferner, ein wohlriechendes Deo, ein flauschiges weißes Haarband. Ob ihr irgendetwas davon gefällt, oder ob sie die Geschenke nur aus Höflichkeit annimmt, ist ihr bei der Übergabe nicht anzusehen. Marie-Iris und Tahaki tischen richtig groß auf, schließlich ist Sonntag. Es gibt Poisson Cru, eine polynesische Spezialität (roher Fisch in Zitronensaft mariniert und mit Kokosmilch serviert, in die etwas Zwiebel gegeben wird), dazu kleine Bananen – eine köstliche Aromen-Kombination – gegrilltes Hühnchen, gegrillten Fisch, Reis, Nudeln, Tomatensauce und zum Nachtisch Orangen. Das sei ein typisches polynesisches Essen, erklärte sie, der Nachbar würde den Seglern morgen ziemlich dasselbe servieren. Als wir uns nachmittags mit vollem Magen von Marie-Iris, Tahaki und der kleinen Nathalie verabschieden, will Marie-Iris wissen, ob wir uns denn am Montag wiedersehen. "Ja gerne, dann schauen wir morgen irgendwann wieder bei Euch herein", antworten wir erfreut. Natürlich ist klar, dass wir eine Schnitzerei von Tahaki erstehen sollen. Marie-Iris bezweifelt jedoch stark, dass wir Montag auf der Post Geld bekommen werden, daher fangen wir an uns doch ganz dezent über Tauschgegenstände zu unterhalten. Einen Fender für ihr Boot könnten sie gebrauchen, oder ein gutes Stück Leine, oder Angelschnur, dick wie bei uns Wäscheleine. Wir versprechen zu überlegen, ob wir etwas Passendes anbieten können. Die Reste des Essens bekommen wir mitgegeben, so viel, dass nochmal vier Leute satt davon werden. Wir verspeisten die Sachen abends zusammen mit einem deutschen Paar, die aus Ecuador nach Fatu Hiva kamen.

 

Unser guter Draht zu Marie-Iris und Tahaki ist für fast alle Segler in Hanavave von Nutzen, da Tahaki der Sohn des Polizisten ist und wir von den beiden erfahren, dass der Polizist bis Mitte nächster Woche nicht in Hanavave ist. Eigentlich dürften nur Yachten, die zuvor schon auf der Nachbarinsel Hiva Oa waren und dort einklariert haben, in Fatu Hiva sein. Da Fatu Hiva aber von Hiva Oa aus wegen Gegenwind oft kaum noch zu erreichen ist, laufen seit eh und je viele Segler als erste Insel der Marquesas Fatu Hiva an. Wir alle wissen, dass wir das eigentlich nicht dürfen und dass wir vom Gutdünken des Polizisten abhängig sind. Und wenn die Kontrolleure vom Zoll kommen, werden wir ohne Aufschub nach Hiva Oa geschickt. Aber Marie-Iris und Tahaki geben Entwarnung, indem sie uns wissen lassen, dass sich der Zoll immer erst beim Polizisten erkundigt, ob sich die Fahrt von Hiva Oa aus lohnen wird, ob genügend Schiffe mit gelber Q-Flagge in der Bucht liegen. Solange der Polizist abwesend ist, wird garantiert kein Zollboot kommen. Dieses Wissen entspannt uns ungemein und wir informieren alle anderen Boote über diesen glücklichen Umstand.

 

Da Joachim und ich mittlerweile alle Schiffscrews kennen und ich außer dem Schweizer Paul und der kanadisch-mexikanischen Crew die einzige bin, die Französisch spricht, gerate ich häufig in eine Vermittler-Übersetzer-Rolle, die mir durchaus Spaß macht. Joachim und ich haben nun als einzige Crew zufällig schon ein polynesisches Essen genossen, daher beschließen wir, uns aus der Runde des nächsten Abends auszuklinken. Das finden einige der anderen Crews merkwürdig, wie wir anschließend zu spüren bekommen, da ich plötzlich als die Organisatorin des Essens gelte, die sich aus zweifelhaften Gründen aus dem Staub macht. Die deutsche Crew, die es eigentlich wissen müsste, macht sich nicht die Mühe von unserer Einladung bei Marie-Iris und Tahaki zu erzählen und setzt die nächsten Tage selbst eine beleidigte Mine auf. Ich habe mich nie in der Organisatoren-Rolle gesehen, denn die Amerikanerin hatte ja die Absprachen mit den Veranstaltern und der Seglergemeinde übernommen, seit Joachim und ich unser Interesse abgemeldet hatten. Aber so ist es halt im Leben: Unerfüllte Erwartungen, Missverständnisse und Eifersucht gibt es auf Ankerplätzen genauso wie im "richtigen Leben". Zumal unter Menschen, die sich plötzlich mehr oder weniger stark verbunden fühlen, obwohl man sich gar nicht oder erst seit Kurzem kennt.

Als alle anderen Segler, bis auf die mexikanisch-kanadische Crew und uns, bei Serge und seiner Frau zum Essen sind – wo sie nach dem Essen noch eine recht umfassende und interessante Einführung in polynesische Kultur bekommen - lernen wir am Hafen zufällig Jacques kennen, der gerade auf Lobster-Fang gehen will. Er hilft Joachim unseren großen Wasserkanister zu füllen und rät uns, das Dingi lieber nicht an Land zu stellen, wie wir es die vergangenen Tage immer gemacht haben. Die Kinder würden immer mit den Motoren spielen und früher oder später etwas kaputt machen. Dann fragt er uns noch, ob wir an Lobster interessiert sind. Wir überlegen kurz, denn noch nie haben wir selber so ein Vieh gekocht. Haben wir überhaupt einen Topf, der groß genug ist? Wir erkundigen uns nach dem Preis für eine Portion. "Ihr habt doch bestimmt eine Flasche Wein, oder?" "Ja, ein Lobster-Essen gegen eine Flasche Wein, das können wir machen", stimmen wir zu. "Gut, dann kommt morgen bei mir zuhause vorbei, ich hebe Euch welche auf", sagt Jacques und beschreibt, wo er wohnt.

Am Tag darauf ist es endlich trocken genug für die seit langem geplante 17 km lange Wanderung von Omoa nach Hanavave. Nach den starken Regengüssen des Sonntags wurde uns empfohlen zwei trockene Tage abzuwarten, damit der weitgehend unbefestigte Weg wieder begehbar wird. Da sich keine andere Crew unseren Wanderplänen anschließen mag und wir uns zu zweit kein Taxiboot von Hanavave nach Omoa leisten mögen, setzen wir uns morgens um 7h30 gestiefelt und gespornt an den Anleger und warten, ob zufällig jemand kommt, der nach Omoa fährt und uns mitnimmt. Wir warten ca. 45 Minuten, dann kommt Iris, die Nachbarin von Marie-Iris, die mit Mann und Tochter nach Omoa will. Wenn wir etwas zum Tauschen anzubieten haben, nehmen sie uns gerne mit. Wir offerieren eine Stirnlampe, damit ist Iris einverstanden. Den Wert der Lampe taxieren wir auf etwa 30 Euro, das Taxiboot hätte 50 Euro gekostet. So machen wir alle ein gutes Geschäft. Einziger Nachteil dieses Vorgehens ist, dass wir deutlich später am Tag in Omoa ankommen als empfehlenswert gewesen wäre. Große Teile des Weges liegen in der prallen Sonne, und die steht schon hoch am Himmel und brennt, als wir uns auf die Wanderung begeben. Beständig geht der Weg nach oben, vorbei an Kokos- und Bananenplantagen sowie unter zahlreichen großen Mangobäumen hindurch. Marie-Iris hatte uns gesagt, dass wir hier ruhig Mangos sammeln können, die würden niemandem gehören. Die meisten Früchte am Boden sind beschädigt und schon ein Festessen für tausende Insekten, doch wir brauchen nicht lange, bis wir dennoch sechs oder sieben kleine, vielversprechend rot-grün marmorierte Mangos eingesammelt haben. Immer wieder rasten wir kurz unter schattenspendenden Bäumen, um keinen Hitzeschlag zu bekommen. Die T-Shirts kleben uns am Leib, meine Füße glühen in den Wanderstiefeln. Glücklicherweise ziehen um Mittag herum ein paar Wolken auf, die Temperatur-Linderung mit sich bringen. Auf der Höhe angekommen gibt es an ein paar Stellen hübsche Aussichten auf die Küste runter, und etwas später in die wild-grün bewachsene Caldera im Inselinneren hinein. Der spektakulärste Teil der Wanderung kommt jedoch ganz zum Schluss: der Ausblick aus schwindelerregender Höhe auf die Bucht von Hanavave herab ist umwerfend. Wild und unbändig wachsen tief unter uns die bizarren Felsnadeln in die Höhe, fast senkrecht fällt die Steilküste ins Wasser herab. Tief gräbt sich die Schlucht, an deren Talende Hanavave liegt, in die mit üppigem Grün überzogene Berglandschaft. Auf einem ungewöhnlich karg bewachsenen Hang, der an eine steile Alpenwiese erinnert, liegen merkwürdige dicke schwarze fast runde Felsbrocken herum. Hanavave und die Boote in der tief dunkelblauen Bucht scheinen ganz nah zu sein, aber der Abstieg, der uns bevorsteht ist gewaltig. Die Straße ist jetzt betoniert. Bei dem starken Gefälle ist das bestimmt notwendig, sonst würden von jedem Regenfall Teile des Weges weggespült. Unterwegs können wir noch ein paar wild wachsende Papayas pflücken, das Obstnetz wird langsam prallvoll. Als wir nach gut fünf Stunden zurück in Hanavave sind, sind wir ganz schön geschlaucht.

Da wir am Morgen das Dingi zurück zu Pagena gefahren haben, haben wir keinen Untersatz, der uns jetzt vom Hafen aus zurück zum Schiff bringt. Hans, einem Seglerfreund, der uns von dieser Wanderung vorgeschwärmt hatte, war es letztes Jahr genauso gegangen. Daher ist Joachim darauf vorbereitet, dass er zurück zum Boot schwimmen muss, um das Dingi zu holen. Die Abkühlung im Wasser ist zwar angenehm, aber auch er würde lieber wie ich am Hafen sitzen bleiben und sich abholen lassen. Ist bloß leider keiner da.... Zusammen zurück an Bord angekommen können wir uns nicht mal kurz ausruhen, denn wir müssen ja noch zu Jacques, die Lobster holen, Iris die versprochene Lampe bringen und Marie-Iris fragen, ob wir eine Stirnlampe gegen ein kleines Holz-Tiki tauschen können. Einen besseren Tauschgegenstand haben wir nicht gefunden, aber sie bekommt noch eine zweite Ladung Batterien dazu.

