6. Mai - 8. Juni 2012, Fünf Wochen Blauwassersegeln im Pazifik

Nachdem wir uns in San Cristobal ein letztes Bad mit den Seelöwen gegönnt, Wasser und Diesel besorgt, nochmal Wäsche gewaschen, Lebensmittel und bergeweise Süßigkeiten und Chips für die Nachtwachen gekauft haben, nehmen wir Abschied von Galapagos und segeln los Richtung Marquesas, den östlichsten Inseln Französisch Polynesiens. Dreitausend Seemeilen liegen vor uns, wir rechnen mit gut vier Wochen Überfahrt.

 

Letztes Ziel in Galapagos ist die kleine Isla Tortuga, ein sichelförmiger Felsen vor Isabela, Überbleibsel eines versunkenen Vulkans, von dem nur noch die Hälfte der Caldera aus dem Wasser schaut. Es soll die am meisten fotografierte Insel sein, haben wir irgendwo gelesen. Wir treffen fast ein bisschen früh ein, die Sonne beginnt gerade erst zu steigen und ein Großteil des Felsens liegt noch im Schatten. Vom Wasser aus gesehen wirkt die Sichel weniger spektakulär als wir dachten. Richtig, was wir als Bild im Kopf hatten waren Luftaufnahmen. Und irgendwie sah die Sichel da auch etwas weniger offen aus. Haben wir eine falsche Erinnerung oder war Photoshop mit im Spiel? Sei's drum, jetzt haben wir auch noch Tortuga gesehen und nehmen schließlich Kurs Süd, wir wollen ja in die Südsee!

Routenplanung auf dem Ozean: Die Qual der Wahl

Einige Grad unterhalb unseres Standorts dehnt sich ein größeres Gebiet nach Westen aus, das laut Jimmy Cornell, dem Papst aller Fahrtensegler was Routenplanung angeht, häufig instabiles Wetter hat und das er deshalb zu umfahren empfiehlt. Aber die Wetterinformationen, die uns Wetterwelt aus Kiel für dieses Gebiet schickt, sehen gar nicht übel aus. Wir beschließen, den aktuellen Wetterinformationen zu vertrauen und legen unseren Kurs mitten durch. Sieht aus als hätten wir einfach mal wieder Glück mit dem Wetter. Die nächsten Tage haben wir nicht viel zu tun und sind auch nicht besonders unternehmungslustig. Die vielen Eindrücke von Galapagos müssen erst verdaut werden und in unserer Erinnerung sacken.

Begegnungen mit Himmelsbewohnern…

Wie wir von einem Rotfuß-Tölpel auf dem Törn von Panama nach Galapagos auf ungewöhnliche Tierbegegnungen eingestimmt wurden, werden wir jetzt von drei Rotfuß-Tölpel-Jungvögeln verabschiedet. Sie fliegen ganze zwei Tage mit uns mit. Einer der drei traut sich, bei uns an Bord zu übernachten. Er landet kurz vor Sonnenuntergang auf dem Bugkorb und hockt da seelenruhig die ganze Nacht, wie schon sein Verwandter auf dem Geräteträger. Da vorne schaukelt es ganz ordentlich, wir sind erstaunt, dass der Vogel sich mit seinen "Flossenfüßen" so gut halten kann und ihm die Wellen nichts ausmachen. Die anderen beiden Jungvögel sind weniger wagemutig und bleiben in der Luft. Am nächsten Tag sehen wir unseren Gast am Vormittag noch um Pagena herum fliegen, nachmittags ist er dann weg. Zusammen mit seinen beiden Kumpanen kreuzt er aber wieder auf, offensichtlich hat es ihm bei uns gut gefallen. Immer wieder nehmen diesmal alle drei Anlauf, sich ein Plätzchen an Deck zu suchen, doch sie sind zu spät dran, es ist schon dunkel. Sie haben uns wohl zu spät wiedergefunden. Auffällig oft umkreisen sie Pagenas Mastspitze. Einer der drei Ganoven wird doch nicht auf die Idee kommen, sich auf unseren Verklicker dort oben zu setzen? Das Gewicht des Vogels würde die fragile Konstruktion des Windanzeigers sicher verbiegen, das wäre schlecht. Um kein Risiko einzugehen, schalten wir die Dreifarbenlaterne im Maststopp aus und stellen auf Bug-, Heck- und Dampferlicht um. Ohne Licht im Dunklen bleiben die drei Vögel in der Luft und kreisen weiter ums Schiff herum. Meine ganze Wache über höre ich sie mit ihren Schnäbeln klappern. Anderntags entdecken wir, was sie des Nachts haben fallen lassen. Die drei haben so was wie "Triff ins Schwarze" gespielt, denn auf mehreren Luken haben wir Spuren von Tölpel-Kot. Gottseidank waren die bei Nacht geschlossen. So gerne wir die Vögel auch mögen, ihre Hinterlassenschaften wegzuputzen ist wenig erbaulich.

