2. März bis 22. September 2014, Neuseeland - Teil 3: Nelson / Tasman

Seit dem 2. März 2014 leben wir in Nelson. Nelson ist mit gut 45.000 Einwohnern die zweitälteste und zehntgrößte Stadt Neuseelands und erfreut sich regem Zuzug. In der Nelson-Tasman-Region befinden sich die drei meistbesuchten Nationalparks Neuseelands, der Abel-Tasman-Nationalpark, der Kahurangi-Nationalpark und der Nelson-Lakes-Nationalpark. Nicht nur ausländische Touristen kommen, auch Kiwis lieben es, hier Urlaub zu machen. Die sonnenverwöhnte Provinzstadt mit Flair zieht sich über viele Hügel am Rande der großen Tasman Bucht. Viele Wohnlagen bieten tolle Ausblicke aufs Wasser. Klima und Geologie der Gegend sind prima für Obst- ­und Weinbau und Nelsons Hafen ist angeblich einer der bedeutendsten Fischereihäfen des Landes.

Schmucke viktorianische Häuser finden sich in allen alten Stadtvierteln. Irgendwie sind hier alle umwelt- und gesundheitsbewusst, kulturbeflissen und spirituell angehaucht. Die Stadt ist ein Sammeltopf für alle Arten von Inspirierten, Betroffenen und Bewussten, viele sind Künstler oder Lebenskünstler. Es gibt Film-, Bier- und Kunstfestivals, eine Musikschule, einen Yachtclub und eine spirituelle Messe namens "Evolve". Man macht Yoga, reist regelmäßig zu seinem Lama nach Tibet oder nach Indien, trägt Selbstgestricktes aus Wolle und Gesundheitsschuhe und zieht sein eigenes Obst und Gemüse - oder hat wenigstens ein paar Hühner im Garten.

 

Über 350 Künstler haben sich in der Region niedergelassen und die Stadtverwaltung unterstützen sie nach Kräften, um Nelson als Hochburg für Kunst, Kreativität und Lebensart zu profilieren. Jeder kennt jeden und schon nach kurzer Zeit erkennen wir Leute, die zu bestimmten Gruppen gehören, wissen wer mit wessen Schwester verheiratet ist, oder wer das Haus von soundso gemietet hat. Wenn wir erzählen, was wir gemacht haben und welche Pläne wir für die kommenden Monate haben, heißt es stets "Ihr passt gut nach Nelson".

 

Art Expo Nelson

 

Schon seit langem habe ich Lust, einige auf der Reise entstandene Fotos für ein Kunstprojekt zu nutzen. Es sind Fotos von Strukturen, Farb- und Oberflächen-Strukturen, die aussehen wie abstrakte Gemälde. Vor meinem geistigen Auge sehe ich sie auf Aluminiumplatten aufgezogen oder gedruckt. Ich hoffe, dass ich in Nelson herausfinden kann, wie diese Vision Realität werden kann und dass ich die Bilder ausstellen kann. Der Ort und unsere derzeitige Lebenssituation scheinen sich dafür geradezu anzubieten. Während wir als Haussitter bei Cally sind, beginne ich daran zu arbeiten. Das Projekt so zu entwickeln, dass ich mit allem zufrieden bin, erweist sich als erheblich aufwändiger, als ich dachte. Doch ich lerne dabei unglaublich viel dazu

und Mitte Juli ist es soweit: Ich bin tatsächlich als Künstlerin zur Art Expo Nelson zugelassen, besitze eine neue Webseite, die auch auf Smartphones gut aussieht, bin in mehreren Social Media Networks präsent, habe neun Werke produziert und stelle diese auf der drei Tage dauernden Ausstellung aus. Ich bin unglaublich stolz, als gleich am ersten Morgen eine Kunstsammlerin von der Nordinsel eines meiner Bilder kauft und sie bleibt nicht die einzige Käuferin.

 

A & P Show in Ward

 

Auf der Rundreise haben wir ja noch nicht gesehen, wie Schafscheren eigentlich geht, aber wir haben herausgefunden, dass auf A&P Shows (A&P steht für Agriculture and Produce), also Landwirtschaftsmessen, Schafschur-Wettbewerbe ausgetragen werden. Eine für uns erreichbare Show findet in Ward statt, einem ca. 50 km südlich von Blenheim gelegenen Dorf. Wir finden die Idee dorthin zu fahren prima, um die Lebenswelt neuseeländischer Landwirte kennenzulernen. Die Show wird wirklich nicht für auswärtige Besucher organisiert sondern für Menschen aus der Region.

Entsprechend gibt es keinerlei öffentliche Information, wann welcher Wettbewerb ausgetragen wird, die Leute aus Ward wissen das. Joachim bekommt schließlich telefonisch heraus, dass es mittags eine Parade gibt und dass mehr oder weniger den ganzen Tag Schafe geschoren werden.

 

Alex, Callys Sohn, schüttelt nur den Kopf, als er hört was wir vorhaben. A&P Shows sind für ihn ultimativ langweilig und spießig. Aber als Tourist stört einen sowas nicht, für uns birgt es ja den Reiz des Neuen. Und wir bereuen den Besuch der Veranstaltung nicht, ganz im Gegenteil. Gleich als erstes stoßen wir auf den Hunde-Wettbewerb. Die Schafhüter-Hunde müssen jeweils drei Schafe durch einen Parcours schleusen. Erst durch ein Gatter, dann zwischen einer Tonne und dem Zaun hindurch, wo auf der anderen Seite der Tonne viel mehr freier Platz ist und schließlich von rechts nach links durch ein kreuzförmiges Zaunkonstrukt, das entsprechend seiner Form vier Ein- und Ausgänge hat, von denen jedoch nur ein bestimmter erlaubt ist. Die Schafe werden nach jedem Durchgang ausgetauscht. Der Wettbewerb offenbart ganz unterschiedliche Charaktere der Hunde und ihrer Hüter. Wenigen gelingt es, den Parcours ohne Fehler zu bestreiten. Total spannend, alleine dafür hat sich das Herkommen schon gelohnt.

