30. Aug. - 14. Sept. 2013, Samoa

Samoa, ein Inselstaat, der aus den beiden Hauptinseln Upolu und Savaii sowie einigen kleinen vorgelagerten Inseln besteht, und der bis 1997 Western Samoa hieß, war bis zum 1. Weltkrieg deutsche, danach neuseeländische Kolonie. Nicht zu verwechseln ist Samoa mit American Samoa, dem Staatsnamen der Nachbarinsel Tutuila, die ein abhängiges Gebiet der USA ist. Aus der 1962 gewonnenen Selbständigkeit heraus entwickelte Samoa einen beflügelnden Nationalstolz. Zwar sind die Einkommen in American Samoa um einiges höher als in Samoa, dennoch herrscht in Samoa eine zufriedene und zuversichtliche Wachstums-Stimmung. Die Politiker Samoas sind recht erfolgreich, was Geldbeschaffung angeht: Neuseeland als ehemaliger Kolonialherr ist ebenso selbstverständlich Geber wie Australien, denen an einer guten Zusammenarbeit mit Samoa für die Entwicklung des ganzen pazifischen Inselraums liegt. Hilfsorganisationen aus beiden Ländern beschäftigen Horden von Mitarbeitern, die gerne mal ein Jahr auf einer schönen Südsee-Insel verbringen. Auch Japan und China treten als Geldgeber in Erscheinung, schon um den pazifischen Inselraum nicht ausschließlich den Staaten des Commonwealth und den USA zu überlassen. Frankreich braucht die Zusammenarbeit mit Samoa und seinen Nachbarn, um Neu-Kaledonien im Westen und Französisch Polynesien im Osten Samoas in transpazifische Entwicklungen zu integrieren. Ob es wohl Frankreich zu verdanken ist, dass auch die EU-Flagge erstaunlich oft auf Tafeln als Projektsponsor auftaucht? Oder macht es Beamten in Brüssel einfach Spaß, sich mit dem Südseeträume-schürenden Samoa zu befassen? Jedenfalls scheint Samoa sich geschickt zwischen allen Interessensgruppen zu platzieren. Außer Samoanisch sprechen fast alle Leute Englisch, was die Verständigung einfach macht.

 

Besondere Bedeutung haben Dorfgemeinschaften in der samoanischen Gesellschaft. Alle Samoaner sind Mitglied einer "Aiga", einer Großfamilie, an deren Kopf ein gewählter "Matai" steht. Der Matai verwaltet die der Aiga gehörenden Ländereien und Güter und entscheidet über deren Verteilung. Er sorgt dafür, dass kein Familienmitglied jemals in Not gerät, schlichtet Streit und vertritt die Aiga im Dorf- oder Regionalrat. Eine Anzahl von Aigas ergeben zusammen ein Dorf, dem ein "Tulafale" als Sprecher sowie ein "Ali'i" als Hoher Chef vorstehen. Die Tulafales führen eloquente Debatten, halten zeremonielle Reden und sind die wahren Autoritäten der Dorfgemeinschaften. In den Dörfern leben die Samoaner weitgehend autonom und das Familienwohl hat Vorrang vor individuellen Rechten. Als puren prä-industriellen Sozialismus bezeichnet das unser Reiseführer. Die Bewahrung von Traditionen bei gleichzeitiger Öffnung für die Errungenschaften der Neuzeit scheint allerdings unserem Eindruck nach in Samoa besonders gut zu gelingen.

Samoa ist freundlich

Nach drei Nächten auf See seit Abfahrt aus Niue erreichen wir früh morgens Apia, Samoas Hauptstadt. Vorschriftgemäß informiert Joachim die Hafenbehörde vor der Ankunft über Funk. "Sagen Sie Bescheid, wenn sie an der Hafeneinfahrt stehen, wir schicken ein kleines Boot raus, das Sie in die Marina lotst" heißt es. Merkwürdig, denn die Einfahrt birgt keine Schwierigkeiten, aber was soll's. Als es soweit ist, ist alles anders. "Ankern Sie neben der anderen Yacht im Hafenbecken", heißt es jetzt, "die Einreisebehörden nehmen von sich aus Kontakt mit Ihnen auf." Gegen 9 Uhr meldet sich der Quarantäne Beamte, gegen 10 h ist er da. Ein wirklich netter junger Mann in Nadelstreifen-Lavalava, einer eleganten Version des Wickelrocks, den Samoaner sozusagen als Anzugkluft tragen. Nachdem er sich davon überzeugt hat, dass wir kein Ungeziefer einschleppen und keine unerlaubten Waren einführen, dürfen wir die gelbe Q-Flagge runternehmen. Das ist das Zeichen für die anderen Beamten, dass sie jetzt an Bord kommen können. Parallel zu uns erledigt sein Vorgesetzter dasselbe Prozedere auf dem Nachbarboot. Beide Herren müssen anschließend mit dem Dingi zurück an Land gebracht werden. Dummerweise gibt es keinen Schwimmsteg vor ihrem Büro und es ist gerade Niedrigwasser. Der Schritt aus dem wackeligen Dingi rauf auf die erste Stufe ist recht groß. Joachim gibt seinem Fahrgast einen guten Ausstieg, indem er das Dingi mit der Front fest gegen die Betonmauer fährt, so dass es einigermaßen stabil ist. Unser englischer Nachbar tut das nicht und sein Fahrgast ist erheblich dicker und unbeweglicher, was damit endet, dass beide zusammen ins Wasser fallen. Oh je, ein Yachtie hat den Chef der Quarantäne-Behörde ins Wasser befördert. Und der hatte sein Handy in der Rocktasche, das die Salzwasserspülung vermutlich nicht überlebt. Wir wären nicht überrascht, wenn das unangenehme Konsequenzen für uns und die Engländer hätte. Geduldig auf alles gefasst, was wir ohnehin nicht ändern können, warten wir also auf die nächsten Besucher. Positiv überrascht sind wir, als um 11h30 der Mann von der Immigration zusammen mit dem von der Gesundheitsbehörde auftaucht. Interessiert schaut der er auf die beiden Kokosnüsse, die in unserem Obst- und Gemüsenetz schaukeln und fragt, wo sie herkommen. "Ich glaube, die sind noch aus Tahiti", antworte ich wahrheitsgemäß. "Und diese Schale, ist die auch aus Tahiti?", fragt er weiter und deutet auf eine halbe leere Kokosnuss-Schale, in der wir meist Limonen aufbewahren. Zurzeit ist sie leer, da Früchte einzuführen verboten ist. Ich gebe ihm die Schale zur Begutachtung und erzähle, dass sie von den Marquesas stammt. Bewundernd dreht er sie in den Händen und stellt fest "So groß sind also die Kokosnüsse auf den Marquesas!" Auch diese beiden Herren sind super nett, auch sie tragen Lavalavas und auch sie muss Joachim wieder an Land bringen. In unserem kleinen Dingi wollen sie nicht beide auf einmal fahren. Das gibt mir die Gelegenheit mich noch ein wenig mit dem Beamten von "Immigration" zu unterhalten und zu fragen, ob wir in Apia Chancen haben, eine neue gute Unterwasserkamera zu kaufen. "Ja, so was gibt's bei SSAB", weiß er. Ich freue mich über die positive Auskunft, bleibe aber skeptisch. Dass man außerhalb von Papeete im Pazifik gute Technik-Gegenstände kaufen kann, ist kaum zu glauben. Dann beginnt das Warten auf den Zoll. Dass er in der Zeit von 12h30 bis 14h00 nicht kommt ist klar, da machen Samoaner Mittagspause. Um 14h30 erkundigt sich der Nachbar per Funk beim Hafenamt, ob der Zollbeamte weiß, dass er noch erwartet wird. Man will sich darum kümmern, wird geantwortet. Das nette am Funken ist, dass immer alle mithören, was gerade bequatscht wird und so jede Nachricht alle interessierten Zuhörer erreicht, in diesem Fall uns. Als um 15h00 immer noch niemand gekommen ist, bittet der Nachbar das Hafenamt um Erlaubnis, mit dem Dingi an Land zu kommen um selbst zur Zollbehörde zu gehen. Aus verschiedenen Seglerberichten wissen wir, dass das durchaus üblich ist und hängen uns an die Erlaubnis an. Im Zollamt ist einiges los, außerdem sieh es so aus, als würde gleich jemand eine Party schmeißen, es werden allerlei Leckereien in ein Nebengebäude getragen. Dennoch findet sich eine Beamtin, die die benötigten Formulare hat und uns und den Engländern hilft, diese korrekt auszufüllen, was in Samoa ungewöhnlich kompliziert ist. Jetzt endlich dürfen wir uns an Land bewegen.

 

Der erste Weg führt ins Hafenamt, das gleich hinter der Zollbehörde liegt. Wir wollen wissen, ob wir einen Platz in der Marina bekommen können, augenscheinlich sind mehrere Boxen frei. Warum man uns nicht gleich einen Platz gegeben hat, bleibt ein Rätsel. In einem großen Hinterzimmer, in dem fünf vollbeladene Schreibtische stehen sitzt Clea, eine ältere liebenswürdige Frau, die uns anstrahlt und willkommen heißt. Sie ist für die Verwaltung der kleinen Marina zuständig und erklärt, dass ein Steg leider immer noch Schäden vom letzten Hurrikan hat und dass nicht alle Liegeplätze gut seien. Wir könnten aber gleich nach der Anmeldung runter zur Marina gehen und uns mit ihrem Kollegen Monti zusammen einen Liegeplatz aussuchen. Gesagt, getan. Die Liegegebühren sind erträglich und extrem interessiert sind wir an Strom, der hier endlich mal wieder mit 230 V aus der Steckdose kommt. 230V Strom hatten wir seit fast anderthalb Jahren nicht mehr. Wir kamen stets auch mit 110 Volt aus, konnten damit aber nie den Hochdruckreiniger benutzen. Entsprechend schmutzig sind einige Ecken Pagenas, die nur der Kärcher erreicht. Ein Liegeplatz, der uns zusagt, ist schnell gefunden und Monti bittet freundlich um Beeilung. Eigentlich hat er schon Feierabend, aber er will am Steg warten, bis wir angelegt haben. Wir müssen ein paar hundert Meter zum Dingi zurück laufen, raus zu Pagena tuckern, Fender und Leinen klarmachen und Pagena in die Marina fahren. Dass das 20 bis 30 Minuten dauern wird, weiß Monti. Wir finden es extrem nett, dass er seinen Feierabend für uns noch so lange hinausschiebt. Wir haben zwar einen ganzen Tag gebraucht, um hier anzukommen, aber Samoa gefällt uns.