… und Meeresbewohnern

In den Weiten des Pazifik sehen wir täglich große Schwärme fliegende Fische. Ab und zu verirren sich des Nachts wieder ein paar zu uns an Deck, aber lange nicht so viele und so oft wie auf dem Atlantik. Häufiger als fliegende Fische finden wir jetzt morgens kleine Kalmare an Deck. Sie schießen nachts bis zu anderthalb Meter hoch aus dem Wasser, in dem sie einen Wasserstrahl aus ihrem Körper heraus quetschen. Und welcher Kalmar kann schon damit rechnen, dass ihm dabei ein Schiff in die Quere kommt. Die fliegenden Fische hören wir ja manchmal an Deck klatschen und können sie noch retten. Die Kalmare dagegen landen lautlos. Uns bleibt nichts anderes übrig als die gummiartigen Leiber mit großen Augen am nächsten Tag als Leichen einzusammeln. Einen Kalmar, der noch einen recht frischen Eindruck macht, setzt Joachim versuchsweise als Angelköder ein, aber das bewährt sich nicht, wir verlieren ihn gleich wieder vom Haken. Also angeln wir wie immer mit unseren kleinen Gummi-Kalmaren. Als erstes beißt eine kleine Makrele auf unseren Köder, mit dem wir eigentlich Thunfisch fangen wollen.

 

Eines Vormittags erblicke ich einen Schatten in Pagenas Kielwasser. Ein großer Fisch folgt uns, was mag das wohl für einer sein? Ich rufe Joachim, der den Schatten ebenfalls sieht. Gemeinsam beobachten wir die schlangenartige Schwimmbewegung, die der Fisch macht. Sind es nicht Haie, die sich so bewegen? Einen kurzen Moment kommt er nahe an die Wasseroberfläche und eine Rückenfinne blitzt kurz aus dem Wasser auf. Ja, das könnte ein Hai sein. Kein sehr großer, aber immerhin. So was! Nach wenigen Minuten ist er aber wieder weg, offensichtlich war Pagena nicht interessant für ihn. Mir ist das ganz recht, denn einen Hai in der Nähe zu wissen fühlt sich doch etwas komisch an, selbst wenn ich genau weiß, dass nichts passieren kann.

Erschwerte Vorratshaltung in den Tropen

Die Planung "was essen wir heute, was muss am ehesten weg, was hält sich noch länger und was ist beim Angeln dazu gekommen und muss verarbeitet werden" wird zu einer zentralen täglichen Aufgabe während des Törns. Fisch schmeckt frisch einfach am besten und in den Tropen reift und gammelt Obst und Gemüse schnell. Obwohl wir schlaue Bücher dabei haben, in denen drin steht, was sich wie lange unter welcher Aufbewahrungsbedingung hält, durchlaufen wir seit Monaten eine Lernkurve. Alle kritischen Lebensmittel an Bord regelmäßig zu kontrollieren ist unvermeidliche Pflicht.