 

In einer Halle liegen Haufen prämierter Schafwolle, auf Schildern steht, welche acht Kriterien für die Begutachtung herangezogen werden. Der Weg von diesem Rohprodukt zu fertigen Pullovern, Jacken und Socken ist ein weiter, wird uns hier so richtig bewusst. In meinem Heimatort Süssen gibt es eine "Spindelfabrik", sie muss was mit diesem Prozess zu tun haben. In einer anderen Halle sind prämierte Erzeugnisse der Landfrauen ausgestellt, hinter Hasendrahtzaun. Es gibt mehr Kategorien als das Dorf Haushalte haben kann, jede Teilnehmerin soll wohl mindestens einen Preis mit nach Hause nehmen. Wer hat die schönsten Eier, wer kocht die leckerste Marmelade, wer das beste Chutney, wer liefert den besten halben Rosinenkuchen, wer den besten halben Trockenfruchtkuchen, wer bäckt die schönsten vier Cookies, wer die schönsten vier Muffins mit Dekoration, wer die leckersten drei Muffins ohne Dekoration, wer stellt die schönste Gebäckplatte für den Nachmittagstee zusammen und wer macht die schönsten Blumengestecke? Wohlgemerkt, diese Aufzählung ist alles andere als vollständig. Die Kinder haben gemalt und einen Fotowettbewerb gab es auch.

 

Alles was im Laufe eines Jahres in Ward hergestellt wird, wird offenbar auf der A&P Show gezeigt. Sie muss das Highlight des Jahres sein, auf das alle Bewohner wochen- wenn nicht gar monatelang hinfiebern. Komisch finden wir nur, dass nichts von den Leckereien käuflich zu erwerben ist. Es gibt sehr wenige Verpflegungsstände auf dem Gelände. Wir füllen uns den Magen mit einem Hotdog, der in Neuseeland eine Wurst-am-Stiehl ist und auf Wunsch tief in einen Eimer Ketchup getaucht wird. Nicht gerade eine Delikatesse.

 

Die Parade besteht nur aus zwei Oldtimer-Traktoren, dafür geht es bei den Schaf-Schürern richtig rund.

Es gibt Junioren- und Senioren-, Frauen- und Männerwettbewerbe. Die Teilnehmer bekommen von Helfern jeweils zwei Schafe angereicht, die sie auf Zeit scheren müssen, möglichst ohne das Tier dabei zu verletzen. Das klappt nicht immer, ab und zu erwischen die scharfen Schermesser auch ein Stück Haut, vor allem wenn das Schaf nicht still hält. Es gehört viel Erfahrung, Können und Konzentration dazu, ein Schaf mit ruhiger aber bestimmter Hand in alle möglichen Lagen zu befördern und dort zu halten bis die Wolle vom ganzen Körper abgenommen ist. Die besten Teilnehmer schaffen das in knapp eineinhalb Minuten. Drei Scherstationen liegen nebeneinander, so dass wir als Zuschauer sehr gut sehen, wie gut die Kandidaten sich im Vergleich zu ihren Wettbewerbern schlagen. Das ist richtig spannend und absolut empfehlenswert für einen Besuch Neuseelands!

 

Wharariki Beach & Farewell Spit

 

Während unseres Aufenthalts bei Cally fahren wir für ein Wochenende an den Nordwestzipfel der Südinsel bei Farewell Spit und Wharariki Beach. Farewell Spit wird die über 26 km lange schmale Landzunge genannt, die den Norden der Golden Bay gegen die Tasman Sea / Cook Strait abgrenzt. Farewell Spit wächst beständig. Strömung trägt Sand, der durch Flüsse runter an die Westküste der Südinsel getragen wird, die Küste hoch und schiebt sie in die Cook Strait, wo sich der Sand, u.a. durch den Richtungswechsel der Strömung bedingt, ablagert. Bei Ebbe zieht sich das Wasser auf der wind- und strömungsabgewandten Seite bis zu sieben Kilometer weit zurück. Dadurch entsteht eine etwa 80 Quadratkilometer große Wattlandschaft in der Golden Bay, die eine bedeutende Futterquelle für zahlreiche Vögel ist, allerdings auch eine tödliche Falle für regelmäßig strandende Wale. Die Landzunge wird vom neuseeländischen Department of Conservation verwaltet und dient als Natur-Reservat für Seevögel. Bis auf ein kleines Gebiet ganz im Westen, ist das Betreten der Landzunge verboten, geführte Touren ausgenommen. Wharariki Beach, am Südende von Farewell Spit dagegen, kann jeder nach Herzenslust besuchen und es ist ein weiteres "Must-See" für Neuseeland-Urlauber.

Die Schönheit dieses Strandes ist wahrhaft atemberaubend! Vom Parkplatz kommend überquert man einen mit Bäumen und Gras bewachsenen Dünenkamm und versinkt anschließend bis zu den Knöcheln in weichem Sand um runter an den Strand zu kommen, der von Felsen und Dünen eingefasst wird. Bei Niedrigwasser spielen Seehunde Babys in Wasserpools, die sich um einige Felsen herum gebildet haben oder sonnen sich auf den Steinen. Die wie große Torbogen geformten Archway Inseln vor dem Strandabschnitt geben ein tolles Fotomotiv ab, ebenso wie der riesige Strand an sich.

 

Abel Tasman Park

 

Den Abel Tasman Park besuchen wir Monate später, mitten im Winter. Gemeinsam mit Freunden fahren wir nach Marahau und lassen uns mit dem Taxiboot nach Torrent Bay bringen. Bei unserer Ankunft in Marahau um 7h45 morgens ist es nur 1°C warm. Wir sind froh, das wir alle vier im Schiff, das mit 45 km/h über das Wasser peitscht, einen Platz in der halboffenen Kabine bekommen. Bis wir in Torrent Bay sind, steht die Sonne schon höher und wärmt. Von Torrent Bay aus laufen wir die 17 km zurück nach Marahau. Dieser Abschnitt des Abel Tasman Parks soll Einheimischen zufolge für eine Tageswanderung der schönste sein. Der Wanderweg führt über Hügel und niedrige Berge, an Flussabschnitten entlang und gibt immer wieder den Blick frei auf goldgelbe Sandstrände am Fuße der Tasman Bay. Oft leuchtet das Wasser türkisgrün und ein eigenartiger Geruch liegt in der Luft. Etwas, das aussieht wie Ginster, blüht gerade. Dass auch in Neuseelands Winter immer irgendetwas blüht, erstaunt uns immer wieder.