Jacques und seine Frau Désiré stehen zufällig gerade am Anleger als wir eintreffen. Ich unterhalte mich lange und angeregt mit Désiré. Als wir merken, dass es schon auf 17 h zugeht und uns einfällt, dass Marie-Iris um diese Uhrzeit ja jeden Tag in die Abendmesse geht, sputen wir uns weiterzukommen. Désiré und Jacques versprechen uns die Lobster später runter an den Hafen zu bringen. Prima, denn sie wohnen weit oben am Hang und da noch rauf zu stiefeln hatten wir mit der Wanderung in den Knochen nur begrenzte Lust. Marie-Iris und Nathalie sind in der Tat schon fein für die Kirche angezogen und auf dem Sprung. "Kein Problem, wir kommen nach der Messe wieder", versichern wir eilig. Aber Marie-Iris freut sich uns zu sehen, und da es unser letztes Wiedersehen sein wird, lässt sie den heutigen Kirchgang ausfallen. Tahaki ist ja da, und morgen ist auch noch ein Tag. Wir erklären ihr, dass wir leider kein gutes Seil und keinen Fender gefunden haben, den wir entbehren können, aber dass wir gerne ein Tiki von Tahaki besitzen möchten und ihr eine Stirnlampe zum Tausch anbieten. Ja, das ist in Ordnung. Wir werden ins Haus gebeten, wo der Tisch mit allen fertigen Schnitzereien steht. Wir wollen uns eines der kleinen Tikis aussuchen, das etwa soviel kostet wie die Lampe wert sein dürfte. Von diesen Tikis sind bestimmt vierzig Stück da, aber Marie-Iris besteht darauf, dass wir uns eine der größeren Figuren nehmen, von denen sie nur vier Stück hat. Wir lehnen das zunächst vehement ab, da uns der Tausch unausgewogen erscheint. Aber Marie-Iris besteht auf ihrem Angebot, also willigen wir schließlich ein. Doch damit ist sie noch nicht am Ende. Von der Wand nimmt sie eine lange Kette, aus dunkelbraunen und feuerroten Samen, die sie selbst gemacht hat und schenkt sie mir. Dazu den passenden Armschmuck und schließlich noch Ohrhänger. Joachim bekommt ebenfalls eine Kette umgehängt, die er als persönliches Souvenir mitnehmen soll. Wir sind sprachlos ob der Generosität, die uns widerfährt. Womit haben wir das verdient, fragen wir uns, und finden keine Antwort. Wir tauschen unsere Kontaktdaten aus. Von Marie-Iris bekommen wir ihre Handy-Nummer und ihre Postanschrift. Internet und Email hat in Hanavave außer der Dame von der Post noch niemand. Es gibt also tatsächlich noch einen Ort auf der Welt, wo das Internet noch nicht Einzug gehalten hat, wo Menschen ohne Facebook-Account leben und echte Freundschaften schließen, toll! Es fällt uns schwer, uns endgültig von Marie-Iris zu verabschieden. Versteht sie, wie sehr wir sie schon ins Herz geschlossen haben?

 

Tahaki ist noch nicht von der Kirche nach Hause gekommen, obwohl die Messe schon eine ganze Weile zu Ende ist. "Er quatscht bestimmt noch mit den anderen", meint Marie-Iris. Uns wird in diesem Moment klar, welch perfekten sozialen Treffpunkt am Ende des Tages die Abendmesse darstellt. Während wir mit ihr runter zur Hauptstraße gehen, um nach ihrem Mann Ausschau zu halten, kommt uns schon Jacques entgegen und fragt, wann wir denn zum Hafen kommen. "Was will der denn von Euch" erkundigt sich unsere Gönnerin und wir meinen einen zarten Hauch Eifersucht in ihrer Stimme wahrzunehmen. Zu ihrer Nachbarin Iris müssen wir auch noch, um unser Tauschgeschenk abzuliefern. Jetzt, so reich von Marie-Iris bedacht, kommt es uns falsch vor, dass Iris und ihr Mann für "nur" die Fahrt nach Omoa, die sie so oder so unternommen hätten, das quasi identische Tauschgeschenk bekommt. Aber wir können jetzt nichts mehr ändern, die Dinge haben ihren Lauf genommen.

Am Hafen warten Désiré und Jacques mit einer prall gefüllten Tüte gefrorene Lobster auf uns. Da sie von unseren Topfsorgen wussten, haben sie uns einen mittelgroßen und drei recht kleine hineingetan und eine Cigale de Mer, ebenfalls ein kleines Krustentier. Ich erkundige mich über die besten Zubereitungsarten und Désiré erklärt mir, wie man ans Fleisch der Schalentiere herankommt. Wahrscheinlich merkt sie mir meine Unsicherheit an, denn spontan bietet sie an: "Mensch, wir veranstalten morgen für zwei amerikanische Paare ein Lobster-Essen, kommt doch einfach dazu. Wir laden Euch ein und dann kann ich Dir alles genau zeigen." Was, jetzt sollen wir auch noch zum Lobster-Essen eingeladen werden? Das wird ja immer besser. Wie sollen wir je aus Hanavave wegkommen, wenn die Leute hier alle so gastfreundlich zu uns sind? Désiré und Jacques sind genauso nett wie Marie-Iris und Tahaki, wenngleich sie ganz unterschiedliches Temperament haben. Doch wir bleiben bei unserem Entschluss, morgen weiter nach Hiva Oa zu fahren.

 

Die älteren Marquesianer, von denen viele jahrelang in Tahiti gelebt und gearbeitet haben sind froh, wenn sie nach Fatu Hiva zurückkehren können, vor allem weil es hier, am Ende der Welt, so friedlich und beschaulich zugeht. Hoffentlich bleibt die Welt hier noch lange so wie sie derzeit ist. Wenn wir an die Kinderbande zurückdenken und welche Interessen der Nachwuchs hatte, glauben wir nicht daran. Wie Jugendliche in anderen Ländern der Welt werden sie Gameboys, Mopeds, Stereoanlagen und Facebook-Freunde haben wollen und dafür Geld brauchen, das an diesem Zipfel der Welt schwer zu verdienen ist. Ob sie noch Kunsthandwerk erlernen werden oder ob ihnen die Bearbeitung von Stein und Holz zu schwer ist, wird sich zeigen.

Hiva Oa, Atuona

Hiva Oa liegt 80 Kilometer von Fatu Hiva entfernt, für uns ein bequemer Tagesschlag. In Atuona, dem Hauptort Hiva Oas leben 1.900 Menschen, in Hanavave waren es nur 300 und auf ganz Fatu Hiva nur 650. In Hiva Oa können wir unseren Aufenthalt in Französisch Polynesien legalisieren, Polynesische Francs kaufen und mal wieder etwas einkaufen. Das Angebot der wenigen Läden von Atuona ist erheblich größer als erwartet und viele Sachen sind gar nicht so teuer, wie es immer heißt. Nur Bier, Wein und Spirituosen sind horrend teuer und auch für Fleisch muss man tief in die Tasche greifen. Andere Waren sind staatlich subventioniert und wenn man ein wenig darauf achtet, was man kauft, kann man sich auch hier gut versorgen. Manola, die Besitzerin des Ladens gegenüber der Post von Atuona, trägt als auffälligen Schmuck einen dicken Blumenkranz auf dem Kopf und entpuppt sich als äußerst hilfsbereit. "Um 11h30 mache ich den Laden zu, wenn Ihr dann wieder hier seid, kann ich Euch im Auto mit runter zum Hafen nehmen", bietet sie an. Auf unsere Frage hin, wo wir denn Wäsche waschen können greift ihr Mann zum Telefonhörer und erkundigt sich für uns. Drei Minuten später ist verabredet, wo unsere Wäsche wann abgeholt wird. Manola gehört zu den Marquesianern, die gereist sind, die schon einiges von der Welt gesehen haben. "Aber hier gefällt es mir am Besten", erzählt sie, "denn hier können wir im Einklang mit der Natur leben. Hier gibt es keine Umweltverschmutzung, hier geht es uns gut." Wir können sie gut verstehen.

 

In Atuona stehen "richtige" Häuser, damit verglichen wohnen die Leute in Hanavave in geräumigen Hütten. In Atuona gibt's sogar Internet, so dass wir nach über einem Monat mal wieder schauen können, was in unseren elektronischen Postfächern aufgelaufen ist. Außerdem kommt unser Sozialleben mal wieder richtig in Gang. Die kleine Bucht von Atuona ist voll mit Segelbooten, es sind bestimmt 30 Schiffe da. Da viele Crews, die aus Mexico und aus Galapagos gekommen sind, sich vom täglichen Pacific Puddle Jump Funknetz her kennen, sich aber nicht unbedingt schon getroffen haben, wird am Dingi-Anleger fast immer rumgefragt, wer zu welchem Boot gehört, wo man herkommt und so weiter. Wir lernen endlich auch Anne-Marie kennen, die wochenlang freiwillig das Funknetz geleitet hat und können ihr und ihrem Partner Chris den unterwegs per Email versprochenen extra-leckeren Kaffee und frisch gebackenen Bananenkuchen an Bord von Pagena anbieten. Anne-Marie und Chris sind ca. 10 Jahre jünger als wir und es sind überhaupt erstaunlich viele junge Crews in Atuona. Wir zählen schon zum Mittelalter.

 

Eine interessante Begegnung in Hiva Oa sind Heide und Erich Wilts von der Freydis. "Was macht ihr denn hier, ihr seid doch sonst meist irgendwo auf abgelegenen Routen unterwegs und nicht auf dem Pacific Highway" fragen wir neugierig den aus vielen Medienberichten bekannten Skipper. Erich winkt ab. "Wir hatten die letzten Jahre genug Abenteuer, wir sind ganz froh, wenn wir mal wieder mit weniger Drama reisen. Die Südsee ist auch für uns noch toll und zudem ein prima Revier, um Gäste mitzunehmen. Wir müssen nach dem Verlust der alten Freydis ja schauen, dass wir wieder Geld in die Kasse bekommen." Anschließend erzählt er uns von den Ereignissen in Japan und welche glücklichen Umstände dafür sorgten, dass die neue Freydis so schnell wieder auf Fahrt gehen konnte. (Für die Nicht-Informierten: Als 2011 der Tsunami Japan traf, der anschließend auch die Katastrophe von Fukushima auslöste, lag das Schiff der Wilts in einem japanischen Hafen, während die beiden daheim in Heidelberg waren. Das Schiff fiel dem Tsunami zum Opfer. Daraufhin wurde eine neue Freydis gebaut, diesmal aus Alu statt aus Stahl. Alles ausführlich in der einschlägigen deutschen Segler-Presse nachzulesen). Für uns ist es spannend die Geschichte aus erster Hand zu hören und zwei Segler-Legenden kennen zu lernen, wenn auch nur kurz. Erich erkundigt sich nach unseren weiteren Reiseplänen und gibt uns ein paar interessante Hinweise, die jetzt in uns arbeiten.