 

Und dann sind da noch die noch nicht einmal stecknadelkopfgroßen Rüsselkäfer, die sich an eigentlich unverderblichen Lebensmitteln laben, mit Vorliebe an Nudeln. Das erste Mal haben wir wohl welche in einer Packung Nudeln auf den Kapverden mitgekauft. Folientüten durchbohren Rüsselkäfer problemlos und es ist eigentlich nur eine Frage der Zeit, wann und wo man sich diese Pest an Bord holt. Sie sind nicht giftig, dennoch ekeln wir uns vor ihnen. Eigentlich dachten wir, wir hätten alle Tüten entsorgt, in denen es krabbelte, hätten den Großteil der Nudeln sicher in PET-Flaschen und Vorratsdosen untergebracht und alle neu hinzugekommenen Tüten vor dem Kauf argwöhnisch genug begutachtet. Doch auf einmal krabbelt wieder ein kleiner Käfer Joachims Bein hoch. Also betreiben wir zwangsläufig Ursachenforschung und entdecken wieder mal vier Pakete Vollkorn-Nudeln, die befallen sind. Da wir so schnell keine Lebensmittel nachkaufen können und aus gutem Grund ein ordentliches Vorratslager an Bord haben, nehmen wir uns die Zeit und sortieren Nudel für Nudel aus: Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Meer. Ruckzuck vergeht so ein halber Tag mit Rüsselkäfersuche und –beseitigung. Davon steht komischerweise nie was in den Büchern der Weltumsegler.

Eine folgenreiche Entscheidung

Nach 11 Tagen Fahrt und ca. 1.350 zurückgelegten Seemeilen kommt uns eine verrückte Idee. Die letzten Tage haben wir viel Zeit damit verbracht uns in die Inselwelt des Südpazifiks einzulesen. Was gibt es wo zu sehen und in welcher Reihenfolge lassen sich welche Inseln besuchen? Der Südpazifik ist soooo groß! Und es gibt dort soooo viele Inseln. Alleine auf den Marquesas gibt es mindestens drei Inseln, für die es gute Gründe gibt, jede einzelne von ihnen anzulaufen: Hiva Oa zum Einklarieren und um Paul Gaugin und Jaques Brel nachzuspüren. Fatu Hiva um in einer der schönsten Buchten der Welt zu ankern und um eine anständige fünfstündige Wanderung quer durch die bergige Insel zu machen. Und schließlich Nuku Hiva, um praktische Dinge wie Obst, Gemüse und Gas nachzukaufen. Auf dem Weg zu den Gesellschaftsinseln streift man die Tuamotus. Das sind 78 kleine Inselatolle, die sich auf 600 km Breite und 1500 km Länge verteilen. Es ist keine Schwierigkeit, zwei oder drei Atolle auszumachen, die uns einen Besuch wert erscheinen, für mehr bleibt keine Zeit. Wenn wir bedenken, dass es schon Anfang Juni sein wird, wenn wir in Hiva Oa ankommen, und dass Yachten üblicherweise bis spätestens Mitte Juli in Tahiti ankommen, wird uns klar, dass wir uns einen sehr straffen Zeitplan verordnen müssen, um noch möglichst viel von all den verlockenden Inseln zu sehen, wegen denen wir uns auf diese Reise begeben haben. Zumal wir eigentlich gerne schon Anfang Juli in Tahiti wären, um von den Feiern, die in den vierzehn Tagen vor dem französischen Nationalfeiertag stattfinden, etwas mitzubekommen. Es gibt während dieser Zeit viele Vorführungen traditioneller Gesänge und Tänze, aber man muss Tickets kaufen, um einen guten Aussichtsplatz zu bekommen. Wenn wir erst am 12. Juli in Tahiti einlaufen würden, würde das nichts.

 

Wir werden das Gefühl nicht los, dass wir besser schon früher im Jahr Richtung Südpazifik aufgebrochen wären. Aber wir konnten nicht eher durch den Panamakanal und früher im Jahr wäre es in der Westkaribik ungemütlich und nicht ganz gefahrlos gewesen. Und welchen der Orte, die wir bis dahin besucht haben, hätten wir auslassen sollen? Wir sind genau an dem Ort, an dem wir zu dieser Zeit sein können.

 