 

Alltag in Nelson

 

Das Kunstprojekt ist der Einstieg in etwas ganz Neues, wir nehmen in Nelson aber auch alte Routinen wieder auf. Wir gehen zum Beispiel wieder Salsa Tanzen. Fürs "Social Dancing" sind die Möglichkeiten im Vergleich zum Rhein-Main-Gebiet natürlich sehr eingeschränkt, aber die Truppe, die sich rund um die Non-Profit-Tanzschule "Salsa Buena" gebildet hat, ist sehr nett. Mittwochabends besuchen wir gerne die Kurse. Samstags statten wir meist der "Swedish Bakery" einen Besuch ab und kaufen ein "Queen Silvia" Brot, ein Roggen-Mischbrot, das sich in einer längeren Testreihe als dasjenige erweist, das uns am besten schmeckt. Das Brot hat diesen Namen, weil ein schwedischer Bäcker, der eine Weile lang in Nelson lebte und für die Swedish Bakery arbeitete, zuvor königlicher Hofbäcker war und das Rezept von Königin Silvias Lieblingsbrot mitbrachte. Von der Bäckerei aus gehen wir auf den Markt und kaufen bei Doris, einer süddeutschen Metzgerin, leckeren Fleischsalat und Räucherwürste. Nelsons Samstagsmarkt hat viele Fans, wir treffen hier fast immer jemanden.

Andreas aus der Salsa-Gruppe verkauft hier Schmuck aus Holz und ist immer zu einem Plausch aufgelegt, oder wir schauen bei Philip vom Eiscafé "Penguino's" rein, bei dem immer gute Musik läuft und der extravagante Eissorten kreiert, die neue Geschmackssensationen bedeuten. Absolut empfehlenswert ist seine "Tasting Platter", ein Teller, auf den er neun verschiedene Eissorten zum Probieren setzt.

Wohnen in Nelson

 

Philip lernen wir über Cally kennen, da er gerade ein neues Haus gekauft hat und darin vielleicht eine Wohnung vermieten wird. Daraus wird letztlich nichts, aber wir werden durch Zufall Nachbarn. Während wir noch bei Cally Haussitten und ich täglich die Vermietungsanzeigen auf "Trade Me" studiere, stelle ich mit Erschrecken fest, dass das Angebot an Wohnungen, die in Nelson möbliert vermietet werden, äußerst klein ist, und dass alle außerhalb des für uns akzeptablen Preisrahmens liegen. Mietpreise werden in Neuseeland nicht pro Monat sondern pro Woche angegeben. Attraktive Wohnungen in Nelson kosten meist 350 bis 450 NZD pro Woche, also 900 bis 1150 € pro Monat, dazu kommen noch Nebenkosten. Telefon und Internet kostet hier viel mehr als in Deutschland, Strom ist dagegen billiger. Dann taucht eine Anzeige eines Seglerpaares aus Nelson auf, die ab Mitte Mai für fünf Monate verreisen wollen und Mieter für das Haus suchen, die die Katze versorgen sowie Haus und Garten in Ordnung halten. Im Gegenzug bieten sie das Haus mit all seinen Habseligkeiten sehr günstig an. Genau das, was wir brauchen. Noch dazu ist die Lage oberhalb von Nelsons Hafeneinfahrt mit Panoramafenster raus aufs Wasser traumhaft und es ist eines der schönen alten Häuser. Ich rufe sofort an und eine gute Woche später haben wir die Zusage von Adrian und Helen in der Hand, dass wir hier von Mitte Mai bis Mitte Oktober leben können.

 

Für die fünf Wochen, die wir bis zum Einzug in die Albert Road überbrücken müssen, finden wir am Ende der Nile Street ein Zimmer bei Christine, die ,seit ihre Kinder ausgezogen sind, alleine ein riesiges Haus am Maitai River bewohnt und nun mehrere Zimmer darin an Gäste vermietet. Wir haben ein eigenes Badezimmer und WC. Küche, Essplatz und Wohnzimmer teilen wir uns mit einem jungen irisch-schottischem Pärchen, das ein Jahr lang mit einem Work & Holiday Visum durchs Land reisen möchte. Nelson ist ihre erste Station und Wayne hat als gelernter Zimmermann sofort Arbeit gefunden. Indie dagegen findet in Nelson keine Arbeit. Die Konkurrenz ist hart und in der Nebensaison ist das Job-Angebot für Mädels ohne Berufsausbildung beschränkt. Anfangs haben wir Schwierigkeiten den starken Akzent der beiden zu verstehen, und Christine gesteht, dass es ihr genauso geht. Dennoch mögen wir Indie und Wayne sehr und kommen prima mit ihnen aus. Ab und zu bekochen wir uns gegenseitig und das werden immer richtig nette Abende. Von meiner drei Stunden im Ofen gegarten, gut mit Knoblauchzehen gespickten Oster-Lammkeule sagen sie, dass das leckerste Lammfleisch ihres Lebens war. Die war aber auch gut….

 

Ausflüge rund um Nelson

 

Auf Ausflüge, die Joachim und ich in die nähere Umgebung unternehmen, kommen die beiden gerne mit, denn sie haben kein Auto und ohne Auto ist es schwer aus Nelson rauszukommen. So kommen auch sie zu einem langen Strandspaziergang auf Rabbit Island, sehen, was Mapuas Ostermarkt seinen 50.000 Besuchern bietet, und versuchen sich mit mir gemeinsam bei einer Künstlerin der Icon Art Gallery im "Bone Carving". Doch man muss gar nicht in die Ferne schweifen, um sich in Nelson die Füße auf angenehme Art und Weise zu vertreten. Selbst von Nile Street aus sind ein paar wirklich schöne Wanderwege in wenigen Minuten erreichbar.

Der Maitai River Walkway z.B. führt am Flussufer entlang zum Golfplatz und bietet reichlich landschaftliche Abwechslung. Oder man fährt die Maitai Valley Road bis ans Ende, läuft zum Stausee und sucht sich einen der vielen Wege aus, die durchs Hinterland führen. Die meisten sind übrigens auch sehr gute Mountain-Bike Strecken. Nelson besitzt eine große aktive MTB-Szene, in der sowohl Cross-Country Fahrer als auch Downhill-Freaks Gleichgesinnte finden. Und Achtung: "Wandern" heißt hier nicht "Hiking" sondern "Tramping".

 

Vom "Centre of New Zealand" aus, einer Landmarke, die 1870 für die Landvermessung Neuseelands auf einem gut sichtbaren Hügel aufgestellt wurde, genießt man Panorama-Aussicht über die Stadt mit den alpinen Gipfelreihen von der Lookout bis zur Arthur Gruppe im Hintergrund. Nach rechts gewandt schweift der Blick grenzenlos über die Wasserfläche der Tasman Bay bis zum Horizont, durchschnitten nur vom dünnen Band der Boulder Bank. In Richtung Wasser führt vom Centre of NZ ein Wanderweg zur Siedlung "Walters Bluff", der die meiste Zeit über offenes Weideland führt und daher an einem sonnigen Winter-Tag nicht nur schön warm ist, sondern auch herrlichen Ausblick auf Nelson, die Tasman Bay und die Boulder Bank gewährt. Von Land aus betrachtet sieht die Boulder Bank wie ein künstlich aufgeschütteter Wellenbrecher aus. Doch sie ist eine ungewöhnliche natürliche Land-Form vor der Küste Nelsons, eine 13 km lange schmale Schotterbank, die von Mackay Bluff im Osten bis zur künstlich durch die Bank hindurch gebaggerten heutigen Hafeneinfahrt geht. Wie es zur Bildung der Schotterbank kam ist noch umstritten.

