13. Feb. - 1. März 2014 - Neuseeland, Südinsel-Rundreise

Nach dreistündiger Überfahrt aus Wellington legt abends um 20:30 Uhr die Interislander-Fähre in Picton an. Die letzte Teilstrecke durch den Queen Charlotte Sound gilt als eine der schönsten Fährpassagen der Welt. Ja, sie ist zweifelsohne schön, aber für uns ist sie vergleichbar mit einem Miniatur-Ausschnitt der Inside-Passage Kanadas und nicht sonderlich überraschend.

Die Hügel sind niedriger und größtenteils kahl geschlagen, die Fjorde weniger ausgeprägt. Wir haben schon so viele eindrucksvolle Landschaften gesehen, dass es immer schwerer wird, noch einen draufzusetzen. Mal sehen, ob es Neuseelands Südinsel schafft. Dem Hörensagen nach soll sie die Schönere der beiden großen Neuseeland-Inseln sein und spektakuläre Landschaften haben. Die meisten Urlauber, die beide Inseln gesehen haben und nach einem Lieblingsort gefragt werden, nennen einen auf der Südinsel. Für die einen ist es die Golden Bay im Norden, für andere der Fjordland-Nationalpark, oder die freakige Stadt Queenstown im Landesinneren.

 

Dass wir von Picton aus nochmal zwei Stunden Autofahrt brauchen, um nach Nelson zu kommen, wird uns erst bewusst, als wir die Fähre bereits gebucht haben. Oh je, ob uns abends gegen 23 Uhr noch ein netter Air BnB Gastgeber die Tür öffnet? Alison nimmt unsere Buchungsanfrage an, kein Problem. Sie wird schon im Bett sein, den Schüssel legt sie da und da hin und das Zimmer ist das erste im Flur, gleich neben dem Badezimmer. "Macht Euch eine Tasse Tee wenn Ihr ankommt." schreibt sie. Sie kann uns nur für eine Nacht beherbergen, statt der angefragten drei, doch da sie vergessen hat ihren Buchungs-Kalender zu aktualisieren und weiß, dass wir es möglicherweise schwer haben werden, kurzfristig einen anderen toleranten Vermieter wie sie zu finden, bietet sie uns wenigstens diese eine Nacht an. Super nett! Die nächsten beiden Nächte ziehen wir zu Cally in den Stadtteil Atawhai, ganz im Osten von Nelson. Sowohl Alison als auch Cally bieten spontan Hilfe an, als sie hören, dass wir uns in Kürze für mehrere Monate in Nelson niederlassen wollen und eine bezahlbare möblierte Unterkunft suchen. Cally macht sogar ein besonders charmantes Angebot. Sie fragt, ob wir nach unserer geplanten Rundreise über die Südinsel nicht als Haussitter zu ihr zurückkehren möchten, während sie für vier Wochen nach England fliegt. Der Gemüsegarten muss gewässert, die Katze gefüttert, der Briefkasten geleert und zwei weitere Freunde empfangen werden, die das zweite Gästezimmer nutzen, während sie weg ist. Ihr Sohn Alex ist zwar auch noch da, aber der ist auf Jobsuche und sie hofft inständig, dass er demnächst eine Zusage bekommt und umziehen muss. Keine Frage, das Angebot nehmen wir mit Kusshand an. Bis Cally abreist und unser Engagement losgeht, haben wir noch zweieinhalb Wochen für die Erkundung der Südinsel.

Diese ist groß und es gibt viel zu sehen. Schnell sind Joachim und ich uns über zwei maßgebliche Entscheidungen einig: Zum einen werden wir alle Sehenswürdigkeiten, die wir auch später noch von Nelson aus erreichen können, jetzt weglassen und so schnell wie möglich ganz runter in den Süden fahren. Zum anderen werden wir keinen der großen Wandertracks machen, die alle mehrtägig sind und für die sowohl Vorbuchung der Hüttenübernachtungen als auch gute Kleidung für alle Wetterlagen erfordern. Das können wir nicht vorbereiten und neue Sachen anschaffen wollen wir auch nicht. Für uns heißt es jetzt keine Zeit verlieren und so schnell wie möglich losfahren.

 

Westport & Greymouth

 

Das erste Etappenziel heißt Greymouth, eine ehemalige Minenstadt an der Westküste der Südinsel. An einer Straßenkreuzung in Richmond, kurz hinter Nelson gelegen, fällt uns eine große, junge, blonde Tramperin auf. Für eine Person plus Gepäck haben wir noch Platz im Auto und bevor das Mädel an irgendjemand blödes gerät, nehmen doch besser wir sie mit. Sarina ist eine deutsche Abiturientin, die als Au-Pair-Mädchen in Australien arbeitet und jetzt Urlaub in Neuseeland macht. Sie ist ein helles, angenehmes Mädel und wir unterhalten uns angeregt. Gemeinsam entdecken wir diverse Aussichtspunkte, die entlang der Strecke nach Greymouth liegen: Einen Aussichtpunkt über die bewaldete Berglandschaft des Südzipfels des Kahurangi Nationalparks, an dessen Rand der SH 6 entlang führt, die Buller Gorge, eine tiefe Schlucht, die ein Fluss in die Landschaft gegraben hat und die Strände der Stadt Westport. Wer fünf Dollar übrig hat, darf die Buller-Schlucht auf einer Hängebrücke überqueren, wer erheblich mehr Taler investiert, kann mit dem Speedboat auf einem Flussabschnitt rumheizen, ansonsten ist der Buller River eher als Kajakrevier bekannt. Wir haben für die Brücke keinen Heller übrig, ein kurzer Fotostopp genügt.

