23. Okt. - 22. Nov. 2013, Neukaledonien

Neukaledonien, früher Neue Hebriden genannt, ist ein an Frankreich angeschlossenes Territorium 1200 km nordöstlich von Australien gelegen. Geographisch gehören die Inseln zu Melanesien. Die zigarrenförmige Hauptinsel Grande Terre, etwa 400 km lang und 50 km breit, ist selbst auf kleinmaßstäbigen Landkarten gut erkennbar. Zu Neukaledonien gehören noch eine Handvoll weiterer Eilande: die Loyalitäts-Inseln Maré, Lifou und Ouvéa, die Ile des Pins und die Belep-Inseln. Geologisch gesehen sind Grand Terre und die Iles des Pins Fragmente des Urkontinents Godwanaland. Die Loyalty Islands dagegen sind gehobene Atolle (wie auch Niue, über das wir schon berichtet haben). Grand Terre wird von einem riesigen Korallenriff umgeben, das bis zu 10 km vom Festland entfernt liegt. Das kommt daher, dass Neukaledonien auf der Indo-australischen Kontinentalplatte liegt, die Jahr für Jahr etwas mehr unter die Pazifik-Platte im Osten rutscht. Neukaledonien geht ganz langsam, cm für cm, unter. Das weit vom Inselufer entfernt liegende Riff zeugt davon, wie groß die Insel in Urzeiten einmal war.

 

Innerhalb der riesigen flachen Gewässer der Lagune liegen dutzende kleine Inseln, die Segler mit zahllosen Ankerplätzen locken. Die mittlere Temperatur liegt das ganze Jahr zwischen 20 und 30 °C, das gemäßigte Klima ist dem Südfrankreichs ähnlich. Von Mitte Mai bis Mitte September ist es relativ trocken, von Mitte November bis April herrscht Regenzeit und Hurrikan-Gefahr. Neukaledonien wird regelmäßig von Hurrikanen getroffen. Amtssprache ist natürlich Französisch und für Europäer ist die Einreise einfach. Gezahlt wird mit französischen Pazifik-Francs, der Währung, die wir in Französisch Polynesien schon einmal hatten. Die Hauptstadt Nouméa wird in Reiseführern oft als "Paris des Pazifiks" bezeichnet. Dieses Attribut wirkt zweifelsohne sehr anziehend auf mich und Joachim läuft beim Gedanken an frisches Baguette das Wasser im Mund zusammen.

 

Von Vanuatus südlichster Insel Aneityum aus ist es nur ein Katzensprung rüber nach Neukaledonien. Wir laufen am 23. Oktober in Nouméa, der Hauptstadt Neukaledoniens ein.

Havannah Pass

Auf Vanuatus Inseln Efate und Aneityum hatten wir zum Glück in Neukaledonien lebende Franzosen getroffen, die uns Revierführer und hilfreiche Tipps für die Passage des Riffs in die Lagune hinein gaben. Die Ansteuerung von Nouméa sollte nämlich zeitlich ziemlich präzise geplant werden. Havannah Pass ist zwar breit (ca. 1,75 nm), aber es setzen bis zu 4 Knoten Strom im Pass. Wenn dieser bei ablaufendem Wasser auf den Nord-Süd-Strom trifft, der die Ostküste von Grand Terre runter läuft, gibt das extrem kabbelige See. Folglich versucht man am besten um Stillwasser herum durch Havannah Pass zu segeln, wenn das Problem der beiden aufeinandertreffenden Ströme nicht existiert. Zudem braucht man einlaufendes Wasser, um gut durch den nachfolgenden Woodin-Kanal zu kommen. Woodin-Kanal heißt die Wasserstraße, die zwischen Grand Terre und der unbewohnten Insel Ile Ouen verläuft. Auch er erreicht zwischen 3 und 5 Knoten und wenn man die als Gegenstrom erwischt, kommt man kaum von der Stelle. Von Havannah Pass bis Noumeá sind es stramme 78 km, eine gute Tagesetappe innerhalb der Lagune. Auf den Funknetzen und bei Strandgesprächen unter Seglern wird daher immer wieder diskutiert, ob man unterwegs ankern kann oder nicht. Offiziell ist es eindeutig verboten, als allererstes muss man ordnungsgemäß einklarieren, in Nouméa. Nur mag niemand bei Dunkelheit durch korallengespicktes, teils sehr flaches Wasser segeln, selbst wenn die Behörden das verlangen. Daher gehen viele Segler davon aus, dass sie unter dem Aspekt "Sicherheit" die Vorschrift etwas dehnen können. Die Vorschrift verhindert allerdings auch den Besuch der auf dem Weg nach Grand Terre liegenden Loyalität-Inseln, die unglaublich schöne Sandstrände haben sollen. Der unerlaubte Besuch der Loyalitäts-Inseln wurde schon geahndet und kam manchem Segler teuer zu stehen.

 

Um also am Ende eines langen Segeltages in Nouméa anlegen zu können, ist es optimal wenn es früh morgens Niedrigwasser gibt und das Wetter insgesamt mitspielt. Wir hatten in Aneityum abgewartet, bis genau diese Bedingungen herrschen. Wir sind einfach überzeugt davon, dass vor allem die Möglichkeit, ohne Zeitdruck auf gute Seebedingungen warten zu können, ausschlaggebend dafür ist, dass wir fast immer angenehmes Segeln erleben. Getrödelt haben wir trotzdem nicht, sonst wären in nur zweieinhalb Jahren nicht an all die Orte gekommen, die wir besucht haben.

Früh um 04:15Uhr steuert uns Joachim durch den Havannah Pass. Logbuch-Eintrag: "04:15 LT, 17:15 UTC, Bewölkung 25%, 1019hpa, Wind ESE 4-5, Genau voll ausgerollt, kein Großsegel, Pinnenpilot – Passieren Havannah Pass". Als die Sonne hoch genug steht, um der Umgebung Farbe einzuhauchen, leuchtet das Land zu unserer Rechten rot wie die Erde Australiens, umgeben von grünem Buschland. Eine solche Landschaft begegnet uns zum ersten Mal im Pazifik. In der Tat ist die Flora Neukaledoniens stärker mit der Australiens als mit der Vanuatus verwandt. Besonders ins Auge stechen schmale, hoch in den Himmel aufragende Bäume, eine Pinienart, die 35 bis 40 m hoch wird, deren Äste aber nur 2 m lang wachsen. Eine der Inseln, die wir als Ansteuerungspunkt verwenden, heißt Porcupine Rock, Stachelschwein-Felsen, weil der mit solchen Pinien bewachsene runde Rücken wie mit Stacheln gespickt aussieht. Durch die Lagune folgen wir der Haupt-Schifffahrtsroute, denn die ist garantiert tief genug. Im flachen Wasser der Lagune gibt es so gut wie keinen Seegang, aber denselben Wind wie vor dem Riff. Das sind traumhafte Segelbedingungen, die man nicht oft antrifft. Noch nicht mal angekommen bedauern wir schon, dass wir kaum Gelegenheit haben werden, dies auszunutzen. Wir gestehen uns aber auch ein, dass wir langsam reisemüde werden und dass wir nach den intensiven, erlebnisreichen Wochen in Vanuatu mehr Erholung als neue Abenteuer suchen.

 

Als wir um gegen Mittag in Noumeá einlaufen, wünschen wir uns eigentlich einen Platz in der Marina. Doch man kann uns über eine halbe Stunde lang nicht sagen, ob ein Platz für ein Schiff von Pagenas Größe frei ist oder nicht. Während der Wartezeit drehen wir Runde um Runde durchs Hafenbecken. Unsere Freunde von der Elfrun haben uns auf dem Funk gehört und locken uns an ihren Ankerplatz. "Kommt doch rüber zu uns, wir haben einen prima Liegeplatz und umsonst ist er noch dazu." Das sind schlagende Argumente, denen wir schließlich Folge leisten. Der Ankerplatz den Atmo und Petra für uns ausgeguckt haben, liegt fast genau unterhalb der Presqu’ile de Uerendi und ist so ziemlich der einzige noch freie Platz. Nouméas Marinas und Ankergründe sind um diese Jahreszeit, kurz vor offiziellem Beginn der Hurrikan-Saison, extrem voll.