 

Wohnen in der Albert Road

 

Von Adrians und Helens Haus aus blicken wir genau auf das Ostende der Boulder Bank, wo der Leuchtturm steht, der die Hafeneinfahrt markiert. Jeden Tag bietet dieser Ausblick neue Sensationen.

Immer wieder fasziniert uns, wenn ein großes Frachtschiff mit Hilfe von zwei Schleppern die schmale Hafeneinfahrt passiert und direkt dahinter scharf um 90 Grad abbiegen muss. Oder wie sich die Hafeneinfahrt verändert, wenn bei Niedrigwasser die Untiefen sichtbar werden, die ein paar Stunden später wieder unter der Wasseroberfläche verschwinden.

 

Die ständig wechselnden Farben des Wassers verlieren nie ihre Faszination. Mal ist die Wasserfläche eher dunkel und ein heller Streifen markiert den Horizont, mal ist es anders herum. Mal gleißt das Sonnenlicht so stark auf dem Wasser, dass man kaum reinschauen kann, mal kann man zarte Farbschattierungen in aller Ruhe studieren. Haben wir heute einen blauen, einen grünen oder einen grauen Tag? Oder einen Mix aus alledem?

 

Oder wir beobachten bei bestimmten Wind und Wetterlagen die gewaltige Strömung, die kraftvoll Wasser in den Nelson Harbor hineindrückt oder abfließen lässt. Mit bis zu 4,3 m hat Nelson einen der höchsten Tidenhübe Neuseelands. An windigen Tagen kann man vom Wohnzimmerfenster der Albert Road aus sehen, wie sich die Wellenrichtung in Küstennähe ändert.

 

Jeden Sonntagnachmittag fahren die Segler des Yachtclubs eine Regatta, auch wenn wenig bis kein Wind herrscht. Dann ziehen sie die großen bunten Spinnaker hoch und wir fühlen uns einmal mehr verpflichtet, das schöne Bild mit ein paar Fotos festzuhalten, von Sonnenuntergängen gar nicht zu Reden. Im Laufe der Monate kommen über 100 Bilder alleine vom Ausblick über die Tasman Bay zusammen, denn er ist stets ein Genuss, den wir fast andachtsvoll in unser Gedächtnis aufnehmen. Wann werden wir je wieder so leben können?

 

Überhaupt fühlen wir uns unglaublich wohl hier. Das Haus ist mit Kostbarkeiten aus aller Welt gefüllt, die Adrian und Helen von ihren vielen Reisen mitgebracht haben. Insbesondere herausragendes Kunsthandwerk hat es ihnen angetan und so hängen die Wände voll mit schönen Stoffen, Teppichen, Läufern und einer Sammlung von Feg-Instrumenten, zieren feine Muscheln die Troddeln der Vorhänge, füllen kunstvolle Flechtarbeiten das Wohnzimmer-Regal und ausgefallene Schnitzarbeiten weitere Wände. Ein unglaublich inspirierender Ort, ein kleines Museum für Völkerkunde.

Die kleine schwarze Katze Mousse, die wir zu versorgen haben, erobert auch im Sturm unser Herz. Nachdem sie die anfängliche Scheu abgelegt hat, wird sie sehr anhänglich. Sie wünscht sich eigentlich immer Gesellschaft und wandert gerne mit mir zusammen über das ausgedehnte Grundstück. Manchmal, wenn ich trotz schönem Sonnenschein drinnen am Rechner sitze, setzt sie sich vor die Terrassentür, kommt aber nicht rein, wenn ich die Tür für sie öffne, sondern lockt mich nach draußen. Morgens begrüßt sie uns mit einem grunzenden Miau, tagsüber hat sie zig verschiedene Stimmen. Sie versteht auch fast alles was man ihr sagt und ist erstaunlich folgsam. Zu süß ist sie, wenn sie beim Strecken der Muskeln die linke Vordertatze weit ausladend in die Höhe streckt. Oder wenn sie als Knäul zusammengerollt in der Sonne oder auf ihrer Heizdecke liegt. Der Garten ist ebenfalls eine wahre Pracht. Adrian hat von vielen Asien-Reisen wunderschöne Steinskulpturen mitgebracht, majestätische Buddhas und andere, und sie geschmackvoll in die Beete und entlang der Wege eingefügt. Stets blüht etwas in diesem Garten, meist mehr als sich in einem Satz aufzählen lässt, und wir können die ganzen Früchte, die die Bäume tragen, gar nicht verarbeiten. Bei den süßen Persimons, einer nach Honigmelone schmeckenden Baumfrucht helfen uns die Vögel. Mandarinen, Orangen, Zitronen und Grapefruits halten zum Glück lange am Baum. Bei all unseren Gastgebern auf der Südinsel haben wir übrigens exotische Früchte kennengelernt. Christine hatte bergeweise Feijoas und bei Cally haben wir Pepinos und Nashis kennengelernt. Es ist schwer die exotischen Früchte zu beschreiben, denn auch wenn sie an andere Früchte erinnern, haben sie doch einen eigenen Geschmack, vor allem die Feijoas, die auch Ananas-Guaven genannt werden. Pepinos sind entsprechend Birnen-Melonen und Nashis Apfel-Birnen.

 

Die schönste Wanderung in der Gegend von Nelson

Die schönste Wanderung, die wir unserer Meinung nach um Nelson herum machen, ist der 3 bis 4 stündige "Cable Bay Walk". Die Strecke führt von der kleinen Siedlung Glenduan im Osten von Nelson hoch auf die Hügelklippen, dann durch ein Stück Wald mit vielseitigem Baumbestand. Sobald man den Wald verlassen hat, geht es in freiem Gelände mit viel Rauf und Runter und meist freier Sicht aufs Wasser, über Weideland, auf dem Schafe, Ziegen und Kühe grasen, bis nach Cable Bay.