Kurz hinter der Stadt Westport fahren wir runter an den Strand und entdecken durch Zufall Kawau Beach, der uns außerordentlich gut gefällt. Tauranga Bay, gleich hinter Cape Foulwind, an deren Nordende eine Robben-Kolonie liegt, ist auch sehr schön. Es ist ein sonniger warmer Tag, da kann man es sogar in Westport gut aushalten. Zu anderen Jahreszeiten hat die Stadt den Ruf, sehr unwirtlich zu sein, wenn kräftiger Wind oder Sturm aus der Tasman See auf sie einpeitscht. An den "Pancake Rocks" kurz vor Greymouth fahren wir vorbei, weil wir noch nicht wissen, dass es sie gibt. Sarina, die bei der Abfahrt noch nicht wusste, wie weit sie es an diesem Tag schafft und wo sie übernachten wird, findet in unserem Hostel ein günstiges Bett im Schlafsaal. Wir haben ein Doppelzimmer mit Gemeinschafts-Bad, das "Zebra-Zimmer". Alle Zimmer der "Arche Noah" haben Tiernamen und sind entsprechend dekoriert. Ganz in der Nähe steht ein großer Countdown-Supermarkt und die Küche des gemütlichen Hostels ist sehr gut ausgestattet, einer leckeren selbstgekochten Mahlzeit steht nichts im Weg. Die günstigste Eispackung im Supermarkt enthält zwei Liter, alle kleineren Packungen sind teurer. Wir kaufen ergo die billige, in der Annahme, dass wir im Hostel bestimmt Abnehmer für den Rest finden, den wir zwangsläufig übrig haben werden Die Annahme geht auf, ein paar junge Leute nehmen das Geschenk der unbekannten Alten an, die Mädels eher gelangweilt, ein junger Mann mit Freude. Das Eis ist zum Glück ausgesprochen lecker.

Franz-Josef & Haast

 

Am nächsten Tag fahren wir weiter die Westcoast runter, bis der SH 6 in die Berge abbiegt und zu den Gletschern Franz-Josef und Fox führt. Am Fuße des Franz-Josef-Gletschers liegt ein Dorf gleichen Namens, in dem Sarina eine Nacht bleiben will. Von hier aus kann sie mit dem Überlandbus weiterreisen. Gemeinsam besuchen wir den Franz-Josef-Gletscher. Der zehn Kilometer lange Gletscher liegt in den Südalpen Neuseelands. Oben in den Bergen wird er von Eis gespeist, an seinem unteren Ende ist er umgeben von Regenwald. Er hat eine ungewöhnlich hohe Fließgeschwindigkeit, die dafür sorgt, dass sich die Eislandschaft ständig verändert. Ein kurzer Weg führt bis zu einem Geröllfeld am Fuße der im Rückzug befindlichen Eiszunge. So richtig beeindruckend ist er von hier aus nicht.

Der Franz-Josef-Gletscher zählt allerdings zu den am niedrigsten liegenden Gletschern der gemäßigten Zonen und es gibt nur wenige weltweit, die so gut zugänglich sind. Daher bietet er sich für eine geführte Eiswanderung oder einen Flug mit dem Helikopter mit anschließender Eis-Wanderung an. Wir haben auf sowas keine Lust, wir kennen Schnee und Gletscher ja aus den Alpen und haben in Alaska schon einen ins Meer kalbenden Gletscher gesehen. Für Touristen aus anderen Teilen der Welt mag es dagegen eine einmalige Chance sein, einen Eisriesen aus nächster Nähe kennenzulernen.

Schon bei Greymouth warnte ein Schild, dass der SH 6 nach mehr als 100 km gesperrt sein könne. Das ist so weit weg, dass wir uns nicht viele Gedanken um das Schild machen. Wir haben die nächste Übernachtung ohnehin in Haast gebucht und die Lodge liegt vor dem gesperrten Straßenabschnitt. In der Lodge angekommen erfahren wir jedoch, dass die Straße um 18 h abends in der Tat wieder gesperrt wurde und dass nicht sicher ist, ob sie am nächsten Morgen für die Weiterfahrt geöffnet wird. Falls nicht, müssen wir die ganze Strecke nach Greymouth zurück fahren, denn eine andere Straße gibt es nicht. Beim Abendessen sitzen wir gemeinsam mit einem netten jungen Chinesen und seiner Mutter am Tisch. Er erzählt, dass er für eine deutsche Firma arbeite, für Heraeus Kulzer. Die Firma kennen wir, sie ist ja in Hanau, und ein paar Leute aus unserem Freundes- und Bekanntenkreis arbeiten auch für sie. Der Chinese kommt ca. einmal pro Jahr nach Hanau. Wir tauschen Kontaktdaten aus und laden ihn ein, uns zu besuchen, wenn wir wieder in Deutschland sind. Gerne würden wir ihm etwas mehr von Deutschland zeigen, wenn das möglich ist. Was für ein Zufall, dass wir uns hier begegnen.