Die zwei Hauptattraktionen, die Hiva Oa zu bieten hat sind das Gaugin Museum und der Friedhof, auf dem Gaugin und Brel, die beiden berühmtesten Bürger Atuonas bestattet sind. Brel, der belgische Chansonnier, der als reicher Mann mit einer 18 Meter Jacht und eigenem Flugzeug nach Atuona kam, war der beliebtere der beiden, denn immer wieder bot er Einheimischen an, sie per Flugzeug mit nach Tahiti zu nehmen. Außerdem betrieb er ein Open-Air-Kino und seine Frau gab den Mädchen Tanzunterricht. Gaugin, der 1901 von Tahiti aus nach Hiva Oa zog, hingegen war zumindest den Behörden stets ein Dorn im Auge. Er lieferte sich zu viele Trinkgelage mit den Einheimischen, hatte Schulden und war gerade zu 3 Monaten Haft verurteilt worden, als er mit 55 Jahren verstarb. Er hatte mit seiner blutjungen Geliebten zusammen eine Tochter, einige seine Nachfahren leben noch immer auf Hiva Oa. Im Museum hängen ausschließlich Kopien seiner Werke, die nach seinem Tod Weltruhm erlangten.

 

Ebenso wie für die Kunst Gaugins - der versuchte sich in der Südsee den Einflüssen der Zivilisation, französischer Künstlerkreise sowie privater Probleme zu entziehen, um in der Abstraktion zu den Wurzeln wahrhaftiger, natürlicher Kunst zu finden - kann man sich im Museum auch mit der Qualität von Kunst-Fälschungen auseinandersetzen. Von einem Gemälde sind Drucke von vier verschiedenen Versionen ausgestellt. Wenn man sie nebeneinander sieht, erkennt man deutliche Unterschiede, die Handschrift verschiedener Kopierer ist im gesamten Museum erkennbar. Danach fragt man sich natürlich, welcher Stil denn nun den des Künstlers am besten trifft. Um diese Frage zu beantworten, müsste man durch die großen Kunstmuseen der Welt streifen, wo die Originale hängen. Sein Ziel, die nachfolgenden Künstler-Generationen von Konventionen zu befreien, ihnen mehr gestalterische Freiheit zu verschaffen, hat Gaugin erreicht – gemeinsam mit anderen Künstlern seiner Zeit wie Van Gogh und Picasso, die den Abstraktionsgedanken noch viel weiter führten als er. Eine Auftragsarbeit, die vom Besteller seinerzeit abgelehnt wurde, weil eines der dargestellten Pferde grün war, ruft heute beim Betrachter kein Erstaunen mehr hervor. Heute muss die Kunst schwerere Geschütze auffahren, um noch zum Nachdenken anzuregen.

Der Besuch auf Atuonas Friedhof ist zwar ein touristisches Muss, aber eigentlich unspektakulär. Wir freuen uns, dass wir dort Christian und Silvia, unseren neuen kanadisch-mexikanischen Freunden aus Fatu Hiva begegnen. Begleitet werden die beiden von Cappuccino, so haben sie einen halbwüchsigen, mittelgroßen weiß-braun gescheckten Rüden mit seltsam hellgrünen Augen getauft, der fröhlich um uns vier herumspringt und spielen will. Tage später, als wir zusammen mit Petra vom Katamaran Elfrun morgens Brot und Gemüse einkaufen, begegnet uns Capuccino wieder vor der Bäckerei. Wir nehmen an, dass er um uns herum schwänzelt um ein Stück Brot abzubekommen, aber er bettelt nicht. Es ist eine knappe halbe Stunde Fußweg vom Ort aus bis in die Ankerbucht, Cappuccino läuft das ganze Stück mit uns mit. Mit Vergnügen jagt er Hühner ins Gebüsch, mal ist er vor mal hinter uns. Am Dingi-Anleger angekommen bleibt er oben an der Kante des Piers stehen, während wir die paar Stufen zur Plattform hinunter gehen. Wir denken, dass sein Spiel mit uns damit beendet ist, aber wir täuschen uns. Als wir schon im Dingi sitzen und auf die Elfrun zusteuern, überlegt der Hund es sich plötzlich anders, sucht sich eine Stelle, an der er über ein paar Felsen mit Blickkontakt zum Dingi ins Wasser klettern kann und beginnt uns nachzuschwimmen. Bewusst schauen wir ihn nicht an, um ihn nicht zu ermuntern. Aber sein Ziel steht fest, er will wie wir auf die Elfrun. Es tut weh mit anzusehen, wie er vergeblich versucht seine Vorderläufe auf die unterste Stufe der Kufe des Katamarans zu bringen. Aber Atmo und Petra wollen keinen Hund an Bord und wir auch nicht. Schließlich schwimmt Cappuccino an den Strand zurück und wir wissen nicht, wie es mit ihm weiter geht. In unser Gedächtnis hat der Hund sich eingegraben. Das war kein normaler Südsee-Straßenköter. Dieser Hund kannte Segler und Segelboote, vermutlich war es ein Bootshund und er wollte zurück auf ein Schiff. Hoffentlich findet Cappuccino bald eine Crew, die ihn mitnimmt.

 

Zusammen mit Atmo und Petra von der Elfrun haben wir viel Spaß in Atuona. Petra kocht, ich backe, wir tauschen Rezepte, Infos, Bücher und Filme aus und Petra bringt mir bei, wie man Joghurt, Frischkäse und Kombucha selbst macht. Atmo erzählt uns einen uralten Blondinen-Witz nach dem anderen und wir genießen es, mal wieder Zeit mit Deutschen zu verbringen, auch wenn die beiden seit Jahren in Australien leben.

Tahuata

Zusammen mit der Elfrun segeln wir von Atuona aus in eine Ankerbucht im Norden der nahe gelegenen Nachbarinsel Tahuata, die uns unsere Freundin Emmy aus Kalifornien ans Herz gelegt hat. Auf allen Seekarten ist die Bucht, die sie und Eric "Secret Cove" getauft haben, ein grauer Fleck, sie ist in keinem Revierführer beschrieben. An einen unkartographierten Ort haben wir uns bislang noch nie gewagt, doch Emmy hat uns die Koordinaten ihrer ehemaligen Ankerposition mitgeteilt und den Ort mit solcher Begeisterung geschildert, dass wir "Secret Cove" ebenfalls sehen möchten. Statt wie meist Südost weht seit Wochen Ost, so dass einiger Schwell in die Bucht läuft, der Pagena vor Anker in unangenehmes Rollen versetzt. Elfrun, ein Katamaran, hat deutlich weniger darunter zu leiden. Dafür war ihre Überfahrt von Atuona aus weit ruppiger als die unsrige, denn Pagena reitet Wellen von der Seite einfach ab, während der Katamaran schwer ins Stampfen geriet. Die sichelförmige Bucht ist in der Tat malerisch: Golden in der Sonne leuchtender Sandstrand, ein Palmenhain - dahinter eine Lagune und Zitronenbäume und weit und breit kein Mensch. Zum ersten Mal seit unserer Ankunft in der Südsee fühlen wir uns hier wie Adam und Eva und genießen das Gefühl totaler Freiheit. Sogar ein kleines Korallenriff und eine Seegraswiese gibt es zu beschnorcheln. Tags darauf frischt allerdings der Wind auf, so dass wir es vorziehen die Schiffe von der Nord- an die geschütztere Westküste Tahuatas zu verlegen.

 

Dort zieht die Hanamoenoa-Bucht massenhaft Segler an, da sie seit ihrer Entdeckung durch Hiscock für ihre Schönheit gerühmt und in allen einschlägigen Büchern beschrieben wird. Joachim und ich schließen uns der Meinung unserer kalifornischen Freunde an, dass Hiscock falsch geurteilt hat, da er die viel schönere Secret Cove im Norden offensichtlich nicht kannte. Hanamoenoa ist in unseren Augen eine gut geschützte Bucht mit gutem Ankergrund, die aber ansonsten wenig Reiz hat. Wahrscheinlich ist es dieser ablehnenden Haltung zu verdanken, dass sich während unseres zweitägigen Aufenthalts noch nicht einmal die Mantas blicken lassen, für die Hanamonoa berühmt ist. Mein Traum mit Mantas Schnorcheln zu gehen erfüllt sich hier noch nicht. Die halbe Corona aus Atuona ankert mittlerweile hier, täglich kommen neue Boote hinzu und füllen die Plätze derer, die gerade abgefahren sind. Eines Nachmittags kommt eine Ovni mit Schweizer Flagge hinzu, die Seluna, sieh mal einer an. Neugierig fahren wir rüber um die Crew kennen zu lernen. Leo und Gesina kommen aus der Deutschschweiz und wir verstehen uns auf Anhieb gut. Aber die beiden müssen noch nach Atuona zum Einklarieren und wir wollen alsbald weiter nach Nuku Hiva, daher trennen sich unsere Wege sofort wieder. Auch die Elfrun bleibt noch ein wenig in Hanamoenoa während wir zur nächsten Insel segeln.

Nuku Hiva

Nuku Hiva ist die größte und mit 2.375 Einwohnern bevölkerungsstärkste Insel der Marquesas. Dass die Insel größer ist merkt man an der Anzahl der Autos, die durch den Hauptort Taioha'e fahren. Die breite Straße an Taioha'es Strandpromenade entlang, der große Parkplatz am Fischereihafen, wo auch die Dingis anlegen, die weitläufige Tankstelle am Fähranleger - Taioha'e wirkt städtischer als die drei anderen Orte, die wir bislang gesehen haben. Die Bucht ist groß, die vielen Segelboote, die hier ankern verteilen sich weit besser als in Atuona. "Schau mal, ist das nicht die Muktuk?", freuen wir uns, als wir ein großes Stahlboot mit österreichischer Flagge entdecken. Wir fahren dicht heran um schon mal Hallo zu sagen und bekommen von den Kindern sogleich zugerufen "in 35 Tagen kommt die Oma", als ob wir alte Freunde wären. Karl, Ali und ihre beiden Söhne haben wir vor einem dreiviertel Jahr in Sausalito, Kalifornien kennengelernt. Über das Wiedersehen freuen wir uns ausgesprochen. Dave und Booker von der Tortuguita kennen die vierköpfige Familie auch und hatten ihnen schon geschrieben, dass wir irgendwo in der Gegend sind. Jetzt endlich können wir uns für die Kaffees revanchieren, die wir in Sausalito an Bord der Muktuk bekommen haben. Karl und Ali kommen beim ersten Besuch ohne Kinder, sie sind ganz froh, dem Nachwuchs mal für einen Moment zu entkommen. Die Muktuk liegt in Sichtweite von Pagena und wir hören die Jungs lauthals Seemannslieder singen und sehen sie übers Deck turnen. Als die Eltern zurückkehren werden sie mit einer Überraschung empfangen: die Jungs haben von sich aus den Abwasch gemacht. Die lebendigen, aufgeweckten kleinen Seemänner sind zwar vielleicht manchmal anstrengend, aber richtig klasse Kinder.