Die Wiedersehensfreude mit der Elfrun-Crew ist groß. Ist es wirklich wahr, dass wir uns zuletzt in Tahiti gesehen haben? Das ist ja schon eine halbe Ewigkeit her. Und vor der Elfrun liegt Kai’s Phaleron. Mit Kai hatten wir auf Bora-Bora kurz geschnackt, allerdings erst, als wir schon im Aufbruch nach Maupiti begriffen waren. Jetzt endlich bietet sich die Gelegenheit, ihn mal richtig kennenzulernen. Atmo und Petra sind schon eine Weile in Nouméa und erklären uns die Wege zu den verschiedenen Behörden. Wir ankern so weit von der Stadtmitte entfernt, dass die nicht aufs Schiff rauskommen werden und die Büros liegen allesamt gut versteckt am anderen Ende der Stadt. Aber mithilfe eines Plans und ihren Erklärungen finden wir alle Offiziellen, denen wir unsere Aufwartung machen müssen. Sicherheitshalber nehme ich alle Lebensmittel, die wir möglicherweise nicht legal einführen dürfen, mit an Land, um sie den Vertretern von Health and Quarantine zu zeigen. Ich bin überrascht, dass ich die Trockenlinsen behalten darf. Todesverboten ist es Honig einzuführen, daher haben wir schon geraume Zeit keinen Honig mehr an Bord. Auf dem Rückweg zum Schiff kaufen wir einen neuen Topf Honig, Baguette und bergeweise leckeren Käse und Grillfleisch. Petra und Atmo laden uns zu Essen ein. Die beiden sind Vegetarier, daher muss das Steak noch einen Tag warten. Zum Schmunzeln bringt uns Petra, die ihren Salat extra mit Tofu anreichert, damit Joachim "Fleisch bekommt". Tofu… Aber der gute Wille zählt und wir verbringen einen extrem lustigen Abend zusammen.

 

Einen Tag nachdem wir einklariert haben, kommt ein Schiff der Küstenwache mit Speed an den Ankerplatz geschossen, als wir gerade Besuch von Atmo und Kai haben. Ein Beamter informiert uns freundlich, dass wir den Liegeplatz sofort räumen müssen, wir liegen in militärischem Sperrgebiet. Die Grenzlinie des Sperrgebiets verläuft genau zwischen Elfrun und uns. Mist, wo sollen wir denn jetzt hin, die Auswahl an Liegeplätzen ist nicht groß. Und wir möchten in der Nähe unserer Freunde bleiben. Wir beratschlagen kurz und entscheiden uns dann dafür, ziemlich nah unter Land zu ankern. Das Heck bei auflandigem Wind nur wenige Meter von einer Felswand entfernt zu sehen, fühlt sich zwar etwas beklemmend an, aber halten muss der Anker auch, wenn wir ein paar Schifflängen weiter draußen lägen. Und der Haken hält bombig. Der Ankergrund ist gut und wir können ihn kräftig einfahren.

 

Mittlerweile sind auch Hester und Emanuel, die in Nouméa leben, zusammen den beiden Kindern aus Vanuatu zurück und auf dem Funk habe ich Bill und Caroline gehört, zwei supernette Engländer, die wir seit den Tuamotus nicht mehr gesehen haben. Nouméa verspricht gesellig zu werden. In der Marina liegen eine ganze Reihe Schiffe unter deutscher und schweizerischer Flagge, u.a. die Annamaria, die Atlantis und die Toskuma. Die Annamaria kennen wir vom Hörensagen her. Winfried und Ute leiten das Annamaria-Funknetz und versorgen jeden Morgen die deutschsprachigen Segler mit Wetterinfos und guter Laune.

 

Schnell spricht sich rum, welche Crews von Nouméa aus nach Australien segeln und welche nach Neuseeland. Nach Aotearoa, ins Land der langen weißen Wolke, wie Neuseeland auf Maori heißt, gehen Pagena, Toskuma, Atlantis und Annamaria. Insbesondere Tobias und Priska von der Toskuma erkundigen sich regelmäßig, wann die anderen Schiffe denn ablegen wollen. Der erste Schwung Segler ist bereits auf dem Weg gen Süden. Aber wir sind ja gerade erst angekommen und wollen nicht schon gleich wieder los.

Nouméa – Nicht das Paris des Pazifiks!

Meine Erwartungen an Nouméa sind hoch und entsprechend groß ist die Enttäuschung, als ich hier kein Stück des Charmes Pariser Straßen entdecke. Mit etwas Mühe lassen sich ein paar Gebäude entdecken, die der Kolonialzeit zugerechnet werden können. Aber sie ergeben kein Ensemble, das Eindruck machen würde. Die meisten Gebäude sind gesichtslos und wir finden auch keine Schaufenster, die uns zum Bummeln einladen würden. Einzig die Place des Cocotiers ist ganz nett und es mag sein, dass man in Nouméa selbst französische Designermode finden kann. Aber wer immer den Vergleich mit Paris geschaffen hat, hat keine Ahnung wovon er spricht. Egal, Schuhe, Klamotten, Handtaschen etc. haben für mich eh noch nie so wenig Bedeutung gehabt wie jetzt. Unser kleiner Milchschäumer hat vor kurzem den Geist aufgegeben und der ist für leckeren Milchkaffee am Morgen unverzichtbar. Wo findet man in Nouméa Ersatz und wie heißt das Ding eigentlich auf Französisch? Wir fragen uns durch ein paar Läden durch und werden schließlich in einem Gemischtwarenladen fündig. Na also, Nouméa hat also doch auch uns Wertvolles zu bieten.

 

Hester und Emanuel, ein holländisch-französisches Paar, die hier schon 15 Jahre leben, sehen das ganz anders als wir. Sie schwärmen von der Lebensqualität, die die Insel ihnen bietet und sind rundum glücklich. Und sie geben sich größte Mühe, uns auch die schönen Seiten Nouméas zu zeigen. Emanuel macht eine Spazierfahrt mit uns, die hoch zum Aussichtspunkt Ouen Toro führt, uns in Baie de Saint Marie runter schauen lässt und fährt in die Nachbarbucht, die Baie de Citrons, wo die großen Hotels stehen und das Nachtleben tobt. Hier sieht es tatsächlich anders aus als die Innenstadt und der Hafenbezirk, die beiden Ecken der Stadt, die wir bislang gesehen haben. Die Baie de Citrons wirkt viel moderner. Für Emanuel und Hester ist es die Kombination aus angenehmem Klima, endlosen Möglichkeiten Sport zu treiben, grandioser Landschaft, guten Verdienstmöglichkeiten und die Versorgung mit allem Notwendigen bis hin zu Luxusartikeln, die das Leben in Nouméa so lebenswert macht.

Nach der Spazierfahrt gibt’s Essen bei den vieren daheim. Hester kocht lecker und Emanuel rückt zur Feier des Tages eine Flasche Champagner und hervorragenden Wein raus. Es liegt aber nicht nur daran, dass auch dieser Abend ein unvergesslicher wird. Wir verstehen uns einfach gut und mögen uns. Schade, dass auch diese Verbindung nur von kurzer Dauer sein wird. Als noch größere Schätze erweisen sich die beiden, als sie uns ihren Liegeplatz in der Port du Sud Marina anbieten. Ihr Schiff läuft im Charter und ist für vier Tage vermietet. So lange können wir kostenlos am Steg liegen und die tollen Duschen der Marina nutzen. Damit sind sie aber noch nicht am Ende. Eines Abends klopft es am Rumpf und Emanuel steht da und fragt, ob wir mit zu einer Spritztour auf dem Wasser kommen. Außer dem Segelboot besitzen die beiden noch kleines Motorboot und sie möchten uns noch ein paar Ecken Nouméas zeigen, die man am besten auf dem Wasser erreicht. Den ersten Teil der Strecke sind wir selbst oft mit dem Dingi gefahren, wenn wir in der Stadt zu tun hatten. Dann geht es durch eine ganz schmale Durchfahrt hindurch rüber in das Becken, wo das Erz aus der Mine entladen und weiterverarbeitet wird. Dann geht es zurück auf die andere Seite der Baie de l‘Orphelinat, wieder durch eine mauseschlupflochkleine Durchfahrt durch in die Baie des Citrons. Mittlerweile ist es stockdunkel, aber das stört Emanuel nicht, er kennt das Revier in- und auswendig. Zum Abschluss tuckern wir durch die dritte Marina Nouméas, wohl vor allem, weil es dort eine Durchfahrt unter einer Fußgängerbrücke hindurch gibt, die besonders kitzelig ist. Zurzeit steht das Wasser zu hoch, selbst Emanuel traut sich nicht unter der Brücke durchzufahren. Aber er liebt solche Spielereien offenbar.