Gleichzeitig haben wir endlich auch einmal Zeit, uns mit den Optionen für den weiteren Verlauf der Reise ab Neuseeland zu beschäftigen. Aufgrund der anhaltenden und sich ausdehnenden Probleme mit Piraten sind wir wenig scharf darauf den Indischen Ozean zu durchqueren. Andere Segler wischen die Sorgen beiseite oder schätzen die Situation optimistischer ein als wir. Wir untersuchen seit geraumer Zeit die Alternativen zum Indischen Ozean, auch wenn wir wissen, dass wir damit die klassische und fast immer schön zu segelnde Barfuß-Route verlassen. Die von uns bis dato favorisierte Ausweichstrecke führt von Neuseeland aus zurück nach Osten, dann über die Austral-Inseln wieder hoch nach Tahiti, von dort aus nach Hawaii, und dann nach Vancouver. Cornell ist diese Route mit seiner Ovni gesegelt und beschreibt sie in den "Segelrouten der Weltmeere". Er schreibt aber auch klar und deutlich, dass diese Route beschwerlich zu segeln ist und dass man häufig hoch am Wind um Höhe kämpfen muss. Ovnis laufen aufgrund ihres fehlenden Kielballasts stets schlecht hoch am Wind und unser kleines Boot kann nicht so schnell segeln wie Herrn Cornells. Selbst wenn ein günstiges Wetterfenster für ihn und sein Boot ausreichte, kann es für uns zu kurz sein, um anzukommen.

Das Internet macht’s möglich

Um ein besseres Gefühl dafür zu bekommen, was uns auf dieser Strecke erwarten würde, haben wir die vergangenen Wochen für die Zeiten, in denen wir nächstes Jahr gegebenenfalls versuchen würden, von Neuseeland nach Tahiti zu segeln, Wetterdaten aus dem Internet gezogen. Jetzt haben wir Zeit diese Daten am Bordrechner auszuwerten. Wir entdecken, dass wir dieses Jahr richtig schlechte Segelbedingungen gehabt hätten und keinesfalls den eigentlich notwendigen Zeitplan hätten einhalten können. Gut wenn man so was vorher weiß. Vielleicht wäre es nächstes Jahr besser, vielleicht aber auch nicht. Dass wir nicht sicher mit passenden Bedingungen rechnen können, haben wir jetzt deutlich vor Augen.

 

Den damit verbundenen Traum aufzugeben, auch die Nordpazifik-Runde zu drehen, gefällt uns gar nicht. Zu gerne wären wir nach Hawaii und nach Vancouver gesegelt. Und auch die amerikanische Westküste erscheint uns attraktiver als das, was uns ggf. nach Indonesien im Indischen Ozean erwartet. Im Nordpazifik gibt's Nebel, stellenweise viele Verkehr und an manchen Ecken wohl auch ordentlichen Seegang, aber das sind vergleichsweise kleine Probleme, die wir in der Regel problemlos bewältigen.

 

Plötzlich kommt uns eine Idee. Es gibt eine Segelroute von den Galapagos-Inseln nach Hawaii. Und die Jahreszeit für diesen Törn würde auch gerade noch passen. "Du, wie wäre es, wenn wir jetzt nach Hawaii und dieses Jahr die Nordpazifikrunde segeln würden? Bis Anfang nächsten Jahres wären wir spielend wieder in Mittelamerika und könnten einen zweiten Anlauf Richtung Südsee nehmen, allerdings ein paar Wochen eher im Jahr." "Hmmh, meinst Du echt? Klar, damit würden wir mehr Zeit für den Südpazifik gewinnen, würden uns den harten und sehr langen Törn von Neuseeland hoch nach Vancouver sparen und würden trotzdem alle Ziele erreichen, die uns reizen. Klingt nicht übel!"

Ein unschätzbares Privileg: Entscheidungsfreiheit

Sehr spontan und aus dem Bauch heraus entscheiden wir beide, dass das nach einem richtig guten Plan für uns klingt und dass wir ihn sofort umsetzen. Wir ändern augenblicklich Kurs von West auf Nordwest und nehmen in Kauf, dass wir damit nochmal 1.500 Seemeilen mehr zu segeln haben. Zwar nehmen wir uns noch einen Tag Bedenkzeit, doch auch danach sind wir sicher, die für uns richtige Entscheidung getroffen zu haben. Einziger kleiner Wermutstropfen: Weil wir wieder nach Norden segeln, kommen wir wieder durch Gebiete mit schwachen Winden und Gegenstrom und müssen schließlich, nördlich des Äquators, noch einmal die Kalmen durchqueren. Aber danach sollten wir mit schönem Nordostpassat flott nach Hawaii hoch kommen.