 

Nachdem wir wieder alleine sind, verbringen wir Stunde über Stunde damit, mit einer meist langsamen und unzuverlässigen Internet-Verbindung unsere Mexico Berichte und die Fotogalerien auf die Webseite hochzuladen. In Atuona hatten wir einige Nachfragen von Lesern vorgefunden, die nach neuen Berichten lechzten. Wir freuen uns natürlich immer, wenn wir hören, dass unsere Berichte fehlen, wenn wir längere Zeit keine Updates liefern. In Taioha'e allerdings hallt mancher Wutschrei aus dem Bauch Pagenas über die Bucht und der Laptop steht mehrfach knapp davor im Meer versenkt zu werden. Wie das ist, wenn sich eine Webseite minutenlang Bit für Bit aufbaut und man währenddessen tatenlos auf den Bildschirm schaut, oder wenn ein Prozess, der schon seit zwanzig Minuten läuft, aufgrund irgend eines banalen Ereignisses plötzlich abbricht, kann man sich daheim in Deutschland schwerlich vorstellen. Vor allem einige Programmierer müssten mal auf Reise in Länder gehen, in denen sie keinen Breitbandanschluss bekommen...

Eines Abends hören wir in Taioha'e interessante Trommelklänge, denen wir nachgehen. Über ein stockdunkles öffentliches Grundstück gelangen wir zu einer offenen Halle, in der eine Tanzgruppe übt. Drei Trommler machen die Musik, eine resolute Tanzlehrerin gibt Musikern und Tanzschülerinnen knappe Anweisungen, wieder und wieder wird die Choreografie geprobt. Wir sind nicht die einzigen Zuschauer, ein paar andere Segler waren schon vor uns da und versichern, dass es die Gruppe nicht stört, wenn man ihnen beim Training zusieht. Die Mädels sind hoch konzentriert und echt gut. Die Bewegungen, die sie ausführen sind schnell, grazil und komplex, sowohl was Fußarbeit, Hüft-, Körper- und Armbewegungen angeht. Eine große Seglerin versucht mitzutanzen. Da sie die Choreografie nicht kennt, sind ihre Bewegungen stets zeitverzögert. Obwohl sie sich insgesamt gar nicht schlecht schlägt, stört ihre Anwesenheit von außen her gesehen die Harmonie der Gruppe. Wir finden ihr Verhalten peinlich, doch die Polynesierinnen lassen ihr die Freude an der Bewegung. Am Ende des Trainings kommt eine hübsche junge Frau auf uns zu und erzählt, dass die Gruppe jeden Abend hier probt. Heute haben sie tahitianisch getanzt. An anderen Tagen proben sie marquesianische und andere polynesische Tänze, aber sie studieren auch ausländische Tänze. "Samstag haben wir einen Auftritt, kommt doch in die Mehrzweckhalle an der Promenade", lädt sie uns ein. "Hmmh, eigentlich wollen wir nicht bis Samstag in Taioha'e bleiben, es gibt noch so viel anderes auf dieser Insel zu sehen", erwidern wir. "Ja, da habt ihr recht, aber dann kommt doch einfach Samstag nach Taioha'e zurück ", schlägt sie vor. Das ist in der Tat eine gute Idee, genau so machen wir das.

 

Als wir Taioha'e verlassen trifft gerade die Elfrun ein, die unseren Ankerplatz übernimmt. Wir ziehen um in die nur fünf Seemeilen weiter westlich gelegene Hakatea Bucht, um dem Rummel Taioha'es zu entrinnen. Unterwegs kommen Delfine ans Boot, die sind immer ein gutes Zeichen. Die Einfahrt in die Bucht ist schmal und meist steht dort eine raue See, aber als wir um die Ecke fahren und in eine fast rundum abgeschottete Bucht einbiegen, wissen wir, dass die paar Wellen der Eintrittspreis für dieses schöne ruhige Fleckchen sind. Es liegen nur drei andere Segelboote vor Anker, unter anderem ein Schiff, dass wir aus Alaska kennen. Lustig, dass hier plötzlich alle möglichen Segelrouten zusammen treffen. Erich Wilts hatte uns empfohlen von Hakatea aus ins Dörfchen Hakau'i rüber zu laufen, dort den Fluss zu durchqueren und in dem Haus, auf das wir dann zulaufen, nach einem polynesischen Essen zu fragen. Sie hätten dort Ziege gegessen und es sei äußerst lecker und günstig gewesen. An die Namen der Gastgeber erinnerte er sich leider nicht. Als wir unser Dingi den Strand hochziehen sind Leute am Strand. Wir erkundigen uns beim Erstbesten, ob er weiß, wen man nach polynesischem Essen fragen kann. "Ja klar, Ku'a und Teiki im Haus neben der Telefonzelle" antwortet er wie aus der Pistole geschossen und stellt sich als Reiseführer aus Taioha'e vor.

Als wir vom Fluss aus auf das Haus zusteuern, kommt Teiki gleich auf uns zu. Er trägt ein auffälliges Gesichts-Tattoo und macht einen freundlichen Eindruck. Er hat gerade im Garten gearbeitet und bringt uns zu seiner Frau Ku'a. Die beiden sind ein noch recht junges Paar von Ende 20, Anfang 30. Auf der überdachten Terrasse des Hauses sitzt Sophie, der wir in Meyers Chuck, einem winzigen Örtchen in Alaska schon mal über den Weg gelaufen sind. Ja, Ku'a kann morgen gerne für uns kochen. Wir versprechen ihr, bei den anderen Yachten nachzufragen, ob noch jemand mitkommen möchte. Klar kocht sie gerne für eine Gruppe, aber auch zu zweit wären wir willkommen.

 

Das Tal, in dem Hakau'i liegt, entpuppt sich als Inbegriff des Garten Edens. Ein Fluss aus den Bergen versorgt das Tal üppig mit Frischwasser, die breite Ebene, die zwischen einer majestätisch aufragenden Felswand im Westen und einem dicht bewaldeten Berg im Norden und Osten liegt, ist äußerst fruchtbar. Überall stehen Obstbäume und liefern ohne Unterlass Grapefruits, Zitronen, Orangen, Bananen, Mangos, Papayas, Sternfrucht, Brotfrucht und nicht zuletzt Kokosnüsse. Später lernen wir, dass im Flussbett Wasserkresse und Minze wächst, und dass es auch Esskastanien und Pistazien gibt. Während wir uns unterhalten, bekommen wir sofort eine Banane in die Hand gedrückt und paar frische Orangen vom Baum gepflückt. "Hier probiert mal. Die Schalen werft einfach auf den Boden, die sind ja natürlich" weist uns Teiki mit sichtlichem Vergnügen an. Natur hin, Natur her, es ist blitzsauber ums Haus herum und eigentlich im gesamten Dorf. Hier liegt weder die eigentlich obligate Plastikflaschen noch sonstiger Abfall herum, noch nicht einmal Blätter von den Bäumen. Zwischen all den Bäumen weiden ein paar Ziegen, zwei Schweine, eine Kuh, ein Schaf und mehrere Pferde, und Hühner flitzen natürlich auch durch die Gegend. In den Bergen gibt es Wildschweine und wilde Ziegen, die gejagt werden und das Meer liefert Fisch und Meerestiere. Joachim ist total fasziniert von diesem Ort. "So, genau so, habe ich mir den Garten Eden immer vorgestellt", sagt er mit vor Begeisterung leuchtenden Augen.

Im Tal von Hakau'i kann man zum höchsten Wasserfall der Marquesas wandern, er fällt aus satten 350 Metern in die Tiefe. Einheimische hatten uns erzählt, dass er momentan wenig Wasser hätte, aber zwei der anderen drei Bootscrews berichten uns, dass sie die Wanderung gemacht haben und sie schön fanden. Gerard und Claudine von der Casiopee III malen uns einen Plan, damit wir uns nicht an denselben Stellen verlaufen wie sie und Niels und Hanna von der Pelagie berichten von beeindruckenden historischen Zeugnissen. Angeblich war das Tal von Hakau'i mal von 8.000 Menschen bevölkert. Heute leben noch 20 bis 30 Menschen im Örtchen. Früh am nächsten Morgen machen wir uns auf den Weg, damit wir mittags schon von der ca. 4stündigen Wanderung zurück sind. Wir schmieren uns gut mit Mückenschutzgel ein, da Claudines total verstochene Oberarme wie Streuselkuchen aussahen. Das Unterholz muss voll mit kleinen Stechmücken sein, die wollen wir uns nach Möglichkeit vom Leib halten. Ich ziehe extra ein dünnes T-Shirt mit halblangen Ärmeln und eine Hose mit langen Hosenbeinen an, egal wie sehr ich darin schwitze. Da der Wanderweg mehrfach durchs Wasser führt, sind die langen Hosenbeine sogar eine angenehme Kühlung solange sie feucht sind. Solange wir uns in den tiefen Lagen des Tals bewegen, kommen wir immer wieder unter Pistazien-Bäumen lang, deren etwa olivengroße dunkellila Früchte in großer Anzahl von den Bäumen fallen, zerplatzen und Myriaden von Mücken anziehen. Die Früchte sind essbar, ihr Geschmack erinnert ein wenig an schwarze Johannisbeeren mit mehr Gerbsäure. Vor allem ein leckerer Saft lässt sich bestimmt daraus herstellen, vorausgesetzt man schafft es an unbeschädigte Früchte vom hohen Baum heranzukommen.