 

Wanaka & Queenstown

Am nächsten Morgen wird der SH 6 wieder für den Verkehr geöffnet. Starker Regen hatte einen Erdrutsch verursacht, die Aufräumarbeiten sind noch im Gange. Über den Haast Pass fahren wir nach Wanaka. Der Ort, der etwas mehr als 6.000 Einwohner zählt, liegt im Herzen der "Southern Alps" am Südostende des Lake Wanaka, dem drittgrößten See der Südinsel. Dass Wanaka in den Wintermonaten ein Skiort ist, ist im rustikal gemütlichen Hostel namens "Matterhorn", in dessen Fluren Holzgestelle für Ski und Snowboards stehen, offensichtlich. Wanaka hat eine nette entspannt-belebte Atmosphäre. Es gibt viele kleine Läden, einen großen Supermarkt, Restaurants und Cafés, ein winziges Kino sowie ein Internet-Café. Die Lage am See zwischen den Ausläufern des Mt. Aspiring National Parks ist wunderschön. In der Tourist-Info entdecken wir schnell eine Wanderstrecke, die uns anspricht. Sie führt vom kleinen Diamond Lake rauf zum Gipfel des Rocky Mountain und ist in ca. 3 Std. bequem an einem Nachmittag zu bewältigen. Aus den Höhenlagen bieten sich immer wieder Wahnsinns-Ausblicke auf den Lake Wanaka und seine Umgebung und zum Gipfel hoch gibt's ein paar kurze Kraxel-Stellen. Schön warm ist es hier auch. Wanaka ist einen Besuch wert, finden wir.

Tags drauf fahren wir weiter nach Queenstown, ein Eldorado für Extremsportler und Adrenalin-Junkies, das vor allem junge Leute anlockt. Skifahren, Jetboot-Fahren, Bungeespringen, Drachenfliegen, Fallschirmspringen und Paragliding sind die Hauptaktivitäten, um die sich hier tagsüber fast alles dreht. Angeblich wurde das kommerzielle Bungee-Jumping in Queenstown erfunden. Der Shotover-Jet jagt in Höchstgeschwindigkeit einen engen Flußcanyon runter, auf dem Waikatipu-See katapultiert der "Hydro –Attack" genannte Bolide seinen Insassen in bis zu 6 m Höhe, um kurz darauf wieder kurzzeitig unter die Wasseroberfläche zu tauchen, und an den Berghängen laden mehrere Rampen Paraglider und Drachenflieger dazu ein, sich erst in die Tiefe zu stürzen und dann in luftige Höhen zu schrauben. Nachts wird das tagsüber angestaute Adrenalin in den Bars abgefeiert. Für diejenigen, die es lieber gemütlich haben, schippert das alte Dampfschiff TSS Earnslaw über den See, man gönnt sich einen Spa-Behandlung oder eine Weinprobe der hervorragenden Otago-Weine. Pinot Noir aus Otago gilt als der beste Wein Neuseelands. Viel sauer verdientes Geld wird in Queenstown gegen ausgefallene Erlebnisse eingetauscht oder einfach in Getränke und ausgelassenes Feiern investiert. An einem Mittwochmorgen ist von den Nachtschwärmern noch wenig zu sehen, Queenstown holt vermutlich Atem für den nächsten Abend.

 

Te Anau , Milford Sound & Manapouri

 

Weiter geht’s nach Te Anau, dem Tor zum Fjordland Nationalpark. Von Te Anau aus kann man bis an die Spitze des Milford Sounds fahren, dem einzigen Fjord des Fjordland Nationalparks, der per Auto erreichbar ist. 

Wir sind sehr gespannt auf die wilde, von Bergen, Wasser, Gletschern und Seen geformte Landschaft. Um möglichst viel davon zu sehen, beschließen wir uns in Milford einen Rundflug zu gönnen. Es gibt zwar auch Ausflugsschiffe, die durch den Sound fahren, oder die Möglichkeit ihn per Kajak zu erkunden, doch wir sind uns sicher, dass die Vogelperspektive für diese Gegend die beste ist. Der 30minütige Rundflug ist in der Tat grandios. Selbst auf dem Kepler-Track, der berühmten Wanderstrecke durch das Fjordland, kann man nicht von oben in die Eisspalten gucken oder den unzugänglichen Quill See sehen, der wie eine vollgefüllte Suppenschüssel aussieht, die am Rand überläuft. Der Sutherland Wasserfall, der als dünner Strahl 580 m in die Tiefe fällt, ist auch toll anzuschauen. Die Pilotin, die das Naturschauspiel hier fast jeden Tag zu sehen bekommt, findet das auch. Sie berichtet jedoch, dass die Gletscher um den Milford Sound herum eindeutig abnehmen.

Während ich in Te Anau am nächsten Tag ausspanne, unternimmt Joachim einen Ausflug zur Manapouri Hydro Power Station. Der Bau dieses Kraftwerks zählt zu Neuseelands hervorragendsten technischen Leistungen. Der größte Teil des Wasserkraftwerks wurde unterirdisch gebaut, weit entfernt von der Erdoberfläche. Die einzigen von außen sichtbaren Zeichen sind das oberirdische Kontrollzentrum, ein Verschiebebahnhof und zwei Reihen von Hochspannungsleitungen, die in einer Schleife um die Spitze des Sees führen, ehe sie an das nationale Stromnetz anschließen. Eine Schiffsfahrt über den Lake Manapouri bringt Besucher in die Nähe des Kraftwerks, dann steigen sie um in einen Bus, der sie durch einen ca. 2 km langen, spiralförmigen Tunnel hinunter in die gewaltige Maschinenhalle bringt. Das Kraftwerk nutzt den Höhenunterschied zwischen dem Manapouri See und dem Doubtful Sound. Gewaltige Wassermassen aus dem See rauschen 178 m in die Tiefe, wo sie sieben gewaltige Turbinen antreiben. Das Kraftwerk wurde in den 50er Jahren für die Energieversorgung der Aluminiumschmelze in der Nähe der Ortschaft Bluff geplant und in den 60ern gebaut. Die volle Leistung wird jedoch erst seit 2002 erreicht, da eine zweite Ablaufröhre gegraben werden musste und durch konstruktive Verbesserungen an den Turbinen heute höhere Wirkungsgrade erreicht werden. Joachim ist jedenfalls schwer beeindruckt. Neuseeland deckt derzeit 67% seines Strombedarfs durch Wasserkraft.