 

Mittlerweile stehen wir tief in der Schuld der beiden. Als wir in einem Veranstaltungsprogramm von einem preisgekrönten Schweizer Clowns-Duo lesen, dass mit einem Artistik-Programm in Kürze in Nouméa auftreten wird, finden wir endlich ein adäquates Geschenk. Die Veranstaltung wird auch den Kindern gefallen und es ist mal was Ausgefallenes. Auch für uns beide, die wir schon lange kein Kulturprogramm mehr erlebt haben. Vorsichtig erkundigen wir uns bei Emanuel, an welchem Tag es den vieren passen würde und besorgen die Karten. Hester und die Kinder werden gänzlich zu einer Überraschung eingeladen und auch Emanuel weiß nur, wohin er uns alle chauffieren muss. Die Veranstaltung ist gut, die Kinder treffen dort Schulfreunde und Hester und Emanuel stellen fest, dass sie noch nie auf die Idee gekommen sind, selbst nach so etwas Ausschau zu halten. Gelungene Überraschung, zum Glück!

 

Aber nicht nur mit den beiden treffen wir uns ständig, auch mit Kai verbringen wir einige Abende. Der ist ja sooo nett! Und clever. Und lustig. Und… Wir haben uns viel zu erzählen und es gibt viel auszutauschen. Es ist bedauerlich, dass wir uns erst jetzt kennenlernen. Wir haben Kai’s Schiff zum ersten Mal schon im April auf den Marquesas gesehen. Was hätten wir schon alles zusammen erleben können, wenn… Und auch für ihn gilt: Unsere Wege trennen sich in Kürze schon wieder. Er segelt nach Australien, wir nach Neuseeland. Der einzige Trost ist: auch er plant nach Deutschland zurück zu kehren, den Kontakt zu ihm können wir hoffentlich von daheim aus aufrechterhalten.

 

Als unsere Tage in der Marina rum sind und wir wieder am alten Ankerplatz liegen, taucht plötzlich Mark auf, ein junger Amerikaner, den wir schon seit Mexico kennen. Zuletzt haben wir auf Niue einen Ausflug miteinander unternommen. Mark gelingt es, auch noch ein Plätzchen in unserer Nähe zu finden. In der Marina Port Moselle sind mittlerweile Sue und John, die sympathischen Kalifornier von der Wizzard, mit denen Mark von Mexiko auf die Marquesas gesegelt ist, sowie Jim und Jan, die netten Kanadier von der Haulback eingelaufen. Auf Jim und Jan hatten wir gewartet, denn auf ihre Anregung hin sind wir hier gelandet und nicht in Fiji oder in Tonga, wie die meisten Boote, die nach Neuseeland wollen. Erstaunt nehmen wir zur Kenntnis, dass Jim und Jan jetzt doch nicht nach Neuseeland sondern nach Australien segeln wollen, und dann wie Kai runter nach Tasmanien. Unser anfängliches Erstaunen weicht Verständnis, denn wir haben unsere Reisepläne ja selbst des Öfteren über den Haufen geworfen. Aber schade ist es trotzdem.

 

Es ist jetzt unmöglich geworden, "mal eben" in die Stadt oder "kurz" Duschen zu gehen. Ständig läuft einem jemand über den Weg, winkt jemand aus dem Café oder hat eine Frage. Wir genießen die gemeinschaftlichen Momente, es ist eine ausgesprochen nette Gruppe, die hier zufällig zusammentrifft. Der Zusammenhalt ist groß, es herrscht fröhlich-geschäftige Stimmung wie vor den großen Sommerferien und so ähnlich fühlt es sich auch an.

Paketversand mit Tücken

Was wir in Nouméa noch herausfinden wollen, ist, ob man von hier aus günstig Sachen nach Hause schicken kann. Da wir uns ja halb in Frankreich befinden hoffen wir, dass es subventionierte Paketpreise gibt. Auf die Idee hat uns Yves, ein segelbegeisterter pensionierter Lehrer gebracht, der nach Noumeá ausgewandert ist. Jedes Jahr unternimmt er zusammen mit seiner Frau eine Flugreise nach Frankreich, die von der französischen Regierung gesponsert wird. Da die Franzosen, die ihre liebe Zeit nicht im gelobten Heimatland verbringen, ihre Bindung an die Heimat aber nicht verlieren sollen, übernimmt der französische Staat ein Drittel der Flugkosten. Die beiden pensionierten Segler nehmen das freundliche Angebot lachend in Anspruch, denn die Rente ist zu klein für den Unterhalt eines Segelschiffs, einer Wohnung und regelmäßige Langstreckenflüge. Dass er in Nouméa als Handwerker noch etwas dazu verdient, bleibt selbstverständlich unerwähnt. Wenn das hier so funktioniert, lohnt sich vielleicht auch ein Besuch bei der Post.

 

In der Tat, wir können ein 1 m³ großes Paket mit bis zu 30 kg Gewicht für nur 50 Euro verschicken, sagt uns ein junger Postbeamter. Das ist famos. Wir haben schon wieder so viele Sachen an Bord, die wir irgendwann, irgendwie nach Hause schaffen möchten, und von Neuseeland aus ist das bestimmt erheblich teurer. Unser Sorgenkind ist die Skulptur aus Vanuatu. Zwar haben wir die erforderlichen Einfuhrpapiere, aber ja nur die für optische Prüfung ohne Ausräuchern. Die neuseeländischen Behörden haben den Ruf, sehr streng zu sein, gerade was Holz angeht. Vielleicht besteht da jemand auf Ausräucherung und lässt uns die Skulptur nicht einführen? Besser sie reist von hier aus direkt nach Deutschland. Unsere ganzen anderen Andenken aus Vanuatu gehen dann gleich mit auf die Reise, plus die Revierführer, an denen so viele Erinnerungen hängen. In der Stadt besorgen wir einen großen gebrauchten Transportkarton und Joachim kürzt ihn auf die zulässigen Maße. Da wir keine Personenwaage haben, ist schwer abzuschätzen, wann wir die 30 kg Grenze erreichen. Die Kiste ist jedenfalls verdammt schwer und der Transport vom Schiff rein ins wackelige Dingi, rüber in den Hafen und vom Dingi-Anleger zum Taxistand wird eine kleine Tortur. Es sind fast 38 kg, die wir anschleppen, erfahren wir auf der Post. Gut, dass das Paket noch nicht verklebt ist, wir können Bücher rausnehmen. Als das Gewicht schließlich passt verlangt die Beamtin, die an der Kasse sitzt nicht 50 sondern 500 Euro. Wir werden blass, denn das ist zu viel. "50 Euro wäre der Seefracht Tarif, aber Seefracht gibt es nach Deutschland nicht" klärt sie uns ungehalten auf. " Aber der Kollege der uns den Preis genannt hat, wusste, dass das Paket nach Deutschland gehen soll. Sind Sie sicher, dass das eine falsche Auskunft war?" – "Das kann nicht sein, denn den Tarif gibt es nur nach Frankreich." Die Beamtin ist unglaublich pampig und entsprechend ist auch unsere Laune. Die beste Idee, die wir in dieser Situation haben, ist, das Paket dann eben nach Frankreich zu schicken.

 

Nur haben wir die Adresse eines Freundes in Paris, von dem wir glauben, dass wir ihm das Paket am ehesten aufbürden können, nicht parat. Wir müssen zurück zum Schiff und wieder herkommen. "Nein, Ihr Paket kann nicht unbeaufsichtigt hier bleiben, das ist verboten" legt uns die Postbeamtin den nächsten Stein in den Weg. Jetzt bin ich endgültig sauer. Ohne die Falschauskunft eines Postbeamten wäre die ganze Situation ja gar nicht entstanden, die Kollegen sollen uns jetzt gefälligst helfen, eine Lösung zu finden. Keinesfalls transportieren wir 38 kg noch zweimal durch die halbe Stadt und übers Wasser. Die Chefin wird gerufen. Sie stimmt zu, nimmt uns aber das Versprechen ab, dass wir in gut einer Stunde wieder hier sein müssen. Das ist für die Strecken, die wir zu bewältigen haben, ziemlich kurz. Wir hetzen also zum Schiff zurück, besorgen unterwegs noch einen Karton, in den wir die Bücher stecken können, und weiter zurück zur Post. Ohne bei Hervé nachzufragen, ob er eigentlich einverstanden ist, das Paket anzunehmen. Eine Absenderadresse in Nouméa brauchen wir auch noch. Dafür muss Hester herhalten, die ebenfalls nichts davon weiß. Schließlich gehen 40 kg Schiffsfracht in zwei Paketen auf die Reise nach Paris. Es wird zwei bis drei Monate dauern, bis die Fracht eintrifft. Jetzt können wir langsam an Abfahrt aus Nouméa denken.