 

In der Tat sind wir wie Niels und Hanna von dem alten großteils gepflasterten Weg beeindruckt, dem wir das Tal hinauf folgen. Er erinnert uns an den Limes. Natürlich ist dieser viel älter, aber die Bauarbeiten, die hier geleistet wurden und welche die Kräfte des Dschungels bis heute überstanden haben, sind ebenfalls nicht zu verachten. Leider haben wir keine Ahnung, wie alt der Weg tatsächlich ist. Rechts und links von ihm sind immer mal wieder Steinplattformen, sogenannte Paepae zu sehen, die entweder Fundamente für Häuser oder Plattformen für rituelle Handlungen waren. Zur Herstellung dieser Plattformen wurden riesige Felsklötze bewegt. Wie das inmitten dieses unwegsamen Terrains und ohne technische Hilfsmittel möglich war, ist uns schleierhaft. Die Ausblicke auf die senkrecht neben uns aufragenden Felswände sind faszinierend, ebenso die unbändige Kraft der Natur, die uns überall entgegen sprießt. Auch im tiefsten Wald werden noch Kokosnüsse eingesammelt, erkennen wir an säuberlich aufgeschichteten Haufen. Kopra, getrocknetes Kokosnussfleisch ist nach wie vor ein wichtiges Handelsgut. Der Wasserfall präsentiert sich erwartungsgemäß reizlos, es war zu trocken in der letzten Zeit. Heute ist der Weg das Ziel.

Als wir gegen Mittag zurück kommen, wartet bei Ku'a und Teiki das Mittagessen auf uns. Claudine und Gerard sitzen schon am Tisch, kurz darauf stoßen noch Zack und Suzy mit Klein-Ronan von der Wendy Ellen zu uns. Es gibt in Kokosmilch gekochte Ziege, dazu Brotfrucht und Bananen und als Nachtisch ein süßes, mit Zitronensaft gesäuertes Brotfrucht-Mus – lecker! Getrunken wird selbstgemachte Limonade. Alle Zutaten stammten aus dem eigenen Garten, die Ziege wurde wohl von Teiki erlegt. Ku'a amüsiert sich darüber, dass amerikanische Gäste sie häufig fragen, ob das denn alles Bio-Qualität sei. "Was denn sonst", grinste sie, "hier ist doch nichts anderes als Natur."

 

Ku'a und Teiki haben sich kein einfaches Leben ausgesucht. Ku'a stammt aus einer wohlhabenden Familie und hatte bereits ein Medizinstudium in Tahiti begonnen. Dann lernte sie Teiki kennen, bekam einen Sohn und wollte mit Teiki auf dem Land leben. Das Land gehört ihrer Familie, aber die fand es anfangs gar keine gute Idee, dass Ku'a Obstbäuerin statt Ärztin werden wollte und versagte ihr jegliche Unterstützung. Teiki kommt aus einer armen Familie aus Taioha'e, er war froh, dem trinkenden Vater zu entrinnen. In seinem riesigen Obstgarten in Hakau'i ist er in seinem Element. Behände klettert im Mangobaum herum und schneidet ihn zurück, kraftvoll wuchtet er Kokosnüssen und Limonen in prall gefüllten Säcken umher, mit einem Hieb fällt er Bananenstauden wenn sie reif sind. Die beiden beliefern zweimal wöchentlich Großhändler in Taioha'e mit Früchten und Meeresfrüchten und verschaffen sich in den paar Wochen, in denen hier Horden von Yachten durchziehen, ein Zusatzeinkommen, in dem sie für die Segler kochen. Sie leben sehr bescheiden. Die Hütte besteht nur aus den zwei Längswänden und einem Dach mit ringsum viel Überstand. Davor befindet sich die Terrasse mit einem Esstisch und zwei Bänken, einem Arbeitstisch und einer Spüle. Im Haus stehen ein Herd, ein Regal und zwei Betten. Am anderen Ende des Hauses befindet sich das "Badezimmer", sprich hinter einem Sichtschutz, an den man ein Handtuch und sein Klamotten hängen kann, steht etwas Shampoo sowie ein paar Plastikwannen mit Wäsche auf dem Betonboden, auf dem ein Stück Schlauch liegt, mit dem man sich abbrausen oder die Waschtröge füllen kann. Eine Toilettenschüssel steht auch da, allerdings trocken, sie hat wohl weder Abwasser- noch Spülwasser-Anschluss. Auf dem Dach des Hauses befindet sich ein Solarpanel, das den beiden Strom für eine LED-Lampe liefert. Bei der Beschaffung des Solarpanels hat ein Segler geholfen, die Lampe stammt aus dem Fundus eines anderen Seglers, der das Ganze auch installiert hat. Es gibt keinen Fernseher, man hört noch nicht einmal Radio und wir sind nicht ganz sicher, aber ich glaube wir haben keinen Kühlschrank gesehen.

 

Ku'a und Teiki sparen so schnell es geht auf ein eigenes Boot, denn momentan müssen sie für den Transport der Früchte von Hakau'i nach Taioha'e zu horrenden Preisen ein fremdes Schiff mieten. Pro Weg bezahlen sie Minimum 9.000 Polynesische Francs, das sind etwa 75 Euro. Eine Straße von Hakau'i nach Taioha'e gibt es nicht. Wenn es zeitlich passt, helfen einige Segler ihnen und spielen Taxi, z.B Oleg und Sophie von der Kotik und kurz darauf Karl und Ali von der der Muktuk. Das Boot, 19 Fuß lang und aus Alu, wie alle Arbeitsboote hier, haben Teiki und Ku'a schon, jetzt sparen sie für den Außenborder. Vor dem Besuch bei Ku'a und Teiki haben wir gehört, dass die Bewohnern Französisch Polynesiens Autos, Häuser, Motoren für ihre Schiffe und alles Mögliche aus französischen Steuergeldern quasi geschenkt bekämen. Bei Ku'a und Teiki ist davon nichts zu spüren, wir haben den Eindruck, dass wir hier zwei junge, clevere und hart arbeitende Leute kennen lernen, die mit aller Kraft versuchen sich selbst zukünftigen Wohlstand zu erarbeiten.

 

Anders sieht das allerdings in Taipivai aus, dem nächsten Ort auf Nuku Hiva, den wir besuchen. Hier staunen wir nicht schlecht, als wir eines Mittags zum Baguette kaufen in den Ort laufen und kurz vor Schulschluss an der Schule vorbei kommen. Wie in Deutschland warten hier fünf Mütter mit dem Auto auf ihre Sprösslinge, alle in fetten, teuren, recht neuen Geländewagen. Taipivai ist ein Dorf mit ein paar hundert Einwohnern. Hier gibt es so gut wie keinen Verkehr und es sind keine Häuser zu sehen, die besonders abgelegen stehen. Wir können uns kaum vorstellen, dass die Kinder hier nicht genauso gut nach Hause laufen könnten. Aber wenn man zu den Begüterten gehört und ein Auto besitzt, zeigt man es wohl auch gerne. Taipivai bleibt uns durch seine Nonos in Erinnerung, winzige Mücken, die hier spätnachmittags über unsere Haut herfallen und uns übel zurichten. Die nächsten Tage jucken jeden von uns über 200 Mückenstiche, vielleicht sind es sogar mehr. Angeblich hätten deutsche Besucher die Mücken ins Paradies eingeschleppt, wird uns erzählt. Wer immer es war, er gehört dafür erschlagen.

Anaho Bay und Hatihe’u

Als der Wind für kurze Zeit nur schwach weht nutzen wir die Gunst der Stunde und motoren hoch an die Nordküste Nuku Hivas in die Anaho Bay. Die Bucht gilt als eine der schönsten der Marquesas, mehrere Freunde haben uns den Besuch empfohlen. Anaho Bay ist weitläufig und bietet Platz für viele Schiffe. Bei unserer Ankunft sind nur drei weitere Segelboote da, unter anderem Niels und Hanna, alle drei Boote reisen jedoch am nächsten Morgen ab. Kurzzeitig haben wir die große Bucht daher gar ganz für uns alleine, so ist es uns am liebsten.

 

Vor dem Strand liegt ein ausgedehntes Korallenriff, durch das hindurch es nur eine schmale Passage für Dingis und kleine Fischerboote gibt. Malerisch schaukelt ein Auslegerkanu vor dem Sandstrand. Bei Ebbe watet jemand über die Korallen und sammelt Meerestiere, eine Frau sitzt am Strand und säubert sie. In der Kokosnuss-Plantage verbrennt ein Mann die dicken Schalen der Früchte. Hinter einem breiten Grünstreifen, der fast wie ein Park hinter dem Strand wirkt, stehen ein paar Hütten und eine kleine Kapelle, ca. 20 Leute leben in der Bucht. Im Grünstreifen und um die Häuser herum blühen Hibiskussträucher in verschiedenen Farben und andere Zierpflanzen, zwischen den Bäumen weiden an Stricke angebundene hübsche Pferde. Anaho strahlt eine beschauliche Ruhe aus, eine andere Ruhe als die von Hakau'i. In Hakau'i gibt es immerhin schon ein altes rostiges Auto, mit dem die Früchte von den Plantagen zum Strand gefahren werden, hier gibt es noch nicht einmal einen Fahrweg. Durch das Grün vor den Häusern führt ein Trampelpfad, der Anaho mit den beiden Nachbarbuchten verbindet, in die man entweder läuft oder reitet. Das östlich gelegene Tal ist unbewohnt, dort gibt es nur eine Gemüsefarm auf der Tomaten, Paprika, Auberginen, Zucchini, Salatgurken und Melonen gezogen werden. Mit Packpferden wird die Ware nach Hatihe'u gebracht, dem Örtchen, das westlich, auf der anderen Seite von Anaho liegt. Von dort führt schließlich eine Straße nach Taioha'e, auf der das Gemüse die letzte Strecke zum Markt im Fahrzeug rollend zurücklegen kann.

 

Nachmittags kommt ein Junge zu Pagena rausgepaddelt, der Ziegenfleisch anbietet. Er würde gerne Fleisch gegen Alkohol tauschen. Wir sagen ihm wir hätten keinen Alkohol, aber eine Stirnlampe könnten wir anbieten. Zum Glück hat Joachim eine ganze Handvoll davon mitgebracht, als er das letzte Mal zuhause war. Ja o.k., wir sollen am nächsten Mittag vorbeikommen, wenn seine Cousins von der Jagd zurück sind. Als wir zur verabredeten Zeit zu seinem Haus kommen, ist er nicht da. Zwei junge Männer in der Nähe sagen, er wäre nach Hatihe'u gegangen. Achselzuckend ziehen wir wieder ab - dann kann er sein Ziegenfleisch eben behalten und wir unsere Lampe, auch egal. Nachmittags erscheint er aber wieder am Boot und entschuldigt sich, er habe sich um etwas Dringendes kümmern müssen. Ob er die famose Lampe denn einmal sehen dürfe. Wir zeigen sie ihm und er ist höchst angetan. Wir verabreden, am Abend noch mal bei ihm vorbeizuschauen. Mittlerweile haben wir wieder Bootsnachbarn, die französische Yacht Ichtus ist mit einer sechsköpfigen Männercrew eingetroffen. Beim Schnorcheln am Riff treffen wir uns im Wasser und unterhalten uns über unsere Pläne. Wir erzählen, dass wir morgen nach Hatihe'u wandern wollen und die Ichtus-Crew beschließt sich uns anzuschließen. Als wir am Spätnachmittag noch mal mit dem Dingi zum Strand fahren, machen auch die Nachbarn gerade Landgang. Zusammen werden wir vom Ziegenfleisch-Anbieter zum Haus seiner Cousins gelotst, wo er zwei große Rippenstücke und eine Keule tiefgefroren aus einer Truhe zieht und sie uns allen zeigt. Die Franzosen winken ab, wir sind nach wie vor interessiert. Wir rechnen kurz wie viel Abfall wir haben werden, wenn wir Fett und Knochen wegwerfen und sagen ihm, dass wir das gesamte Fleisch als Gegenwert für unsere Lampe haben möchten. Der Junge ist mit dem Tausch einverstanden und wir ziehen mit einer großen Tüte und stundenlanger Arbeit für den kommenden Tag ab. Entgangen ist uns dabei, dass er der Ichtus Crew angeboten hatte, am Abend für sie zu kochen. Ob es daran lag, dass wir das gesamte Ziegenfleisch gekauft haben, dass er ihnen am Abend Mais und Corned Beef aus der Dose servierte? Oder waren ihre sechs Dosen Bier ihm nicht mehr wert?