Invercargill & Catlins

 

Nächstes Etappenziel ist Invercargill, die südlichste Stadt der Südinsel und eine der am weitesten südlich gelegenen Städte der Welt. Mick Jagger, der Invercargill 1965 besuchte, hat über die Stadt gesagt, dass sie der Arsch der Welt sei. Das haben ihm die Einwohner bis heute nicht verziehen. Uns ist das egal, wir suchen ja nur eine gute Übernachtungsmöglichkeit für die Weiterreise. Invercargill hat einen sehr schönen großen Park, sehen wir beim Abendspaziergang durch denselbigen und ja es stimmt, an einem eigentlich schönen Sommertag sind alle Straßen abends um 18 Uhr leergefegt. Dass Neuseeland so gar kein Straßenleben zu haben scheint, ist bedauerlich. Wir finden noch nicht mal ein einladendes Restaurant, obwohl wir die ganze Innenstadt auf der Suche nach einem solchen durchstreifen. Egal, dann kochen wir eben doch wieder selbst. Nach der Arbeit gehen die Invercargiller offenbar alle nach Hause und sehen fern, am Wochenende gehen sie vermutlich fischen. Ein paar Jugendliche treffen sich mit ihren Skateboards im Park und neben unserem Aparthotel gibt es eine düstere Diskothek. So ist das Leben am Ende der Welt in einem kleinen, von Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei geprägten Inselstaat. Dabei muss Invercargill in der Vergangenheit bessere Zeiten gesehen haben, wie an einigen großen Prachtbauten noch abzulesen ist. Hat vermutlich mit dem Otago Goldrausch zu tun. Heute versucht ein quirliger Bürgermeister u.a. mit dem Southern Institute of Technology, an dem man kostenlos studieren kann, junge Leute und innovative Betriebe nach Invercargill zu locken und das Image der Stadt aufzupolieren.

Wir checken die Wettervorhersage für die nächsten Tage um zu entscheiden, ob wir von Invercargill aus nach Steward Island fahren oder nicht. Die Vorhersage ist kalter Starkwind aus Süden und eine raue See. Als wir uns näher in Steward Island einlesen, wird uns klar, dass man, um die einzigartige Natur der Insel kennenzulernen, die mehrtägige Inselrundwanderung machen sollte. Das ist in unserem Zeitplan nicht drin und das Wetter ist auch nicht optimal. Also doch nicht nach Steward Island, obwohl Wilfred aus Auckland uns die Insel als ein einzigartiges Naturjuwel sehr ans Herz gelegt hatte. Wir fahren stattdessen durch die Catlins, eine von zigtausenden von Schafen bevölkerte Hügellandschaft. Die Gegend hat was. Angesichts der vielen Schafe und Lämmer in unmittelbarer Nähe des Meeres kommt mir "Salzlamm" in den Kopf. In welchem Zusammenhang habe ich den Begriff nur schon mal gehört? Schmeckt das Fleisch von Lämmern, die in salzhaltiger Umgebung aufwachsen, besonders gut? Bei nächstbester Gelegenheit befrage ich das Internet.

In den Catlins hoffen wir irgendwo sehen zu können, wie Schafe geschoren werden. Doch die Schaffarmen sind groß und wir können ja nicht irgendwo hinfahren, an die Tür klopfen und fragen, ob zufällig heute oder morgen geschoren wird und ob wir dabei zusehen dürfen. Das müsste sich schon durch eine Übernachtung auf einer Schaffarm ergeben. Wir finden aber keine, die Übernachtungen anbietet. Auf vielen Weiden stehen Schafe, die ihren Pelz schon abgenommen bekommen haben, auf vielen anderen tragen sie ihre Wolle noch. Ein junger Farmer verlegt eine Herde gerade mit Hilfe seiner Hunde auf eine andere Koppel. Die eigentliche Arbeit macht der Hund, der Schäfer steht am Gatter, hält es offen und dirigiert den Hund per Stimme. Schafe sind Tiere, die schnell in Panik geraten und dann in alle Richtungen rennen, in die man sie nicht haben will. Der Hund muss ihnen den Weg in die falsche Richtung versperren, spüren wann Ruhe genug herrscht und durch langsames Zubewegen auf die Herde dafür sorgen, dass sie sich in die gewollte Richtung in Bewegung setzt, ohne in Panik auszubrechen. Die Arbeit, die der Hund für den Schäfer leistet ist beeindruckend!

Dunedin & Otago Peninsula

 

Am Ende des Tages erreichen wir Dunedin und lernen, dass wir den Namen der Stadt immer falsch ausgesprochen haben. Es heißt "Da-nie-din", mit Betonung auf dem langgezogenen "ie" und einem kurzen "din" am Ende. Dunedin ist eine historisch bedeutsame Stadt, die an einem großen Naturhafen liegt, den James Cook 1770 dokumentierte. Im April 1844 landete ein Schotte im Otago Harbour, mit dem Auftrag eine geeignete Stelle für eine Ansiedlung und Stadtgründung zu suchen. Im Juli kaufte er von den Maori 162 Hektar Land, das zwischen der Nordspitze der Otago Peninsula bis 50 Meilen südwärts zum Nugget Point, kurz hinter der Mündung des Clutha River, lag. Im. Februar 1846 folgte ihm ein Stadtplaner und erstellte Pläne zur Gründung des Tiefseehafens Port Chalmers und Pläne für die Siedlung Dunedin. Im Spätherbst 1848 erreichten die ersten 347 schottischen Siedler auf zwei Schiffen den Hafen, ausgestattet mit allem, was man für die erste Ansiedlung brauchte.