Die Bucht trägt diesen Namen da hierher 1876 das erste unterseeische Telegraphen-Kabel von Australien nach Neuseeland führte. Durch Anschluss in Sydney an das weltweite Telegraphennetz wurde es möglich, Nachrichten von Neuseeland in nur vier Tagen nach England zu kabeln. Zuvor waren sie per Schiff bis zu sechs Wochen unterwegs, ehe sie ihre Empfänger erreichten. 1916 wurde die Kabelstation nach Wellington verlegt, nachdem ein Feuer große Schäden in Cable Bay angerichtet hatte und die wirtschaftliche Bedeutung der Nordinsel die der Südinsel überragte. Heute wohnen eine Handvoll Leute malerisch in Cable Bay, in der es sehr ruhig geworden ist.

 

Erwähnenswert ist noch Pepin Island, die durch einen natürlichen Damm mit Cable Bay verbundene Insel, die Prinzessin Dr. Viola von Hohenzollern im Jahr 1995 erwarb. Von einem Anwohner aus Cable Bay hören wir und in der Zeitung lesen wir, dass es Frau von Hohenzollern hoch angerechnet wird, wie sie gemeinsam mit dem Verwalter die Insel zum Besseren verändert. 2011 wurde ihnen ein Naturschutzpreis dafür verliehen, dass sie Pepin Island wieder aufforsten, Weideflächen einzäunen und Maßnahmen ergreifen, die die weitere Erosion der Insel verhindern. Die meiste Zeit des Jahres ist Pepin Island für Besucher gesperrt. Zu bestimmten Zeiten gewährt der Verwalter geführten Gruppen aber gerne Zugang. Ein Minister des neuseeländischen Kabinetts liegt seit Jahren mit Dr. von Hohenzollern im Clinch, weil er durchsetzen will, dass ein öffentlicher Rundweg um die Insel angelegt wird. In Nelson scheint noch niemand mitbekommen zu haben, dass die Prinzessin Ende 2012 verstarb und dass das Erbe an ihre Tochter ging, ein in New York lebendes Modell. Vielleicht ist das gut für die Insel. Und es gibt wahrlich genügend andere attraktive Wanderwege und Strände rund um Nelson, so dass man Pepin Island getrost der Öffentlichkeit vorenthalten kann.

 

Stichwort Mode

 

Mode ist für die meisten Nelsonians ein Fremdwort, auch wenn sich zu den vielen Künstlern der Region einige Fashion Designer zählen und in Nelson für die "World of Wearable Art" wahrhaft kunstvolle Kostüme entworfen werden. Die haben es sogar bis ins Nationalmuseum nach Wellington geschafft und neben dem Flughafen befindet sich das WOW Museum. Im Alltag jedoch ist modische Kleidung, die ihre Träger angenehm aus der Masse herausstechen lässt, etwas Verwerfliches. Belustigt nehmen wir zur Kenntnis dass unsere Freundin Janet von einem Italien-Urlaub berichtet, dass es dort so schöne Kleider zu kaufen gäbe, dass man diese in Neuseeland jedoch keinesfalls tragen könne. Eine Zeitschrift fragt zwei Kommentatoren, ob Neuseelands Frauen gut gekleidet seien. Beide, eine Frau und ein Mann, deren Meinungen bewusst gegeneinander gestellt werden, kommen zum gleichen Schluss: Nein, sind sie nicht. Der männliche Kommentator schreibt, dass Kiwi Frauen von jedem Modetrend verlangen, dass T-Shirts und Jandals darin vorkommen, ansonsten machen sie nicht mit. Also sind wir nicht die einzigen die finden, dass die meisten Leute hier ziemlich "wurstig" aussehen. In Nelson hat sich ein eigenwilliger Öko-Schick etabliert. Akzente werden darin vor allem mit gummibesohlten weinroten Schuhen gesetzt. Noch nie habe ich irgendwo so viele weinrote Schuhe gesehen wie in Nelson. Besonders beliebt sind Spangen-Modelle mit offenem Fußrücken. Wer die nicht mag geht barfuß. Ansonsten werden gerne bunte Kleider über geringelte Leggings gehängt und es herrscht die Ansicht, dass es Ausdruck modischer Freiheit ist, wenn jemand eine außergewöhnliche Kombination wagt - selbst wenn sie außergewöhnlich ist, weil sie einfach scheußlich aussieht. Zum Beispiel fellgefütterte flache Schaftstiefel zu einem dünnen flatterigen ärmellosen Sommerkleid. Wenn man in Nelson eins üben kann, ist es Toleranz. Einerseits vermissen wir den Anblick gut gekleideter Menschen, andererseits passt es uns mit unserer ausgeleierten Segler-Garderobe aber auch gut in den Kram, dass es hier jedem egal ist, was man am Leib trägt.

 

Mehr über den Lebensstil

Kiwis haben definitiv ein anderes Temperaturempfinden als wir. Barfußgänger sieht man auch im Winter und selbst bei Außentemperaturen knapp über der Frostgrenze tragen viele Shorts und T-Shirts. Vor allem College-Schüler scheinen schmerzlos zu sein. Sie tragen Schuluniformen und machen zu verschiedenen Jahreszeiten offenbar kaum Unterschiede in der Wahl der Uniform-Teile. Wenn wir drei Lagen anhaben sehen wir immer Schüler in dünnen Hemden, Blusen, T-Shirts oder kurzen Hosen bzw. Röcken auf der Straße laufen. Auch unter den Seglern gibt es einige, denen die Außentemperaturen egal sind, die zu jeder Jahreszeit aufs Wasser gehen. Und die Schiffe haben keine rundum geschlossenen beheizten Kuchenbuden, wie sie der eine oder andere Fahrtensegler besitzt. Brrrr, wir frieren schon bei ihrem Anblick. Wenn die wüssten, wie schön Segeln in den Tropen und Subtropen ist...