 

In der kleinen Marina liegen etwa zwanzig Schiffe. Schnell stellen sich einige Segler im Vorbeigehen vor, während wir damit kämpfen, einen funktionierenden Stromanschluss zu finden, für den wir den richtigen Stecker haben. Nur drei Crews kennen wir oberflächlich. Es ist immer wieder erstaunlich, wie viele Segelboote im Pazifik unterwegs sind. Unsere Stegnachbarn sind Per und Elisabeth von der Oda, das nette norwegische Paar, das uns in Bora-Bora beim Angeln der Mooring-Boje behilflich war. Zum Sundowner tönt melodischer Jazz von der Oda herüber, schön! Noch schöner finden wir, dass die Konservenmusik nahtlos in ein prima Live-Konzert übergeht, das aus einer der Hafenbars herüberschallt. Die Sängerin hat eine tolle Stimme und singt einen Weltklasse-Hit nach dem anderen. Refrains wie "Ain't no sunshine when she's gone", "You can feel it all over" "You gotta be cool, you gotta be free, you gotta be..." haben wir schon ewig nicht mehr gehört - ist das klasse! Die Samoaner haben richtig guten Musikgeschmack schlussfolgern wir. Nach dem Konzert sinkt unsere Begeisterung über die Musikbeschallung allerdings drastisch, denn jetzt spielen drei benachbarte Bars unterschiedliche Musik, die wir allesamt grässlich finden und deren Geplärr an Bord von Pagena als wilder Mix ankommt. Da helfen nur Oropax.

 

Die Erkundung Apias beginnen wir mit einem Besuch der Touristen-Information. Die unglaublich dicke Empfangsdame ist so kompetent und hilfsbereit wie sie rund ist. Ruckzuck besitzen wir ein Informationspaket bestehend aus Stadtplan und Inselbroschüre, wissen wie viel ein Taxi kosten darf und welchen Supermarkt wir ansteuern sollen um gutes Brot aufzutreiben. Wegen der Kamera fragt sie telefonisch bei SSAB nach, damit wir den Weg nicht umsonst machen. Um hinzukommen brauchen wir ihr zufolge ein Taxi und sie drückt uns einen Zettel mit den erforderlichen Ortsangaben für den Taxifahrer in die Hand. Es ist keine Straßenadresse sondern die Beschreibung, in welchem Viertel der Laden liegt. Der erste Taxifahrer neppt uns trotzdem und zeigt nach wenigen hundert Metern auf ein Geschäft auf dem was von "Foto" steht und behauptet das wäre SSAB. Für die kurze Fahrt will er nur drei Tala (ca. 1 Euro) statt der vereinbarten vier. Der Laden entpuppt sich als kleines Fotostudio für Passfotos, da wollen wir nicht hin. Die Verkäuferin ruft uns aber das nächste Taxi und erklärt ihm, wo er hinfahren soll. Schließlich angekommen verschlägt uns das Warenangebot von SSAB die Sprache: Neben allerhand Papierwaren gibt es hier Computer, Handys, Kameras, viele Regalmeter interessanter Bücher, allen erdenklichen Lehrerbedarf und nicht zuletzt raffinierte Lernspiele. Alles vom Feinsten, auf europäischem Niveau und teilweise noch besser was didaktisch gut gemachte Kinderbücher angeht. Damit hatten wir in Samoa nicht gerechnet. So ein Geschäft haben wir selbst in Papeete nicht gesehen. Unterwasserkameras sind zwei im Angebot, ein No-Name-Gerät und eine Sony. Letztere teuer, aber immerhin. Lieber als eine Sony hätten wir aber wieder eine Panasonic. Als die Frage, ob man eine Panasonic für uns bestellen könne und wie lange wir wohl darauf warten müssten, mit einem grundsätzlichen "Ja, kein Problem – die Kamera müssten wir in 14 Tagen hier haben" beantwortet wird, hat Samoa schon wieder einen Stein mehr bei uns im Brett. Wir können Rick dem Einkäufer per email mitteilen, welches Modell wir haben möchten und er wird uns ein Angebot zumailen. Wunderbar! Das Angebot im Lucky Foodstore ist ebenfalls prima und besser als erwartet, nur die Brottheke kann unsere Wünsche nicht erfüllen. Egal, es bleibt dabei, Samoa ist klasse!

Samoa pflegt Traditionen

Tags drauf, samstags, hören wir von einer Stegnachbarin, dass es abends einen Feuertanz-Wettbewerb gibt. Feuertanz hat in Samoa Tradition. Schon kleine Jungs im Alter von 10 bis 12 Jahren beginnen damit, ein oder zwei brennende Fackeln, die an beiden Enden brennen, durch die Luft zu wirbeln oder in verschiedenen Figuren um den Körper herum zu drehen. Jeder der neunzehn Teilnehmer muss eine Pflicht und eine Kür vorstellen. Anfangs, als die Jugendlichen antreten, sind außer einer Handvoll Segler nur wenige Zuschauer da. Im Laufe des Abends kommen jedoch immer mehr. Zwischendurch verkrümeln wir uns, da es keinen Imbissstand gibt und wir Hunger haben. Dennoch sehen wir an die dreißig Auftritte, die uns am Ende ziemlich lang werden. Die Begleittrommeln schlagen den ganzen Abend den immer gleichen Rhythmus und der Figuren-Reichtum ist nicht besonders groß. Am häufigsten werden Räder mit den Fackeln gedreht, je schneller umso besser. Mal mit einer, mal mit zwei Fackeln, mal getrennt, mal verbunden. Die Unterschiede zwischen den Jugendlichen und den Erwachsenen sind nicht groß. Die Bewegungen der Kleinen sind noch etwas langsamer und sie tun sich mit den aneinander gehängten Fackeln schwerer, weil die Armlänge dafür noch nicht ausreicht, das ist alles. Zu Beginn der Kür legen einige Teilnehmer eine Feuerspur auf den Boden der Tribüne, die von einer Bühnenseite auf die andere läuft, während der Tänzer sich dahinter in Pose wirft oder mitläuft. Früher oder später baut jeder eine Applaus-einfordernde Pose in seine Choreographie ein. Dumm nur, wenn kurz zuvor eine Fackel auf den Boden gefallen ist. Das passiert fast allen, es scheint unvermeidlich zu sein. Manche Kandidaten tun uns richtig leid, wenn ihnen nach toller Performance plötzlich ein Missgeschick widerfährt. Außer den Drehfiguren gibt es noch eine, bei der die brennende Fackel schnell nahe der Lippen vorbeigeführt wird und eine andere, bei welcher der Tänzer sich auf den Rücken legt, die Beine in die Höhe streckt und sich die an beiden Seiten brennende Fackel auf die Fußsohle legt. Wir erkennen den größten Unterschied zwischen den Kandidaten daran, wie lange jemand diese Mutprobe aushält. Ansonsten vermissen wir Raffinesse im Umgang mit dem Feuer. Warum nur führt niemand die lodernden Flammen mit langsamen Bewegungen vor, spielt mit Licht und Schatten und lässt die Glut als solche wirken? Warum spuckt auch in der Kür niemand Feuer und warum jongliert niemand mit den Fackeln? Samoa ist in allem sehr traditionell, ist die vermutlich richtige Antwort auf diese Fragen.

 

So modern Apia auf der einen Seite ist, so verhaftet in unumstößlichen Traditionen ist die Gesellschaft. Kleidung ist dafür ein augenfälliger Beweis. Männer tragen fast alle Lavalavas oder die informelleren Sarongs und dazu ein T-Shirt oder ein Hemd. Frauen tragen fast alle eine geradezu uniformelle Kluft, bei der nur die Stofffarben und –muster variieren. Die Röcke sind stets lang und schmal, fürs Oberteil gibt es etwa drei verschiedene Formen: Rundhals-Ausschnitt ärmellos, Rundhals-Ausschnitt mit kurzem Ärmel oder ein eckiger Halsausschnitt mit kurzem Ärmel. Diese Kleider werden lokal von Näherinnen hergestellt. Es gibt weitaus mehr Läden, in denen Stoffballen verkauft werden, als Boutiquen, in denen westliche Mode angeboten wird. Lediglich ein nach topaktueller Rapper-Mode gestylter Teenager fällt uns auf, soweit wir überhaupt noch beurteilen können, was topaktuelle Mode ist. Er trägt eine Baseball-Cap, eine übergroße Hornbrille, ein weites T-Shirt, Jeans, deren Bund näher an den Knien als an der Hüfte sitzt und ein paar ungeschnürte "Turnschuh-Stiefel" (die Bezeichnung ist sicher falsch, bloß kenne ich die korrekte für das Schuhwerk nicht). Er ist aber weit und breit der einzige, der so aussieht. In Samoa ist wenig Individualismus zu beobachten.

Samoa singt

Sonntagabend, also am Vorabend des mehrtägigen Teuila-Festivals, gibt es ein großes Konzert, in dem neun Kirchenchöre auftreten, manche mit mehr als hundert bis hundertfünfzig Sängern. Thoralf und Gundula von der Wigwam hatten das letztes Jahr erlebt und begeistert darüber berichtet. Auch wir möchten zur "Choir Exhibition". Letztes Jahr fand die Veranstaltung in einer Kirche statt, vermutlich in der zentral gelegenen katholischen Kathedrale. Diese wird zurzeit allerdings von Grund auf renoviert. Vielleicht findet das Konzert daher dieses Jahr auf der Bühne vor dem Parlamentsgebäude im Freien statt. Just eine Stunde vor Konzertbeginn regnet es Katzen und Hunde. Wir können uns nicht vorstellen, dass das Konzert unter diesen Umständen beginnen wird und wir haben erst recht keine Lust, jetzt den wohlig-trockenen Salon Pagenas zu verlassen. Erst als der Regen sich legt, machen wir uns auf den Weg. Die Bühne ist leer, die Auftritte wurden in die Congregational Church verlegt. Schade, dass niemand uns vorher gesagt hat, dass es diesen alternativen Veranstaltungsort gibt. Bis wir mit einem Taxi dort eintreffen, tritt schon der sechste Chor auf. Der Chor der Methodisten-Kirche singt äußerst lebendig und mitreißend, fast wie ein Gospelchor. Der beste Chor des Abends, bekommen wir von Sitznachbarn zugeflüstert, die auch die Katholiken, die "Church of the Latter Day Saints", die Nazarener, den Harlem Gospel Chor aus den USA und die Adventisten des Siebten Tages gehört haben. In der Tat können die drei folgenden Chöre - die "Assembly of God", die "Congregational Church of Jesus in Samoa" und die "Congregational Christian Church of Samoa" diesem nicht mehr das Wasser reichen. Auch mangelt es dem Auftrittssaal an der Kulissen-Theatralik, die wir von europäischen Kirchen her gewöhnt sind. Die Congregational Church ist ein sehr schlichter Bau, der genauso gut Turnhalle, wie Gemeindesaal, wie Kirche sein könnte. Festlichkeit wird der Veranstaltung nur dadurch verliehen, dass alle Chorsänger ganz in Weiß gekleidet sind. Die jeweils nicht auf der Bühne stehenden Chöre stellen 90% der Zuschauer dar. Zum Abschluss des Konzerts singen alle gemeinsam ein kurzes Lied. Der Abend ist nicht übel, aber den Höhepunkt haben wir leider verpasst.