 

Als wir mal wieder Flaute haben und den Motor mitlaufen lassen, bekommen wir endlich wieder Besuch von Delfinen. Es ist, als ob sie vom Motorengeräusch angelockt neugierig nachsehen, ob es dort wo das Geräusch herkommt, etwa eine Bugwelle gibt, in der man spielen kann. Bei meinem Erscheinen an Deck springt einer von ihnen weit aus dem Wasser in die Luft. Leider hat man in solchen Momenten nie die Kamera parat, um das nur eine Sekunde währende Schauspiel festzuhalten. Dennoch gelingen uns dieses Mal ein paar super Aufnahmen der Tiere, die wie immer ganz knapp vor unserem Bug von rechts nach links und zurück kreuzen und an der Seite des Schiffes Schleifen drehen um nochmal in die Bugwelle zu kommen. Wir nehmen den Delfinbesuch als Zeichen dafür, dass sie unsere Routenänderung gut heißen und uns eine gute Reise wünschen.

Reparatur mitten auf dem Ozean

In den Kalmen und drum herum ist es warm und ziemlich windstill. Die Wärme bringt es mit sich, dass der Kühlschrank ständig nachkühlt und viel Strom verbraucht und die Windstille bringt es mit sich, dass der Windgenerator nur wenige Amper zum Nachladen der Batterie beisteuert. Jeden Tag sinkt unser Batteriestand bis Ende des Nachmittags so tief, dass wir über Nacht in jedem Fall den kritischen Ladezustand von 75% unterschreiten würden. Daher lassen wir nachmittags, wenn auch die Solarpanele kaum noch Strom erzeugen, häufig den Motor eine Weile mitlaufen, um die Batterien zu laden. Eines Nachmittags, Joachim bäckt gerade ein Brot und ich schreibe was am Rechner, hören wir neben dem Motorenlärm ein kurzes lautes "Piep", das wir nicht sofort deuten können. Etwas später jedoch fällt uns auf, dass der Batterie-Monitor keinen Ladestrom anzeigt, obwohl der Motor doch läuft. Merkwürdig. Wir schalten sofort alle Verbraucher aus und drehen den Hauptschalter ab. Joachim zieht Motor-Handbuch und Spannungs-Messgerät raus und begibt sich auf Fehlersuche. Es lässt sich kein gebrochenes Kabel oder ähnliches finden. Dann muss es wohl mit der Lichtmaschine zu tun haben.

 

Wir haben eine Ersatz-Lichtmaschine dabei und diese ist schnell eingebaut. Problem behoben, Batterie wird wieder geladen! Es war tatsächlich die 15 Jahre alte Lichtmaschine, die urplötzlich den Geist aufgegeben hat. Ein Glück, dass wir in Gibraltar die Eingebung hatten, noch schnell eine neue zu kaufen. Hätten wir die nicht gehabt, hätten wir direkt nach Honolulu segeln müssen und Big Island nicht besuchen können. Und wir hätten den Kühlschrank aufgeben müssen und uns ohne Motorunterstützung durch die Kalmen quälen müssen. Wären wir auf dem Weg auf die Marquesas gewesen, hätten wir voraussichtlich noch länger als in Hawaii auf das Ersatzteil warten müssen. Daher an alle Leser, die möglicherweise eine ähnliche Reise planen: Wer in Gegenden unterwegs ist, die weit ab vom Schuss der üblichen Kommerzrouten liegen, ist gut beraten, alle wichtigen Ersatzteile an Bord zu haben. Zumal, wenn Sturmsaisons oder ähnliche Gründe diktieren, wann man das Gebiet tunlichst verlassen haben sollte und man daher immer etwas in Zeitnot steckt.

