25. Juli – 5. August 2011: Saône und Rhône

Ab jetzt reisen wir auf der „Großen Saône“. Der Fluss wird deutlich breiter und bringt uns in die reizvolle, hügelige Bourgogne. Uns fällt auf, dass wir jetzt wieder häufig Schwäne sehen, die auf den schmalen Flussabschnitten der Saône fehlten. Manche schwimmen ganz nah an uns heran. Sind die neugierig oder hoffen die auf was zu fressen? Auch Fischreiher sehen wir viele, ebenso wie die allgegenwärtigen Angler. Im Fluss scheint es für alle genug zu geben. Die Seerosenteppiche am Uferrand setzen sich fort, sogar bis nach Mâcon hinein, eine Kleinstadt an der Saône. Aus Mâcon kommt guter Wein, also laufen wir mit unserer Sackkarre und zwei großen Klappkisten gerüstet, vom Hafen aus in den riesigen Hypermarkt, der in gut 10 Minuten zu Fuß zu erreichen ist. Es passt einiges rein in unsere Kisten, am Ende rollen wir bestimmt 70-80 kg auf der Sackkarre zurück zum Schiff: Wein, Wasser, Milch, Fisch, Fleisch, Käse, Gemüse, Brot – es sah einfach alles lecker aus und wer weiß, wann die nächste günstige Einkaufsgelegenheit kommt. Als autoloser See- bzw. Flussfahrer wird man schnell zum Hamster.

 

Am Nachmittag tuckern wir weiter nach Lyon. Im brandneuen Hafen des neuen, futuristisch gestalteten Stadtviertels Confluence werden wir sehr freundlich von Hugo, dem Hafenmeister aufgenommen. Jedes Mal, wenn ein neues Schiff in den Hafen einfahren will, muss Hugo zur Hubbrücke gehen, diese an beiden Seiten für Fußgänger und Autos absperren und einige Tonnen Stahl Richtung Himmel in Bewegung bringen – was für ein Wahnsinn… Die Architektur des Viertels begeistert uns nicht, manche Fassaden empfinden wir als richtig hässlich, obwohl sie bestimmt preisgekrönt sind und jedenfalls teuer waren. Wie schön waren dagegen die Villen der Weinbauern, die wir entlang des Weges gesehen haben.

 

Auf Saône und Rhône tauchen inmitten hübscher ländlicher Gegenden immer wieder große Industriebetriebe auf. Auch dass Frankreich ein Land mit vielen Atomkraftwerken ist, ist hier nicht zu übersehen. Aber es sind nur sehr wenige Frachtschiffe unterwegs, was uns sehr erstaunt. Ob’s an der beginnenden Ferienzeit liegt, in der halb Frankreich still steht?

 

Lyon ist die Hauptstadt französischer Spitzenköche, bekannt ist vor allem Paul Bocuse. Dessen Restaurant können wir uns nicht leisten, daher gehen wir in die von Hugo empfohlene Brasserie Georges, die es schon seit 1876 gibt. Spezialität sind hier deftige Gerichte vom Schwein mit Sauerkraut sowie das Hausbier. Von einem auf der Zunge zart dahinschmelzenden „Croustillant de Caramel“ sagt Joachim, „dass es eine Frechheit ist, etwas so unglaublich Leckeres anzubieten“. In Lyon begegnet uns im Musée de la Résistance auch ein Stück unrühmliche deutsche Geschichte: Klaus Barbie, der „Schlächter von Lyon“, richtete von 1942 bis 1944 unbeschreibliches Grauen an. Neben Zeitzeugenbeschreibungen der Gräueltaten erfahren wir im Museum auch einiges über den französischen Widerstand, der in Lyon eines seiner Zentren hatte.

 

Direkt hinter Lyon mündet die Saône in die Rhône. Den Fluss, der uns so oft als wild und gefährlich, als reißender Strom, mit gewaltigen Schleusen und allen möglichen Gefahren geschildert wurde. Wieder einmal entpuppen sich viele Erzählungen als wenig realitätsnah. Die Großschleusen sind alle mit Schwimmpollern ausgestattet. Daran kann man prima festmachen und braucht während des ganzen  Schleusens keine Leine mehr zu bedienen. Einfacher geht es wirklich nicht. Wir haben ordentlich Mistral, einen Starkwind, der aus Norden in manche Schleusen hineinfegt, aber auch der Schub durch den Wind stellt für unser Boot kein Problem dar. Von angeblichen 3 bis 4 Knoten Strömung keine Spur, meist verzeichnen wir nur 1 bis 1,5 Knoten. Und wenn man den Fahrwassertonnen brav folgt, kommt man auch um die Untiefen des Flussbettes problemlos herum. Man merkt entlang der Rhône schon deutlich, dass wir uns dem Süden nähern: Die mächtigen Laubwälder werden weniger, Zypressen tauchen auf und man sieht schon die ersten Häuser aus Naturstein im typischen Look der Provence. Nur mit der Wärme hapert es noch, aber das liegt am kalten Mistral.

 

Entlang der Rhône folgen mehrere sehenswerte Städtchen und Städte, vor allem Viviers, Avignon und Arles. In Viviers entdecken wir spät abends die uralte, auf die Römer  zurückgehende Oberstadt, die von einer majestätischen Kirche gekrönt wird. Ganz aus dem Häuschen ist Joachim, als er direkt darüber den großen Wagen entdeckt und das Sternbild mit unserer Pentax abgelichtet bekommt.