1861 brach der Otago-Goldrausch aus. Drei Jahre später hatte Dunedin schon 15.800 Einwohner. Da alle Goldsucher über Dunedin reisen mussten, wurde die Stadt schlagartig zum wichtigsten Handelsplatz Neuseelands, sowie Ankunfts-, Abreise- und Aufenthaltsort für die vielen Reisenden. Alleine aus Australien kamen in sechs Jahren über 50.000. Die Stadtverwaltung verstand es, aus dem Boom Geld zu machen. 1869 wurde in Dunedin die erste Universität Neuseelands gegründet, die University of Otago. Der erste Studienjahrgang startete 1871 mit drei Professoren und 81 Studenten. Als erste Universität im gesamten Britischen Empire wurden Frauen zu allen Fächern zugelassen. Im September 1878 wurde die Eisenbahnlinie Christchurch–Dunedin in Betrieb genommen und 1880 das im viktorianischen Stil erbaute Rathaus eingeweiht, das in etwas veränderter Form noch steht. 1882 wurde in Dunedin die erste Zugseilbahn nach dem Vorbild der San Francisco Cable Cars installiert und war damit die erste auf dem südlichen Teil des Globus überhaupt. Im selben Jahr wurde weltweit erstmals gefrorenes Fleisch per Schiff transportiert und zwar von Port Chalmers, dem Tiefseehafens Dunedins, nach England. 1900 kamen die ersten Autos, 1906 wurde der im flämischen Stil erbaute Bahnhof in Betrieb genommen. Die Zeit vom Goldrausch bis zur Jahrhundertwende waren die erfolgreichsten Jahre Dunedins.

 

Der Absturz kam mit dem technischen Wandel des 20. Jahrhunderts, den die wirtschaftliche Elite verpasste. Viele der reich gewordenen Einwohner setzten sich zur Ruhe oder kehrten zurück nach Australien oder England. Dem wirtschaftlichen Wachstum der Nordinsel hielt Dunedin auf einmal nicht mehr stand. Trotz aller seither erfolgten Bemühungen, Dunedin wirtschaftlich wieder zu beleben, liegen in der Stadt die Durchschnitts-Brutto-Einkommen, verglichen mit allen anderen Städten und Regionen, immer noch am untersten Ende der Skala. Dafür hat sie sich einen Namen mit ihrer Café-, Bar- und Pop-Musikszene gemacht, denn als Universitätsstadt zieht Dunedin noch immer viele junge Leute in den Süden.

 

Auf der Otago Halbinsel liegt die weltweit einzige Festlands-Brutkolonie von Königsalbatrossen und man kann sowohl die seltenen Gelbaugen-Pinguine als auch die Blauen Zwergpinguine sehen, die nur 25 cm groß werden. Wir verbringen drei Nächte in Dunedin, damit wir zwei volle Tage Zeit haben uns die Stadt und ihre Umgebung anzuschauen. Wir wohnen bei Peter und Stephanie und sind ihre ersten Air BnB-Gäste. Das vor dem Haupthaus gelegene Studio teilen wir uns mit der 17jährigen Katze, die mit Peters Tochter bis vor kurzem im Studio wohnte. Ins Haupthaus mag sie nicht ziehen, denn da wohnen eine andere Katze und zwei quirlige Hunde. Die Hunde haben eine Hundeklappe und jagen zusammen ständig rein und raus. Peter ist Bildhauer und war lange Zeit Dozent in der Kunsthochschule der OtagoPolytechnic. Eine seiner großformatigen Skulpturen können wir in der Stadt besichtigen, eine steht in der Uni und viele befinden sich in Museen, Sammlungen der öffentlichen Hand sowie Privatsammlungen im In- und Ausland. Einen so erfolgreichen Künstler haben wir noch nie kennengelernt. Peter freut sich über das Interesse an seiner Kunst und zeigt uns gerne kleinere Arbeiten, die er daheim hat, Kataloge von vergangenen Ausstellungen und ein dickes Fotoalbum. Wie er erzählt, um was es ihm bei den einzelnen Werken ging, denke ich mir, dass man diese Information in Museen und an öffentlichen Stellplätzen leider nie bekommt. Das ist sehr schade, denn Peters Erklärungen sind kurz und anschaulich. Joachim erinnert sich mit Grauen an seine Schulzeit zurück, in der der Kunstlehrer die Schüler mit der qualvollen Frage konfrontierte: "Was hat der Künstler sich wohl bei diesem Kunstwerk gedacht?"

Die Königs-Albatrosse haben gerade Nistzeit und man sieht sie am besten vom Beobachtungshaus der Royal Albatros Colony am Ende der Otago Peninsula aus. Das kostet zwar Eintritt, aber ein Teil des Geldes geht in den Naturschutz und der andere Teil finanziert das Informationszentrum, dessen Ausstellung und Filme sehenswert sind. Der Starkwind aus Süden bläst immer noch mit bestimmt 30 bis 35 Knoten. Die Albatrosse lieben es bei diesen Bedingungen an den Klippen der Halbinsel entlang zu segeln. Mit ihren drei Metern Flügelspannweite sind sie wahre Flugkünstler. Die Männchen versuchen durch Zurschaustellung ihrer Flugkünste die Gunst eines Weibchens für sich zu gewinnen. Hat sich ein Paar gefunden, bleibt es für den Rest seines Lebens zusammen. Leider verhindert der kräftige Wind, dass ein Vogel vor unseren Augen landet oder startet. Die brütenden Vögel ducken sich in ihre Nester. Doch auch die fliegenden Vögel sind toll anzuschauen. Sie sind so unglaublich groß, haben freundliche Gesichter und irgendwie sehen die nach hinten weggestreckten Füße mit den großen Schwimmhäuten beim Fliegen lustig aus.