Am Montag läutet eine Parade aller Teilnehmer vom Polizeipräsidium zur Festbühne vor dem Regierungsgebäude das Festival ein. Allen voran schreitet Apias Polizeikapelle, gefolgt von der Polizeitruppe, die diesen Marsch zusammen jeden Morgen – allerdings ohne weitere Gefolgschaft – zum Flaggenappell zurücklegen. Die stämmigen Polizisten in dunkelblauen Lavalavas, hellblauen Hemden und schwarzen Sandalen sehen fesch aus und auch die ihnen folgenden Gruppen stehen ihnen nicht nach. Auf dem Festgelände erwartet sie eine feierliche Ansprache des Präsidenten und anderer Honoratioren. Nach dem Festakt sehen wir uns im "Cultural Village" um, wo es Vorführungen traditionellen Handwerks gibt, u.a. Flechten, Schnitzen, Feuermachen ohne Streichholz und Tätowierung auf traditionelle Art. Autsch! Zwei dicke Samoaner lassen, die äußerst schmerzhaft aussehende Prozedur über sich ergehen. Touristen bekommen einfache Sachen beigebracht, z.B. sich einen Kopfschmuck aus einem Palmwedel zu flechten, von dem fünf Blätter verwendet werden. Die drei Schnitzer tragen einen Wettbewerb aus. In drei Tagen müssen sie eine traditionelle Kava-Schale sowie eine große dekorative Holzschale anfertigen. Dann wird beurteilt, wer die besten Schalen gemacht hat.

 

Die dekorative Schale wird aus einem rohen Stück Holz lediglich mit einer kleinen Axt herausgearbeitet. Span um Span wird abgeschlagen, präzise Armbewegung ist für ein gelungenes Werkstück unabdingbar. Zwischendurch wird die Bodenfläche mit Bleistift angezeichnet, aber es werden keine Messinstrumente eingesetzt. Auf diese Art und Weise eine symmetrische Schale mit plattem Boden anzufertigen ist sicher schwer. Zum Schluss wird die Schale mit Sandpapier glatt geschliffen und mit schwarzer Farbe dezent verziert. Die Kava-Schale, die in der samoanischen Version rundherum eine Vielzahl Füße hat, wird aus einem wie auch immer hergestellten Rohling herausgearbeitet.

Die Festival-Vorführungen sind umsonst und an den zur Straße hin aufgebauten Verkaufsständen kann man für drei bis zehn Tala, ein bis drei Euro, eine warme Mahlzeit kaufen. Das Nationalgericht der Samoaner ist "Barbeque". Auf allen Grillrosten liegt dasselbe: Mit Teriyaki-Sauce bepinselte Hühnchen-Schlegel, Hotdog-Würstchen ohne Pelle, leicht dubiose Schinken-Stücke und wenn man Glück hat ein kleines Stück Lammfleisch. Dazu gibt es Beilagen wie Taro, Bananen einer Sorte, die eigentlich kaum nach Banane schmeckt, ein zwei Scheiben Tomate und ein paar Scheibchen Gurke. Auch ein Nudelsalat ist ab und zu als Beilage drin. Trinkkokosnüsse aus der Kühlbox gibt es für 2 Tala. In Kolumbien und in ganz Französisch Polynesien haben Kokosnüsse bisher immer um 2 Euro herum gekostet - was ich ganz schön teuer fand. Umso besser schmecken mir die samoanischen Kokosnüsse. Joachim ist froh, dass es auch kühle Dosengetränke gibt. Alkohol wird nirgends ausgeschenkt, noch nicht mal Bier.

 

Von Montag bis Donnerstag finden jeden Tag mehrere Wettbewerbe im Rahmen des Festivals statt, unter anderem jeden Tag ein Ausleger-Kanu-Rennen. Wir kennen diese bereits zur Genüge aus Hawaii, daher ist unser Interesse daran nur begrenzt. Unsere Neugier wecken die "Barista Competition" und die "Table Setting & Techniques of Pouring Wine Competition". Italienischen Kaffee kochen, Tische decken und Wein einschenken als Wettbewerbe bei einem samoanischen Kulturfestival, was soll das denn? Wir gehen zum Barista-Wettbewerb um das zu verstehen. Jeweils zwei junge Herren treten tatsächlich im Kaffeekochen gegeneinander an. Sie müssen einen Espresso, einen Cappucino und einen Mokka kochen, deren Qualität von einer zweiköpfigen Jury beurteilt wird. Dabei müssen sie demonstrieren, dass sie mit den großen italienischen Profi-Kaffeemaschinen umgehen können. Manche wirken selbstsicher, andere noch etwas linkisch. Die Kandidaten stellen sich zu Beginn der Jury und dem Publikum jeweils kurz vor und geben an, warum sie an dem Wettbewerb teilnehmen. Manche sagen, dass sie in ihrem Beruf noch besser werden möchten, andere suchen eine neue Stelle in der Gastronomie. Hinter dem Wettbewerb steckt das Technical College, wo junge Samoaner Berufsausbildungen erhalten. Wir finden das einen cleveren Weg, um auch der Familie junger Leute, die einen Beruf in der Gastronomie ergreifen möchten, zu zeigen, worum es dabei eigentlich geht und sie stolz auf ihre Sprösslinge sein zu lassen. Die meisten Mütter, Väter, Tanten, Onkels und erst recht die Großeltern sind vermutlich nie aus ihrem Dorf herausgekommen und entsprechend skeptisch, was ihre Brut in Apia so treibt.

 

Weitere moderne Elemente des Festivals sind z.B. die jeden Spätnachmittag stattfindende "Wellness is Beauty – Aerobics" Show auf der Bühne und zum Mitmachen sowie der Auftritt einer argentinischen Tangogruppe am Eröffnungsabend, die nach den samoanischen Tanzgruppen auftritt. Wir sehen beides nicht live, denn einen ganzen Tag Teuila-Festival von früh bis spät stehen wir nicht durch. Dennoch registrieren wir mit großem Interesse, was das Programmblatt des Festivals offenbart: Samoa zeigt sich weltoffen und die Veranstalter bringen auch ein wenig Kultur aus anderen Teilen der Welt nach Samoa. Aerobics und Tango neben Feuertanz und Siva, Kaffeekoch- neben Schnitz-Wettbewerben: Das Festival bildet perfekt den Spagat zwischen Tradition und Moderne ab, in dem Samoa sich befindet. Einerseits werden traditionellen Praktiken vorgeführt, damit sie nicht in Vergessenheit geraten, andererseits werden neue Praktiken, die die Samoaner erlernen sollen, gleichberechtigt ins Programm aufgenommen und ganz nebenbei ihr Horizont erweitert. Anfangs fanden wir die modernen Elemente des Festivals irritierend und natürlich sind sie jemand aus unserem Kulturkreis wenig interessant. Nachdem wir allerdings aus der samoanischen Perspektive darüber nachgedacht haben, finden wir die Veranstaltung äußerst clever.

Samoa lacht

Seinen Höhepunkt erreicht das Festival am Donnerstagabend mit dem Chiefs Fiafia, dem Fest des Chiefs. Ein echter Matai, der Komiker-Qualitäten hat, führt redegewandt durch ein buntes Abend-Programm, er muss ein Tulafale sein. Das Festgelände ist rappelvoll, das Chiefs Fiafia wollen wirklich alle sehen. Auch im TV wird die Veranstaltung übertragen. Zusammen mit anderen weißen Besuchern bekommen wir Plätze in einem der bestuhlten und überdachten Festzelte. Wir sitzen in erster Reihe im rechten Block des Zeltes, im linken Block sitzt u.a. der Staatspräsident mit seinen Angehörigen. Er trägt ein buntes Hemd und sieht aus wie ein Jedermann. Der Chief auf der Bühne hat sich eine kunstvoll geflochtene Pandanus-Matte als Lavalava um den Bauch gewickelt, sein Haupt wird von einem Kranz aus Farnblättern gekrönt. Unterstützt wird er von einer Gruppe Trommler und einer Gruppe junger Männer in Sarongs, die rhythmisch klatschen, zwischendurch tanzen oder dem Chief die erforderlichen Requisiten reichen. Der Abend beginnt mit einer traditionellen Kava-Zeremonie. Kava ist ein im gesamten Südwest-Pazifik verbreitetes rituelles Getränk, das narkotisierende Wirkung hat. Es wird aus dem Saft der Kava-Wurzel gebraut, die einen kurzen Fermentationsprozess durchläuft. Aus Beschreibungen anderer Segler wissen wir, dass Kava erdig-seifig schmeckt. Nur Männer dürfen Kava trinken und auf Samoa ist Kava den Matais vorbehalten. Wenn man als Weißer eine Einladung zu einer Kava-Zeremonie erhält, ist das eine Ehre, die man nicht ablehnt. Joachim, zwei Seglern aus unserem Bekanntenkreis und zwei weiteren weißen Herren, die ebenfalls in unserem Zelt sitzen, widerfährt diese Ehre. Sie werden auf die Bühne geführt, gefragt wie sie heißen, wo sie herkommen und darum gebeten ein paar Worte ans Publikum zu richten. Danach werden sie für den Abend zu Ehren-Matais ernannt, damit sie an der Kava-Zeremonie teilnehmen können. Jeder Ehren-Matai erhält einen eigenen Namen, den er laut ins Mikrofon wiederholen muss. Graham wird Chief "Fiafia", der hat es schön einfach. Joachim wird Chief "Ele-ele-le-le-i", das ist verdammt schwer nachzusprechen, wenn man es nur ein einziges Mal hört. Der echte Chief weiß das natürlich und schmettert Joachim seinen Namen lauthals und mit schnellem Zungenschlag entgegen. Joachim hält sich wacker, indem er mit fester Stimme ebenfalls lauthals ins Mikrofon wiederholt, was er gehört hat. Das Publikum johlt, wie auch schon bei den drei anderen Herren vor ihm. Danach geht's ans Kava-Trinken. Als erster bekommt natürlich der echte Matai eine Schale, eine halbe Kokosnuss, gießt ein wenig Kava auf den Boden und trinkt die Schale anschließend in einem Zug leer. Danach sind die fünf Ehren-Matais an der Reihe, das Publikum schaut ihnen gespannt zu. Der erste, ein blasser junger Mann aus Australien, ein Flugzeug-Tourist, tut sich sichtlich schwer den Kava zu trinken, obwohl samoanischer Kava ziemlich mild ist. Der nächste Kandidat gießt mindestens die halbe Schale aus, ehe er sie an den Mund setzt. Doug, der vor Joachim an der Reihe ist, leert seine Schale schnell und unerschrocken, genauso wie Joachim und Graham. Hinterher erzählt Joachim, dass er auf wesentlich Schlimmeres vorbereitet war. Der Geschmack wäre weniger übel gewesen als gedacht und die Menge in den kleinen samoanischen Kokosnuss-Schälchen auch kleiner als befürchtet. Schließlich werden die weißen Gäste ein wenig veräppelt. Unter anderem geht es um die Liebe. Der Chief macht ein paar Macho-Sprüche und führt mit einem zappelnden Luftsprung vor, wie heißblütige Samoaner sich ihren Frauen an den Hals werfen. Die fünf Gäste auf der Bühne müssen jeweils berichten ob sie verheiratet sind, ob sie glücklich sind und müssen seine irrwitzige Pose nachmachen. Der blasse Australier ist vollkommen überfordert. Auf die Frage, ob er verheiratet sei, macht er eine So-la-la-Handbewegung und lächelt unsicher. Auf Ansage des Chiefs bekomme ich vor tausenden Zuschauern von Joachim „You are the wife of my life" von der Bühne zugerufen und aus der hohen Armbewegung, die er anschließend macht, schlussfolgert der Chief grinsend, dass ich ziemlich groß sein muss. Wieder johlt das Publikum. Samoaner sind übrigens teilweise selbst sehr groß, das ist also nichts Ungewöhnliches. Mit einem Feuertanz-Wettbewerb geht das Festival zu Ende. Jetzt haben wir definitiv genug Feuertanz gesehen. Toll, dass wir das Teuila-Festival erleben konnten, denn in kurzer Zeit haben wir extrem viel über Samoa gelernt. Immer noch ist uns das Land sehr sympathisch.