Aber wohin, welche Route nehmen wir? Segeln wir von Noumeá aus direkt nach Neuseeland, oder besuchen wir noch die Ile des Pins? Sie liegt südwestlich von Grande Terre, 130 km entfernt. Die meiste Zeit bläst der Wind aus Südwest, keine guten Voraussetzungen, um einfach dort hin zu kommen. Wollen wir wirklich auf diese Insel? Ich finde ja, denn ich habe traumhafte Fotos gesehen und bis jetzt haben wir ja noch kaum was von Neukaledonien kennen gelernt. Die Toskuma Crew findet, wir müssen die Ile des Pins kennenlernen. Sie waren schon dort und die Insel sei ausgesprochen schön. Emanuel findet, dass wir sie nicht besuchen brauchen. Die Leute dort seien unfreundlich und es gäbe Diebstähle. Er empfiehlt uns andere Inselchen mit in seinen Augen besseren Ankerplätzen. Dort gibt es aber keine Geschäfte und kein Internet und vor der Passage nach Neuseeland würden wir schon gerne Zugriff auf mehrere Wettervorhersagen haben und nochmal nachverproviantieren und nachtanken.

 

Die Frühlingsstürme, die einen auf dem Törn nach Neusseland erwischen können, können garstig sein. Wir haben von mehr Yachten gelesen, dass sie 48 bis 72 grässliche Stunden auf See verbracht haben, als sie Neuseeland ansteuerten, als von Yachten, die ohne Sturm durchgekommen sind. Wir möchten uns das Sturmerlebnis gerne ersparen. Der Charme Neukaledoniens liegt darin, dass es von der Ile des Pins bis Opua, dem ersten Einklarierungshafen Neuseelands, nur 800 Seemeilen sind. Eine Strecke, die wir in ca. 7 Tagen segeln können, und für eine Woche gibt es Wettervorhersagen. Das Risiko, in einen Sturm zu geraten, ist von Neukaledonien aus definitiv kleiner als von Fidschi oder Tonga aus, deren südlichste Zipfel von Neuseeland 300 bis 400 Seemeilen weiter weg sind als Neukaledoniens Süden.

 

Joachim bringt noch eine andere Idee ins Spiel, die Baie du Prony. Die riesige Bucht, die sich ca. 13 km weit ins Land zieht, zweigt vom Woodin Canal ab. Die Landschaft über und unter Wasser soll spektakulär sein. Am Ende, in der Baie des Koaris, gibt eine natürliche heiße Quelle zum Baden, die per Dingi gut erreichbar ist. Die Baie des Kaoris und die benachbarte Baie du Carenage sind im Übrigen auch als "Hurricane Holes" bekannt, Ankerplätze, die selbst im Falle eines Hurrikans als sicher gelten. Die Baie du Prony wäre sicher auch Besuchens wert. Allerdings wollen wir nicht nochmal nach Nouméa zurück segeln, und wenn wir ausklariert haben, dürfen wir uns nur noch maximal 72 Stunden in Neukaledonien aufhalten. Beide Ziele lassen sich in nur 3 Tagen nicht besuchen. Wir beschließen daher einen Kompromiss.

 

An Tag 1 fahren wir an einen der schönen Ankerplätze der Bonne Anse, die ganz im Süden der Baie du Prony liegt, nah am Woodin Canal. Dort übernachten wir und brechen sehr früh morgens an Tag 2 zur Ile des Pins auf, denn morgens ist es meist noch windstill. Wenn wir es schaffen ca. 2/3 des Weges bei Windstille Richtung Süden zu motoren, bevor wieder Südwest einsetzt, sollten wir die Ile des Pins im Laufe des Nachmittags gut erreichen. Dann haben wir noch ein bis zwei Tage Zeit für die Erkundung der Insel und falls das Wetter keine Abfahrt erlaubt, wird man uns schon nicht gleich rauswerfen. Auf der Ile des Pins können wir auch nachtanken, letztmalig verproviantieren und uns gute Wetterinformationen besorgen, es ist ein guter Startpunkt für den letzten größeren Schlag, den wir noch segeln werden.

Blühendes Paradies mit Zauberwald und Puderzuckerstrand

Kurz vor 5 Uhr morgens lichten wir den Anker und die ersten beiden Stunden bleibt es windstill. Auf der ersten Hälfte vom Woodin Canal bis zur Insel ist die Lagune mit Untiefen gespickt. Man muss aufpassen, wo man langfährt. Wobei auch Kreuzfahrtschiffe die Route fahren können. Als gegen 7 Uhr Wind einsetzt, können wir eine Stunde lang motorsegeln, dann klappt sogar eine Stunde hoch am Wind segeln, wobei wir etwas Höhe verlieren. Schließlich lässt der Wind wieder etwas nach, so dass wir mit Unterstützung des Motors wieder mehr Höhe laufen können. Am Ende der Strecke beschert uns der Tag nochmal eine Stunde traumhaftes Am-Wind-Segeln, was auch dem Umstand, dass es in der Lagune kaum Wellen gibt, zu verdanken ist. Als wir gegen 15 Uhr in der Baie de Kuto ankommen, dem größten Ankerplatz der Ile des Pins, liegen dort nur wenige andere Segelboote, drei mit deutscher Flagge und eins mit amerikanischer.

 

Der Strand der Baie de Kuto leuchtet uns in der Abendsonne weiß-golden entgegen, umrahmt von Bäumen mit feuerroten Blüten. Der Sand des 1 km langen Strandes entpuppt sich beim ersten Landgang als reinster Puderzucker, der leicht federnd unter den Fußsohlen nachgibt. An einen so schönen Strand können wir uns auf der ganzen Reise nicht erinnern. Es mag auch daran liegen, dass wir nie nach Sandstränden gesucht haben, aber dieser Strand hier wird uns stets in Erinnerung bleiben. In der Mitte der großen Bucht steht ein einziges Hotel.

 

Beim ersten Spaziergang auf der Insel fällt uns gleich das angenehme Klima auf. Die Temperaturen auf der Ile des Pins sind noch gemäßigter als in Nouméa. Die Gärten sind grün und überall blüht es. Besonders stechen mir die großen schönen pastellrosa Trompetenblüten ins Auge, die entlang vieler Gartenzäune in langer Reihe wachsen: Amaryllis! Außerdem riesige lila Bougainvillea-Büsche, über und über mit roten Blüten leuchtende Bäume, die Natur greift auf der Ile des Pins tief in ihren Farbeimer. Kein Wunder, dass auch Kreuzfahrtschiffe dieses idyllische Fleckchen Erde gerne ihren Gästen zeigen. Ca. 100 Kreuzfahrtschiffe besuchen die Insel pro Jahr. Wir wissen nicht, wie viel Geld dieser Tourismuszweig den Bewohnern der Ile des Pins einbringt. Doch wir nehmen an, dass er eine willkommene Einnahmequelle ist. Je nachdem was er/sie hat, mag oder kann, bietet man den Kurzzeitbesuchern eine Inselausflug, einen Schnorchel- oder einen Tauchgang, einen Ausritt, ein Souvenir oder etwas zu Essen an.