Insgesamt gewinnen wir den Eindruck, dass der Lebensstil in Neuseeland ziemlich naturnah, oder man könnte auch sagen, technisch rückständig ist. Viele der in Deutschland seit Jahrzehnten etablierten Standards sind hier in der Mehrzahl der Häuser noch die Ausnahme, z.B. Fenster mit Dreh-Kipp-Beschlag, gescheite Mischarmaturen fürs Wasser, Sicherungen an Gasleitungen, Doppelverglasung oder Wärmedämmung. Kaum jemand erwartet, dass ein Wohnraum mehr als 16°C Raumtemperatur hat. Dafür, dass vieles einfacher ist als bei uns, ist es auch billiger. Nehmen wir z.B. die Wasserleitungen eines Hauses. Alles hängt i.d.R. an derselben Versorgungsleitung. Wenn jemand in der Küche den Hahn aufdreht, kriegt jemand unter der Dusche heißkalte Wechselbäder. Aber wenn man überlegt, wie oft das vorkommt und wie schlimm es ist, fragen wir uns schon, ob wir in Deutschland nicht doch ein bisschen zu perfektionistisch veranlagt sind. Die Kiwis sind i.d.R. um 16h30 mit Arbeiten fertig, haben erst zwischen 8 und 9 h morgens angefangen zu arbeiten und wir haben bislang niemanden gesehen, der unter solchem Druck arbeitet, wie wir ihn gewohnt sind. Wayne, der aus Irland noch härtere Arbeitsbedingungen kennt, bestätigt diesen Eindruck. Man braucht weniger Geld und muss daher weniger arbeiten um genügend fürs Leben zu verdienen. Dafür bleibt mehr Zeit zum Leben. Den Leuten tut das insgesamt gesehen sehr gut. Die Kiwis wissen schon, dass viele ihrer Standards nicht der Weisheit letzter Schluss sind, wollen es aber so, denn sie schätzen es, dass es in dem jungen Land für viele Lebensbereiche noch keine Gesetze und Vorschriften gibt, die ihre Entscheidungsfreiheit einschränken. Lieber ziehen sie sich auch drinnen eine Daunenjacke an oder verschieben die Wäsche um einen Tag, wenn die Sonne mal einen Tag lang nicht wärmt und trocknet. Getreu dem Motto "Wenn’s kalt ist zieh Dich warm an und hoff, dass es bald rum geht."

 

Vorhandenes Material wird so lange es geht genutzt, und was man nicht mehr haben will wird lieber auf einem Flohmarkt verkauft, an einen karitativen Second-Hand-Laden gespendet oder auf "Trade-Me" gestellt, als es wegzuwerfen. Etwas in Neuseeland wegzuwerfen heißt es auf eine Deponie zu befördern, wo es Jahrzehnte bis Jahrhunderte bleiben wird, keine schöne Vorstellung. Alles was älter als 30 Jahre ist, genießt sowieso Kultstatus als historischer "Vintage"-Artikel. Die Wertschätzung alter Dinge, die nicht wieder beschaffbar sind, ist weiter verbreitet als der Drang, immer das Neueste vom Neuen besitzen zu müssen. Insgesamt haben wir den Eindruck, in Neuseeland weniger Plastik im Alltag zu sehen, als wir es gewohnt sind. Es mag an unseren Vermietern liegen, sowohl bei Christine als auch Adrian und Helen sind Wäschekörbe noch aus Ruten geflochten, Rührschüsseln in der Küche sind aus Edelstahl, Salatbesteck aus Holz und Vorratsbehälter aus Ton oder Glas. Natürlich gibt es auch bei ihnen Gegenstände aus Plastik, nur eben auffällig weniger als anderswo. Der bewusste Umgang mit Ressourcen, den viele Neuseeländer pflegen, sei es aus wirtschaftlicher Notwendigkeit heraus, sei es aus Überzeugung, gefällt uns sehr gut. Nur auf Häuser, in denen Heizwärme gleich nach ihrer Erzeugung wieder durch die Fenster und Türen rausgeht, können wir gerne verzichten.

 

Die tapferen Ritter des DOCs

 

Das DOC, das Department of Conservation ist eine mächtige Behörde des öffentlichen Dienstes Neuseelands. Mit dem Conservation Act von 1987 wurde ihr per Gesetz die Aufgabe übertragen, "das ursprüngliche und historische Erbe Neuseelands zur Freude aller, heute und in der Zukunft, zu bewahren". Das DOC hat gut 1.600 ständige Vollzeit-Mitarbeiter und weitere 280 Mitarbeiter mit befristeten Vollzeit-Verträgen. Über 15.000 freiwillige Helfer wurden 2013 rekrutiert, um diese Mitarbeiter zu unterstützen. Neben praktischen Arbeiten wie Verwaltung und Betrieb der Nationalparks, Bau, Pflege und Instandhaltung von Wanderwegen, Aussichtsplattformen und Berghütten und vielseitigen Landschaftspflege-Aufgaben, legt das DOC einen Arbeitsschwerpunkt auf Umwelterziehung im weitesten Sinne. Die Aktivitäten reichen von "Kiwi Ranger" als Naturschutzcamps für junge Leute, ein Programm, das zusammen mit der Vertretung chinesischer Geschäftsleute in Auckland entwickelt wurde, bis hin zu einem umfangreichen Online-Lernangebot, dass sowohl Lehrern, wie auch allen anderen Interessierten, Geschichte, Filme und Ideen für begleitende Aktivitäten zur Verfügung stellt, anhand derer sich Naturschutz verstehen und erleben lässt. Das DOC leistet also wirklich beachtliche Arbeit.

Wenn unser Garten allerdings zwei Mal pro Woche Besuch von einem feschen, strammen, wie ein Pfadfinder gekleideten DOC Mitarbeiter bekommt, der kontrolliert, ob die dort von ihm aufgestellte Pheromon-Falle ein Exemplar der Schmetterlingsart gefangen hat, die ausgerottet werden soll, oder ein anderes kleines Flugtier, für das die Falle nicht gedacht ist, das ergo befreit werden muss, stelle ich mir schon ein paar Fragen. Viel Kraft des Landes geht in solche und ähnliche Aktivitäten. Aber wir hören und sehen keine Kritik an der kommerziellen Land- und Forstwirtschaft oder der Fischerei. Im Vergleich zu den vielen kahl geschlagenen Flächen sehen wir extrem wenige Aufforstungs-Gebiete. Bei jedem Spaziergang in einem deutschen Wald kommt man früher oder später an einer Schonung vorbei, in der junge Bäume gezogen werden. Ein deutscher Nutzwald hat Baumbestand vieler verschiedener Altersklassen. Solche Schonungen sehen wir in Neuseeland nur sehr selten. Unserem Eindruck nach stehen sie in ungesundem Verhältnis zum geschlagenen Holz, das wir an den Verladerampen sehen. Und von Wilfred hören wir, dass in der Landwirtschaft in großem Stil chemische Dünger eingesetzt werden, die die Böden belasten. Redakteuren einer Landwirtschaftszeitung wurde von der Verlagsleitung untersagt, Berichte über ein alternatives ökologisches Düngemittel zu schreiben, mit dem wissenschaftlich nachgewiesen hervorragende Ergebnisse erzielt werden. Den zahlungskräftigen Anzeigenkunden gefällt dieser Wettbewerber nicht und sie haben die wahre Macht über die Berichterstattung. Auch in der Aquakultur scheint es schwere Sünden zu geben. So hören wir, dass im Marlborough Sound die Käfige, in denen Lachse gezogen werden, per Motorboot durchs Wasser geschleppt werden, in der Hoffnung, dass die Fische so Parasiten los werden, die sich auf ihrer Haut ansiedeln, weil im Sound zu wenig Wasserströmung für Lachse herrscht. Treibhausgase, Klimawandel, Energiekonsum und Abfallwirtschaft – vier der großen weltweit drängenden Umweltthemen – keines davon begegnet uns auch nur einmal in einer öffentlichen Diskussion in Neuseeland. Angesichts des Eifers, mit dem eingeschleppte Pflanzen- und Tierspezies bekämpft werden und versucht wird, einzelne Exemplare von alten heimischen Bäumen zu bewahren, drängt sich uns der Verdacht auf, dass die Hauptaufgabe des DOC darin besteht, der Tourismus-Industrie, den Medien und der Bevölkerung das Gefühl zu vermitteln, dass bestens für die Umwelt gesorgt wird, ohne die Politiker zu zwingen, sich den drängenden Umwelt-Themen des 21. Jahrhundert zu stellen.