 

Jetzt zieht es uns aus Apia raus in ländlichere Gegenden. Thoralf und Gundula von der Wigwam hatten letztes Jahr eine mehrtägige Autotour gemacht, bei der sie in Beach-Fales auf Upolu und auf Savaii übernachteten. Auch wir würden gerne erleben, wie es sich in einem Fale schläft, der traditionellen Behausungen der Samoaner. Fales bestehen nur aus einer leicht erhöhten Plattform, die auf Holzpfosten ein dickes Dach aus Pandanuss-Blättern trägt. Wände hat ein traditionelles Fale nicht. Man sitzt auf dem überdachten Podest auf geflochtenen Matten die auf dem Boden liegen und benutzt einen der Pfosten als Rückenlehne. Möbel gibt es keine, höchstens ein Bett und ein Moskitonetz. Um etwas Privatsphäre herzustellen, Wind, Sonne oder Regen abzuhalten, können die Seiten des Fales mit bunten Stoffen oder mit geflochtenen Matten aus Kokosnussblättern abgehängt werden. Gut durchlüftet ist das Fale stets, im feucht-heißen Klima Samoas sicher ein wichtiger Aspekt. Als ich mich bei den anderen Seglern erkundige, ob jemand ein Fale empfehlen kann, leuchten Ninas Augen auf, die sonst oft ein wenig traurig wirken. Ganz begeistert berichtet sie von ihrem Ausflug nach Manono Island, einer winzigen Insel zwischen Upolu und Savaii. Auf Manono gibt es keine Straße, keine Autos und keine Hunde. (Hunde, die nachts Fußgänger angreifen oder Höllenlärm machen, wenn jemand vorbeigeht, sind auf Upolu und Savaii anscheinend ein Problem. Auf Manono sind Hunde daher verboten). Die Einwohner Manonos, die in vier kleinen Dörfern leben, seien unglaublich freundlich, berichtet Nina und beginnt bei der Erinnerung wieder glücklich zu lächeln. Sie habe mit einer Freundin in einem kleinen Bungalow gewohnt. Die Übernachtung habe inklusive aller drei Mahlzeiten nur hundert Tala (ca. 35 Euro) gekostet und der Bootstransfer von Upolu nach Manono sei auch inbegriffen gewesen. Was wir von ihr über Manono hören gefällt uns und wir denken, dass wir dort sicher guten Kontakt zu Samoanern bekommen, was uns noch mehr interessiert, als das Gefühl wie es sich auf einer zum Strand hin offenen Holzplattform schläft. "Sunset View" heißt der Familien-Betrieb auf Manono, der nur über die Touristen-Info gebucht werden kann, da ein Samoaner dort anrufen und alles arrangieren muss. Wir kehren also zurück zur dicken Mamsell namens Jade, die prompt telefonisch die Buchung für uns arrangiert und uns sagt, mit welchem Bus wir rechtzeitig zum verabredeten Treffpunkt am Ende der Insel kommen, wo uns Sunset Views Wassertaxi abholen wird. Freitag bis Sonntag werden wir gemütlich auf Manono verbringen und somit geschickt dem Wochenend-Musikgeplärr der Hafenbars entgehen.

Das Ausflugsabenteuer beginnt freitagmorgens mit einer Busfahrt von Apia nach Manono Uta. Es gibt keine festen Fahrpläne, bekannt ist nur, in welchem Takt die Busse fahren. Der Manono Bus fährt alle zwei Stunden. "Er fährt um 10 Uhr" weiß Jade und rät uns 15 Minuten vorher da zu sein. Mehr zufällig denn geplant sind wir schon kurz nach halb zehn am Busbahnhof. Und die ersten Fahrgäste sitzen schon im Bus. Da die guten Plätze schnell weg sind, setzen wir uns auch gleich rein. Das Chassis des Busses ist aus Stahl, aber der ganze Aufbau ist aus Holz gezimmert. Die Sitze sind ungepolstert und auf den hinteren Sitzplätzen wird es mangels Federung besonders ungemütlich. Wegen der frühen Ankunft erwischen wir noch die zweite Sitzreihe hinter der Tür. Sehr erstaunt sind wir, als sich der Bus Punkt 9h45 in Bewegung setzt. Am Flohmarkt springt noch schnell ein Mann auf, dann geht's auch schon raus auf Apia, die Nordküste der Insel entlang nach Westen. Unterwegs steigen immer mehr Leute zu. In Samoa ist es verboten im Bus zu stehen. Als es keine Sitzplätze mehr gibt, setzen sich zuerst die Kinder auf den Schoß von Erwachsenen. Schließlich steigt eine junge Frau zu, die sich ganz selbstverständlich auf den Schoß eines älteren Mannes setzt. Auf diese Art und Weise können doch alle mitgenommen werden. Eine Frau fragt uns, wohin wir fahren und wir sind froh, dass das außer dem Busfahrer jetzt noch jemand weiß, der uns sagt, wann wir aussteigen müssen. Die Fahrt ist ca. 40 km lang und sie beschert uns eine Viertel Inselrundfahrt. Im Taxi hätte sie 60 Tala gekostet, im Bus sind es 3,70 Tala pro Nase, ca. 1,25 Euro.

 

Das sogenannte Fährterminal von Manono Uta ist kaum erkennbar. Es ist ein halbroher Bau von der Größe eines Einfamilienhauses vor dem ein kleiner Alu-Katamaran liegt. Im Schatten des Hauses dösen einige Samoaner. Wir werden am Bus von einem freundlichen Herrn abgeholt, der uns bedeutet, dass wir ihm auf die andere Seite einiger Korallenstöcke vor dem Fährterminal folgen sollen, da gerade Niedrigwasser sei und er nicht näher heranfahren könne. Auch er hat einen kleinen Fischer-Katamaran, der grob aus Aluminium zusammengeschweißt ist. Die Kufen sind offen. Sie werden unterwegs als Sammelbecken für Fisch genutzt, der an die Angel geht. Wir sitzen auf der Plattform, welche die beiden Kufen verbindet auf dem Boden. Ein kleiner Aufbau aus Sperrholz mit zwei kleinen blinden Fenstern aus Plexiglas bietet etwas Schutz vor dem Fahrtwind. Nach etwa einer Stunde Fahrt durch die flache Lagune zwischen Manono Uta und Manono Island erreichen wir den kleinen Betonpier vom Sunset View. Dort begrüßt uns Margret, die Tochter des Hauses. Bevor sie uns zu unserem Bungalow bringt, erklärt sie uns kurz die Regeln des Hauses und der Insel. Gegessen wird um 8h, 12h und 18h, Tee können wir jederzeit bekommen. Der Rundgang um die Insel herum dauert ca. 1,5 Stunden. Wenn Kirche ist, abends um 18h15, darf man nicht um die Kirchen herum laufen, alles muss während der Messe still stehen. Am Sonntag gibt es ganz viele Verbote und Tabu-Zonen. Wenn wir einen Spaziergang machen möchten, ist dieser erst nach 14 Uhr möglich und am schönen Sandstrand etwas nördlich von Sunset View darf nicht gebadet werden. Auch am Riff Schnorcheln darf man sonntags nicht, höchstens vor Sunset View könnten wir ein wenig baden gehen. Unspannend. Wir wussten, dass in Samoa sonntags fast nichts geht und wollen ausprobieren, wie sich das auf der beschaulichen Insel anfühlt. Nach dem Mittagessen fragt Margret, ob wir heute schnorcheln gehen möchten, oder wir bis morgen warten könnten. Morgen würden weitere Gäste kommen, dann könnten wir alle zusammen ans Riff gefahren werden. Klar, kein Problem, wir sind eh mehr am Inselrundgang als am Schnorcheln interessiert.

Als wir unseren Bungalow am frühen Nachmittag genauer unter die Lupe nehmen, finden wir ihn ganz schön dreckig. Schuhe bleiben in Samoa auf der Schwelle des Hauses stehen, aber wenn wir barfuß durch unser Zimmer laufen, kommen wir mit schmutzigeren Füßen raus als wir reingegangen sind. Der Abfalleimer auf der Toilette ist nicht geleert und auch auf der Veranda liegt kleiner Müll. Wir gehen zu Margret und sagen Ihr, dass wir den Eindruck haben, dass der Bungalow noch nicht ganz für neue Gäste hergerichtet zu sein scheint und dass wir möchten, dass er geputzt wird. Dazu erhält sie zwei Stücke Kinderkleidung für ihren kleinen Sohn als Zeichen unseres Respekts. Freundlich bedankt sie sich für den Hinweis auf die Unzulänglichkeiten, die jetzt behoben werden können. Eine professionelle Reaktion, freuen wir uns. Gegen 16h, als die Sonne tiefer steht und weniger brennt als zuvor, ziehen wir los zum Inselrundgang. Wir folgen dem Fußpfad, der mal ein schmaler Grasweg ist, mal ein mit Korallenschutt gekiester Weg. Gärten, hohe Bäume, Rasen, Palmen, Strand und Blumen, säumen den Weg, die Landschaft ist wirklich schön. Eine offensichtlich sehr arme Frau mit sehr schlechten Zähnen kommt aus ihrem Garten, um sich mit uns zu unterhalten. Mit ihr kommt ein schmutziges scheues Mädchen, ein Baby trägt sie auf dem Arm. Wie wir heißen, wo wir herkommen, wie lange wir schon in Samoa sind und wie lange wir bleiben möchte sie wissen. Nachdem alles beantwortet ist, gehen wir weiter. Männer begegnen uns, die einen Korb mit Gemüse vom Feld nach Hause tragen. Sie grüßen freundlich und setzen ihren Weg zügig fort.