Am nächsten Morgen früh machen wir uns zu acht auf die Wanderung nach Hatihe'u. Um in die Nachbarbucht zu kommen muss man in der Morgensonne schweißtreibend den Hang erklimmen, der sich hinter Anaho Bay erhebt, bis man nach ca. 30 bis 45 Minuten einen Bergsattel erreicht. Ab da geht es genauso steil auf der anderen Bergseite im Schatten wieder hinunter. Einer der Herren aus der Ichtus-Crew hat Knie- und Gewichtsprobleme und kämpft sichtlich mit der Strecke, bleibt aber tapfer. Die Crew ist extra schon vor uns losgelaufen, um ihm genügend Verschnaufpausen zu geben. Als wir sie eingeholt haben, laufen wir alle gemütlich zusammen weiter und lernen uns dabei kennen. Jean-Louis, der Eigner der Ichtus, hat im Restaurant Chez Yvonne in Hatiheau einen Tisch für uns alle reserviert. Nicht dass man dort keinen Platz bekäme, wenn man sich nicht anmeldet – ohne Anmeldung kann es passieren, dass kein Koch oder keine frischen Zutaten da sind. Ich hatte ebenfalls kurz mit Yvonne telefoniert, daher sind wir alle erstaunt als wir hören, dass Yvonne in Taioha'e ist, als wir gegen 11 Uhr eintreffen. Merkwürdig, davon hat sie niemand etwas gesagt, aber wir sind ja auch eine Stunde früher dran als verabredet. Zum Essen können wir nachher kommen, wird uns bedeutet, aber jetzt ist niemand da, der uns nach Kamuihei, der sehenswerten Ausgrabungsstätte Hatihe'us fahren könnte, ein Service, den Hanna und Niels von Yvonne bekommen hatten. Joachim und ich erkundigen uns nach dem Weg und erfahren, dass wir auch dorthin noch bequem laufen können. Die Ichtus Crew ist schlauer und treibt einen Führer und einen Fahrer für den Hinweg auf. Das erweist sich als gute Sache, denn die Stätten von Kamuihei sind riesig. Zwar gibt es am Eingang zwei große Plakate mit allerlei Erklärungen, aber da man die beim Rundgang nicht mitnehmen kann, hätten wir vieles nicht gefunden oder nicht verstanden, wenn es uns der Führer nicht erklärt und gezeigt hätte.

 

Im Wald verteilen sich auf ca. 1 Hektar Fläche in rechteckiger Anordnung verschiedene Stein-Plattformen, jeweils bestehend aus zwei hintereinander liegenden Ebenen. Die hintere, etwas höher gelegene Ebene ist zur Hälfte überdacht. Das mit Palmwedeln gedeckte Dach wird an der Rückseite von einer schützenden Wand und vorne von einer Reihe von mit Schnitzereien verzierten Holzpfosten getragen. Die überdachte Fläche ist mit Kies bedeckt und wurde früher mit polsternden Unterlagen zum Schlafen belegt. Davor saß man mit Ausblick ins Tal, die Ebene darunter diente dem Kochen. In dieser Plattform gibt es ein Loch, das als eine Art Kühlschrank diente. Die Auf- und Abgänge zu diesen Plattformen wurden häufig mit Tikis verziert. Zwischen mehreren so angeordneten Paepae Wohnstätten befindet sich ein ebenfalls als Steinplattform errichteter Zeremonienplatz, Tohua genannt, auf dem getanzt und Feste veranstaltet wurden. Daneben, gut sichtbar von allen Paepae aus, befindet sich ein großer Stein, auf dem sowohl der "Vogeltanz" vorgeführt wurde, ein traditioneller Tanz für eine Frau (der traditionelle Männertanz ist der "Schweinetanz") als auch Götteropfer dargebracht wurden. Weiter oben am Hang stehen noch mehr solche Plattformen, dort wohnten die in der Hierarchie höher stehenden Clanchefs. Insgesamt wohnten unserem Führer zufolge fünf verschiedene Clans auf dem Gelände, die Einwohnerzahl beziffern kann er jedoch nicht. 25 Jahre lang hat er zusammen mit Archäologen diese Stätten ausgegraben und wieder hergestellt. Er zeigt uns Felsen, in die deutlich erkennbar Petroglyphen geritzt wurden, welche Fische, Schildkröten und Menschen zeigen, das Gefängnis für Menschenopfer unter einem heiligen Banyan-Baum sowie den Ort, wo den Opfern das Genick gebrochen wurde. Wie sich diese Praktik mit dem ansonsten eher friedfertigen Wesen der Polynesier verbinden lässt, ist schwer verständlich. Grundsätzlich kann man über die polynesische Kultur ähnliches wie über die indianische Kultur feststellen: Als weiße Missionare versuchten, den Eingeborenen bessere Sitten beizubringen und alles zerstörten, verboten und ausrotteten, was an deren alten Brauchtümer erinnerte, leisteten sie ganze Arbeit. Sehr viel traditionelles Wissen ist auf immer verloren, z.B. fast alles über die Bedeutung traditioneller Tattoo-Muster. Es ist dem deutschen Ethnologen Karl von Steinen zu verdanken, das man heute wenigstens noch das weiß, was er in seinem Buch "Die Marquesaner und ihre Kunst " aus dem Jahre 1897 in zahlreichen Bildern und Beschreibungen festgehalten hat. In den polynesischen Museen befinden sich ausschließlich Exponate jüngeren Datums. Die ältesten Kulturzeugnisse Polynesiens, z.B. was Cook und andere Entdeckungsreisenden mit nach Hause brachten, befinden sich in überseeischen Museen, vieles davon in Europa, u.a. im Institut für Volkskunde in Göttingen. Wir mussten jedoch erst bis nach Hatihe'u kommen um davon zu erfahren und unser Interesse daran zu wecken. Das Essen bei Yvonne ist übrigens nicht ganz billig, aber äußerst lecker. Sie kocht einen Mix aus marquesianischer und französischer Küche, der mehr Raffinesse aufweist als die marquesianische Küche selbst.

Als wir von unserer Wanderung aus Hatihe'u zurück sind, haben wir viele neue Bootsnachbarn und beschließen, alsbald zurück nach Hakau'i zu segeln. In Hakau'i wollen wir uns noch mal mit Früchten und Trinkwasser eindecken, beides wird auf den Tuamotus, unserem nächsten Reiseziel knapp werden. Als wir die Hakatea Bucht am gegenüberliegenden Inselende erreichen, erblicken wir schockiert die riesige Motoryacht Suri, der wir schon in Taioha'e und in Anaho Bay begegnet waren. Die Suri ist ein Luxuskreuzer der alles mögliche Spielzeug für Superreiche spazieren fährt: Einen Helikopter, ein Flugzeug (das jedoch nie aus dem Schiff heraus kommt), eine schickes Holz-Motorboot, das einer alten Riva gleicht, zwei Wasser-Scooter, ein Hochsee-Angelboot, ein normales Dingi für die Crew, jede Menge Kajaks und Stand-up-Paddleboards sowie eine aufblasbare Wasserrutsche. Etwa alle 30 Minuten startet der Helikopter zu einem neuen Rundflug, ständig knattert eines der Motorboote oder die Scooter herum, vorbei ist es mit der Ruhe in Hakatea Bay. Eine Seglerin hatte im Internet recherchiert, dass die MY Suri das Spielzeugschiff einer noch größeren Luxusyacht ist, die einem reichen Amerikaner gehört. Andere Leute erliegen dem Gerücht, dass das Schiff Tom Cruise gehören würde, da dessen Tochter wohl Suri heißt. Als die Crew abends bis halb zwölf Uhr nachts die ganze Bucht mit grauenvoller Retorten-Musik beschallt, platzt uns fast der Kragen. Müssen die sich so aufführen als wären sie alleine hier? Ja sie müssen – ist die offensichtliche Antwort. Wir sind erstaunt, dass sich niemand außer mir darüber aufzuregen scheint. Wahrscheinlich hoffen alle im Stillen auf eine Einladung von Tom Cruise zu einem Helikopter-Flug.

 

Um Trinkwasser und Obst in Hakau'i zu holen muss man mit dem Dingi in den kleinen Fluss reinfahren und diesem etwa zweihundert Meter folgen. Die Einfahrt und der Fluss selbst ist mit Untiefen gespickt, man kann ihn nur bei Hochwasser befahren und muss einem wilden Zickzack-Kurs folgen, den man nur findet, wenn man ihn einmal gezeigt bekommen hat. Glücklicherweise ist uns Zack von der Wendy Ellen einmal vorangefahren und wir kennen den Weg. Den Rückweg muss man auch spätestens kurz nach Hochwasser antreten, denn dann ist das Dingi durch die Zuladung ja um einiges schwerer und das auslaufende Flusswasser trifft auf die in Bucht einlaufende Brandung und erzeugt brechende Wellen, durch die man durch muss. Wir müssen mehrfach zwischen Pagena und Wasserstelle hin und her fahren, bis wir unsere Tanks gefüllt haben – dabei werden wir von mal zu mal sicherer. Die Wellen spritzen uns zwar jedes Mal nass und wir behalten gehörigen Respekt, aber wir verlieren die anfängliche Angst vor den kleinen fiesen Brechern. Wieder einmal lernen wir eine neue Situation kennen und lernen damit umzugehen. Als alle Frischwaren besorgt sind, verabschieden wir uns endgültig von Ku'a und Teiki sowie von unseren Freunden von der Muktuk, die mittlerweile auch hier eingetroffen sind. Uns zieht es los Richtung Tuamotus, unterwegs legen wir jedoch noch einen letzten Stopp auf der Insel Ua Pou ein.