 

In Avignon treffen wir am letzten Tag des europaweit bedeutendsten Theaterfestivals ein, das die Stadt den ganzen Juli durch in Atem gehalten hat. Die Stadt ist noch immer in Feierlaune: an verschiedenen Stellen gibt es Konzerte und es wird getanzt. Auch auf der berühmten Brücke von Avignon, von der aus ein Rave-Konzert am anderen Ufer beschallt wird. Die unglaublichen Ausmaße des Papstpalastes verschlingen uns den Atem und bringen uns fotographisch fast zur Verzweiflung, denn der gewaltige Bau lässt sich aus keiner Perspektive ordentlich fotografieren. Unvorstellbar, dass dieses Monument in weniger als 20 Jahren gebaut wurde. Heerscharen von Handwerkern müssen Schwerstarbeit geleistet haben. Wie mag wohl der Dank der Kirche dafür ausgesehen haben? Im Inneren des Papstpalastes gibt es eine immens große Arena, die dem Theaterfestival als Spielbühne dient. Es muss aber noch viele andere Bühnen geben, gemessen an der Zahl der Plakate die wir über die Stadt verteilt sehen. Jeder Laternenpfahl, jedes Fenstergitter, jedes Geländer ist mit Plakaten behängt, die die Aufführungen ankündigen. Chaotisch, schräg, anarchisch aber irgendwie auch romantisch ist die Stimmung, die diese ungewöhnliche Stadt-Dekoration erzeugt. Doch schon saust die Stadtreinigung mit Hebebühnen durch die Straßen und holt alle Plakate runter. In einigen Stunden wird Avignon wieder eine ruhige beschauliche Stadt sein, bis zum nächsten Sommer.

 

Zwischen Avignon und Arles bringt uns eine einzige Schleuse um sage und schreibe 22 Meter dem Meeresniveau näher, die Schleuse Bollène. Wir und die anderen Boote sehen darin winzig aus. Das Tor, das die gewaltigen Wassermassen abhalten muss, ist hier nicht flach sondern halbrund. Es sieht vertrauenserweckend stabil aus und letztlich fährt sich diese Schleuse genauso problemlos wie alle anderen auch, nur dass es unten angekommen ganz schön dunkel ist.

 

Unserem Reiseführer zufolge ist Arles „die schönste und letzte Uferstadt der Rhone“, bevor der Fluss im Mittelmeer verschwindet. Klar, dass wir auch Arles noch besichtigen möchten. Hier erwartet uns allerdings ein kleines Anlegeproblem, es gibt keinen Steg. Der früher existierende Steg wurde während eines Hochwassers weggerissen und ist noch nicht ersetzt. Einzig ein Restaurantschiff bietet ein paar Booten die Möglichkeit, an seiner Flussseite festzumachen. Als wir ankommen liegen dort schon etliche Schiffe. Glücklicherweise lässt sich für uns noch ein Plätzchen in zweiter Reihe finden. Allerdings stellt sich das an Land gehen als schwierig heraus. Das Restaurantschiff hat montags Ruhetag und der Steg, der vom Schiff aus an Land führt, ist abgeschlossen. Man kann auch nicht einfach drüber klettern, alles ziemlich dumm…

 

Wir kommen mit einem belgischen Bootsnachbarn ins Gespräch und bekommen das Angebot, mit ihm, seiner Frau und dem Hund im Dingi an Land zu fahren. Perfekt, so bekommen wir doch noch den mehrfach geflickten Obelisken aus Ägypten auf der Place de la République zu sehen, das Römische Theater und das wundervolle Amphitheater und stellen uns vor, wie die Stadt wohl war, als van Gogh hier als von den Bürgern der Stadt geschmähter Künstler gemalt hat.

 

Auf dem Rückweg zum Boot erleben wir ein kleines Abenteuer: Der Außenborder des Dingis streikt. Weit ist es nicht zur Pagena und zur Kairos, dem Schiff unserer Gastgeber, und ein klein wenig Strömung in die richtige Richtung hat der Fluss auch. Der Skipper beschließt, dass wir auch mit den Händen paddelnd gut zurückkommen sollten. Der Plan geht auf, zehn Minuten später sind wir zurück an Bord und fallen nach einem ereignisreichen Tag todmüde aber glücklich in die Koje.

 

Am nächsten Morgen folgt der Endspurt ins Mittelmeer. Endlich - wir sind das Motorbootfahren langsam leid! Auf Dauer geht uns das Motor-Gebrumm auf die Nerven, selbst wenn es nur das mäßig nagelnde Geräusch eines kleinen Dreizylinders ist. Eine letzte Schleuse trennt uns noch vom Ozean. Obwohl diese nur wenige Dezimeter Hub hat, wird sie nur wenige Male täglich für Sportboote geöffnet. Wir müssen über zwei Stunden warten. Hinter der Schleuse erwartet uns Port-St.-Louis, der erste richtige große Hafen seit Langem, der mit allem Pipapo ausgestattet ist.

 

Er wird für die nächsten drei Tage unsere Heimat, dann jetzt heißt es, Pagena fürs Segeln im Salzwasser, bei Wind und Welle, bei Tag und bei Nacht vorzubereiten. Jetzt kann der Mast gestellt, die Segel angeschlagen, Wanten und Stagen eingestellt, Radar und Positionslichter angeschlossen, die Kurzwellen-Funkanlage installiert, der Trinkwassermacher in Betrieb genommen werden, und und und. Wäsche waschen, einkaufen, letzte Aufkleber für’s Schiff besorgen – in Port St. Louis geht alles und wir sind wieder von früh bis spät beschäftigt und gönnen uns nur wenige Pausen.

 

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