 

Dass man bei der Albatros Kolonie auch die winzigen Blauen Zwergpinguine sehen kann, wussten wir gar nicht. Wir dachten dafür müssten wir nach Oamaru fahren, aber hier gibt es genauso eine Beobachtungs-Plattform wie in Oamaru. Tagsüber gehen die Pinguine im Meer auf Fischjagd und kehren bei Einbruch der Dunkelheit in Gruppen in ihre am Strand gelegenen Erdhöhlen zurück. Von der Plattform aus kann man die abendliche Rückkehr der kleinen Kerle beobachten. Auch abends bläst noch der polare Südwind und es ist echt kalt auf der Plattform, trotz Segeljacke und Fleece-Pulli. Die schönen Wollhandschuhe, die ich mir mittags gekauft habe, kommen unerwartet schon zum Einsatz. Man erkennt die Leiber der Pinguine erst, wenn sie sich aufrichten und im Watschelgang auf uns zukommen, nachdem sie sich von einer pechschwarzen Welle an den Strand haben spülen lassen. Sie sind wirklich klein. Und putzig! Einige verkrümeln sich sofort, andere stehen eine Weile lang unentschlossen rum und putzen sich noch ewig das Gefieder, bevor sie ihre Höhlen weiterwackeln. Sie sind sehr scheu und die Szenerie ist nur schwach beleuchtet, um die Tiere nicht zu stören. Mit klammen Fingern und ohne Blitz-Licht zu fotografieren ist schwer, aber ein paar Bilder bekommen wir hin. So haben wir an einem Tag in Dunedin ein paar der größten flugfähigen Vögel (es gibt wohl noch größere Kormorane und Pelikane) und die kleinsten Pinguine der Welt in freier Natur gesehen. Das ist grandios, Dunedin ist ein must-see auf einer Neuseeland-Rundreise!

Christchurch

 

Auch unser nächstes Ziel fällt in diese Kategorie, Christchurch, die zweitgrößte Stadt Neuseelands, die vor wenigen Jahren durch ein Erdbeben schwer beschädigt wurde. Große Teile der Innenstadt liegen noch immer in Trümmern. Nach offiziellen Angaben kamen durch das Erdbeben vom 22. Februar 2011 185 Leute ums Leben. Allein beim Einsturz des regionalen Fernsehsenders Canterbury Television starben 115 Menschen. Viele denkmalgeschützte Bauten, z.B. der Kirchturm der Christ Church Cathedral und Teile der Cathedral of the Blessed Sacrament wurden zerstört. Ein Minister schätzte nach der Katastrophe, dass bis zu 10.000 Wohnhäuser abgerissen werden müssten, noch viel mehr mussten repariert werden. 857 Tage war die Innenstadt rote Sperrzone, die nicht betreten werden durfte. Die Sperrung wurde am 30. September 2013 aufgehoben, doch es gibt immer noch gesperrte Straßen, unter denen sich die Erde verschoben und Hügel oder Löcher gebildet hat. An vielen Stellen liegen noch Ziegelhaufen herum, stehen komplette Dachstühle auf dem Boden, verdecken Latten und Plastikfolien Löcher in Bauwerken, stützen Balken einsturzgefährdete Konstruktionen. Seit Christchurch sich vom Schock erholt hat, hat sich in der Stadt bemerkenswerte Kreativität entfaltet. In der ganzen Innenstadt füllten Künstler Brachflächen mit virtuellen Räumen, Blumengärten und Kunstinstallationen. Büros und Geschäfte wurden in Container verlegt, die Stadt nahm das Leben unter neuen Bedingungen mit Behelfslösungen wieder auf. Die Notwendigkeit des Wiederaufbaus wird als Chance verstanden, Lebensräume neu zu entwerfen, Gewohntes in Frage zu stellen und Gebäude und Technik auf den neuesten Entwicklungsstand zu bringen. Der kreative Aufbruch-Geist, in den die Naturkatastrophe die Stadt versetzte, ist bemerkenswert.

 

Am bekanntesten ist die in der Innenstadt aus bunt gestrichenen, zweistöckig gestapelten See-Containern gebaute Re:Start City Mall, mit der die Zeit überbrückt wird, bis hier wieder ordentliche Geschäftsgebäude gebaut werden können. Der Wiederaufbau ist nämlich mangels fehlender Ressourcen gar nicht so einfach. Fast alle großen Baukräne des Landes wurden nach Christchurch gebracht und unzählige Handwerker und Ingenieure werden im In- und Ausland für den Wiederaufbau angeworben. Für die Re:Start City Gallery hat die Umbauphase kürzlich begonnen: Im Juni 2014 wurden zwanzig am Nordende aufgestellte Container-Geschäfte geräumt und ans Südende umgezogen, so dass jetzt am Nordende mit dem Bau neuer Geschäftshäuser begonnen werden kann.