Nelsons beeindruckender Gemeinschaftssinn

 

Dieser Gedanke passt zum Eindruck, dass man es hier vorzieht positiv zu denken und positiv zu berichten. Die beiden Gratis-Zeitungen, die wir jede Woche im Briefkasten finden, überschlagen sich geradezu mit Lobeshymnen über Personen, Gruppen und Firmen, die sich für wohltätige und gemeinnützige Zwecke einsetzen. Einige Schlagzeilen aus den letzten beiden Ausgaben: "Das Cawthron Institut, ein wissenschaftliches Forschungsinstitut für Meeresbiologie, bekommt von einem bekannten Autohändler ein Auto gestellt, das es der Kommunikationschefin ermöglicht, durch Dienstreisen die Erkenntnisse des Instituts breiter bekannt zu machen." – "Eine Bankfiliale schließt jedes Jahr einen Tag lang und schickt die Mitarbeiter statt an den Schreibtisch zu einer Tätigkeit mit sozialem Nutzen". "Close for the Good Day", nennen sie den Aktionstag. Dieses Jahr haben sie in einem Naturschutzgebiet geholfen einen neuen Wanderweg anzulegen. Sie haben 1 km geschafft, insgesamt sind 90 km neue Wege geplant. - Ein Boots-Service-Unternehmen versteigert in Kürze anlässlich seines Tags der offenen Tür ein Motorboot im Wert von ca. NZD 50.000, das ihm aus einem aufgegebenen Besitz überlassen wurde. Der ehemalige Eigentümer wünscht sich, dass der Auktionserlös einem Kinderhospital in Auckland gespendet wird. Die Firma freut sich, das Schiff kostenlos für die Auktion hergerichtet zu haben und mit ihr für den Tag der offenen Tür werben zu können. – Die Stadtverwaltung organisiert den zweiten Sperrmülltag, bei dem sich alle Haushalte anmelden, die Dinge haben, die sie loswerden möchten. Leute, die gucken wollen, ob was für sie Interessantes dabei ist, können die Anschriften-Liste aus dem Internet laden. Um öffentlich sichtbar zu machen, wo es etwas zu holen gibt, hat die Stadtverwaltung ein Aktionsplakat entworfen, das sich die Leute an den Briefkasten hängen können. Vor ein paar Wochen gab es einen solchen Sperrmülltag schon einmal und 90% der überflüssig gewordenen Gegenstände wechselten den Besitzer statt in den Müll zu wandern. – Einzelhändler helfen bereitwillig einem College. Die College Girls haben mit einer Modenschau NZD 10.000 für ihre Schule gesammelt. Das Geld fließt in ein neues Schulfahrzeug und in Lehrmittel, die nicht vom Staat bezahlt werden. "Alle Geschäftsinhaber waren so hilfsbereit. Ich war überwältigt von der Großzügigkeit der Leute in dieser Stadt.", sagt eine der Schülerinnen im Interview.

 

Diese Liste ließe sich endlos fortsetzen. Nächste Woche gibt’s wieder ein oder zwei Wettbewerbe, zu denen man jemanden als Held nominieren kann, ein Fundraising oder eine Ehrenpreis-Verleihung. Die Bürgerbeteiligung ist stets hoch. Bürger werden ständig zur Partizipation eingeladen, bekommen eine Stimme in den Journalen, werden mit Bild gezeigt und so oft es geht für jede Form von Engagement öffentlich gelobt. Wenn man sowas Woche für Woche liest, bekommt man richtig Lust zu zeigen, dass man selbst auch etwas auf die Beine stellen kann. Die guten Nachrichten stecken an und regen an. Die Bürgernähe drückt sich aber auch in anderer Form aus. So berichtet die Bürgermeisterin in jeder Ausgabe der einen Gratiszeitung über ein Thema, das sie und die Stadtverwaltung gerade beschäftigt. Dabei erzählt sie auch mal aus dem Nähkästchen ihrer persönlichen Erfahrungen oder Ansichten, die sie in vorherigen Jobs oder im Ausland lebend gewonnen hat. Sie macht ihre Arbeit transparent und manchmal auch ihre Sorgen oder Schwierigkeiten. Mir wird sie dadurch vertraut, obwohl ich sie nicht kenne und überhaupt ja nur ein Beobachter der lokalpolitischen Bühne bin. Weiterhin hat die örtliche Polizei eine Kolumne, in der sie über die Einsätze der vergangenen Woche berichtet. In Nelson leben und arbeiten Menschen für Menschen, ist der Eindruck, den wir aus all dem gewinnen.

 

100%iges Glück gibt es nicht

 

Dennoch sind auch hier nicht alle Leute glücklich. An den Anschlagbrettern der Stadt sind überall Zettel zu finden von Leuten, die sich um "brokeness" kümmern und "healing" versprechen. Therapeuten bieten freies Tanzen als Weg zu mehr Lebensfreude an, Integrationsgruppen aller Couleur versuchen die gesellschaftlich am Rand Stehenden zu erreichen. Es gibt auch hier Wohnungs- und Arbeitslose. Unter den Maori scheint häusliche Gewalt verbreitet zu sein. A propos Maori: In der Zeitung fällt mir eine ganzseitige Anzeige mit der Überschrift "Discrimination" ins Auge. Der Text startet mit der Frage, ob Neuseeland eine bi-kulturelle Nation aus europäisch-stämmigen weißen Siedlern und Maori sei und kommt zu dem Schluß, dass in Neuseeland auch viele Einwanderer von den pazifischen Inseln, aus Asien, Afrika, Australien und Lateinamerika leben, denen im Gegensatz zu den Maori allerdings keine Sitze im Parlament zugesichert werden. Dass die Maori ergo ein unfaires Privileg besitzen, das sie zu einer höherwertigen Rasse erklärt und das die Chancengleichheit anderer Rassen verhindert. Die Interessensgruppe C4C, "Campaign for Change", die die Anzeige publiziert, wirbt dafür, dass die Maori-Privilegien im Zuge der nächsten Wahl abgeschafft werden, so das "Ein Volk. Eine Nation. Miteinander." möglich wird. Bei der Wahl im September wird sich sicher nichts an den Verhältnissen der Maori ändern, aber die Argumentation ist schon nachvollziehbar und wird nach und nach in die öffentliche Diskussion einsickern.