Petri Heil

Nach diesem Schreck verwöhnt uns Neptun und bringt uns Anglerglück. Morgens früh, eigentlich habe ich noch Freiwache, weckt mich Joachim. "Wir haben einen Biss an der Angel und es sieht nach was Großem aus." Oh ja, was Joachim da Hand um Hand an der Leine durchs Wasser zieht, ist eine große Goldmakrele. Wenn sie erschöpft ist, surft sie immer an der Wasseroberfläche, wenn sie wieder Kraft gesammelt hat, versucht sie abzutauchen. Aber sie hat gut auf den Haken gebissen und kommt nicht los. Das Prachtexemplar ist 90 cm lang und wiegt stolze 5 kg. Eigentlich wollen wir so große Fische gar nicht fangen, denn was sollen wir mit so viel Fisch auf einmal anfangen. Aber trotz unseres extra kleinen Köders ist er jetzt nun einmal da. Der Name des Fischs ist übrigens in allen Sprachen verwirrend: Er sieht weder aus wie eine Makrele, noch gleicht sein Fleisch dem einer Makrele. Auf Englisch heißt er "Dolphin Fish", aber mit einem Delfin hat er noch weniger gemeinsam. In Lateinamerika wird er "Dorado" genannt, aber er ist auch keine Dorade wir sie kennen. Im Pazifik nennen sie ihn "Mahi Mahi". Egal, lecker ist das weiße Fleisch jedenfalls. Joachim weiß mittlerweile genau, wie er Goldmakrele am besten filetiert und ist schnell fertig damit und ich weiß, auf welche Arten wir sie zubereiten können. Wenn die Goldmakrele stirbt verliert sie augenblicklich die glänzend goldene Farbe, die ihren Körper umspielt und wird fahl silbergrau, die blauen Tupfen bleiben. Dass Sterben so sichtbar ist, lässt uns eine Moment innehalten. Aber wir wollten einen Fisch fangen, wir haben einen gefangen und nun essen wir ihn. Also gibt es die nächsten drei Tage leckere Goldmakrele und der Rest des Fischs wird als Fischcurry einkocht.

In irgendeinem Weltumsegler-Buch hat mal jemand herzerwärmend beschrieben, wie bewegend es ist, nach einer langen Seestrecke mal wieder eine Möwe zu sehen. Die Möwe würde bedeuten, dass bald Land in Sicht kommt und die Möwe würde als Vorbotin allen Lebens an Land schon mal aufs Wasser raus kommen – oder so ähnlich. Wir haben das für bare Münze genommen, warum auch nicht. Jetzt, wo wir selber lange Seestrecken segeln und tausende Seemeilen von Land entfernt sind, staunen wir jeden Tag über Seevögel, die es hier draußen zu sehen gibt, egal wie weit wir vom Land entfernt sind. Am häufigsten kommen kleine Vögel vor, nicht viel größer als unsere Schwalben zuhause, die Anstalten machen, als wollten sie auf dem Wasser tanzen. Immer wieder berühren ihre Füße leicht die Wasseroberfläche, dann flattern sie wieder wie wild mit den Flügeln und fliegen mit ständigem Auf und Ab Kreise in einigem Abstand zum Schiff, aber doch in seiner Nähe. Sie sind braun und haben einen weißen Streifen. Es ist uns unbegreiflich, wie so kleine, so zerbrechlich wirkende Vögel so weit draußen überleben können. Wir sehen sie nie im Wasser sitzen. Braucht so ein Vogel keine Ruhepausen? Wo nimmt er all die Energie her, die sein hektischer Flügelschlag verbraucht? Hier draußen haben wir Zeit, uns solche Fragen zu stellen. Ab und an kommt auch mal eine Möwe in die Nähe. Die viel schweren Möwen sind ja bekanntlich gute Segler, dass die weit fliegen können, wundert uns weniger. Möwen interessieren sich überhaupt nicht für Pagena, sie kommen noch nicht mal in ihre Nähe, um das Schiff in Augenschein zu nehmen. Ob der romantisch schreibende Segler einfach an anderer Stelle der Welt andere Erfahrungen mit Möwen und Vögeln macht als wir und woran das liegt, wäre eine andere zu klärende Frage. Ach, auf See hat man Zeit über so vieles nachzudenken – das ist schön, auch wenn wir auf viele Fragen keine Antwort finden.