 

Schließlich stehen wir vor einem gemauerten Wohnhaus und fotografieren die Kirche nebenan. Eine alte, nach Landstreicherin aussehende Frau kommt und bettelt uns an. Wir wissen nicht, ob wir Ihr etwas geben sollen oder nicht. Aus dem Haus heraus ertönen Rufe, sie solle verschwinden. Die Alte bleibt. Ein Mann in zerbeulter Jogginghose kommt heraus und wird etwas deutlicher. "Gebt Ihr nichts und kommt herein", bietet er uns als bequemen Ausweg an. Wir fragen, ob in der Nähe der Laden sei, wo wir noch schnell eine Flasche Wasser kaufen können. "Wasser braucht Ihr? Wartet, ich hab genügend abgekocht, Trinkwasser könnt Ihr von mir bekommen". Er führt uns am Wohnhaus vorbei, in dem ein altes Ehepaar und eine ältere Frau im Wohnzimmer sitzen. Er sei Neuseeländer und mit einer Frau aus Manono verheiratet, die alten Leute seien seine Schwiegereltern lässt uns Robert wissen, während er uns zu einer kleinen dunklen, nach Holzfeuer riechenden Hütte führt, in der ein gusseiserner Ofen steht. Ein wahres Prunkstück, auf das er sichtlich stolz ist. Der Boden neben dem Ofen ist die Kochstelle. Baumstümpfe dienen als Hocker. Neben der Kochhütte gibt es eine Esshütte, in der ein Tisch und zwei Bänke stehen. Meistens schlafen seine Frau und er in einem Fale nahe des Strandes, erzählt Robert. Mit seinen längeren zotteligen Haaren und seinen vorstehenden Schneidezähnen erinnert er uns an eine Mischung aus Freddy Mercury und Gérard Depardieu. Seine Augen blitzen, der Kerl hat was in der Birne. Er beginnt uns alles Mögliche zu erzählen, doch wir können nicht bleiben, wir müssen ja um zum Abendessen zurück ins Sunset View und müssen im Kopf behalten, dass wir ab 18h15 nicht mehr an Kirchen vorbeihasten dürfen. "Ja klar, Ihr müsst los. Dann kommt doch morgen früh wieder vorbei, dann gehen wir zusammen auf den höchsten Punkt Manonos und unterwegs zeige ich Euch meine Felder", schlägt Robert vor.

 

Wir laufen weiter, und laufen und laufen, wir dachten wir wäre schon näher am Sunset View dran. Unterwegs sprechen uns immer mal wieder Kinder und junge Leute an, die gerne ein Schwätzchen halten würden, aber wir haben jetzt leider keine Zeit. – Verrückt, auf dieser Insel keine Zeit zu haben... – Zwei Teenager-Mädchen drücken uns zwei Sternfrüchte in die Hand, einfach so, weil sie sie gerade haben. Kinder freuen sich, wenn wir sie fotografieren, am liebsten würden sie in die Kamera hineinkriechen. Meist sind sie in einer großen Horde unterwegs. Es ist schwierig, sie für ein Foto auf Abstand zu halten und am allerliebsten würden sie auf den Knöpfen der Kamera herumdrücken. Bald ist klar, dass wir es nicht bis 18 Uhr schaffen werden, am Sunset View zu sein. Aber wenigstens an den Kirchen müssen wir bis 18h 15 vorbei sein. Ein Priester kommt uns entgegen. Wir fragen ihn, wie weit die nächste Kirche ist, ob wir es noch schaffen werden sie vor der Tabu-Zeit zu erreichen. "Ja, das müsste gehen", antwortet er. Als wir kurz nach sechs neben der Kirche noch junge Männer Fußball spielen sehen, entspannen wir uns etwas. Sooo streng, wird die Regel dann wohl doch nicht ausgelegt. Hechelnd, aber glücklich kommen wir um 18h20 im Sunset View an, wo das Abendessen schon auf uns wartet.

 

Leota, der Chef des Hauses ist aus Apia zurückgekehrt und setzt sich zu uns. In Samoa ist es Sitte, dass Gäste niemals alleine sitzen gelassen werden. Stets ist jemand aus der Familie in der Nähe. Mit einem Tischgebet eröffnet er die Tafel. Es gibt den Fisch, der während unserer Taxibootsfahrt gefangen wurde, plus ein Würstchen, plus ein Stück Huhn und Wurzelgemüse. Als wir auf unser Zimmer zurückkehren, erwartet uns eine Enttäuschung. Das Zimmer sieht genauso aus wie zuvor, niemand hat hier geputzt und den Abfall beseitigt. Noch dazu merken wir jetzt, dass eine einzige Lampe geht, die Leuchtstoffröhre im Badezimmer. Es ist noch früh am Abend, viel zu früh, um schon ins Bett zu gehen. Damit wir lesen können, rücken wir uns zwei Terrassenstühle so ins Zimmer, dass die Buchseiten vom Badezimmerlicht erhellt werden. Bequem ist das nicht. Wir werden sauer auf Margret. Warum bloß hat sie nichts gemacht? Sie wusste, dass wir um die Insel laufen wollten und mindestens anderthalb Stunden weg sein würden. Und wenn sie gewollt hätte, dass wir da sind, während sie das Zimmer betritt, hätte sie auch zwei Stunden lang Zeit dafür gehabt. Merkwürdig! Dabei hat Margret Tourismus studiert, wie sie uns mittags stolz berichtete. Dann habe sie allerdings ihren ersten Sohn bekommen und beschlossen, dass es für sie besser sei auf Manono zu leben und im Sunset View zu helfen, als irgendwo auf Upolu zu arbeiten. Was lernen die Leute nur im Tourismus-Studium? Oder hat Margret auf Manono einfach alles vergessen? Oder bestimmt der Vater alleine, wie es hier läuft und bremst ihre Ideen aus? Wir werden es nicht herausfinden.

Am nächsten Tag nach dem Frühstück wenden wir uns noch mal an Margret und bitten um Licht im Zimmer und eine Reinigungsaktion. Mittlerweile liegt auch noch eine tote Kakerlake im Schlafzimmer, ekelig. Dann gehen wir zu Robert zurück. Seine Familie und er erwarten uns schon. Als erstes bekommen wir in der Esshütte eine halbe Papaya zum Auslöffeln vorgesetzt. Dann schnappt Robert sich eine Machete und drückt Joachim auch eine in die Hand, fertig sind wir für unsere kleine Bergwanderung. Direkt hinter der Kochhütte beginnt der Aufstieg durch einen Bananenhain. Der letzte Hurrikan hat alle Bananenstauden umgelegt, erklärt Robert, aber man habe wieder genügend anpflanzen können. Unterwegs entdeckt er eine große Schnecke auf einer Bananenstaude. Mit der Machete schlägt er sie herunter und zertritt sie. "Diese Schnecken sind eine echte Plage", erklärt er. "Sie fressen die jungen Bananenblätter, was die Pflanze dazu antreibt, ständig neue junge Blätter zu produzieren. Sie trägt dann keine Früchte." Ich will von ihm wissen, ob man hier alles Gemüse anpflanzen kann, das man haben möchte. "Nein, hier gedeiht nicht alles, ich habe eine Menge Versuche gemacht. Karotten z.B. wachsen nicht. Ich habe Bodenanalysen gemacht, es fehlt Kobalt", weiß Robert. "Irgendwas muss man mit seiner Zeit ja machen, man kann ja nicht nur rumsitzen" sagt er, "deshalb pflanze ich ständig irgendwo etwas an. Schaut, hier haben wir Taro, dort Kasava und all die Bananenstauden hier gehören uns. Uns gehört das ganze Land hier oben, davon können wir gut leben. Und im Gegensatz zu den meisten Leuten hier kann ich auch noch in Neuseeland zur Bank gehen und Geld abheben, wenn ich welches brauche."

 

Der junge Mann dort drüben, das ist der Sohn meines Nachbarn. Niedrige Steinmauern markieren die Grenzen ihrer Grundstücke. "Das sind wirklich arme Leute. Ich hole mir den Sohn manchmal als Helfer, dann hat er wenigstens etwas Einkommen." Prompt kommt der junge Mann angelaufen und unterhält sich ein wenig mit Robert. Robert fragt ihn, ob er, wenn wir zurück vom Berg kämen, ein paar Trink-Kokosnüsse für uns habe. Kurz darauf holt der junge Mann uns im Wald ein und überreicht uns die Kokosnüsse an Ort und Stelle. Er kommt mit auf den Berg. Oben gibt's nicht wirklich was zu sehen, Bäume versperren die Aussicht. Vom Sternkrater, der im Reiseführer erwähnt wird, ist auch nichts zu erspähen. Irgendwie ist es schon wieder viel später, als wir dachten und Joachim und mir schwant, dass wir schon wieder mächtig auf die Tube drücken müssen, wenn nicht schon wieder zu spät zum Essen eintreffen wollen. Auch auf dem Rückweg hat Robert noch einiges zu zeigen. Unter anderem bittet er Joachim, eine Bananenstaude mit der Machete zu fällen. "Man muss das mal selbst gemacht haben, damit man weiß, wie sich das anfühlt", sagt Robert und zeigt ihm, wo er die Staude fällen soll und wie man anschließend das Blattwerk entfernt und samt des Stammes an Ort und Stelle klein haut, damit es schnell verrottet. Wieder beim Haus angekommen würden uns die Damen gerne noch einen Kaffee anbieten. Dankend lehnen wir ab, denn wir müssen uns sputen. "Wollt Ihr nicht ein paar Bananen und Papayas mitnehmen?" werden wir gefragt. Auch das lehnen wir ab, da wir befürchten, dass man im Sunset View glauben könnte, sie würden uns nicht genug zu Essen geben. Das ist nicht der Fall, das Essen ist immer reichlich. Robert versteht unsere Bedenken und sagt uns auch, wir sollten besser nicht erwähnen, bei wem wir gewesen seien, die Leute vom Sunset View würden ihn nicht besonders mögen. Warum, erfahren wir nicht, ist auch egal. "Geht in die andere Richtung, so rum ist der Weg kürzer" verabschiedet sich Robert, nachdem wir uns bei der ganzen Familie ausgiebig bedankt haben. Leider haben wir nichts Passendes, was wir ihnen schenken könnten. Ich spreche das Thema an und Roberts Schwiegermutter winkt lächelnd ab. "Das ist kein Problem, macht Euch keine Gedanken." Auf dem Rückweg hört Joachim das erste Mal einen Mann "Ele-ele-le-le-i" sagen, als er ihn sieht. Woher weiß der das, fragt er sich.