 

Noch mehr Wissenswertes

 

So, jetzt wisst Ihr viel über Neuseeland, aber wir haben Euch noch immer nicht verraten, warum wir ein paar Monate in Nelson verbringen: Joachim hat hier das Centre for Fine Woodworking entdeckt, an dem er den Vollzeitkurs belegt. Während der Reise ist er sich darüber klar geworden, dass er nach der Rückkehr gerne wieder als kreativer Handwerker arbeiten möchte und dass Holz das Material ist, dessen Möglichkeiten ihn am meisten faszinieren. Gemeinsam haben wir Ideen für ausgefallene Produkte entwickelt, in Nelson will er lernen, wie sich diese am besten herstellen lassen. Am CfW wird Holzbearbeitung in traditionellem Stil gelehrt, sozusagen von der Pike auf, mit Hobel und Stemmeisen und recht wenig Maschineneinsatz. Das ist in unseren Augen eine hervorragende Basis für alles Weitere. Die Ausbilder am CfW genießen in Nelsons Kunstszene hohes Ansehen. Insbesondere David Haigs Signature Rocking Chair, ein Schaukelstuhl aus gebogenem Holz, ist an Eleganz und Leichtigkeit kaum zu übertreffen.

Cléo, die wir auf der Ile des Pins in Neukaledonien kennengelernt hatten, stammt aus Nelson und hatte uns ein Nelson Regional Guide Book geschenkt, in dem Davids Stuhl abgebildet war. Am Strand von Oro Bay liegend hatten wir das dicke Buch schon von vorne bis hinten studiert und gewusst, da wollen wir hin. Seit Mitte März besucht Joachim also den Vollzeitkurs am CfW, lernt die Charakteristika des Naturwerkstoffs sowie viele verschiedene Verarbeitungs- und Verbindungsmöglichkeiten kennen und baut Kleinmöbel, Hocker sowie einen Stuhl. Entwurfszeichnen und Planung des Kreativprozesses gehören auch mit zum Ausbildungsprogramm. An diesem Kursteil kann auch ich teilnehmen, was großen Spaß macht. Viele Abende verbringen wir damit Designs zu analysieren und eigene Entwürfe entsprechend unseren Hausaufgaben anzufertigen.

Viel Zeit verbringen wir auch damit zu überlegen, wie sich realistischer Weise mit diesem Handwerk Geld verdienen lässt. Auf der Südinsel mit Sicherheit nicht, die Dichte guter Tischler ist hier viel zu hoch, das Interesse an Innovationen generell zu gering und die Anzahl potentieller Abnehmer viel zu klein. Auckland oder Sydney? Auch diese Städte liegen letztlich auf schwach besiedelten Inseln und sind designtechnisch Diaspora-Land, wenn man sie mit Europa vergleicht. Konkurrenz belebt halt das Geschäft. Je mehr wir uns mit Designthemen beschäftigen, umso stärker zieht es uns nach Good old Europe zurück. Wenn man es dort schafft, die kreativen Einflüsse aus Mailand, Barcelona, Amsterdam, Berlin, Kopenhagen, Prag und Bratislava einzuatmen, kann man auch im Zeitalter von Ikea, Hülsta und Interlübke noch tolle Sachen entwickeln und bauen, wenn man in der Lage ist kreativ quer zu denken und im Handwerk ein paar feine Spezialitäten beherrscht. Kreativ querdenken können wir und die Schaffung der Spezialisten-Kenntnisse im Handwerk ist gerade in Arbeit. In Deutschland gibt es alles an Maschinen und Materialien, was man sich wünschen kann und haufenweise Möglichkeiten für Partnerschaften. So schön Neuseeland im Allgemeinen und Nelson im Speziellen ist, auf Dauer ist das Inselleben mit all seinen Konsequenzen nichts für uns. Zudem vermissen wir nach dreijähriger Abwesenheit unsere Freunde und die Familie immer mehr und es mehren sich die Emails mit dem Tenor "Ihr könnt jetzt endlich mal wieder heimkommen. Wir freuen uns auf Euch, Ihr fehlt uns." Diese Freundschaften und Verbindungen sind unschlagbar. Daher packen wir im August 2014 mit einem lachenden und einem weinenden Auge unsere verbliebenen Habseligkeiten, die nicht in zwei Koffer und zwei Reisetaschen passen, in eine große Sperrholzkiste und schicken diese per Seefracht zurück. Pagena steht zum Verkauf und wird bis zu selbigem von vertrauenswürdigen Leuten in Opua gut betreut. Joachim fliegt als erster von uns beiden zurück, da er zu Hause gebraucht wird. Ich bleibe ein paar Wochen länger in Nelson, um mich weiter um die Katze, Haus und Garten zu kümmern, bis Adrian und Helen wieder da sind. Allerdings erreicht uns im Juli die freudige Nachricht, dass sehr gute Freunde Ende September heiraten und sich wünschen, dass wir beim Fest mit dabei sind. Ich wünsche mir das auch, und beschließe daher, dass die Katze zur Not drei Wochen ohne die gewohnten Schmuseeinheiten überleben wird. Es gibt genügend Leute, die ihr Futter geben werden. Und vielleicht finde ich ja auch noch andere Gesellschafter für sie. Man findet im Leben meist das was man sucht, wenn man genau genug weiß, was es sein soll!

 

Joachim und ich suchen für die nächsten paar Jahre eine neue Heimat und interessante Aufgaben, die unseren Geist herausfordern. In Deutschland. Aus der Ferne betrachtet ist Deutschland eines der lebenswertesten Länder der Welt.

 

P.S.: Das mit der Katzen-Gesellschaft klappt, ein paar Zufälle führen dazu, dass ich Kontakt zu einer Salsa-Tänzerin bekomme, die gerne für ein paar Wochen als Haus- und Katzensitter in die Albert Road einzieht, und die Adrian und Helen genehm ist. "Es gibt immer einen Weg. Man muss ihn nur finden!"

 

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