Hakahetau auf Ua Pou

In Ua Pou gibt es drei Ankerbuchten. Wir entscheiden uns für das Dorf Hakahetau im Nordwesten der Insel, eine gute Wahl. Nicht nur deshalb, weil sie gut gegen Wind und Schwell geschützt ist und hinter der Bucht äußerst fotogen merkwürdige Felsnadeln in den Himmel ragen, sondern auch, weil hier wenige andere Yachten hinkommen und es uns daher besonders leicht fällt, mit den Bewohnern Hakahetaus in Kontakt zu kommen. Gleich beim ersten Spaziergang die Dorfstraße hoch hält ein Auto neben uns an und der Fahrer, ein sympathisch aussehender Endvierziger mit Lockenkopf stellt sich als Pierre vor, "der sich um das Dorf und seine Besucher kümmert". Später finden wir heraus, dass er der Bürgermeister und Dorfschullehrer ist. Wir fragen ihn, ob wir denn irgendwo Internet-Verbindung finden können. "Hmmmh", grübelt er, "am besten ihr kommt zu mir nach Hause, ich wohne da oben am Hang, oberhalb von der Kirche." Nach kurzem Zögern nehmen wir das Angebot an. "Gut, passt es Euch in etwa einer Stunde? Ich muss noch meine Tochter vom Strand abholen und habe noch etwas in der Kirche vorzubereiten. Kommt doch einfach zur Kirche, dann nehme ich Euch von da aus mit", bietet er an. Als wir zum verabredeten Zeitpunkt am verabredeten Ort eintreffen steht dort ein Auto, dessen Heckscheibe von einem großen Playboy-Bunny geziert wird. Ist das wirklich sein Auto, was ist das für ein Mensch, fragen wir uns. Als er uns einsteigen lässt, staunen wir weiter. Die Sitze sind mit knall-pinkfarbenen Schonbezügen versehen, die Seitenverkleidung und das Armaturenbrett einschließlich einiger Anzeigen mit goldener Sprühfarbe versehen. Ich erkundige mich, wer das Auto denn dermaßen verschönert hat und Pierre klärt auf: "Das waren meine Frau und meine Tochter, die haben das echt katastrophal gemacht. Noch nicht mal auf die Instrumente haben sie geachtet, schau mal hier... ". Seine Frau lernen wir nicht kennen, sie ist zurzeit zur Fortbildung in Tahiti, sie ist die Schuldirektorin. Die Woche über lebt Pierre daher zurzeit alleine mit seiner jüngsten Tochter Henriette, die etwa sieben Jahre alt sein dürfte. Nachdem wir mit seinem Laptop die Tiden-Daten aus dem Internet ziehen konnten, die Dave von Tortuguita uns als die einzig richtigen empfohlen hatte, fragt Pierre, ob wir nicht zum Abendessen bleiben möchten. "Wir haben noch eine Brotfrucht und Wasserkresse aus Hakau'i, beides muss heute zubereitet werden, aber wir können die Sachen gerne mitbringen", bieten wir an. Pierre will ein Gericht aus Corned Beef mit Mais kochen, aber ja, wir können unsere Sachen gerne mitbringen. Er fährt uns zum Hafen runter und wartet, während wir unsere Sachen und eine Flasche Wein einpacken. Pierre kann zwar etwas Englisch, zieht es aber vor die meiste Zeit Französisch zu reden. Ich übersetze so viel es geht für Joachim und es wird ein netter Abend.

 

Pierre erzählt, dass er auf einem Hügel über dem Dorf ein Windrad aufgestellt haben möchte und wir erkundigen uns nach der Energieversorgung des Dorfes. Nach einer Weile wird uns klar, wie der Hase läuft. Hakateha'u hat vor kurzem erst große Teile der Stromversorgung erneuert bekommen. Pierre findet allerdings umgerechnet 35 Cent pro kWh zu viel und möchte den Strompreis dadurch senken, dass lokal erzeugte Windkraft eingespeist wird. Wie der Windgenerator übers Meer bis auf seinen Hügel kommen und dort befestigt werden soll, dass das Ding selbst viel Geld kostet und auch noch wartungsintensiv ist, scheint ihm nicht bewusst zu sein. Er sei Mitglied der Bürgermeister-Versammlung, erzählt er, und man habe gerade eine Stelle für einen Entwickler geschaffen, der sich um ein Energiekonzept für die Marquesas kümmern soll. Ob wir nicht jemanden kennen würden, der Interesse an der Stelle haben könnte. Momentan lägen nur Bewerbungen von Franzosen vor und vielleicht sei es besser, wenn jemand aus einem Land mit mehr Erfahrung mit erneuerbaren Energien als Frankreich die Stelle bekäme. Französisch sprechen müsse er/ sie allerdings schon. Als wir gerade anfangen im Geiste zu grübeln, fährt Pierre fort: "Und um die Entwicklung des Tourismus und der Fischerei soll sich der Entwickler auch kümmern, das wird ein interessanter Posten." Vorsichtig merken wir an, dass wir niemanden kennen, der sich gut mit Energiefragen auskennt und gleichzeitig mit Tourismus-Entwicklung und im Fischereiwesen – und dass das unserer Meinung nach drei verschiedene Leute sein müssten. Doch Pierre winkt ab. Der Entwickler solle sich ja nicht um alles selbst kümmern, seine Hauptaufgabe sei es, Eingaben bei den Französischen Behörden und der Europäischen Union zu machen und Geld aufzutreiben. Ach so – also wird eigentlich nur ein Hiwi gesucht – denn die Herren Bürgermeister kennen sich ja mit allem gut genug aus, resümieren wir das Gespräch, als wir später wieder unter uns sind. So ist das Leben und das Denken hier: Pierre selbst ist Bürgermeister, Lehrer, Abgeordneter in der Bürgermeister-Versammlung und einer der drei Gebetschefs in der Kirche. Er denkt darüber nach sich selbst ein Fischerboot zu bauen und in den Fischfang einzusteigen, aus der Milch seiner Ziegen will er später mal Ziegenkäse herstellen. Das Häuschen vor dem wir sitzen, hat er in etwas Eile selbst hingezimmert, als er von Tahiti hier her zog. Bei uns ist jede Scheune besser verarbeitet, aber die Leute hier brauchen ja kaum mehr als einen gut durchlüfteten Regenschutz als Unterkunft, wozu sich also unnütze Mühe machen. Einer seiner Nachbarn ist Kunsthandwerker, Produzent von Marmeladen und Betreiber einer Gästepension. Den Spezialisierungsgrad, den Europa erreicht hat, kann sich hier keiner vorstellen, auch wenn viele schon einmal in Frankreich zu Besuch waren.

Tags darauf besuchen wir Manfred, einen Deutschen, der in Hakateha'u lebt, und von dem wir in Taipivai erfahren hatten. Manfred soll so ein Tausendsassa sein, der seinen gesamten Energiebedarf selbst erzeugt und der sich zur Zeit mit Biogas-Anlagen beschäftigt. Den wollen wir kennen lernen. In der Touri-Broschüre der Marquesas wird ein Besuch der "Cascade Manfred" empfohlen, wir nehmen also an, dass Manfred neben einem schönen Wasserfall wohnt. Als wir uns erkundigen, wie wir denn zu ihm kommen, klärt sich das erste Missverständnis auf: Der Weg, der etwa 4 km den Berg hoch zu Manfred führt, ist auch der Weg zu einem Wasserfall, aber der liegt viel weiter unten. Auf einem Schild steht in zwei Worten übereinander "Manfred" und "Cascade" und das hat ein Unwissender zur "Cascade Manfred" gemacht. Hihi... Verschiedene Leute warnen uns vor, dass Manfred ein großes Tor an seinem Grundstück habe. Es steht sperrangelweit offen, als wir ankommen, aber in der Tat ziert es ein selbstgemaltes Durchfahrt-Verboten-Schild. Na ja, wir sind ja zu Fuß da und uns wird er schon nicht fressen. Als wir das Haus erreichen treffen wir Manfred und seine Frau Therese in der Küche sitzend. "Ach, Ihr seid die Biogas-Experten, kommt rein" werden wir empfangen. Oh je, wie kommen wir denn zu dem Ruf? Da hat Tony, den wir in Taipivai getroffen hatten, Manfred wohl etwas zu viel versprochen. Manfred und Therese haben zur Zeit alle möglichen Probleme mit ihrer Stromversorgung, vor allem seit vor kurzem einer der Spannungswandler den Geist aufgegeben hat. Joachim soll sich das Problem anschauen und Manfred dabei beraten, wie er wieder Strom für den Betrieb des Fernsehers und diverser anderer Elektrogeräte bekommt. Fassungslos steht er vor einem wilden Geräte- und Kabelsalat und beschließt, hier nichts anzufassen, da das gesamte System seiner Meinung nach höchst riskant ist und jeden Moment vollends den Geist aufgeben oder in Flammen aufgehen könnte. Manfred, der deutsche Aussteiger, der eine Südsee-Schönheit aus Tahiti geheiratet hat, ins Paradies gezogen ist und dort ein erfülltes Leben als Selbstversorger führt, entpuppt sich als verbitterter Einzelgänger, dem das Wasser bis zum Hals steht, dem aber kaum jemand aus dem Dorf helfen mag, weil er mit seinem Durchfahrt-Verboten-Schild alle gegen sich aufgebracht hat. Über sein Grundstück, das vielmehr Therese gehört, führt ein uralter Pfad, der seit Generationen der Weg zu Grundstücken anderer Dorfbewohner ist, die anders nur schwer erreichbar sind. Dass Manfred es den anderen Familien schwer macht, ihre Kokosnüsse von dort oben zu holen, juckt ihn nicht. Es gibt ohnehin niemanden im Dorf, den er schätzt. Kein Wunder, dass ihn keiner mag. Ich sitze derweil mit Therese in der offenen Küche und habe eine nette Unterhaltung mit ihr. Wie eine solche Frau an diesen Mann gekommen ist, frage ich mich insgeheim. Sie nimmt mich mit in ihren Garten, gibt mir zwei Salate aus ihrer Zucht und eine riesige Papaya, die leckerste, die wir je gegessen haben. Erstaunlicherweise mag Therese selbst keine Papayas und verfüttert sie an die Pferde, wenn sie sie nicht verschenkt. Therese hat Asthma und vermutlich eine schlimme Raucherlunge. Medikamente für sie sind teuer, die muss ihr ihre Schwester kaufen und schicken, denn Manfred und Therese haben kaum Geld. Und alleine die Vorstellung, wie abgeschieden die zwei Sechzigjährigen da oben ohne Auto leben, lässt ahnen, welche Schwierigkeiten ihnen noch bevorstehen.