 

Leota berichtet beim Mittagessen, dass er uns beim Chiefs Fiafia im TV gesehen habe. Joachim spricht er jetzt nur noch mit "ehrenwerter Ele-ele-le-le-i" an und grinst dabei. Einen nahezu prominenten Gast zu haben, scheint ihm zu gefallen. Nach dem Mittagessen checken wir unser Zimmer. Alles unverändert. Langsam werden wir richtig sauer auf Margret. Wenn es so nicht geht müssen wir wohl mit dem Chef reden. Wir gehen zum Wohnhaus, wo Leota auf einer Matratze auf der großen gefliesten Veranda liegt. Er verspricht sich gleich zu kümmern. Besonders unangenehm scheint ihm die Beschwerde nicht zu sein. Kurz darauf rücken tatsächlich Leota, Margret und ein Neffe, der zurzeit zu Besuch in Sunset View ist, an. Der Neffe muss uns erst mal mit Tee versorgen und sich dann ums Licht kümmern. Das Licht im Zimmer lässt sich reparieren, das auf der Terrasse nicht. Margret fegt derweil mit einem Bündel aus Kokosreisig das Zimmer aus. Das Konzept, einen Boden mit Wasser zu wischen, scheint hier unbekannt zu sein. Wie die Toiletten wohl geputzt werden? Beim Gedanken daran, fühlen wir uns leicht unwohl, aber wir wollen auch keinen Elefanten daraus machen. Die Hälfte unseres Aufenthalts hier ist ja schon rum.

 

Eigentlich wurden die neuen Gäste zum Mittagessen erwartet, das Taxiboot ist schon seit Stunden in Manono-Uta. Um uns die Zeit bis zum Schnorcheln zu vertreiben, probieren wir das Ausleger-Kanu aus. Kanufahren reizt uns, da wir das noch nie mit so einem Gefährt selbst gemacht haben. Robert hatte erzählt, dass es beim Ausleger-Kanu-Fahren darauf ankommt, die Kufe stets in Lee zu haben. Das Kanu das wir bekommen, hat aber nur einen Sitz für den Steuermann, man kann es nicht je nach Windrichtung umdrehen. Wir müssen mit der Kufe in Luv losfahren und die Jungs, die uns das Boot ins Wasser getragen haben, sagen das sei so in Ordnung. Ich sitze Joachim gegenüber und versuche das Gewicht so zu verteilen, dass die Kufe das sehr schmale kippelige Boot stabilisiert. Joachim beginnt zu paddeln und zu Beginn kommen wir gut voran. Als Ziel nehmen wir uns einen etwa einen Kilometer entfernten kleinen baumbestandenen Felsen in der Lagune vor, den wir umrunden wollen. Die ganze Zeit haben wir Wind von schräg vorne. Die Umrundung des Felsens wird schwieriger als erwartet. Plötzlich steuert das Kanu ständig in Richtung des Felsens, egal wie oft Joachim mit dem Paddel auf der Seite sticht, die das Boot eigentlich in die andere Richtung lenken sollte. Der Rückweg durch die Lagune wird ein wilder Zickzackkurs. Verdammt, ist so ein handgeschnitztes Ausleger-Kanu schwer zu steuern! Ich muss mich zwar nicht wie Joachim damit abmühen, aber auch ich sitze vollkommen verkrampft, um es ihm durch eine ungünstige Gewichtsverteilung nicht noch schwerer zu machen. Auch wenn sich jeder Samoaner wahrscheinlich insgeheim ins Fäustchen lacht, wie ungeschickt sich die Weißhäute anstellen, sind wir doch stolz auf uns, als wir den Strand hinter dem Anleger wieder erreichen, ohne ins Wasser gefallen zu sein. Gleich nach uns steigt der Besuchs-Neffe ins Kanu. Auch er fährt Schlangenlinien, scheint also nicht nur Touristen so zu gehen. "Wie weit seid Ihr mit dem Kanu gefahren?", will Leota abends wissen. "Was, rund um den Felsen, das ist aber weit", bestätigt er unseren Eindruck, dass Joachim stolz auf sich sein kann.

 

Mittlerweile sind auch die anderen Gäste eingetroffen, alles junge Leute. Drei junge Australierinnen, die in Apia ein freiwilliges soziales Jahr absolvieren, und drei junge Mexikaner in Begleitung einer Japanerin. Herauszufinden, auf welchen verschlungenen Wegen wir hier zusammen kommen, wird spannend.

Samoa betet und ruht

Ja, die Leute von Manono sind freundlich. Sie leben hier ein ruhiges, entspanntes und naturnahes Leben, das sich im Wesentlichen um Fischen, ein klein wenig Ackerbau, Kinder und Kirche dreht. Sonntags gehen Samoaner zweimal in die Kirche, einmal vormittags und nochmal am Ende des Nachmittags. Der Rest des Tages wird mit Essen und Schlafen zugebracht. Das Sonntagsessen kommt traditionell aus dem Umu, dem Erdofen. Im Sunset View sind die Gäste eingeladen sich morgens anzuschauen, wie der Erdofen gebaut und mit was er gefüllt wird. Für diese Arbeiten sind die jungen Männer der Familie zuständig und sie beginnen am frühen Morgen. Als wir frühstücken gehen, brutzeln im Erdofen schon diverse Gemüsebrocken und mit Fisch und Kokosmilch gefüllte Blätterpakete vor sich hin, deren Zubereitung wir uns angesehen haben. Ich müsste viele Worte gebrauchen, um das zu beschreiben, schaut Euch lieber die Fotos an. Wie man aus Palmwedeln stabile Tragetaschen flechten kann, lernen Saya, die Japanerin, und ich auch noch nebenbei an diesem Morgen. Geduldig greift der Lehrmeister immer wieder ein, wenn ich wieder mal die Reihenfolge der Blätter vertausche oder vergesse, eines in die richtige Richtung zu knicken. Echt interessant, welche Dinge mit praktischem Gebrauchsnutzen man hier aus Naturmaterial herstellen kann. Die in wenigen Minuten hergestellten Körbe sind extrem stabil, man kann darin schwere Lasten tragen.

 

Nach einem schnellen Frühstück folgen wir Leota in die Congregational Church. Wir wollen sehen, ob die Leute hier auch so schön singen wie in Apia. Leider werden wir enttäuscht. Der Gottesdienst ist grottenlangweilig und wenig animiert. Verglichen mit der lebhaften Stimmung, die wir in Fatu Hiva, zu Beginn unserer Reise durch Französisch Polynesien erlebt hatten, erinnert das hier an schlechte Gottesdienste zuhause. Der größte Unterschied ist, dass die Kirchenkollekte hier beim Betritt der Kirche gemacht wird. Wer wie viel gegeben hat, wird notiert und während der Messe öffentlich verlesen. Eine grauenvolle Praktik, finden wir. Kritiker bemängeln an Samoa, dass die Kirchen von den Samoanern großzügige finanzielle Unterstützung fordern und einen Prunkbau nach dem anderen hinstellen, während den Familien für ihr weltliches Leben kaum etwas übrigbleibt.

 

Als wir nach der Kirche ins Sunset View zurückkehren, haben wir schon wieder einiges erlebt und sind froh, uns ein paar Stunden zum Lesen zurückziehen zu können. Die anderen Gäste fahren heute alle zurück, nur wir bleiben noch eine Nacht. Der Abschied wird herzlich. Die in Neuseeland lebenden jungen Mexikaner geben uns ihre email-Adressen, damit wir uns bei ihnen melden können, wenn wir in Auckland sind und Saya, mit der ich mich mehrfach gut unterhalten habe, lädt uns ein sie in Saanapu auf Upolu zu besuchen, dem Dorf in dem sie lebt.

Samoa ist gastfreundlich

Saya, eine kleine zierliche Frau, die mit leiser, ruhiger Stimme spricht, hat viele Jahre für große Entwicklungshilfe-Organisationen gearbeitet. Sie besitzt einen Doktor-Titel und hat einiges auf der Welt gesehen. Bevor sie nach Samoa kam, lebte und arbeitete sie in Afrika. Sayas Erfahrungen münden in der Erkenntnis, dass viele der üblichen Entwicklungshilfeprojekte nicht wirklich helfen und dass sich überhaupt die Frage stellt, wer von wem lernen sollte. Sayas Meinung nach könnten die Entwicklungshilfegeber viel mehr als vermutet von den –empfängern lernen, wenn sie sie und ihre Lebensweise besser kennenlernen würden. Saya hat daher ein eigenes kleines Projekt gegründet, mit dem sie "Brücken zwischen den Völkern" bauen will. Mit ausgewählten Familien baut Saya Baumhäuser, eine bei kulturoffenen Japanern und Samoanern gleichermaßen beliebte Unterkunft für Besucher. Wer lieber in Bodennähe schläft kann auch ein normales Strand Fale bekommen. Besucher des Dorfes Sanaapu werden ins Dorfleben integriert und erfahren so, wie das "Faa Samoa", die samoanische Art und Weise zu leben, funktioniert. Das Faa Samoa basiert auf unerschütterlichem Sippenzusammenhalt und darauf, dass die Natur reichlich Nahrung für alle zur Verfügung stellt. Was darüber hinaus benötigt wird, wird gemeinschaftlich geteilt. Ganz selbstverständlich teilt z.B. Saya ihr Auto mit den Dorfbewohnern.