Albert und Cleo betreiben eine Souvenirgeschäft, "La Boutique". Die Crew der Annamaria schickt uns mit Grüßen zu den beiden, die eigentlich schon längst im Rentenalter sind. Als Rentner würden wir sie allerdings nicht bezeichnen, denn sie arbeiten ja noch. Alfred, knapp 80, ist ein gebürtiger Schweizer und Cleo, schätzungsweise auch an die 70, stammt aus Nelson in Neuseeland. Seit vierzig Jahren leben die beiden zusammen auf der Ile des Pins. Albert bedruckt T-Shirts und Pareos von Hand mit selbst entworfenen Motiven, Cleo schmeißt den Laden, in dem neben Alberts Modeartikeln auch Bücher, Kunst und Karten angeboten werden. Die Waren, die man in der Boutique findet, haben Stil, mehr als wir es aus Souvenirgeschäften gewohnt sind. An Tagen, an denen ein Kreuzfahrer die Insel besucht, sitzt Albert im Garten vor der Boutique und wartet auf Besuch. Cleo wuselt im Haus oder im Garten rum und wenn viele Besucher gleichzeitig kommen, ruft Albert sie per Klingel herbei. An Tagen ohne Kreuzfahrer wird neue Ware hergestellt. In der Hurrikan-Saison, wenn keine Besucher kommen, verreisen Albert und Cleo. Bevor sie sich hier zusammen niedergelassen haben, war Albert Schaufenster-Dekorateur in der Schweiz und Cleo eine erfolgreiche politische TV-Journalistin. Den Journalismus aufzugeben war der Preis, den Frankreich von ihr im Gegenzug für unbegrenzte Aufenthaltserlaubnis in Neukaledonien forderte, ein hoher Preis. Obwohl sie jetzt so abgeschieden leben, haben die beiden sich Sinn für Kunst und Kultur erhalten. Auf Alberts Gartenstuhl liegt ein Heft über klassische Musik und er erzählt, dass er und Cleo jedes Jahr ca. acht Monate auf dieser Insel verbringen und die restlichen vier auf ausgedehnte Reisen gehen. Diese führen sie in die ganze Welt, oft nach Asien, doch auch nach Europa, wo sie es lieben Opernhäuser, Museen und Theater besuchen, lecker Essen gehen und die Annehmlichkeiten der westlichen Welt zu genießen.

 

Wir mögen die beiden auf Anhieb. Sie machen einen so zufriedenen, in-sich-ruhenden Eindruck. Von ihnen geht eine positive Sicht auf die Welt aus. Wenn Cleo, kurz bevor sie zum Schwimmen an den Strand geht, mit einem von Alberts kurzen Pareos über dem Badeanzug vor uns steht, ist sie eine sehr attraktive jung gebliebene Frau. Die beiden geben uns zu Denken: Wie schafft man es, diese innere Zufriedenheit zu finden und diese Ausstrahlung zu bekommen? Noch eine Aufgabe im Leben zu haben, die ihnen Freude bereitet und nicht überfordert, tut offensichtlich gut. Umgebung, Klima und eine positive Lebenseinstellung steuern das ihre fürs Wohlbefinden bei, und auf den Reisen holen sich die beiden all das, was Ihnen auf der Insel während des Rests des Jahres eventuell fehlt. Stolz führt Albert uns in den Garten zu "Albertos Ciné Club". Da es auf der Ile des Pins kein Kino gibt, hat Albert ein kleines gebaut. Eine geräumige Hütte mit weiß gestrichener Rückwand, die er mit einem Beamer, einer Anzahl von Stühlen und sogar einem Bett ausgestattet hat. Hier schauen die beiden zu zweit oder im Kreis von Freunden DVDs. Die Film-Sammlung ist groß. Im Ciné Club hängt auch ein Plakat, auf dem Albert als junger Mann abgebildet ist. Auch darauf ist er stolz, ebenso wie auf seine eigene DVD, denn früher betrieb er eine Tauchschule auf der Ile des Pins.

 

Außer der Boutique gibt es in Kuto zwei kleine Lebensmittelläden, die im Wesentlichen haltbare Lebensmittel, also Konserven, Tiefkühlkost, Kekse, Chips u.ä. anbieten. Aber man bekommt auch Milch, Fruchtsaft, Obst und Gemüse und nicht zu vergessen frisches Baguette. Der erste Laden liegt etwa einen Kilometer zu Fuß von der Bucht entfernt, zum zweiten, der uns besser gefällt als der erste, sind es 2 km zu laufen.

 

Die Insel ist nicht klein, stellen Joachim und ich spätestens fest, als wir zu Fuß zum 6 km entfernten Hauptort Vao wollen. Wir brauchen nochmal Geld und nur dort gibt es einen Geldautomaten. Der Kilometer bis zur Hauptstraße vor, der durch den "Zauberwald" führt, ist prachtvoll. Die Hauptstraße dagegen ist langweilig, es gibt nichts zu sehen, nur Autos, die in hoher Geschwindigkeit an uns vorbei fahren. Daher sind wir froh, als uns der Fahrer eines kleinen Hotel-Busses mitnimmt. In Vao gibt es außer der Kirche nicht viel zu sehen. Oberhalb der Kirche lockt ein Aussichtspunkt. Und da wir es per Auto nach Vao geschafft haben, laufen wir zu den beiden nahe gelegenen Ausflugszielen Baie de Saint Maurice und Baie de Saint Joseph. Besonders die vielen handgeschnitzten Totems in der Baie de Saint Maurice wecken unser Interesse. Kreisförmig und das Denkmal für die Missionare aufgestellt, bewachen sie eine Christusstatue. Ein zum Wasser hin aufgestellter Riegel aus Totems verhindert wahrscheinlich das Eindringen feindlicher Kräfte von See aus. Wobei, gesichert sind unsere Interpretationen nicht. Wir sollten Cleo dazu befragen, aber das Vorhaben geht leider in anderen Aktivitäten unter. Auch für den Rückweg von Vao nach Kuto finden wir jemanden, der uns im Auto mitnimmt. Die Leute hier sind nett, auch wenn Emanuel das anders sieht.

 

Eigentlich müssten wir ja schon lange abreisen, aber es geht nicht, der Wind kommt stets aus der falschen Richtung oder es gibt gar keinen. Auch Wetterfrosch Winfried von der Annamaria sieht keine Chance die Ile des Pins zu verlassen. Den örtlichen Polizeiposten scheint unsere Anwesenheit nicht zu interessieren, also warten wir einfach und schauen, was wir sonst noch auf der Insel tun können. Zum Beispiel auf den Pic N'ga wandern. Der 262 m hohe Berg bietet großzügigen Ausblick über die grünbewaldeten Höhenzüge der Insel und gibt an drei Seiten Blicke in die Lagune frei. Es ist ein wenig wolkig, als wir ganz oben ankommen. Zum Hochlaufen war das sehr angenehm, da es meist keinen Schatten gibt. Wenn ein Sonnenstrahl es schafft, an den Wolken vorbei auf einen der Sandstrände einer vorgelagerten Insel zu fallen, leuchtet dieser wie Weißgold und das Wasser drum herum wie Aquamarin. Wunderbar! Zum Pic N'ga und zurück kann man von Kuto aus bequem laufen, für andere Ausflüge zu weiter entfernten Zielen, braucht man ein Auto. Doch ein Mietwagen lässt sich nicht auftreiben, alle vorhandenen Autos sind für die kommende Woche ausgebucht.

Wir fragen Cleo und Albert, ob sie einen Tipp für uns haben. Cleo hat eine bessere Idee. Sie empfiehlt uns die Piroggen-Tour durch die Baie de Saint Joseph und zeigt uns Fotos in einem Buch, das es in der Boutique gibt. Das Wasser in dieser unter UNESCO Schutz stehenden Bucht ist ganz flach und gespickt mit pilzkopfförmigen Felsen, wie wir sie bislang nur auf Fotos aus Fidschi gesehen haben. "Die zweistündige Fahrt mit einer Pirogge durch diese Landschaft ist grandios. Am Ende der Boots-Tour lauft Ihr eine halbe Stunden lang durch einen lichten Wald bis Ihr auf einen Fluss trefft. Dem Flusslauf ein kurzes Stück bergab folgend kommt Ihr zum "Piscine Naturelle", dem "natürlichen Schwimmbad" in der Baie d’Oro. Dort könnt Ihr ganz toll baden. Nehmt am besten Eure Schnorchelausrüstung mit, es lohnt sich. Von Baie d‘Oro zurück nach Kuto braucht Ihr eine Fahrgelegenheit, doch es gibt sicher ein Taxi oder einen Shuttlebus zu den Hotels. Alles zusammen kostet in etwa soviel wie ein Mietwagen für einen Tag und auf diesem Ausflug erlebt Ihr sicher mehr." Das klingt prima, das machen wir!