 

Ebenfalls beachtenswert ist die Pappröhren-Kathedrale der Anglikanischen Kirche, die temporären Ersatz für die Christ Church Cathedral stellen sollte. Die im neugotischen Stil errichtete Christ Church Cathedral, ein Wahrzeichen der Stadt, verlor beim Erdbeben von Feburar 2011 die Hälfte des 63 m hohen Turms, ein Nachbeben im Juni zerstörte die Westfassade mit dem Rosettenfenster und ein drittes Nachbeben im Dezember verschlechterte den Zustand der Kirche nochmals. Daraufhin wurde beschlossen, den Kirchenbau, der auch zuvor schon viermal von Erdbeben beschädigt worden war, aufzugeben. Der japanische Architekt Shigeru Ban entwarf eine Ersatzkirche aus Pappröhren, Holz und Stahlträgern, die Beben besser standhalten, eine Haltbarkeit von mindestens 20 Jahren aufweisen und mit nur 3 Mio. Euro bezahlbar sein sollte. Ihre Konstruktion besteht aus einem Betonfundament, um das herum sich acht Container als Räume gruppieren, über denen eine leichte Konstruktion aus baumstammdicken Pappröhren und durchsichtigen Kunststoffplatten ein A-förmiges Dach ähnlich einem Kartenhaus bildet. Die Übergangs-Kathedrale bietet 700 Menschen Platz. Am Ende kostete die Kirche fast doppelt so viel wie veranschlagt, um ihre Finanzierung rankt sich Rechtsstreit und nicht alle Kirchenanhänger sind mit der modernen pragmatischen Kirche glücklich. Die Journalistin Susann Sitzler hat die Geschehnisse und die damit verbundenen Emotionen in DIE ZEIT einfühlsam geschildert (http://www.zeit.de/2014/21/neuseeland-christchurch-kathedrale-pappe) Uns gefällt der helle, mit einfachen Mitteln gestaltete Bau und seine schlichte, aber warme Einrichtung. Irgendwie erinnert mich die Kirchengestaltung an Ikea. Ikea gibt es in Neuseeland nicht, aber Christchurch könnte ein Ikea-Möbelhaus durchaus gebrauchen, schlussfolgern wir nach der Kirchenbesichtigung.

Wir hatten an den Besuch von Christchurch wenig Erwartungen geknüpft, uns darauf eingestellt, das bedrückende Zeugnis einer schwer verwundeten Stadt zu erleben. Wir hatten nicht erwartet, uns an diesem Ort wohlzufühlen, und doch ist es so.

 

Da wo Wände fehlen, sind plötzlich Neuseeländer auf der Straße zu sehen. Sowohl der Kathedralen-Platz als auch die Fußgängerzone vor der Re:Start City Mall sind belebt, die Leute sitzen auf Bänken unter Bäumen oder unter Sonnenschirmen auf Café-Terrassen, Straßenmusikanten finden Publikum. DerBotanical Garden ist herrlich und zieht massenhaft Besucher an, die Außenstelle der Touristen-Information hier hat vor jedem Beratungsplatz eine lange Warteschlange. Und sogar Klassik gibt es in gepflegtem Ambiente. 

 

Wir gehen zu einer Aufführung von Mozarts letzter Oper "Titus" (La Clemenza di Tito) in der Landsdown Villa am Waldrand eines Vorortes von Christchurch. Der Abend wird nur von drei Musikern, einem Sprecher und Pianisten, einer (deutschen) Sopranistin und einem Violinisten gestaltet. Das kleine Ensemble beabsichtigt mit ihrem neuartigen Konzept "Narropera" dem Publikum die Musik des 18. Jh. näher bringen, in dem der Sprecher die Handlung der jeweiligen Oper und ihre Entstehungsgeschichte erzählt und die Sopranistin, begleitet vom Violinisten sowie dem Erzähler am Flügel die Arien singt, welche die tragenden Säulen der Oper darstellen. Manchmal erfordert das, dass sie Arien singt, die im Originalwerk zu verschiedenen Rollen gehören, manchmal kann sie sich auf eine Rolle beschränken. Die Aufführungen dauern im Schnitt 80 bis 90 Minuten und sind in unseren Augen ein bemerkenswert guter Weg, interessierten Laien wie uns, leichtfüßigen Zugang zu Opernmusik zu bieten. Ich glaube mit anderem Namen würde das Konzept der "Narropera" auch in Deutschland sehr gut ankommen. Hoffentlich liest dies jemand, der den deutschen Kulturschaffenden davon berichten kann. Auf www.narropera.com gibt Haydn Rawstron eine kurze Einführung in die Veranstaltungen und man kann Kostproben anhören.

Frau Sitzler schrieb: "Jahrzehntelang galt Christchurch mit seinen vielen historischen Steinhäuschen und gepflegten Grünflächen als die schönste und britischste Stadt Neuseelands." Wir denken, nach dem Erdbeben hat Christchurch hat das Zeug dazu, das vibrierende Berlin Neuseelands zu werden.

 

Timaru bis Greymouth über Arthurs Pass

 

Jetzt wird es Zeit, den Rückweg nach Norden anzutreten. In Timaru, kurz hinter Christchurch zieht mich ein Schild in einen Rot-Kreuz-Laden, auf dem steht: Eine Tüte voll Kleidung für 5 NZD. 5 NZD, das sind 3 Euro. Die Tüten sind normale, große Supermarkt-Tüten. Unter den angebotenen Kleidungsstücken sind gute, schöne Sachen, viele neu. Ich möchte wissen, warum solche Sachen hier so billig verramscht werden. Eine kleine Boutique neben dem Second-Hand-Shop hat aufgegeben, und vieles aus dem Angebot stammt von dort, ist die Antwort. Ich mache eine Tüte voll und die alte Dame schlägt vor die Kleidung zusammen zu rollen, damit möglichst viel in die Tüte geht. Ich werde einen Weg finden, wie ich diese Sachen zu Lea, der netten Restaurant-Besitzerin und ihren Freundinnen in Port Resolution in Vanuatu schaffe. Für Timaru tut es mir Leid.