 

Als wir von ihr wissen wollen, wie sich ihr Projekt denn finanziert und wovon sie lebt, erzählt sie eine unglaubliche Geschichte. Der letzte Job, den sie annahm, da er sie inhaltlich reizte, war unglaublich gut dotiert. Saya war das allerdings gar nicht bewusst, sie hatte nicht nach dem Gehalt gefragt. Als die erste Zahlung auf ihrem Konto einging rief sie die Personalabteilung an und fragte, für wie viele Monate sie denn soeben Geld erhalten hätte. Die Antwort, "das ist das ihnen zustehende Monatsgehalt", konnte sie kaum glauben und fand es eigentlich ungehörig, so viel Geld zu verdienen. Eine Freundin, der sie ihre Gewissensbisse anvertraute, riet ihr allerdings, das Geld als Geschenk des Himmels anzunehmen, um damit später eigene Projektideen zu finanzieren. Und genau das tut Saya jetzt. Sie erlaubt sich ein einfaches selbstbestimmtes Leben in einem samoanischen Dorf, in dem sie den Leuten vermittelt "ihr seid o.k., so wie ihr lebt" und in das sie vorwiegend Japaner mittels ihrer Webseite (www.samoanosora.com) einlädt. Die in Saanapu lebende Sippe findet es prima, dass eine Japanerin ihnen hilft, ein für westliche Besucher interessantes Baumhaus zu bauen, zahlende Besucher anzulocken und als dolmetschende Führerin zu fungieren. Nachdem das in Saanapu mittlerweile ganz gut floriert, sucht Saya neue Familien / Orte für weitere Baumhäuser. Leota aus Manono ist sehr interessiert, erzählt sie, aber sie wolle die ganze Sippe erst genau kennenlernen, bevor sie entscheide, ob sie mit ihnen ein neues Projekt beginne.

 

Wenn wir Saya von "armen" Leuten erzählen, die wir irgendwo unterwegs getroffen haben, fragt sie stets genau nach, in welcher Hinsicht die Leute denn "arm" waren, ob sie unglücklich oder gar verzweifelt gewirkt hätten? Wenn das nicht der Fall ist, sind die Leute in Sayas Augen nicht arm und hilfsbedürftig. In materieller Hinsicht besitzen sie vielleicht viel weniger als wir. Möglicherweise ist der materielle Besitz aber entbehrlich. Wahrscheinlich besitzen die Leute in sozialer Hinsicht viel mehr als die meisten Westler und vielleicht würde dieser wertvolle Besitzt gefährdet, wenn sie versuchen würden, mehr materiellen Besitz anzustreben. Sayas diesbezügliche Fragen und Gedanken finden wir durchaus einleuchtend.

 

Ein paar Tage später, zurück in Apia, laufen wir ihr und den Mexikanern abends zufällig über den Weg. Wir laden sie auf einen Drink auf Pagena ein, worüber sie sich alle unglaublich freuen. Sie finden es sehr spannend zu sehen, wie wir auf dem Schiff leben und was ein Fahrtensegelschiff so alles zu bieten hat. Spontan lädt Saya uns ein, sie morgen nach Saanapu zu begleiten, wenn sie ohnehin dorthin fährt. Gerne nehmen wir die Einladung an. Neugierig auf ihr Dorf sind wir eh und so bekommen wir auch noch kostenlos eine Fahrt auf die Südseite der Insel. Unterwegs gehen wir auf Sayas Geheiß Bonbons für die Kinder einkaufen. Ich gestehe Saya mein übliches Bonbon-Problem: Die Tatsache, dass Kinder wie auch Erwachsene die Einwickelfolien fast überall achtlos auf den Boden fallen lassen, und dass ich nicht will, dass ich durch die Verteilung von Bonbons zur Umweltverschmutzung beitrage. Saya scheint sich dazu noch nicht viele Gedanken gemacht zu haben, denn sie erklärt mir, dass es doch klar sei, dass die Leute das so machten, weil seit eh und je der natürliche Abfall auf dem Boden habe verrotten können. "Die Leute könnten einfach nicht verstehen, dass Kunststoff das nicht tut." Ich rege an, dass man ihnen das dann eben beibringen müsse, z.B. indem man zwei Komposthaufen anlege, einen echten für die organischen Abfälle und einen falschen für die anorganischen Abfälle. Die Leute könnten dann anschaulich beobachten, wie sich der organische Inhalt zersetzt und der anorganische Haufen erhalten bleibt. Ich finde die Idee prima, weil sie einfach umzusetzen und didaktisch gut ist. Saya will aber noch nicht anbeißen. Ihrer Meinung nach kommt die Nahrung der Samoaner überwiegend aus der Natur und ist unverpackt. Drei Minuten später, als wir zusammen durch die Regale des gut gefüllten Supermarktes wandern, wo fast jedes Produkt irgendwie in Plastik verpackt ist und ich sie frage, ob die Samoaner denn kein Recht hätten, solche Produkte zu kaufen, weiß Saya keine Antwort. Natürlich wünscht sie sich, dass auch ihre Sippe irgendwann in den Genuss der hier erhältlichen Güter kommt. Meinem Argument "dass wir den Leuten deshalb beibringen müssen, wie sie den damit eingekauften Abfall wieder loswerden" kann sie sich nicht entziehen. Damit bringe ich sie allerdings in einen unlösbaren Konflikt, denn ihre Grundeinstellung – lassen wir die Leute doch einfach so leben wie sie es gewohnt sind, und hören endlich auf sie zu bevormunden – lässt das nicht zu. Ich glaube Saya macht es mehr Spaß Bauhäuser zu entwerfen als sich mit Abfallproblemen zu beschäftigen.

Im Dorf angekommen laufen ein paar Sachen dann ziemlich anders, als wir sie erwartet haben. Saya bringt uns als erstes in den Kindergarten, wo drei ältere Frauen eine ziemlich verdreckte Kinderschar betreut. Sie bringen den Kindern singen und tanzen bei und lehren sie spielerisch das Alphabet, die Wochentage und die Namen von Früchten auf Saomanisch und Englisch, indem jede Strophe erst Samoanisch, dann Englisch gesungen wird. Uns wird sehr deutlich vermittelt, dass man sich sehr über eine Spende freuen würde. Man müsse eine Fensterlamelle des Kindergartens reparieren und die Wasserrechnung sei auch sehr hoch. Erstaunt fragen wir, warum man hier eine hohe Wasserrechnung habe. Es regnet andauernd in Samoa, hier Trinkwasser aufzufangen, so wie das eigentlich überall im Pazifik seit Jahrhunderten gemacht wird, ist wirklich einfach. Joachim rechnet fix aus, dass die angebliche Wasserrechnung der Schule ein Vielfaches des Äquivalents in Deutschland sei. Hier kann etwas nicht stimmen. Diese Geschichte glauben vielleicht japanische Touristen, die es nicht besser wissen können. Und dass das Schulfenster kaputt ist macht gar nichts, im Gegenteil, die Fensterlamellen stehen eh überall stets auf Lüftung. Im Leben wird das nicht repariert. Als Fahrtensegler haben wir viel mehr gesehen als die üblichen Besucher Saanapus. Aber wie sollen wir uns jetzt verhalten? Saya schweigt zu allem und so geben wir eben eine Geldspende. Saya weiß, dass wir auch noch alle möglichen Güter für das Dorf eingepackt haben, aber wir wissen nicht, wem wir diese wann geben sollen.

 

Ich erzähle Begebenheiten aus der Familie meiner Mutter, die Ähnliches schildern wie Emis Geschichten. Es fängt an mich zu nerven, dass die Samoaner zu glauben scheinen, im Westen wären alle herzlose Egoisten, die keinerlei Gemeinschaftssinn hätten. Und warum wohl wünscht Emi sich, dass einige ihrer Kinder im Ausland leben? Wie viele Kinder können die reichen Länder denn aufnehmen und beschäftigen? Und wenn sie in wahrscheinlich einfachen Berufen arbeiten, werden sie dann ausgebeutet? In Samoa bekommt meine seit vielen Jahren gewachsene Überzeugung, dass es eine Pflicht der reichen Länder ist, ärmeren Ländern zu helfen, einen Dämpfer. Die rosarote Farbe meiner Brillengläser verblasst angesichts der Einblicke, die wir bekommen. Und zum ersten Mal im Leben verstehe ich glasklar wie nie zuvor unsere Steuern und Sozialabgaben als ein hochentwickeltes Sozialinstrument eines Volkes, das sich gegenseitig unterstützt. Auch bei uns muss niemand Not leiden, weil er/sie durch die Gemeinschaft derer, die momentan mehr haben, unterstützt wird. Je weniger jemand verdient, desto geringer ist der Obolus, der von ihm verlangt wird. Sooo anders als in Samoa ist das doch gar nicht. Nebenbei gelingt es der westlichen Welt mit den auf das ganze Volk ausgelegten Steuer- und Sozialsystemen wichtige Infrastrukturen aufzubauen, die in Samoa an vielen Stellen noch fehlen, bei Stromleitungen angefangen, über Abfallentsorgung zu Gesundheitsvorsorge etc. Der größte Unterschied besteht in meinen Augen in der Anonymität unserer Sozialsysteme und in der Teilnahmepflicht. Freiwilliges Geben an Bedürftige und deren Dank geben Samoanern Befriedigung während Deutsche frustriert zuschauen, wie ihnen vom Staat in die Tasche gegriffen wird.

 

Solch tiefschürfende Gedanken blitzen allerdings nur kurz auf, während Emis Familie uns im Baumhaus ungefragt ein spätes Mittagessen kredenzt, bevor uns zwei junge Männer in Auslegerkanus durch einen wunderschönen Mangrovenwald schippern. Wir haben während der Reise ja schon einige Mangrovenwälder gesehen, aber dieser hier ist eindeutig der schönste. Wir bedanken uns bei Emi und den jungen Männern mit Kinderbekleidung, Werkzeug und Kugelschreibern und versprechen ihnen noch ein gutes Stück Seil zukommen zu lassen, mit dem sie die kaputte Kinderschaukel reparieren können. Wir werden herzlich verabschiedet, aber bis zuletzt bleibt eine gewisse Unsicherheit in uns bestehen, ob wir die dargebotene Gastfreundschaft ausreichend quittiert haben. Eigentlich wollten wir ja nur mal einen kurzen Blick in Sayas Dorf werden. Das alles so kommen würde, haben wir nicht vorausgesehen.

Samoa bietet Abwechslung

Um Apia herum gibt es Ausflugsziele, die uns auch noch reizen, z.B. eine kleine Wanderung zum Grab des Schriftstellers Robert Louis Stevensons, das auf dem Gipfel eines kleinen Berges liegt. Von dort oben genießt der Autor des Klassikers "Die Schatzinsel" aus dem Jenseits einen wunderschönen Blick auf Apia und die Gegend rund um die Stadt. Streckenweise erinnert uns die Landschaft an Süddeutschland. Große Viehweiden werden von Wäldern begrenzt und von Straßen durchzogen, welche außerhalb der Stadt locker in die Landschaft verteilte Gehöfte und kleine Siedlungen miteinander verbinden. Kein Wunder, dass sich die deutschen Auswanderer, die es vor dem 1. Weltkrieg hierher gezogen hat, so wohl gefühlt haben. Auf dem Rückweg vom Berg lassen wir den Besuch des Robert Louis Stevensons Museums aus, genießen aber den Marsch durch die herrliche Gartenanlage. Etwa zwei km unterhalb des Museums gibt es ein Hotel namens "Insel Fehmarn". Ein reizloser Betonbau, der den Charme eines amerikanischen Highway-Motels besitzt, ein gesichtsloses Hotel für Geschäftsreisende wie wir enttäuscht feststellen, als wir davor stehen. Nicht nur wir wollen wissen, wie das Hotel zu seinem gleichermaßen ungewöhnlichen wie unpassenden Namen kommt. In der Hotelhalle hängt eine Tafel, die die Familiengeschichte des Hotelbesitzers erklärt, und darin spielt Fehmarn tatsächlich eine Rolle. Wen's interessiert: Besucht die Webseite des Hotels, www.inselfehmarnsamoa.com.