Als wir vom Ausflug zu Manfred und Therese zurückkommen, läuft uns Pierre wieder über den Weg. Ob wir noch mal zum Essen kommen möchten, fragt er. Er habe Fisch und eine Brotfrucht, die genau den richtigen Reifegrad habe, "beides müsst Ihr probieren". "Ja gerne, dann bringen wir Salat und Kuchen mit", freuen wir uns. Heute Abend führt uns Pierre in die polynesische Küche ein. Dass man Brotfrucht einfach ins Feuer oder in Ermangelung eines solchen auf die Gasherdplatte stellt, kannten wir ja schon. Heute zeigt er uns wie man aus Kokosnuss-Raspeln Kokosmilch herausdrückt und den Fisch erst in etwas Salzwasser gart, dann Kokosmilch, Zwiebeln und einen Schuss Essig dazugibt. Lecker! Bevor wir abfahren, sollen wir noch mal kommen und uns Früchte holen, bietet Pierre an. Wir haben zwar noch einiges an Früchten aus Hakau'i, aber Pierre hat vor allem Zitrusfrüchte, die sich lange halten, die können wir in den Tuamotus gut gebrauchen, für uns selbst und als Geschenk für die Leute dort.

 

Dann lernen wir in Hakateha'u Cecilia und Jackson kennen, die den Dorfladen betreiben. Viel gibt es dort nicht einzukaufen, die Regale stehen größtenteils leer, aber es gibt tiefgefrorenes Baguette. Um Brot zu kaufen kommen wir fast täglich hierher. Eines Tages fragen wir Cecilia, ob es in Hakateha'u jemanden gibt, der Joachim die Haare schneiden kann. Sie antwortet, "ja, aber die wohnt weit oben am Berg, das ist zu weit zu laufen." Uns wäre das egal, aber sie ruft ihren Mann und spricht marquesianisch mit ihm. Jackson erkundigt sich , wie Joachim die Haare denn geschnitten haben will, packt eine Schermaschine, Kamm und Schere aus und bietet an, dass er das übernehmen kann, hier und jetzt. Er ist zwar eigentlich Landvermesser und kein Frisör, aber dass man hier alles kann, was benötigt wird, kennen wir ja schon. Schade, dass wir keine Kamera dabei haben, um festzuhalten, wie Joachim auf der Terrasse vor dem Laden frisiert wird. Währenddessen kommen wir erstmals richtig miteinander ins Gespräch. Cecilia erwähnt beiläufig, dass sie den Seglern manchmal Internet-Zugang anbietet. "Das ist ja prima", frohlocken wir, denn neulich bei Pierre konnten wir unsere Postfächer nicht öffnen. Cecilia führt uns in ihr Wohnhaus wo wir an einem riesigen Nähtisch Platz nehmen dürfen und bringt uns ihren Laptop. Wir erfahren, dass sie hier Bekleidung für sich und ihre Kinder näht. Auf dem Tisch liegt bergeweise Wäsche, oder sind es Stoffe, die sie umarbeiten will? Als wir nach über einer Stunde wieder vorne bei ihr im Laden stehen und für Internet und Haare schneiden bezahlen wollen, will sie nichts dafür haben. Wir sagen Ihr, dass sie ruhig Geld für den Service nehmen kann und was wir in Taioha'e und Atuona für eine Stunde Internet bezahlt haben. Aber sie will kein Geld. Wir versprechen uns Gedanken zu machen, womit wir uns erkenntlich zeigen können und lassen ihr einen halben Rosinenkuchen da, den wir gerade mit uns herumtragen. Joachim kommt die grandiose Idee, dass wir ihr unseren Kasten mit ca. fünfzig verschiedenen Farben Nähgarn geben können. Den haben wir vor allem wegen den darin enthaltenen Spulen für den Unterfaden der Nähmaschine dabei, aber eigentlich haben wir genug Spulen und genügend anderes Garn. Dieser Kasten ist bei Cecilia viel besser aufgehoben als bei uns. Als wir ihn ihr am nächsten Tag übergeben, freut sie sich sichtlich. Ufff, das macht uns froh. Tauschen ist ganz schön anstrengend!

Am letzten Nachmittag, bevor wir Hakateha'u verlassen, gehen wir zu Pierre und ernten bergeweise Limonen. Er legt uns Bananen und eine Kokosnuss sowie ein paar Mangos dazu und fährt uns noch zu seinem Bruder, wo wir Grapefruits ernten dürfen. Schwer beladen setzt er uns am Pier ab. Wir haben ihn und seine Tochter gerade zu uns an Bord eingeladen, als Joachim feststellt, dass die Anschlusskupplung für den Benzinschlauch an unserem Außenborder abgebrochen ist. Das müssen die Kinder gewesen sein, die im Dingi gespielt haben. Henriette schwört zwar, dass sie nicht im Dingi gespielt hätten, aber es ist offensichtlich, dass jemand am Gasgriff rumgespielt hat, dass die Paddel anders liegen, als vorher und wir haben ja schon mehrfach gesehen, dass die Jungs ins Dingi springen oder es als Sprungbrett nutzen. Jetzt sind wir ganz schön sauer. In den Tuamotus werden wir den Außenborder brauchen und Joachim ist sich nicht sicher, ob er den Schaden ohne Ersatzteil reparieren kann. Zu viert kommen wir so auch nicht an Bord von Pagena, jetzt müssen wir zurück paddeln. Und abends können wir auch nicht mehr an Land kommen, um bei Atai zu essen, wie es eigentlich vereinbart ist. Pierre macht eine betroffene Mine und bietet Hilfe beim Reparieren an. Aber laut Joachim geht das nicht. Wir sagen Pierre und Henriette ab und stapfen zu Atai, um auch die Bestellung bei ihm zu stornieren. Das Essen schmort schon seit Stunden, Atai ist nicht eben begeistert, dass wir ihn darauf sitzen lassen wollen. Auf unsere Frage hin, was denn Segler wie wir tun können, um ihr Dingi vor solchen Unfällen zu schützen, weiß Atai auch keine Antwort. Sein Sohn gehört auch zu der Bande, die immer im Hafen spielen, aber er selbst sieht keinen Anlass, sich mal mit seinem Sohnemann zu unterhalten. Der Bürgermeister müsse sich darum kümmern, befindet Atai. Es wäre nicht das erste Dingi, das die Kinder kaputtgespielt hätten. Immer wieder fragt er, ob wir nicht doch einen Weg finden können, um zum Essen zu kommen. Dies ist ein bestelltes Essen, das wir bezahlen werden. Für Atai und seine Frau ist es einer der wenigen Wege, um ein wenig Geld zu verdienen. Tausend polynesische Francs pro Person, etwa 8 Euro sind für eine reich gedeckte Tafel mit Poisson cru, Ziege in Kokosmilch, Brotfrucht, Brotfruchtpüree, Bananen und am Ende sogar noch ein Dessert ein fairer Preis, wir würden wirklich gerne kommen wenn wir könnten. Wir haben außerdem so viel reifes Obst an Bord, dass ich eigentlich einen Obstsalat beisteuern wollte. Wir verabreden, dass Joachim versucht, den Motor zu reparieren. Wenn es gelingt, kommen wir zum Essen, wenn nicht, dann nicht. Der Tausendsassa bekommt es zumindest provisorisch hin, so dass wir eine halbe Stunde später zusammen Obstsalat schnippeln.

 

Der Abend bei Atai wird nicht so nett wie angenommen. Als wir ihn kennen lernten wirkte er sympathisch, aber heute Abend faselt er nur blödes Zeug. Von einem ganz tollen Segler, der ihm Aikido beigebracht hat und nebenbei auch ganz viel Drogen geschmuggelt hat, jetzt aber nicht mehr lebt, erzählt er uns ausführlich. Wer will denn so was wissen? Und von einer Sendung, die er auf Arte gesehen haben will, über Chinesen, die Kinder essen. An der Stelle kann ich es mir nicht verkneifen zu sagen, "Kanibalen, das seid ihr doch eigentlich". Damit habe ich eine empfindliche Stelle getroffen. Atais Frau schaut mich an und fragt, "warum sagst Du das?". Lachend erkläre ich, "wegen der Kultur Eurer Vorfahren" und das scheint in Ordnung zu sein. Etwas später fragen sie, ob wir von dem Schweizer, der in Nuku Hiva ermordet worden sei, wüssten. "Ja, aber das war ein Deutscher", lassen wir sie wissen. "Es gibt viele verschiedene Versionen von dem, was sich da abgespielt hat", sagen sie uns und sind froh, dass wir keine davon hören wollen. Da Atai nur wenig Englisch spricht, obwohl von seinem verstorbenen Vater berichtet wird, dass der ein Wörterbuch Englisch – Marquesianisch verfasst habe, bestreite ich einen Großteil der Unterhaltung alleine, da es keinen Sinn macht Atais wirres Gefasel zu übersetzen. Das ist für alle fünf am Tisch ziemlich blöd. Etwas besser wird es, als ich mich so setze, dass Joachim sich direkt im Atai unterhalten kann und der nicht drum herum kommt, Englisch zu reden, während ich mich mit seiner Frau und ihrer Freundin unterhalte. Diese Leute sind anders als Pierre, Cecilia und Jackson. Ihre Erwartungshaltung ist, dass die Gemeinde, der Staat, die anderen eben, etwas für sie tun müssen, z.B. Arbeit beschaffen. Atais Frau erzählt, dass sie aus einer kinderreichen Familie stammt, sie ist das jüngste von sage und schreibe neunzehn Kindern. "Ja früher, da ging das noch, da war das Leben noch einfach", sagt sie. "Heute müssen wir zusehen, dass wir Geld verdienen." Ihre Bemerkung macht uns nachdenklich. Ja, den Bewohnern der Marquesas stehen noch viele Veränderungen bevor, um die sie nicht herumkommen werden, auf die sie aber noch furchtbar schlecht vorbereitet sind.

 

Damit gehen vier äußerst eindrucksvolle Wochen in den Marquesas zu Ende. Nachdem wir zum letzten Mal zum Brot kaufen an Land waren, schenkt uns ein junger Mann, der gerade an der Pier Kopra-Stücke zum Trocknen ausbreitet, spontan zwei Mangos aus seiner Tasche. Wie unglaublich gastfreundlich die Menschen auf den Marquesas doch sind! Wir sind gespannt, welche Eindrücke wir in den Tuamotus sammeln werden, den flachen Ringatollen, die in vier bis fünf Tagen unsere nächsten Stationen in Französisch Polynesien werden.

 

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