Die Landschaft, durch die wir von der Küste weg Richtung Berge fahren ist pittoresk und bietet alle Postkarten Klischees. An einer Schafweide halten wir an um Fotos zu machen. Im Vordergrund wollige weiße Schafe auf einer saftig grünen Weide, begrenzt durch einen Saum dunkelgrüner Bäume, im Hintergrund das schroffe graue Panorama zackiger Bergrücken, gekrönt von strahlend blauem Himmel. Zufällig kommt gerade auch der Schäfer angefahren, dessen Weide es wohl ist. Wir kommen ins Gespräch, plänkeln ein wenig über dies und das. Er mag gar nicht glauben, dass wir aus Deutschland sind. Auch er fragt, was wir von Neuseeland halten, eine Frage, die uns oft gestellt wird. Er selbst sieht eine blendende Zukunft für sein Land, da es viele Nahrungsmittel herstellt und für Nahrungsmittel bei wachsender Weltbevölkerung mit Sicherheit Bedarf besteht. Lachend gibt er zum Besten, dass die Chinesen alles kaufen. Selbst die Fleischteile von Lämmern, an denen nichts dran sei, die früher weggeworfen wurden, würden Chinesen heute bei ihm kaufen. Seine Welt scheint schwer in Ordnung zu sein. Die Geschäftsstraßen mit verwaisten Ladenflächen, die wir in vielen Kleinstädten des Landes gesehen haben, die vielen Geschäfte, die schon um 17 h schließen, weil eh kein Kunde mehr kommt, die Boutique in Timaru, die es nun nicht mehr gibt, sowas sieht er wohl selten bis nie.

 

Auf dem Weg zum Arthurs Pass legen wir noch bei Castle Hill einen Stopp ein, einem Ort, an dem bizzar geformte Sandsteinfelsen wie gewürfelt in die Landschaft gestreut liegen. Kletterer trainieren an den glatten Steinen ihr Können. Über den Arthurs-Pass fahren wir schließlich zurück nach Greymouth, wo wir uns diesmal die Pancake Rocks anschauen. Am Spätnachmittag steht die Sonne genau richtig. Die Felsen an Punakaikis Küste sehen wie haufenweise übereinander getürmte Pfannkuchen aus, daher der Name. Die exakte geologische Entstehung ist bis heute nicht hundertprozentig geklärt.

Nelson Lakes National Park

 

Auf dem letzten Wegstück von Greymouth zurück nach Nelson machen wir noch einen kurzen Abstecher in den Nelson Lakes Nationalpark, wo wir unsere deutsche Freundin Stefanie treffen, die ebenfalls über die Südinsel tourt. Als Unterkunft habe ich eine echte neuseeländische "Bach" (Bätsch gesprochen) gefunden, eine durch und durch rustikale Ferienhütte. "Baches" sind ein Kultur-Erbe Neuseelands mit Kult-Flair. Die Hütten entstanden in den 50er Jahren zuhauf an den Stränden Neuseelands, als mit einfachsten Mitteln billig gebaute Ferienhäuser. Liebevoll wurden sie aus Holzresten, Wellblech und allem was da war zusammengenagelt. Ob das Wort "Bach" von "Bachelor" abgeleitet wurde, also als Junggesellen-Hütte bezeichnet wurde, oder von einem gällischen Wort stammt, lässt sich nicht mehr feststellen. Fest steht aber, dass Kiwis ihre "Baches" lieben und dass ein Tourist, der in keiner "Bach" übernachtet, ein Stück Neuseeland verpasst.

Unsere "Bach" liegt nicht am Strand, sondern in der Nähe des Rotoroa Sees und gehört, wie wir vom Nachbarn erfahren, einem schrulligen Junggesellen aus Christchurch. Er hat die Hütte mit allerlei Macho-Sprüchen dekoriert. Im Windfang – oder besser gesagt, dem Mückenfang – empfängt uns ein Schild mit der Aufschrift: "GESUCHT: Frau zum Fische ausnehmen, Würmer ausgraben und Liebe machen. Muss gutes Boot & Motor besitzen. Bitte Bilder vom Boot und vom Motor beilegen." Im Inneren des Hauses gibt es noch mehr Sprüche dieser Art, Katzenspieße und andere Deko-Stücke, die auf derb-rüden Humor des Besitzers schließen lassen.

 

Im Sommer sind die Nelson Lakes absolut mückenverseucht, daher sind wir nicht sehr erpicht auf lange Wanderungen, sondern begnügen uns mit zwei kurzen netten Spaziergängen zu einem Wasserfall sowie entlang des Seeufers und verziehen uns ansonsten in den Schutz von Nevills Hütte. Mit einem Feuer im Ofen bekommen wir sie abends mollig warm, doch nachts wird es verdammt kalt in der ungedämmten Bude. Kein Wunder, das Wellblech ist einfach so auf die Dachsparren genagelt und es gibt genügend Löcher, durch die die Kälte der Berge reinzieht. Mit entsprechend vielen Wolldecken auf den Betten ist es jedoch auszuhalten.

Mit diesem letzten Erlebnis beenden wir die Rundreise über die Südinsel. Mit der Szenerie des Fjordland Nationalparks, Dunedins Tierwelt, Christchurchs kreativem Innovationsgeist und dem rauen Charme einer echt neuseeländischen "Bach" hat die Südinsel schließlich also doch auch uns Weitgereisten noch unvergessliche Erlebnisse beschert. Offen sind jetzt nur noch der Besuch der Golden Coast, des Kahurangi Nationalparks, der Marlborough Sounds, ein Rugby-Spiel und ein Schafscher-Event.

 

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