 

Lustig sind die Papaseea Sliding Rocks, glatt geschliffene und dünn mit rutschigen Algen bewachsene Felsen, die eine hervorragende natürliche Wasserrutsche abgeben. Mit dem Bus dorthin zu kommen ist etwas kompliziert, also erkundigen wir uns nach den Taxipreisen. Dabei lernen wir so einiges übers Taxifahren in Samoa. Was den Taxifahrern nämlich hervorragend zupass kommt, ist das Tatsache, dass sich die Lokalwährung "Tala" – ein Überbleibsel des deutschen Talers – dahin genuschelt fast genauso anhört wie ein genuschelter "Dolla". Ob der Preis letztlich in Tala, US Dollar, Austral-Dollar oder NZ-Dollar gemeint war, kann man ja wenn's ans Bezahlen geht, nochmal diskutieren. Ebenso beliebt ist ein dahin genuscheltes "fiftyi", das sowohl als 15 als auch als 50 gedeutet werden kann. Unaufmerksame Besucher bezahlen so schnell mal ein Vielfaches des eigentlichen Preises. Um den tatsächlichen Preis herauszufinden, muss man sich schon ein wenig auf Upolu auskennen. Der erste Taxifahrer, den wir nach dem Preis zu den Papaseea Sliding Rocks fragen will 50 Tala dafür. "Was, so viel? Die Fahrt von hier bis Manono Uta kostet doch nur 60 Tala und das ist mehr als doppelt so weit", empören wir uns. "Wenn das zu viel ist, was seid Ihr denn bereit zu zahlen" kommt prompt die Gegenfrage. Als sich der Fahrer beim Angebot von 25 Tala sofort für einen konkreten Termin, wann wir die Fahrt machen wollen, verabreden will ist klar, dass auch das noch ein gutes Geschäft für ihn ist. Am nächsten Tag, als ich in der Taxifahrerzentrale bei der Marina nachfrage, kostet die einfache Fahrt 15 Tala. Na, also, da lohnt es sich wirklich nicht mehr, eine Busfahrt in Erwägung zu ziehen. Es erweist sich auch als gut, dass wir den Taxifahrer nicht auf uns warten lassen. Wir bleiben viel länger bei den Rutschfelsen, als wir dachten. Zum einen, weil wir eine gehörige Weile brauchen, bis wir uns selbst zu rutschen trauen. Und zum anderen, weil wir dort eine nette deutsch-polnische Familie kennenlernen und uns lange mit Uwe unterhalten.

 

Noch ein Überbleibsel wie der Taler aus deutscher Kolonialzeit ist Bier nach deutscher Brau-Tradition. Der Valima-Brauerei in Vaikona, einem Vorort Apias, eilt einen guter Ruf voraus. Joachim freut sich schon die ganze Zeit darauf, endlich mal wieder ein wirklich gut schmeckendes Bier zu bekommen. Der aktuelle Braumeister wurde in Kulmbach von der Eku- Brauerei ausgebildet und das Vailima-Bier wird tatsächlich nach dem alten deutschen Reinheitsgebot gebraut. Verkauft wird es in Flaschen zu 0,75 Liter für 6,50 Tala und es schmeckt ganz hervorragend.

 

Kein Überbleibsel deutscher Tugend, sondern vielmehr Ausdruck des Respekts, den Samoaner Gästen entgegenbringen, ist, dass man sich bei Begegnungen auf der Straße gegenseitig grüßt. Ein "Tahalofa" wird von den Gästen erwartet und mit einem freundlichen Lächeln nebst "Tahalofa lava" quittiert, selbst von Teenagern. Sich auf der Straße zu grüßen sind wir zuhause nur noch auf dem Land unter Erwachsenen gewöhnt. Daran, dass Jugendliche einen unbekannten Erwachsenen grüßen, können wir uns nicht erinnern. Hier in Apia auf der Straße zu gehen fühlt sich besser an als daheim. Der Gruß gibt unserem Respekt gegenüber den Einheimischen Ausdruck und die Erwiderung signalisiert, dass wir willkommen sind. Für solcherlei Gesten sind wir stark sensibilisiert, denn wir wissen, dass höchster Wert darauf gelegt wird. Auf dem Kunsthandwerksmarkt in der Nähe des Busbahnhofs gibt es haufenweise Stände, die Schnitzkunst verkaufen. Einige Schalen gefallen uns ganz gut, dennoch können wir uns zu keinem Kauf entschließen. Dafür erstehe ich eine wunderschöne aus zwei unterschiedlich gefärbten Pandanus-Blättern raffiniert geflochtene Umhängetasche – für umgerechnet sechs Euro. Im Nachhinein schäme ich mich für den Preis, denn die Arbeit, die in dieser Tasche steckt, ist selbst in einem Billiglohnland wie Samoa ein Vielfaches wert.

 

Zum Abschluss unseres dreiwöchigen Aufenthalts in Samoa gönnen wir uns noch den Besuch eines ganz in der Nähe der Marina gelegenen italienischen Restaurants, dem "Paddels". Der Koch erweist sich als begnadet, der Service als flott und aufmerksam und das Ambiente als stilvoll. Die langen Lavalavas der Ober wirken wie die schwarzen Schürzen ihrer italienischen Pendants, und ihre Krawatten sind genauso kurz gebunden. Alles ist wie im richtigen Italien und ganz und gar nicht polynesisch, obwohl der Restaurant-Chef Samoaner ohne italienisches Blut ist und er auch kein Wort Italienisch versteht. Mit diesem göttlichen Restaurant punktet Samoa bei uns zum Abschluss nochmal ganz hoch.

Samoa gefällt

Samoa ist ein tolles Land. In Apia haben wir eine erstaunlich weit entwickelte Stadt kennengelernt, die wir hier gar nicht vermutet hatten. Die meisten Amerikaner bevorzugen American Samoa, die Nachbarinsel, und sind überzeugt, dass dort alles besser und günstiger ist. Wir waren nicht in American Samoa, fanden aber, dass Samoa keine Wünsche offengelassen hat. Was die Amerikaner für American Samoa leisten, leisten die Neuseeländer Australier, Japaner und Europäer für Samoa. Allerdings beruht diese Verbindung auf Freiwilligkeit, was zu besserer Stimmung führt. Die Samoaner, die wir kennengelernt haben, sind stolz auf ihre Unabhängigkeit. Und das Land ist offensichtlich bemüht, seine Entwicklung voranzutreiben und sich die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten zu verschaffen. In mancherlei Hinsicht und vor allem auf dem Land ist Samoa noch sehr traditionell und es wird sicher nicht einfach Erfordernisse der modernen Welt mit dem Erhalt von Traditionen zu vereinigen. Wir beide, Joachim und ich, sehen das Teuila-Festival als Wegweiser dafür an, dass Samoa sich dessen bewusst ist und es schaffen wird. Und wie immer gilt: Unser Aufenthalt war kurz, wir haben vieles nicht gesehen – ein anderer mag bei einer anderen Reise nach Samoa ganz andere Eindrücke mitnehmen.

Und jetzt?

Nach Samoa fallen wir in ein Loch, was die weitere Reiseplanung angeht. Wohin fahren wir jetzt: Nach Tonga? Oder nach Fidschi? Die klassischen Routen nach Neuseeland führen von dort aus nach Südwesten. Beide Staaten bestehen aus unzähligen Inseln und locken mit fantastischen Tauch- und Schnorchel-Revieren. In Tonga gibt es darüber hinaus gute Chancen, nochmal Buckelwale zu sehen und vielleicht sogar mit ihnen zu schnorcheln. Fidschi dagegen wartet mit unschlagbar günstigen Preisen, einer faszinierenden Kultur und durch eingewanderte Ethnien geschaffene kulturelle Vielfalt auf. Tonga ist ein Königreich, Fidschi eine Militärdiktatur. Die Entscheidung fällt uns schwer, wir zapfen alle verfügbaren Informationsquellen an. Schließlich entscheiden wir uns für Fidschi, wofür wir den Behörden vorab einen riesigen Fragebogen beantworten müssen. Die bestätigen uns noch nicht Mal den Erhalt der Informationen. Die Samoaner, die unsere Ausklarierungspapiere fertig machen, mögen ihre Nachbarn nicht und warnen uns, wir sollten bloß vorsichtig mit denen sein. Vielleicht liegt es daran, dass wir hellhörig werden, als wir von einem kanadischen Segler ganz kurz vor unserer Abreise eine weitere Alternative genannt bekommen: Neu-Kaledonien. Wir wissen nicht genau, wo Neu-Kaledonien liegt und dass man auch von dort aus nach Neuseeland segeln kann, ist uns unbekannt. "Das ist doch schon viel zu weit im Westen und sicher weiter von Neuseeland weg als Fidschi und Tonga.", denken wir. Dass wir falsch liegen stellen wir fest als wir in der Seekarte nachmessen und anfangen, uns in Neu-Kaledonien einzulesen. Neukaledonien ist nur gut 800 Meilen von Neuseeland entfernt, eine Strecke, die bei gutem Wind in sieben Tagen zu bewältigen ist. Für eine Woche bekommt man ja ganz gute Wettervorhersagen, ein klarer Vorteil von Neu-Kaldonien. Die Zyklonsaison beginnt dort sogar noch später als weiter im Osten und laut Jimmy Cornell kann man gut von New Cal aus nach Neuseeland segeln. Und auf dem Weg dahin gibt es noch Vanuatu zu entdecken, ein Staat, den es auf unserer inneren Landkarte bislang nicht gibt. Dunkel erinnern wir uns Gespräche der letzten Wochen, in denen Leute von Vanuatu schwärmten. Haben die wirklich "Vanuatu" gesagt oder verwechseln wir jetzt was? Auf dem Weg von Samoa nach Fidschi entscheiden wir schließlich, dass wir Fidschi südlich liegen lassen und nach Vanuatu segeln. Eine äußerst gute Entscheidung, wie sich herausstellt.

 

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