 

Cleo bietet an, uns morgens zum Start der Piroggentour zu bringen, wenn sie ohnehin zum Markt nach Vao fährt. Und sie hält Ausschau nach einem bestimmten Bootsführer. Sie findet ihn auf dem Fahrrad radelnd. Ja, er hat noch 2 Plätze auf seiner Pirogge frei. Es wird ein herrlicher Ausflugstag, am besten schaut Ihr Euch die Fotos in der Bildergalerie an. Insgesamt fahren ca. 8 bis 10 Piroggen an diesem Morgen die Ausflugstour. Die dreieckigen Lateiner-Segel zwischen den vielen kleinen Felsen in glasklarem Wasser ergeben ein tolles Bild. Nur ein Teil der Strecke wird wirklich gesegelt, der Rest wird mit Hilfe eines kleinen Außenborders zurückgelegt. Joachim fällt auf, dass der Außenborder nicht mittig an der Pirogge montiert ist, was ihm hinsichtlich der Steuerungseigenschaften nicht ganz einleuchtet. Aber es funktioniert. Das Wasser im Natur-Schwimmbad ist herrlich und die Fische die darin schwimmen sind bunt, wie immer in den Tropen. Die ganze Horde der Piroggen-Ausflügler belagert das von Pinien gesäumte Ufer, andere Besucher sind mit dem Auto in die Baie d‘Oro gekommen. Als wir eintreffen sind die Schattenplätze unter den Pinien in der ersten Reihe schon alle belegt, aber auch die zweite Reihe ist noch schön. Und eine Rückfahrtgelegenheit ist am Ende des Nachmittags auch schnell gefunden. Danke, Cleo, für den prima Tipp!

 

Das gesellige Leben mit anderen Seglern setzt sich auch auf der Ile des Pins automatisch fort. Es gibt Einladungen und Gegeneinladungen, zu Kaffee, Sundowner und Dinner. Mit Priska und Tobias verbindet uns der Umstand, dass auch die beiden sich nur begrenzt Zeit zum Segeln gegeben haben und dass sie ihr Schiff verkaufen müssen, bevor sie in die Schweiz zurückkehren. Sie sind ca. 10 Jahre jünger als wir und machen eine einjährige Reise von Panama nach Neuseeland. Joachim interessiert sich für neuerdings für Möbelschreinern und findet in Tobias den perfekten Gesprächspartner, denn genau das ist Tobias‘ Beruf. Wie einem das Universum doch so oft genau die richtigen Leute schickt…! Je öfter wir uns treffen, desto herzlicher wird das Verhältnis. Schade, dass die beiden schon im Januar Neuseeland verlassen wollen. Es wird langsam frustrierend, dass wir nette Leute, die wir kennenlernen fast immer gleich nach dem Kennenlernen wieder aus den Augen verlieren!

Alle warten auf das richtige Wetterfenster

Pagena, Toskuma und Atlantis werden langsam ungeduldig, was das Wetter angeht. Wir sind nun schon 10 Tage auf der Insel und so idyllisch es auch ist, vor dem Buchstaben des Gesetzes sind wir illegal hier und wir würden langsam wirklich gerne nach Neuseeland kommen. Wir nehmen jeden Tag am Annamaria-Funknetz teil, hören uns Winfrieds Sicht auf das Wettergeschehen an und schauen uns danach die Wettervorhersagen von Wetterwelt.de, Passageweather.com und von grib.us an. So entdecken wir schließlich ein Wetterfenster, das es uns erlauben könnte, nach Neuseeland zu segeln. Wir bereiten uns für den Törn vor, die anderen Segler wollen noch bleiben. Winfried hält die Wetterlage für instabil und nicht unbedingt geeignet, doch unserer Erfahrung mit den Vorhersagedaten der drei genannten Anbieter nach teilen wir seine Ansicht nicht und beschließen abzufahren. Nachdem Joachim früh morgens zusammen mit Priska Brot kaufen gegangen ist und unsere letzten Polynesischen Francs unter die Leute gebracht hat, passiert etwas, was wir noch nie zuvor erlebt haben: Obwohl wir mit allem fertig sind fällt es uns heute enorm schwer den Anker zu heben und los zu segeln. Es ist, als ob eine innere Stimme uns davon abhalten will. Unabhängig von einander haben wir beide kein gutes Gefühl beim Gedanken daran abzufahren. Obwohl wir beide genügend Schlaf hatten, sind wir energielos und schlapp, wir haben keine Ahnung warum. Werden wir etwa krank? Wir nehmen das als Zeichen und brechen ab. Heute segeln wir doch nicht los, vielleicht morgen.

 

Doch die Tage darauf verschlechtern sich die Segelbedingungen, wieder keine Chance loszukommen. Jeden Tag verbringe ich mindestens eine Stunde damit die Wettervorhersagen intensiv zu studieren. Es weht viel öfter Südost, als wir es erwartet hatten. Es hieß doch immer, dass das Wetter hier unten aus Westen kommt, aus der Tasman-See. Prinzipiell stimmt das auch. Die Tasman-See produziert regelmäßig Tiefs, die nach Osten abwandern. Die meisten laufen allerdings brav an die Südspitze Neuseelands ab, ohne Auswirkung auf Neukaledonien. Hier bläst nach wie vor der Südost-Passat. Oder es ist gänzlich windstill.

 

Sollen wir vielleicht mit Südost im Segel nach Südwesten segeln und dann mit einem anrollenden Tief wieder Ost gutmachen, rätseln wir. Aber damit ist Risiko verbunden, es ist nicht gesagt, dass wir mit dieser Strategie auf die Ostseite der Nordinsel Neuseelands kommen. Und mit dieser Törn-Planung wären wir vermutlich 10 Tage lang unterwegs, müssten also doch das Risiko eines bei Abfahrt nicht absehbaren Sturms in Kauf nehmen. Abgelehnt. Eine andere oft bewährte Strategie ist, mit einem guten Wetterfenster nach Norfolk zu segeln, einer zu Australien gehörenden Insel, die etwa auf halbem Weg liegt und dort auf das nächste passende Wetterfenster zu warten. Diese Option gefällt uns aber auch nicht besonders, denn um Norfolk herum gibt es keine gut geschützten Ankerplätze, für einen Landgang bräuchten wir ein australisches Visum und wieder müssten wir Sturmrisiko in Kauf nehmen. Nein, wir wollen in einem Stück durchsegeln und irgendwann wird auch das mal wieder gehen.

 

Auch Atlantis und Toskuma wollen los sobald es geht. Die Annamaria ist noch immer in Nouméa. Täglich hören wir in der morgendlichen Funkrunde, wie Winfried und Ute Yachten auf dem Weg von Tonga und Fidschi nach Neuseeland begleiten, die alle recht gute Bedingungen haben. Dann plötzlich taucht Ostwind in den Vorhersagen auf, allerdings zu kurz, um damit weit genügend weit gen Süden segeln zu können. Da der Ost mit bis zu 30 Knoten vorhergesagt ist, wird unser Ankerplatz ungemütlich. Der Wind wird Schwell in die Bucht hinein drücken, der vom Ufer zurück gespielt wird. Auf einem im Schwell aus zwei Richtungen rollenden Schiff leben – sehr, sehr ungemütlich! Zum Glück kann man auch auf der anderen Seite der Halbinsel, in der Baie de Kanumera prima ankern, in der man durch die Landzunge vor dem Schwell geschützt ist. Wir ziehen um!

 

Die Baie de Kanumera ist ebenfalls traumhaft schön. Ein großer Pilzkopf steht im hinteren Drittel der Bucht und man kann hier wunderbar schnorcheln. Ich sehe sogar eine schwarz-weiß geringelte Seeschlange. Als der Wind nach einem Tag wieder abflaut bleiben wir in der Baie de Kanumera liegen und genießen die Abwechslung hinsichtlich der Aussicht. Toskuma ist mit uns umgezogen und liegt ganz in der Nähe. Die Atlantis, ein sehr schwere Stahlschiff ist in der Kuto Bucht liegen geblieben und fand das Wetter halb so wild. Pagenas in Nouméa zuletzt gut gesäubertes Unterwasserschiff zeigt schon wieder Bewuchs. Wir unternehmen eine weitere gründliche Reinigung, denn Neuseeland fürchtet sich vor eingeschleppten Spezies und verlangt saubere Unterwasserschiffe. Eine anstrengende Arbeit, zum Glück ist unser Schiff nicht so lang und hat nur einen Rumpf. Mittlerweile haben Joachim und ich eine andere Wetterstrategie ausgeklügelt. Wir haben vor, die Ile des Pins auch dann zu verlassen, wenn kein Segelwind herrscht. Wir können ca. die Hälfte der Strecke nach Neuseeland motoren und müssen nur den Zeitpunkt der Abfahrt so wählen, dass wir spätestens auf der Höhe von Norfolk auf segelbaren Wind treffen. Es sieht so aus, als ob übermorgen eine entsprechende Wetterlage eintreffen wird.