Zeitvertreib

Natürlich verbringen wir auch viel Zeit mit lesen, zum Glück haben wir ja eine halbe Bibliothek an Bord. Und ich genieße es, mich stundenlang in eines der "Eckstein-Kreuzworträtsel" aus der ZEIT zu vertiefen, von denen ich 200 an Bord habe. Aber auch auf See gibt's Alltag: Routine-Aufgaben wie z.B. Kochen, Spülen, Wetterinfos ziehen und begutachten u. ä. fallen jeden Tag an, und bei fünf Wochen auf See, gibt's auch schon mal eine Runde putzen. Als der Seegang es erlaubt, packt Joachim seinen Lötkolben aus und macht sich dran, bergeweise Kabel für zwei Drehschalter zu verlöten, die – wenn er denn überhaupt noch einen Platz für die Montage findet – das Sound-Management an Bord verbessern werden. Fixpunkte des Tages sind 12 h Mittags, wenn einer von uns beiden die Mittagsposition notiert, und Tages-Etmal und Restentfernung zum Ziel berechnet, sowie am Abend das Pacific Island Net, eine Funkrunde, die uns mit den restlichen deutschsprachigen Seglern verbindet, die zurzeit im Pazifik unterwegs sind. Danach verschwindet Joachim für fünf bis sechs Stunden in der Koje, bis ich um Ablösung bitte. Im Laufe des Tages verschwindet meist jeder von uns nochmal ein bis zwei Stunden in der Koje. Wenn uns die Decke auf den Kopf zu fallen droht und die Seebedingungen es zulassen, gönnen wir uns einen Film auf DVD.

 

So vergehen die Wochen eigentlich wie im Flug. Fünf oder sechs Wochen auf See – früher unvorstellbar – heute gar kein Problem. Wenn nur das Geschaukel nicht wäre...

 

Seit wir die Kalmenzone hinter uns gelassen haben, segeln wir mit Halbwind. Das Blöde am Halbwind finde ich, dass die Wellen das Schiff von der Seite treffen. Das Geschaukel macht uns nicht seekrank, aber es ist einfach anstrengend, wenn man nirgendwo in Ruhe und entspannt liegen oder sitzen kann, sondern immer irgendein Körperteil zum Abstützen ausfahren, die Pobacken kräftig ins Sitzkissen bohren und für jeden Schritt den rechten Moment abwarten muss. Zumal jetzt auch noch ab und an eine Welle das Deck überspült, so dass wir die Luken geschlossen halten müssen. Nach vier Wochen auf See regt sich in uns beiden Wunsch, bald anzukommen.

Land in Sicht

Auf einmal geht es dann ganz schnell. Wir fahren Tag für Tag schöne Etmale. Am 28ten Tag sind es schon unter 1.000 Seemeilen, am 32ten nur noch 500. Es wird dringend Zeit unseren Landfall zu planen. Die ganze Zeit über haben wir mit Freunden und Familie Email-Kontakt gehabt und alle, die schon mal auf Hawaii waren, haben uns mit Infos versorgt wo es schön ist und Klaus, der selbst als Segler da war versorgt uns mit Infos über Ankerplätze. Von Jimmy Cornells Webseite "Noonsite" haben wir uns Informationen über die Einreiseformalitäten als Text-Email ziehen können und so sind wir bestens gerüstet, auch wenn der Landfall in Hawaii eigentlich gar nicht geplant war. Ordnungsgemäß informieren wir den Hafenmeister zwei Tage vor unserer Ankunft über unser Kommen und melden bei der Immigration an, dass wir voraussichtlich Freitagabend oder Samstagmorgen in Hilo auf Big Island einlaufen werden. Dank Satelliten-Telefon klappt das alles wie am Schnürchen.

 

Nachdem alle Offiziellen über unser Kommen informiert sind verlässt uns der Wind und wir kommen deutlich langsamer voran als angenommen. Ständig rechnen wir jetzt: Wenn wir mit dieser Geschwindigkeit weiterlaufen, kommen wir Freitagmorgen an. Kurz darauf: Nein, es wird wohl doch Freitagabend. Mist, wir waren so langsam, jetzt wird es bestimmt Freitagnacht. Nachts ankommen geht gar nicht, dann lieber Segel reduzieren und erst Samstagmorgen ankommen. Mhhm, es frischt wieder etwas auf: Sollen wir die Segel doch stehen lassen und unser Glück probieren? Schließlich wird es Freitag früher Abend, als unser Anker in Reeds Bay, Hilo, Big Island, Hawaii fällt. Wir fallen uns in die Arme und können es kaum fassen, dass wir jetzt tatsächlich in Hawaii sind.

 

Der Aussicht nach zu urteilen wird es spannend werden. An der Ostküste Big Islands sind mehr Nadelbäume als Palmen zu sehen, die Berge hüllen sich in Wolken. Unsere Vorstellung von Hawaii sieht anders aus, was werden wir hier alles entdecken?

 

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