Als wir gerade vollkommen geschafft von der Putzaktion sind, erhalten wir die Nachricht, dass wir – und alle anderen Boote, die sich schon zu lange auf der Ile des Pins aufhalten - in Nouméa angezeigt worden seien. Die Coast Guard sei in Kürze auf dem Weg zu uns. Die Auskunft entpuppt sich als unwahr, dennoch sind wir jetzt endgültig nervös. Kurz überlegen wir, sofort abzureisen. Aber das würde einen Tag unter Motor mehr bedeuten und dann würde der Dieselvorrat wohlmöglich knapp. Wir bleiben dabei: Übermorgen fahren wir los, nach 3 Wochen auf der Ile des Pins. Toskuma will uns folgen, allerdings mit einem Tag Verzögerung und die neuseeländische Yacht Te Moana Nui ebenfalls. Nachdem wir die neuseeländischen Behörden per email von unserem Kommen informiert haben, lichten wir am Freitag, den 22. November den Anker. Neuseeland, wir kommen jetzt wirklich!

 

An 65 Stunden der ersten drei Tage schiebt uns Pagenas Motor dem Ziel entgegen, dann kommt das erste Mal segelbarer Wind auf, der länger als ein paar Stunden hält. Nordnordwest, hervorragend für unsere Segelrichtung geeignet, allerdings mit nur 2 bis 3 Windstärken. Jetzt sind wir froh, dass wir ein leichtes Schiff haben, das auch mit wenig Wind schon segelt. Mit Groß und Gennacker holen wir aus der leichten Brise 100 Seemeilen pro Tag raus, das soll uns mal einer nachmachen. Aber nach etwas mehr als 24 Stunden flaut die Brise schon wieder so weit ab, dass wir die Maschine wieder mitschieben lassen müssen, wenn wir Strecke machen wollen. Aber bald müssen wir wirklich segeln, wir können nicht die gesamte Strecke nach Neuseeland durch motoren. Und eine ordentliche Spritreserve für den letzten Segeltag und die Ansteuerung nach Opua durch die lange Bay of Islands wollen wir in jedem Fall im Tank behalten.

 

Sollen wir vorsichtshalber zum Nachtanken nach Norfolk segeln? Würden wir da Sprit bekommen, wenn wir ohne Visum nicht an Land gehen dürfen? Gibt es jemanden, der einem Sprit an den Ankerplatz liefern würde? Zum dumm, keiner der vielen Revierführer an Bord gibt dazu Auskunft. Wie viel Zeit müssten wir für einen Tankstopp wohl einplanen? Wenn wir Norfolk anlaufen, wollten wir uns dort so kurz wie möglich aufhalten. Bei unserer Abfahrt von der Ile des Pins sah es so aus, als würde ein kräftiges Tief von Australien her anrücken. Es befindet sich noch außerhalb des Gebiets, für das wir Grib-Daten beziehen, aber wir denken, dass uns gerade die Vorläufer des Tiefs den Nordnordwest gebracht haben. Wir sollten schauen, dass wir so schnell wie möglich nach Opua oder Whangarei kommen. Kann man also gegebenenfalls einen Tankstopp vororganisieren? Wir schicken unserem Freund Hans von der Onyx, der schon in Neuseeland angekommen ist, ein email und fragen, ob er was für uns rausfinden kann. Vielleicht sind in Whangarei schon einige der Segler, die seit Jahren zwischen Neuseeland und der melanesischen Inselwelt hin- und herpendeln. Die können am ehesten Auskunft geben.

 

Es ist ungemein praktisch, dass wir jederzeit emails versenden und empfangen können. Bis Hans Antwort eintrifft, hat wieder Wind eingesetzt. Jetzt kommt er aus Südwest und er soll zuzunehmen. Für ein paar Stunden setzt Joachim nochmal den Gennacker. Als der Wind zunimmt, wird der Druck im Segel zu stark und wir bergen den großen Roten. Jetzt herrschen traumhafte Segelbedingungen und Pagena läuft unter Groß und Genua meist um die 6 Knoten. Aufgrund der vorangegangenen sehr ruhigen Tage ist auch die See sehr ruhig, wir haben höchstens einen Meter hohen Schwell und die einzelnen Wellen sind ganz langezogen. Sehr angenehm! Das ist Segeln vom Feinsten und wir genießen die letzten Tage auf dem Ozean in vollen Zügen. Täglich wird es kühler, wir spüren förmlich, dass wir uns Meile um Meile vom Äquator entfernen. Im Cockpit ziehen wir jetzt schon was Langärmeliges an und die langen Hosen werden auch wieder aus den Tiefen der Schapps hervorgekramt. Im Logbuch verzeichnen wir erfreuliche 144 bzw. 147 Seemeilen pro Tag. So – genau so – hatten wir uns den optimalen Törn nach Neuseeland vorgestellt!

Auch während des Törns nehmen wir jeden morgen am Annamaria-Funknetz teil. Es ist das erste deutschsprachige Netz das uns gefällt. Winfried – den wir unter uns stets "Wind-fried" nennen - und seine Frau Ute versorgen alle Yachten, die von irgendwo im Westpazifik nach irgendwo im Westpazifik unterwegs sind und sich morgens bei Eröffnung des Netzes melden, mit Wetterdaten und moralischer Unterstützung. Sie selbst kennen alle Ecken des Reviers, da sie seit 10 Jahren von Neuseeland aus die gesamte Inselwelt des Westpazifiks besucht haben. Teilnehmer melden sich von Tonga bis Australien und von den Solomonen bis Neuseeland. Für jede einzelne Yacht bereiten Ute und Winfried täglich eine individuell auf Standort, Route und Durchschnitts-Etmal zugeschnittene Wettervorhersage vor. Eine Wahnsinnsarbeit, für die sie jeden Morgen um 5 Uhr aufstehen, damit sie um 7 Uhr vorbereitet sind, wenn Winfrieds Stimme wieder mit den Worten "Ist denn schon jemand auf Frequenz?" über den Äther geht. Auch englischsprachige Yachten sind auf dem Annamaria-Netz willkommen. Die Te Moana Nui meldet sich jeden Morgen erst dann schüchtern, wenn Winfried, nachdem er mit allen deutschen Seglern gesprochen hat, ein letztes Mal fragt: "Ist sonst noch jemand auf Frequenz?" Und für eine Crew, die selbst nicht senden, wohl aber zuhören kann, koppelt er den ungefähren Standort mit und gibt die Wetterinfos blank durch. Leute wie Winfried und Ute sind wahre Goldschätze für die Seglergemeinde! Auch wenn man die anderen Yachten nicht sieht, sind sie im Netz jeden Morgen präsent. Winfried und Ute scharen sie wie eine große Familie um sich, deren Mitglieder sich gegenseitig unterstützen und Freud und Leid miteinander teilen. Wenn die Empfangsbedingungen wetterbedingt nicht so gut sind, dass Winfried alle Yachten selbst erreichen kann, geben andere Segler Relais. Ich übernehme oft ein Relais zur Te Moana Nui, die sich stets in unserer Nähe befindet, da die Annamaria aus dem Mastenwald der Port Moselle Marina heraus keine optimalen Sendebedingungen hat. Winfried und Ute sind noch immer in Nouméa, lassen das Netz aber wissen, dass sie bis 1. Dezember die Marina verlassen müssen, wenn die Hurrikan-Saison offiziell beginnt und alle verfügbaren Liegeplätze an Dauermieter vergeben sind. Wir glauben, alle regelmäßigen Netzteilnehmer sind gespannt, wann Winfried und Ute selbst endlich Segel setzen.

 

Am sechsten Segel-Tag, als wir noch ca. 150 Seemeilen von der Nordspitze Neuseelands entfernt sind, hören wir, wie ein Patrouillen-Flugzeug erst die Te Moana Nui und dann die Toskuma ruft. Sie wollen wissen, wie viele Personen an Bord sind, wer der Skipper ist, wo der Abfahrtshafen war, wann dieser verlassen wurde und wann die Yacht wo ankommen wird. Tobias, bekommt erstmal nicht mit, dass er gemeint ist, als die Yacht, die auf Position "sowieso" steht, gerufen wird. Später erzählt er uns, dass er ganz fasziniert von dem imposanten Flugzeug, das so niedrig über Toskuma wegflog, im Cockpit stand und dem Piloten zusammen mit Priska zuwinkte. Als der Pilot eine Runde drehte und nochmal Toskuma ansteuerte, dämmerte ihm, dass er den Ansagen auf Kanal 16 mal besser genau zuhören sollte. Hihi – wie lustig J Und Joachim weiß jetzt, wie schnell ein Flugzeug fliegt. Denn es war ja abzusehen, dass wir als nächstes Besuch bekommen. Da Toskuma zu diesem Zeitpunkt etwa 60 km von uns entfernt ist, denkt er, er habe noch 10 bis 15 Minuten Zeit, um irgendetwas zu erledigen. Doch schon eine Minute später werden auch wir gerufen. Von uns kennen die Herren schon den Schiffsnamen, entweder aus den AIS Daten, die Pagena sendet, oder einfach vom Rumpf abgelesen. Da wir die Fragen der Herren ja schon kennen haben wir alle Daten sofort parat, nur bezüglich unseres Zielhafens sind wir uns gerade nicht sicher. Da das Segeln momentan so gut läuft, eruieren wir gerade, ob wir nicht gleich bis Auckland durchzusegeln können, statt in die Bay of Islands. Wir fragen daher, ob wir unseren Ankunftspunkt ggf. kurzfristig ändern dürfen. "Ja, kein Problem. Sagen Sie nur 12 Stunden vor Ankunft Bescheid, egal wo sie ankommen" werden wir aufgeklärt. Gleich darauf ist der Blechvogel am Horizont verschwunden.

Kurz nach dem Besuch der Coastguard trifft ein email aus Auckland ein. Die Marina, in die wir gerne gehen würden, hat keine Plätze frei. Und die mit demselben Datenabruf erhaltenen Grib-Daten zeigen, dass der Wind in Kürze auf Süd drehen und mit bis zu 30 Knoten die Ostküste der Nordinsel hoch fegen wird. Schnell haben wir kalkuliert, dass wir es sehr wahrscheinlich nur bis 20 Seemeilen vor Auckland schaffen würden und uns auf der Reststrecke jede Meile hart gegen den Wind erkämpfen müssten. Da das noch nicht mal mit einem attraktiven Liegeplatz belohnt würde, stirbt der gerade erst geborene Auckland-Plan wieder. Wir segeln doch, wie ursprünglich geplant, nach Opua, in die schöne Bay of Islands. Bis Nachmittag an Tag 7 schaffen wir es nicht mehr Opua zu erreichen, aber früh morgens an Tag 8. Brav melden wir uns 12 Stunden vor Ankunft über Kurzwelle bei Maritime Radio und nochmal als wir noch eine Stunde von Opua entfernt sind. Genau so wollen die Behörden es haben, und auch wenn wir nicht verstehen, warum sie insgesamt vier Mal dieselbe Auskunft haben wollen, nehmen wir es als gegeben hin. Am 30. November machen wir um 07:22 Uhr an Opuas Quarantänesteg fest.

 

Hurra, wir haben es geschafft, wir sind in Neuseeland. Am anderen Ende der Welt! Und auch dieser Törn ist ein gelungener geworden. "Grandios" freuen wir uns und fallen uns in die Arme. "Zwick mich", sind wir wirklich hier? Das war vermutlich die letzte Ozeanpassage, die wir auf dieser Reise segeln. Ab jetzt kommt vielleicht noch etwas Küstensegeln, je nachdem, wo hin es uns letztlich in Neuseeland ziehen wird. Von Neukaledonien haben wir leider kaum was gesehen, aber die Lagune und die Loyalität-Inseln sind definitiv ein Ziel für zukünftiges Segeln, das wir uns merken werden. Wenn es von Deutschland aus doch nur nicht so weit weg wäre…

Anhang: Noch ein paar Hintergrundinfos zu Neukaledonien

Von 1946 bis 2003 war Neukaledonien Französisches Übersee-Territorium (territoire d’outre-mer, TOM), davor französische Kolonie. Melanesische Volksstämme leben seit mindestens 3.000 Jahren hier. Seit der Änderung der französischen Verfassung vom 28. März 2003 ist die Inselgruppe eine zu Frankreich gehörige Überseegemeinschaft mit besonderem Status. In den Jahren zwischen 2014 und 2019 muss ein Volksentscheid abgehalten werden, in dem die Einwohner entscheiden, ob die Inselgruppe weiterhin unter der Territorialhoheit Frankreichs bleiben soll oder unabhängig wird.

 

Neukaledonien ist ein Hot-Spot des Artenreichtums, 75 % der 3.250 verzeichneten Pflanzen sind endemisch. Das Korallenriff ist UNESCO Weltkulturerbe. Im Süden von Grand Terre grenzt allerdings das Bergbaugebiet Goro, in das 4.5 Billion US Dollar investiert wurden, direkt an die Lagune mit ihrem fragilen Ökosystem an. Neukaledonien verfügt über 10-20 % des gesamten Nickel-Vorkommens weltweit. Die Minen befinden sich in französischer, kanadischer, brasilianischer und japanischer Hand. Die Umweltauflagen Neukaledoniens sind lax, was gut für’s Investitionsklima ist. Entsprechend sind die Eingriffe in die Ökosysteme der Insel durch den Bergbau stellenweise erheblich. Dem Tourismus, dem zweiten großen Wirtschaftszwei Neukaledoniens schadet das nicht, denn die Touristen bekommen davon nichts mit. Vor allem Japaner reisen nach Neukaledonien. Ein Film hat die Insel Ouvéa als Paradies für Honeymooner bekannt gemacht. Rund ein Drittel des neukaledonischen Bruttoinlandsprodukts sind allerdings finanzielle Zuschüsse des französischen Mutterstaats.

 

Die tiefgreifenden Kontroversen Neukaledoniens bleiben den meisten Besuchern verborgen und auch wir kratzen nur an der Oberfläche. Früh fällt uns auf, dass wir inNouméa so gut wie keinen Kanaken begegnen. "Kanaka" ist das hawaiianische Wort für "Mensch", und "Kanake" hat hier nicht die herabsetzende Bedeutung, die das Wort im deutschen Sprachgebrauch i.d.R. hat. Jedenfalls nicht, wenn es von den Ureinwohnern Neukaledoniens als Name für ihre Volksgruppe benutzt wird, die sich selbst als Kanaky bezeichnen. Im Mund der Weißen kann die Bedeutung schon einen negativen Unterton bekommen, denn seit Jahrzehnten gibt es tiefsitzende Konflikte zwischen den Nachfahren der weißen Siedler und den Kanaky. Die Geschichte Neukaledoniens ist verworren, mal wurden dem Staat weitgehende Freiheitsrechte eingeräumt (nach dem 2. Weltkrieg), dann wurden sie ihm wieder entzogen. Fakt ist, dass Frankreich Unsummen in Neukaledonien investiert. Ein Großteil wandert in die Löhne und Gehälter, die die Staatsdiener beziehen. Eine negative Auswirkung dessen ist, dass das Leben in Neukaledonien teuer ist (wir finden es hier teurer als in Französisch Polynesien), was es für Leute mit geringen oder gar ohne Einkommen schwierig macht zurecht zu kommen. Aber auch den kanakischen Eliten kommen beträchtliche Transferleistungen zugute. Die Franzosen, sowohl die hier als auch die in Europa lebenden, erwarten von den Kanaky eine gewisse Dankbarkeit für die ganzen Leistungen, die sie einfach in Anspruch nehmen können. Wenn wir uns recht erinnern beziehen kanakische Dörfer z.B. kostenlos Strom, es gibt überhaupt ein Stromnetz, Straßen, Telefonleitungen, Wasserleitungen, Sozialbehörden und das Gesundheitssystem versorgt auch alle Neukaledonier.

 

Allerdings haben die Kanaky kaum Anteil an der Wirtschaft, in Nouméa begegnen uns fast ausschließlich Weiße. Anders als in Vanuatu und als in Samoa gibt es kaum Geschäfte, die von Kanaky geführt werden, man sieht sie nirgends in einer Bäckerei, einem Supermarkt oder einem Souvenirladen. Allenfalls ein von Kanaken geführtes Restaurant, das die Nationalspeise Bougna serviert, lässt sich finden. Die 20% Arbeitslose in Neukaledonien sind fast ausschließlich Kanaken. Neukaledonien ist ein Anachronismus der Kolonialzeit. Frankreich geht es aber nur um eins, den Erhalt seiner Macht im Pazifik.

 

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